Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Feb. 2005 - 3 StR 500/04
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten wendet sich mit Einzelbeanstandungen allein gegen den Rechtsfolgenausspruch. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
1. Die Höhe der verhängten, für eine Tat dieser Art bemerkenswert hohen Freiheitsstrafe ist nicht tragfähig begründet. Je mehr sich die im Einzelfall verhängte Strafe dem unteren oder oberen Rand des zur Verfügung stehenden tatrichterlichen Spielraums nähert, um so höher sind die Anforderungen, die an eine umfassende Abwägung und eine erschöpfende Würdigung der maßgeblichen straferschwerenden und strafmildernden Umstände zu stellen sind (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 1 Begründung 15, Beurteilungsrahmen 7). Dem werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
Das Landgericht hat dem Angeklagten "ganz erheblich" das heutige Erscheinungsbild der Nebenklägerin als Tatfolge angelastet. Dabei hat es die Frau, die seit der Tat eine "permanente innere Unruhe verspürt" und während der Hauptverhandlung an Armen und Beinen stark gezittert hat, als "körperli- ches Wrack" bezeichnet, ohne zu erörtern, ob hierfür auch andere Ursachen in Betracht kommen könnten. Hierzu bestand angesichts der festgestellten Tatvorgeschichte aber Anlaß. Danach hatte die Nebenklägerin am Tatabend am Leineufer mit einer Freundin Kokain konsumiert und war sodann - "wie sie dies immer tat, wenn sie 'Koks' zu sich genommen hatte" (UA S. 6) - umhergelaufen. Dabei hatte sie den Angeklagten angesprochen und sich von diesem eine Zigarette geben lassen.
Auch die Wirkungen, die von der Strafe für das zukünftige Leben des Täters zu erwarten sind, hätten erörtert werden müssen, nachdem der zur Tatzeit 21 Jahre alte Angeklagte vor der Tat erkennbar noch keinen Strafvollzug erfahren hat.
Gleiches gilt für die alkoholische Beeinflussung des Angeklagten bei der Tat, derentwegen die Strafkammer eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen konnte. Daß das Landgericht eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB abgelehnt hat, nachdem der Angeklagte bereits zuvor Straftaten - darunter auch eine Bedrohung, eine Nötigung und eine gefährliche Körperverletzung - unter Alkoholeinfluß begangen hatte, machte eine Erörterung bei der konkreten Strafzumessung hier nicht entbehrlich.
2. Die Beurteilung des Alkoholkonsums des Angeklagten sowie seines Trunkenheitsgrades zur Tatzeit im angefochtenen Urteil gibt darüber hinaus Anlaß zu folgender Bemerkung:
Der Tatrichter muß die Einlassung des Angeklagten zu seinem Alkoholgenuß vor der Tat, für deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit es keine unmittelbaren Beweise gibt, nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinnehmen. Vielmehr hat er sich im Rahmen freier Beweiswürdigung (§ 261 StPO) und ohne Bindung an Beweisregeln aufgrund der im konkreten Fall gegebenen Erkenntnismöglichkeiten eine Überzeugung davon zu verschaffen, ob der Angeklagte in solchem Umfang Alkohol zu sich genommen hat, daß eine erhebliche Verminderung oder Aufhebung seiner Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit in Betracht kommt. Dabei ist es ihm unbenommen, Trinkmengenangaben des Angeklagten als unglaubhaft einzustufen, wenn er dafür durch die Beweisaufnahme gewonnene Gründe hat, welche seine Auffassung argumentativ tragen (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 12 sowie § 21 Blutalkoholkonzentration 13 und 22).
Wird die Tatzeitalkoholisierung aufgrund von Trinkmengenangaben bestimmt , so ist, wenn es um die Frage der Schuldfähigkeit geht, als Abbauwert der (dem Täter günstigste) minimale Rückrechnungswert von stündlich 0,1 ‰ zugrunde zu legen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl. § 20 Rdn. 14 m. w. N.). Ein Sicherheitszuschlag kommt nicht in Betracht.
Nach den bisherigen Feststellungen hatte der Angeklagte vor der Tat fünfeinhalb Liter Bier zu sich genommen. Er hatte sich zudem den Hooligans eines Fußballvereins sowie der rechten Szene der NPD nur deshalb angeschlossen , weil er dort "exzessiv Alkohol trinken und sich prügeln konnte". Angesichts dieser Umstände wäre zu erörtern gewesen, ob bei dem Angeklagten ein Hang besteht, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und ob er deshalb gefährlich ist (§ 64 StGB).
VRiBGH Prof. Dr. Tolksdorf ist urlaubsbedingt ortsabwesend und deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Miebach Miebach Pfister Becker Hubert
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Annotations
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.