Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juli 2015 - 4 StR 117/15
BUNDESGERICHTSHOF
a) die Strafverfolgung aa) in den Fällen unter B. 2. 1. der Urteilsgründe mit Ausnahme der Fälle „WÜ 18 [Fall „B. “]“ (UA 28/29), „M. “ (UA 39) und „G. “ (UA 45/46) jeweils auf den Vorwurf des vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe und bb) in den Fällen unter B. 2. 2. der Urteilsgründe mit Ausnahme des Falles „KO 26“ (UA 66/67) jeweils auf den Vorwurf des vorsätzlichen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition, jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung, beschränkt,
b) das vorbezeichnete Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben aa) in den Aussprüchen über die Einzelstrafen in den oben unter Ziff. 1. a) aa) und 1. a) bb) bezeichneten Fällen, soweit die Strafverfolgung gem. § 154a Abs. 2 StPO beschränkt wird, bb) im Ausspruch über die Gesamtstrafe. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen – versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe und Sachbeschädigung (Fall „WÜ 18 [Fall B. ]“), – versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlichem unerlaubten Füh- ren einer Schusswaffe und Sachbeschädigung („Fall M. “), – versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlichem unerlaubten Führen einer Schusswaffe und Sachbeschädigung (Fall „G. “), – versuchten Mordes in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr, vorsätzlichem unerlaubten Führen einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und Sachbeschädigung (Fall „KO 26“), – 87 tatmehrheitlichen Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Führens einer Schusswaffe jeweils in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigung, – 21 tatmehrheitlichen Fällen des vorsätzlichen unerlaubten Führens einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition jeweils in Tateinheit mit versuchtem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und Sachbeschädigung, sowie wegen – vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer Schusswaffe in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Besitz einer halbautomatischen Kurzwaffe zum Verfeuern von Patronenmunition, vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe und vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten verurteilt.
- 2
- Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision.
I.
- 3
- Nach den Feststellungen des Landgerichts schoss der Angeklagte in einer Vielzahl von Fällen aus dem von ihm auf Bundesautobahnen geführten Lkw heraus im fließenden Verkehr auf andere Fahrzeuge, insbesondere auf Autotransporter oder andere Lkws mit Auflieger, die sich zum Teil im Gegenverkehr , zum Teil im gleichgerichteten Verkehr bewegten. Dabei verwendete er zunächst (Zeitraum vom 2. September 2009 bis zum 4. Mai 2012, Fälle unter B. 2. 1. der Urteilsgründe) eine selbstgebaute Kipplaufpistole des Kalibers .22 und ab dem 13. Juni 2012 eine Pistole P 38 des Kalibers 9 mm (Fälle unter B. 2. 2. der Urteilsgründe). In vier Fällen (Fälle „WÜ 18 [Fall „B. “]“; „M. “ und „G. “ unter B. 2. 1. und Fall „KO 26“ unter B. 2. 2. der Urteilsgründe) verurteilte ihn das Landgericht u.a. wegen versuchten Mordes; in den verbleibenden 108 Fällen (87 Fälle unter B. 2. 1. sowie 21 Fälle unter B. 2. 2. der Urteilsgründe) konnte sich die Strafkammer vom Vorliegen eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes nicht überzeugen.
II.
- 4
- 1. Der Senat beschränkt die Strafverfolgung mit Zustimmung des Generalbundesanwalts gemäß § 154a Abs. 2 StPO in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang.
- 5
- Die Beschränkung umfasst diejenigen 108 Fälle, in denen der Angeklagte auf die Ladung bzw. Aufbauten von Autotransportern, anderen Lkws oder auf Wohnanhänger schoss und diese auch traf, ohne dass die Strafkammer Feststellungen dazu getroffen hat, dass es nach der Vorstellung des Angeklagten durch die Schüsse zu einer kritischen Verkehrssituation kommen konnte. Eine Verurteilung wegen versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr setzt bei Schüssen auf Fahrzeuge im Straßenverkehr indes voraus, dass nach der Vorstellung des Täters die konkrete Gefahr für eines der in § 315b Abs. 1 StGB genannten Schutzobjekte jedenfalls auch auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte (Dynamik des Straßenverkehrs ) zurückzuführen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 4. November 2008 – 4 StR 411/08, NStZ 2009, 100, 101). Daran fehlt es, wenn der Schaden – wie hier – ausschließlich auf der durch die Pistolenschüsse freigesetzten Dynamik der auftreffenden Projektile beruht (BGH aaO). Danach hätte der Angeklagte jeweils in seine Vorstellung aufnehmen und billigen müssen, dass es infolge der Schüsse zu einem Beinahe-Unfall kommen könnte; Feststellungen dazu hat das Landgericht aber nicht getroffen.
- 6
- 2. Die Beschränkung der Strafverfolgung, die aus prozessökonomischen Gründen erfolgt, führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen Änderung des Schuldspruchs und zur Aufhebung der Strafaussprüche über die Einzelstrafen in den genannten Fällen. Der Wegfall der vorgenannten Einzelstrafen zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich.
III.
- 7
- Im verbleibenden Umfang hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. April 2015 keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Der Erörterung bedarf hier nur Folgendes:
- 8
- 1. Die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe sich im Fall „M. “ (UA 39) auch wegen gefährlicher Körperverletzung in der Variante „mittels einer Waffe“ gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB strafbar gemacht, wird von den getroffenen Feststellungen nicht getragen. Eine Körperverletzung „mittels einer Waffe“ begeht, wer seinem Opfer durch ein von außen unmittelbar auf den Körper einwirkendes Tatmittel eine Körperverletzung im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB beibringt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 22. Dezember 2005 – 4 StR 347/05, NStZ 2006, 572; Beschlüsse vom 20. Dezember 2012 – 4 StR 292/12, StV 2013, 438 f., und vom 30. Juni 2011 – 4 StR 266/11).
- 9
- Eine solche unmittelbare Einwirkung des vom Angeklagten abgeschossenen Projektils auf den Körper der beiden Opfer belegen die Feststellungen nicht. Der Geschädigte K. wurde lediglich durch Splitter der durch den Schuss geborstenen Glasscheibe verletzt. Ferner erlitten beide Geschädigte ein Knalltrauma. Die Körperverletzungserfolge sind daher erst durch das Zerbersten der Scheibe und damit durch eine Folge des Schusses eingetreten, nicht aber „mittels“ der eingesetzten Waffe.
- 10
- Der Rechtsfehler wirkt sich jedoch weder auf den Schuld- noch auf den Strafausspruch aus, weil die Feststellungen den Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB tragen und das Landgericht den Umstand, dass nach seiner Auffassung zwei Tatvarianten des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht waren, nicht strafschärfend berücksichtigt hat.
- 11
- 2. Das Landgericht hat – erkennbar versehentlich – für den gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellten Fall „KO 31“ (PB Bl. 153 d.A.; UA 74, 86) trotz des aus der Einstellung folgenden Verfahrenshindernisses eine Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren verhängt (UA 175 unten). Der Angeklagte ist dadurch im Ergebnis aber unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt beschwert. Weder der Schuld- noch der Strafausspruch werden von dem Versehen berührt. Denn die Fälle „KO 16“ und „KO 17“ stehen entgegen der konkurrenzrechtlichen Bewer- tung durch das Landgericht nicht in Tateinheit, sondern in Tatmehrheit zueinander , da der Angeklagte hier im Abstand von 15 Minuten unterschiedliche Fahr- zeuge beschoss. Die Strafkammer hat für alle „KO“-Fälle mit Ausnahme des Falles „KO 26“ Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren verhängt.
RiBGH Dr. Mutzbauer ist urlaubsbedingt abwesend und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Sost-Scheible Quentin
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(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,
- 1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder - 2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.
(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Fallen einzelne abtrennbare Teile einer Tat oder einzelne von mehreren Gesetzesverletzungen, die durch dieselbe Tat begangen worden sind,
- 1.
für die zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung oder - 2.
neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat,
(2) Nach Einreichung der Anklageschrift kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Beschränkung vornehmen.
(3) Das Gericht kann in jeder Lage des Verfahrens ausgeschiedene Teile einer Tat oder Gesetzesverletzungen in das Verfahren wieder einbeziehen. Einem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einbeziehung ist zu entsprechen. Werden ausgeschiedene Teile einer Tat wieder einbezogen, so ist § 265 Abs. 4 entsprechend anzuwenden.
(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er
- 1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt, - 2.
Hindernisse bereitet oder - 3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
(2) Der Versuch ist strafbar.
(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.