Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Okt. 2008 - 3 StR 88/08
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) im Fall II. 2. Nr. 2 der Urteilsgründe im Schuldspruch dahin geändert, dass die Verurteilung wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen entfällt;
b) im Fall II. 2. Nr. 3 der Urteilsgründe sowie im Ausspruch über die Einzelstrafe im Fall II. 2. Nr. 2 der Urteilsgründe, die Gesamtstrafe und das Berufsverbot mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung sowie wegen schweren sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kranken und Hilfsbedürftigen in Einrichtungen und im anderen Fall in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie ihm für immer verboten, den Beruf des Altenpflegers sowie entsprechende berufliche Tätigkeiten auszuüben. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit Verfahrensrügen und sachlichrechtlichen Angriffen. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
- 2
- Die Verfahrensrügen sind, soweit sie nicht durch die teilweise Aufhebung des Urteils ihre Erledigung finden, unbegründet. Der sachlichrechtlichen Nachprüfung hält nur die Verurteilung im Fall II. 2. Nr. 1 der Urteilsgründe einschließlich der hierfür erkannten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten stand.
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts begleitete der Angeklagte im Fall II. 2. Nr. 2 in seiner Eigenschaft als Pflegekraft in einer stationären Pflegeeinrichtung eine 93jährige Bewohnerin auf die Toilette. Die Frau war aufgrund eines Hüftleidens auf den Rollstuhl angewiesen und deshalb nicht in der Lage, die Toilette selbständig aufzusuchen und sich danach zu reinigen. Nach dem Toilettengang stand die Bewohnerin auf und hielt sich an Haltegriffen fest, damit der Angeklagte sie reinigen konnte. Diese Situation, in der die Frau "körperlich und konstitutionsbedingt hilflos war, nutzte der Angeklagte zu einem sexuell motivierten Übergriff aus". Er "drang nämlich nun mit jedenfalls dem ersten Glied eines Fingers in den After der Zeugin ein" (UA S. 10). Kurze Zeit später erschien die Bewohnerin mit ihrem Rollstuhl im Pflegebüro und beschwerte sich über den Übergriff.
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- Zutreffend hat das Landgericht die Handlung des Angeklagten als sexuellen Missbrauch einer Hilfsbedürftigen in einer Einrichtung für hilfsbedürftige Menschen (§ 174 a Abs. 2 StGB) beurteilt. Der Angeklagte hat die Bewohnerin dadurch missbraucht, dass er deren Hilfsbedürftigkeit, nämlich die Unfähigkeit, sich ohne seine Hilfe aus der Toilette fortzubegeben, ausgenutzt und eine sexuelle Handlung an ihr vorgenommen hat.
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- Die Voraussetzungen eines schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person (§ 179 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 5 Nr. 1 StGB) sind hingegen mit diesen Feststellungen nicht belegt. Opfer einer Tat nach § 179 StGB kann nur sein, wer aufgrund einzelner, im Tatbestand des Absatzes 1 näher beschriebener Gegebenheiten unfähig ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen (BGHSt 36, 145, 147; BGH NStZ 1998, 83). Das Opfer muss zum Widerstand gänzlich unfähig sein (Wolters in SK-StGB § 179 Rdn. 3). Diese Widerstandsunfähigkeit muss der Täter ausnutzen, um mit ihrer Hilfe zu der sexuellen Handlung zu kommen, d. h. die sexuelle Handlung muss dem Täter gerade erst aufgrund der besonderen Situation des Opfers gelingen. Dies unterscheidet den Missbrauch einer hilfsbedürftigen Person von dem einer widerstandsunfähigen Person, deren unterschiedliche Bewertung auch in den deutlich voneinander abweichenden Strafrahmen (§ 174 a StGB: Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren; § 179 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bzw. in Fällen qualifizierter Tatbegehung oder Tatfolgen von zwei Jahren bis zu 15 Jahren) zum Ausdruck kommt.
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- Das Landgericht hat bereits eine körperliche Widerstandsunfähigkeit der Bewohnerin nicht festgestellt. Nach dem Gesamtzusammenhang des Urteils liegt es nicht fern, dass diese sich durch Ausdrücke der Ablehnung und Verär- gerung, durch Rufen um Hilfe und auch durch körperliche Bewegungen hätte gegen das Ansinnen des Angeklagten zur Wehr setzen können. Darauf, dass dieser Widerstand möglicherweise nicht erfolgreich gewesen wäre und sich der Angeklagte davon nicht hätte von seinem Vorhaben abbringen lassen, kommt es nicht an.
- 7
- Selbst bei Annahme gänzlicher Unfähigkeit des Opfers zum Widerstand würde es daran fehlen, dass der Angeklagte dies zur Tatbegehung ausgenutzt hätte. Die Feststellungen legen es eher nahe, dass der Angeklagte nicht die Widerstandsunfähigkeit sondern vielmehr die Arglosigkeit seines eine Hilfeleistung erwartenden und von dem sexuellen Übergriff überraschten Opfers ausgenutzt hat und er deshalb auch bei einem widerstandsfähigen Opfer zu demselben Ziel gelangt wäre.
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- Der Senat schließt aus, dass eine erneute Verhandlung zu Feststellungen führen könnte, die den Schuldspruch des sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person tragen. Er entscheidet deshalb in der Sache und ändert den Schuldspruch. Der Wegfall des den Strafrahmen bestimmenden Delikts führt zur Aufhebung der für diese Tat erkannten Einzelstrafe.
- 9
- 2. Im Fall II. 2. Nr. 3 der Urteilsgründe suchte der Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts im Rahmen seines Außendienstes als Pflegekraft eine 57jährige Frau in deren Haus auf. Sie war aufgrund einer Vielzahl von Operationen ersichtlich vorgealtert, in ihrer Wohnung jedoch mobil und ohne nennenswerte psychische Beeinträchtigungen (UA S. 11). Der Angeklagte betreute sie, indem er sie bei ihren Einkäufen unterstützte oder ihre Beine behandelte. Nachdem er ihr schon früher Informationsmaterial betreffend eine Beckenboden -Gymnastik übergeben hatte, erklärte er ihr am Tattag, wie sie diese Gymnastik durchzuführen hätte, und wies sie dabei an, ihren Unterleib zu entblößen , sich hinzuknien und sich mit den Händen auf den Boden aufzustützen. Die in ihrem Wesen sehr vertrauensselige Frau (UA S. 11) folgte den Anweisungen. Der Angeklagte begab sich daraufhin hinter sie und drang zumindest mit einem Finger von hinten in ihre Scheide ein.
- 10
- Diese Feststellungen belegen die vom Landgericht angenommene körperliche Widerstandsunfähigkeit (§ 179 Abs. 1 Nr. 2 StGB) des Opfers nicht. Auch der sexuelle Missbrauch unter Ausnutzung eines Betreuungsverhältnisses (§ 174 c Abs. 1 StGB) ist nicht verwirklicht. Es fehlen schon Feststellungen dazu , dass bei der Frau eine Krankheit oder Behinderung im Sinne von § 174 c StGB vorgelegen hat. Gleiches gilt, soweit das Tatopfer nach § 174 c StGB dem Täter zur Beratung, Behandlung oder Betreuung anvertraut sein muss. Zuletzt wäre - die vorgenannten Tatbestandsmerkmale als gegeben angenommen - nicht dargetan, dass der Angeklagte die sexuelle Handlung gerade unter Missbrauch dieser Tatumstände vorgenommen hat. Vielmehr deuten die bisher festgestellten Umstände darauf hin, dass der Angeklagte lediglich die Vertrauensseligkeit der Frau ausgenutzt hat.
- 11
- Da nicht auszuschließen ist, dass eine neue Verhandlung insoweit den Tatvorwurf belegende Feststellungen erbringen wird, muss die Sache nochmals verhandelt werden.
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- 3. Damit ist zugleich der Gesamtfreiheitsstrafe die Grundlage entzogen. Gleiches gilt für das Berufsverbot. Insoweit wird der neue Tatrichter die von der Revision geäußerten Bedenken zu berücksichtigen haben, dass das Berufsverbot , soweit es dem Angeklagten nicht nur die Pflege alter Menschen, sondern auch "entsprechende berufliche Tätigkeiten" untersagt, zu unbestimmt sein könnte.
Sost-Scheible Hubert
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.