Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2013 - 4 StR 151/13
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und in Höhe eines Betrages von 25.000 € den Verfall von Wertersatz angeordnet. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
I.
- 2
- Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 8. April 2013 im Einzelnen zutreffend ausgeführt hat, haben die vom Beschwerdeführer erhobenen Verfahrensrügen keinen Erfolg; auch hat die Nachprüfung des angefochtenen Urteils auf Grund der Sachrüge hinsichtlich des Schuldspruchs keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
II.
- 3
- Hingegen hält der Strafausspruch sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht dem Angeklagten bei den Erwägungen zur Wahl des Strafrahmens rechtsfehlerhaft sein Verteidigungsverhalten strafschärfend angelastet und die Reichweite des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit aus dem Blick verloren hat.
- 4
- 1. Im Fall II. 2 der Urteilsgründe, in dem der Angeklagte nach den Feststellungen 500 Gramm Kokain mit einem Wirkstoffanteil von mindestens 20 % gewinnbringend an den Zeugen E.-M. für 22.000 € weiterverkaufte, hat das Landgericht ausgeführt, für die Annahme eines minder schweren Falles spreche zwar das teilweise Geständnis des Angeklagten; es könne allerdings nicht übersehen werden, dass dieser zugleich versucht habe, durch seine Einlassung die Folgen seiner Tat zu verharmlosen, indem er entgegen den späteren Feststellungen im angefochtenen Urteil behauptet habe, er hätte das Kokain wegen der (angeblich) schlechten Qualität wieder zurückerhalten. In Bezug auf alle festgestellten Taten hat das Landgericht ferner ausgeführt, gegen die Annahme minder schwerer Fälle spreche „letztlich“ der Umstand, dass der Angeklagte äußerst konspirativ vorgegangen sei. Die Strafkammer sei aufgrund einer Gesamtschau davon überzeugt, dass der Angeklagte offenbar von Anfang an beabsichtigt habe, die Ermittlungsmaßnahmen der Polizei in eine falsche Richtung zu lenken. Die polizeilichen Ermittlungen seien dadurch erheblich erschwert worden. Beispielsweise habe die wahre Identität des Angeklagten erst am 1. Februar 2012 durch die Polizei festgestellt werden können, nachdem der Telefonanschluss des Angeklagten für etwa 14 Tage überwacht und die Koordinaten seines Wohnsitzes unter Auswertung der Gesprächsinhalte aufwändig festgestellt worden seien. Beide Erwägungen begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
- 5
- 2. Schon aus dem nemo-tenetur-Grundsatz (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2, 243 Abs. 5 Satz 1 StPO) folgt, dass der Beschuldigte in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht verpflichtet ist, aktiv die Sachaufklärung zu fördern und an seiner eigenen Überführung mitzuwirken (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 – 1 StR 364/03, BGHSt 49, 56, 59 f.). Dementsprechend darf ihm mangelnde Mitwirkung an der Sachaufklärung nicht strafschärfend angelastet werden (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 – 2 StR 527/95, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verteidigungsverhalten 17 mwN). Darüber hinaus kann auch Prozessverhalten, mit dem der Angeklagte – ohne die Grenzen zulässiger Verteidigung zu überschreiten – den ihm drohenden Schuldspruch abzuwenden versucht, grundsätzlich nicht straferschwerend berücksichtigt werden, da hierin – unbeschadet einer Verletzung des nemotenetur -Grundsatzes – eine Beeinträchtigung seines Rechts auf Verteidigung läge. Dies gilt nicht nur dann, wenn er eine unrichtige Einlassung unverändert aufrechterhält, sondern auch, wenn er dem Anklagevorwurf mit jedenfalls teilweise wahrheitswidrigem Vorbringen zu begegnen sucht (BGH, Beschluss vom 8. November 1995 aaO).
- 6
- Gemessen daran kann der Senat vor dem Hintergrund des Gesamtzusammenhangs der Strafzumessungserwägungen nicht ausschließen, dass die Strafrahmenwahl des Landgerichts im Hinblick auf beide Umstände maßgeblich durch eine unzulässige Bewertung des Verteidigungsverhaltens des Angeklagten beeinflusst ist. Dies gilt umso mehr, als die von der Strafkammer herangezogene Erwägung, durch die äußerst konspirative Vorgehensweise des Angeklagten seien die polizeilichen Ermittlungen erheblich erschwert worden, mit dem bloßen Hinweis auf eine zweiwöchige Telefonüberwachung und die darauf gestützte Bestimmung der Wohnsitz-Koordinaten nicht hinreichend mit Tatsachen belegt ist.
III.
- 7
- Der Strafausspruch bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Angesichts der Höhe der verhängten Einzelstrafen sowie der Gesamtfreiheitsstrafe kann der Senat, auch vor dem Hintergrund der festgestellten schlechten Qualität der Betäubungsmittel, nicht mit der erforderlichen Sicherheit ausschließen, dass die Entscheidung über den in den einzelnen Fällen anzuwendenden Strafrahmen ohne die Wertungsfehler anders ausgefallen wäre. Unter Berücksichtigung dieses Umstandes kann der Senat den Rechtsfolgen- ausspruch auch nicht als „angemessen“ im Sinne von § 354 Abs. 1 a StPO an- sehen. Die zu Grunde liegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da es sich um Wertungsfehler handelt. Ergänzende Feststellungen, die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.
Quentin Reiter
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(1) Bei Beginn der Vernehmung ist dem Beschuldigten zu eröffnen, welche Tat ihm zu Last gelegt wird und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist darauf hinzuweisen, daß es ihm nach dem Gesetz freistehe, sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen und jederzeit, auch schon vor seiner Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger zu befragen. Möchte der Beschuldigte vor seiner Vernehmung einen Verteidiger befragen, sind ihm Informationen zur Verfügung zu stellen, die es ihm erleichtern, einen Verteidiger zu kontaktieren. Auf bestehende anwaltliche Notdienste ist dabei hinzuweisen. Er ist ferner darüber zu belehren, daß er zu seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen und unter den Voraussetzungen des § 140 die Bestellung eines Pflichtverteidigers nach Maßgabe des § 141 Absatz 1 und des § 142 Absatz 1 beantragen kann; zu Letzterem ist er dabei auf die Kostenfolge des § 465 hinzuweisen. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf, dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen werden.
(2) Die Vernehmung soll dem Beschuldigten Gelegenheit geben, die gegen ihn vorliegenden Verdachtsgründe zu beseitigen und die zu seinen Gunsten sprechenden Tatsachen geltend zu machen.
(3) Bei der Vernehmung des Beschuldigten ist zugleich auf die Ermittlung seiner persönlichen Verhältnisse Bedacht zu nehmen.
(4) Die Vernehmung des Beschuldigten kann in Bild und Ton aufgezeichnet werden. Sie ist aufzuzeichnen, wenn
- 1.
dem Verfahren ein vorsätzlich begangenes Tötungsdelikt zugrunde liegt und der Aufzeichnung weder die äußeren Umstände noch die besondere Dringlichkeit der Vernehmung entgegenstehen oder - 2.
die schutzwürdigen Interessen von Beschuldigten, die erkennbar unter eingeschränkten geistigen Fähigkeiten oder einer schwerwiegenden seelischen Störung leiden, durch die Aufzeichnung besser gewahrt werden können.
(5) § 58b gilt entsprechend.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.