Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Juni 2006 - 4 StR 182/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
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- 1. Das Landgericht hat den inzwischen 81jährigen Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten Revision eingelegt und diese am 27. Oktober 2005 und am 9. März 2006 begründet. Mit seinem am 23. Dezember 2005 beim Landgericht eingegangenen eigenhändigen Schreiben vom 15. Dezember 2005 hat der Angeklagte erklärt: "Hiermit möchte ich vom 15.12.05 die Revision zurückziehen. im Rechtsstreit A. /B. ". Das Schreiben war unter Angabe des vollständigen Aktenzeichens des Schwurgerichtsverfahrens an "die Geschäftsstelle des Landgerichts Dortmund" gerichtet. Als Betreff war angegeben "Revision GeschäftsNr. 30668/05 - Lübeckerstr. 21".
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- Der Verteidiger vertritt in seinem Schriftsatz vom 19. Januar 2006 und in seiner Revisionsbegründung vom 9. März 2006 die Auffassung, dass die Revision nicht rechtswirksam zurückgenommen wurde, weil der Wortlaut der Erklä- rung nicht eindeutig sei. Außerdem ist er der Ansicht, dass ein vom Verteidiger eingelegtes Rechtsmittel auch nur - nach Abstimmung mit dem Angeklagten - durch diesen zurückgenommen werden könne. Hilfsweise widerrufe er die Rücknahme oder fechte sie an, weil sich der Angeklagte über die Tragweite und die Rechtsfolgen der Rücknahmeerklärung nicht im Klaren gewesen sei und ihm nach Erörterung der Rechtsansicht des Landgerichts mitgeteilt habe, das Rechtsmittel "solle aufrecht erhalten bleiben".
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- 2. Der Angeklagte hat die Revision wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dass das Rechtsmittel von seinem Verteidiger eingelegt worden war, ist für die Wirksamkeit der Rücknahme durch den Angeklagten ohne Belang, da der erklärte Wille des Angeklagten stets vorgeht (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 7 m.w.N.; vgl. auch MeyerGoßner StPO 48. Aufl. § 302 Rdn. 4 m.w.N.). Die Rücknahmeerklärung des Angeklagten wahrt die für die Zurücknahme des Rechtsmittels erforderliche Form (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 7) und ist eindeutig und zweifelsfrei. Soweit darin auch ein Rechtsstreit A. ./. B. erwähnt wird, handelt es sich dabei um ein zivilrechtliches Verfahren, in dem noch keine Entscheidung ergangen ist; eine Revision war nur im vorliegenden Verfahren eingelegt.
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- Eine Rücknahmeerklärung ist allerdings nur dann wirksam, wenn der Erklärende bei deren Abgabe verhandlungsfähig war. Dies ist gegebenenfalls vom Revisionsgericht im Freibeweisverfahren zu klären (vgl. BGH NStZ 1983, 280; bei Kusch NStZ 1997, 378; Meyer-Goßner aaO Rdn. 8 a). Die Verhandlungsfähigkeit ist hier indes zu bejahen:
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- Das Landgericht ist in dem angefochtenen Urteil in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen von der uneingeschränkten strafrechtlichen Verantwort- lichkeit des Angeklagten für die Tat vom 18. Februar 2005 ausgegangen [UA 47 f.]. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass dem hoch betagten Angeklagten im Hinblick auf seinen geistigen Zustand die genügende Einsichtsfähigkeit für seine Prozesshandlung und deren Tragweite gefehlt hätte. Zur Klärung dieser Frage war von dem Vorsitzenden des Schwurgerichts eine Begutachtung des Angeklagten durch den Sachverständigen Dr. R. veranlasst worden. Diesem gegenüber hat der Angeklagte erklärt, er habe mit seinem Brief auf jeden Fall die Revision in seinem Strafverfahren zurücknehmen wollen; später habe ihm sein Verteidiger geraten, die Revision doch durchzuführen. In seinem ausführlichen Gutachten vom 9. Februar 2006 hat der Sachverständige keine Anhaltspunkte dafür gesehen, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung in irgendeiner Weise psychisch beeinträchtigt gewesen wäre.
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- Nach alledem hat der Senat keinen Zweifel an der Wirksamkeit der Revisionsrücknahme. Diese ist unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. Meyer-Goßner aaO Rdn. 9 m.w.N.).
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- Da der Verteidiger des Angeklagten die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme in Zweifel zieht, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge förmlich fest.
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- Nach wirksamer Rücknahme der Revision hat der Angeklagte die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO).
Solin-Stojanović Ernemann
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(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
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auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.