Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2007 - 4 StR 253/07

published on 23/08/2007 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2007 - 4 StR 253/07
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 253/07
vom
23. August 2007
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 23. August 2007 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird, soweit er verurteilt worden ist, das Urteil des Landgerichts Neubrandenburg vom 19. Oktober 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
2
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es eines Eingehens auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht bedarf.
3
Das Landgericht ist zwar mit tragfähiger Begründung zu der Überzeugung gelangt, die 16jährige Nebenklägerin habe sich bei Beginn und während der Durchführung der sexuellen Handlungen objektiv in einer schutzlosen Lage im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB befunden und sei nur im Hinblick auf ihre Schutzlosigkeit aus Angst vor dem körperlich überlegenen Angeklagten den sexuellen Handlungen widerstandslos nachgekommen, ohne jedoch hiermit einverstanden gewesen zu sein (vgl. BGHSt 50, 359, 364 ff.; Senatsbeschluss vom 4. April 2007 - 4 StR 345/06 - zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt). Nicht hinreichend belegt ist indes die Annahme, der Angeklagte sei jedenfalls bedingt vorsätzlich vom Vorliegen eines entgegenstehenden Willens der Nebenklägerin ausgegangen. Insoweit ist die Beweiswürdigung lückenhaft. In Anbetracht der getroffenen Feststellungen hätte das Landgericht erörtern müssen, ob sich der Angeklagte in einem den Vorsatz ausschließenden Irrtum nach § 16 Abs. 1 StGB befand (vgl. BGHSt 39, 244, 245).
4
Der subjektive Tatbestand einer Vergewaltigung unter Ausnutzung einer schutzlosen Lage erfordert zumindest einen bedingten Vorsatz des Täters dahin , dass das Tatopfer in die sexuellen Handlungen nicht einwilligt und es gerade im Hinblick auf seine Schutzlosigkeit auf möglichen Widerstand verzichtet (BGHSt 50, 359, 368). Diese Voraussetzungen hat das Landgericht als erfüllt angesehen und sich dabei indiziell auf den Inhalt eines längeren, zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin vor der Tat geführten Gesprächs gestützt (UA 19). Im Verlauf dieses Gesprächs habe der Angeklagte zum Ausdruck gebracht zu erkennen, dass die Nebenklägerin Angst vor ihm habe. Die Nebenklägerin habe ihrerseits den Angeklagten darauf hingewiesen, keinen Geschlechtsverkehr mit ihm zu wollen. Da der Angeklagte trotz dieses Wissens und in Kenntnis der Abgelegenheit der Örtlichkeit die Nebenklägerin zum Beischlaf gedrängt habe, habe er zumindest gebilligt, dass er sich über deren Willen hinwegsetzte. Anzeichen dafür, dass die Nebenklägerin ihre Meinung geändert haben könnte, seien nicht ersichtlich.
5
Hierbei hat die Strafkammer übersehen, dass sich die Nebenklägerin - jedenfalls aus Sicht des Angeklagten - während des Geschehens durchaus ambivalent verhielt, indem sie etwa von sich aus dem Angeklagten vorschlug, ihn oral zu befriedigen und dem auch nachkam, da, was der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen nicht erkannt hatte, ihr der zuvor vollzogene vaginale Verkehr Schmerzen bereitet hatte. Diesem Umstand kommt deshalb besondere Bedeutung zu, weil die Nebenklägerin ihr eigenes Verhalten vor und während der sexuellen Handlungen als für den Angeklagten möglicherweise missverständlich beschrieb. So gab sie im Rahmen der Exploration gegenüber der Sachverständigen auf deren Frage, ob der Angeklagte ihr fehlendes Einverständnis hätte bemerken müssen, an, der Angeklagte habe möglicherweise nicht bemerkt, dass sie während des Geschlechtsverkehrs geweint und vor Schmerzen geschrieen habe. Der Angeklagte habe "dies möglicherweise auch für Stöhnen halten können". Insgesamt, so die Nebenklägerin weiter, habe sie sich "komisch" verhalten und dem Angeklagten auch nicht "konkret" gesagt, dass sie sexuelle Handlungen nicht wolle (UA 35). Feststellungen, die diese Einschätzung der Nebenklägerin widerlegen, hat das Landgericht nicht getroffen.
6
Dieser von der Nebenklägerin wiedergegebene Eindruck und die kritische Beurteilung ihres eigenen Verhaltens drängten deshalb vor dem Hintergrund der festgestellten Initiative der Nebenklägerin bei Durchführung des Oralverkehrs zur Prüfung der Frage, ob der Angeklagte bei Beginn der sexuellen Handlungen und Vollendung der Tat irrtümlich davon ausging, die Nebenklägerin habe ihre im vorausgegangenen Gespräch geäußerte ablehnende Meinung aufgegeben und sei jedenfalls nunmehr mit den sexuellen Handlungen einverstanden. Entsprechende Erörterungen enthält das Urteil nicht.
7
Die Sache muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden.
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Sost-Scheible
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(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

(1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt. (2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche den
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(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

(1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt. (2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche den
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Annotations

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer bei Begehung der Tat einen Umstand nicht kennt, der zum gesetzlichen Tatbestand gehört, handelt nicht vorsätzlich. Die Strafbarkeit wegen fahrlässiger Begehung bleibt unberührt.

(2) Wer bei Begehung der Tat irrig Umstände annimmt, welche den Tatbestand eines milderen Gesetzes verwirklichen würden, kann wegen vorsätzlicher Begehung nur nach dem milderen Gesetz bestraft werden.