Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2008 - 3 StR 336/08

published on 04/11/2008 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Nov. 2008 - 3 StR 336/08
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 336/08
vom
4. November 2008
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 4. November 2008 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 3. März 2008, soweit es den Beschwerdeführer betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat - unter Verwerfung des Rechtsmittels im Übrigen - das Urteil im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, da die für die Höhe der Jugendstrafe gegebene Begründung, diese sei zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten erforderlich, ohne Beleg in den Feststellungen geblieben war. Nunmehr hat das Landgericht den Angeklagten zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und ausgesprochen, dass im Hinblick auf die Verletzung des Gebotes zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 MRK) drei Monate der erkannten Strafe als verbüßt gelten. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstan- dungen gestützte Revision hat Erfolg. Die Strafzumessung hält erneut rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
2
1. Die Strafe kann schon deshalb nicht bestehen bleiben, weil das Urteil keine eigenen Feststellungen der Strafkammer zur alkoholischen Beeinflussung des Angeklagten bei der Tatbegehung enthält. Das Landgericht hat lediglich aus dem aufgehobenen Urteil die Darlegungen des Sachverständigen zu der in Betracht kommenden Blutalkoholkonzentration sowie die Überzeugung der damals entscheidenden Strafkammer wiedergegeben, dass der Angeklagte zum Tatzeitpunkt voll schuldfähig war. Dabei hat es rechtsfehlerhaft nicht beachtet, dass die sich auf den seinerzeit angenommenen Ausschluss einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten beziehenden Feststellungen die Straffrage betreffen und deshalb durch die Revisionsentscheidung des Senats mit aufgehoben sind (vgl. BGH StV 2001, 179 m. w. N.). Das Landgericht hätte mithin zu den Trinkmengen in prozessordnungsgemäßer Weise eigene Feststellungen treffen und über eine Einschränkung der Schuldfähigkeit erneut entscheiden müssen. Der Senat kann - anders als bei dem Mitangeklagten , bei dem das Landgericht zwar denselben Fehler begangen hat, indes von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit ausgegangen ist - ein Beruhen des Urteils auf dem Rechtsfehler nicht ausschließen.
3
2. Zudem hat das Landgericht die Dauer der zur erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten notwendigen Jugendstrafe im Wesentlichen damit begründet, dass bei ihm "auch in der erneuten Hauptverhandlung kein Anzeichen vor Reue darüber zu erkennen" gewesen sei, was er dem Opfer "angetan hat". Seine mangelnde Bereitschaft, "selbst Verantwortung für sein Verhalten und dessen Folgen zu übernehmen", komme "auch in seiner Erklärung zum Ausdruck, dass er sich … mit Rücksicht auf das noch nicht abgeschlossene Zivilverfahren bislang nicht entschuldigt hat". Da sich aus dem Urteil nicht er- gibt, ob sich der Angeklagte, der im ersten Durchgang geschwiegen hatte, in der neuen Hauptverhandlung überhaupt und gegebenenfalls in welcher Weise zur Sache eingelassen hat, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht mit dieser Begründung das Verteidigungsverhalten des Angeklagten zu dessen Nachteil verwertet hat. Dies ist auch dann nicht zulässig, wenn der Schuldspruch bereits rechtskräftig und nur noch über die Strafe zu befinden ist (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 19 m. w. N.).
4
3. Da die Jugendstrafe schon aus den vorgenannten Gründen aufzuheben ist, kommt es nicht mehr darauf an, ob das Landgericht den Umfang der im bisherigen Verfahren geschehenen Verletzung des Gebotes zügiger Verfahrenserledigung (Art. 6 Abs. 1 MRK) zutreffend bestimmt hat. In Übereinstimmung mit dem Generalbundesanwalt vermag der Senat allerdings eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung für die Zeit, in der das Verfahren nicht gefördert worden ist, weil die im ersten Durchgang zuständige Jugendkammer vordringlichere (erkennbar: Haft-)Sachen erledigen musste, nicht zu erkennen. Dieser Zeitraum ist zwar lang, denn bei unmittelbarer Bearbeitung hätte die Terminierung neun Monate früher erfolgen können; indes hat sich keiner der Angeklagten in Untersuchungshaft befunden oder war auch nur von ihr verschont , so dass in Ansehung der notwendigen vorrangigen Bearbeitung von Haftsachen diese Zeitspanne noch nicht als Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 MRK anzusehen ist. Dies gilt hier auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es sich um ein Strafverfahren gegen einen Heranwachsenden handelt.
5
4. Die Strafe muss erneut zugemessen werden. Sollte der neue Tatrichter wieder eine den Strafverfolgungsorganen zuzurechnende Verfahrensverzögerung darin sehen, dass die Strafakten zeitweilig in Verlust geraten waren und dem Revisionsverfahren deshalb erst mit neunmonatiger Verspätung Fortgang verschafft werden konnte, verweist der Senat zur Kompensation solcher Verstöße im Jugendstrafverfahren auf die Entscheidungen BGH - GS - BGHSt 52, 124 sowie BGHR MRK Art. 6 Abs. 1 Satz 1 Verfahrensverzögerung 15. Sost-Scheible Miebach Pfister Hubert Schäfer
Urteilsbesprechung zu {{shorttitle}}
{{count_recursive}} Urteilsbesprechungen zu {{shorttitle}}

moreResultsText


(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um
{{title}} zitiert {{count_recursive}} §§.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um
2 Referenzen - Urteile
{{Doctitle}} zitiert oder wird zitiert von {{count_recursive}} Urteil(en).

published on 15/05/2012 00:00

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 121/12 vom 15. Mai 2012 in der Strafsache gegen wegen versuchten Betrugs Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
published on 12/06/2014 00:00

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 S t R 1 3 9 / 1 4 vom 12. Juni 2014 in der Strafsache gegen wegen Mordes Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Juni 2014, an der teilgenommen haben: Richter am Bundesger
{{count_recursive}} Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren {{Doctitle}}.

Annotations

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.