Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Juli 2014 - 3 StR 287/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
a) mit den zughörigen Feststellungen, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen,
b) im Strafausspruch; jedoch bleiben die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
- 2
- 1. Die auf die Sachrüge veranlasste Nachprüfung des Urteils hat zum Schuldspruch keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
- 3
- 2. Das Urteil hat indes keinen Bestand, soweit das Landgericht von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat.
- 4
- a) Nach den Feststellungen trinkt der erheblich vorbestrafte Angeklagte seit dem 15. Lebensjahr regelmäßig Alkohol. Er führte eine erste Alkoholentgiftung im Jahr 1990/91 mit anschließender Entwöhnungstherapie für vier Monate durch, eine zweite folgte im Jahr 2006 mit anschließender Langzeittherapie, wobei der Angeklagte nach drei Monaten erneut rückfällig wurde. Eine dritte Entgiftung fand im Jahr 2007 statt. Im Jahr 2011 setzte der Angeklagte ihm verschriebene Antidepressiva ab, wodurch es zu einem erneuten Rückfall kam. Am Tattag, dem 4. April 2013, begann der zu dieser Zeit obdachlose Angeklagte , nach längerer Zeit der Abstinenz wieder zu trinken. Im weiteren Verlauf kam es zu dem abgeurteilten Tatgeschehen, bei dem der Angeklagte eine maximale Blutalkoholkonzentration von 2,25 ‰ aufwies. Vom 15. April bis zum 8. Mai 2013 hielt sich der Angeklagte freiwillig in der Psychiatrie in Rotenburg auf. Im Anschluss fand er eine Wohnung und besuchte ambulant aus eigenem Antrieb u.a. eine Gruppe der anonymen Alkoholiker. Am 15. oder 16. Mai 2013 wurde der Angeklagte wieder rückfällig. Es folgte eine Entgiftung im Heidekreisklinikum Walsrode. Vom 17. bis 29. Juli 2013 befand sich der Angeklagte zum "qualifizierten Entzug" auf einer "Extra-Station" der Psychiatrie in Rotenburg. Seit dieser Zeit konsumierte der Angeklagte keinen Alkohol mehr.
- 5
- Das Landgericht hat den Hang des Angeklagten, Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen, ebenso bejaht wie den symptomatischen Zusammenhang zwischen dem Hang und der abgeurteilten Straftat. Es hat jedoch aus Gründen der Verhältnismäßigkeit von der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten abgesehen. Eine Maßnahme sei dann nicht erforderlich, wenn mildere Mittel zur Verfügung ständen. Hier sei das mildere Mittel letztlich dasjenige, "was der Angeklagte bereits seit Jahren für sich bemühe und aus eigenem Antrieb heraus umsetze". Denn er habe schon regelmäßig Entgiftungen und Langzeittherapien durchgeführt. Darüber hinaus zeige sich, dass dieses Verhalten Früchte trage. Die Sachverständige habe insoweit überzeugend ausgeführt, dass eine weitere Verbesserung der Prognose, den Angeklagten vor einem erneuten Rückfall zu bewahren, durch die Anordnung der Maßregel nicht zu erwarten sei.
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- b) Diese Begründung der Strafkammer zur Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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- Die Ausführungen zur Unverhältnismäßigkeit der Unterbringung des Angeklagten sind nicht tragfähig. Soweit die Strafkammer die Auffassung vertritt, es beständen gegenüber der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt mildere Mittel, verkennt sie, dass im Falle der Gefährlichkeit des Täters für die Allgemeinheit die Notwendigkeit einer Unterbringungsanordnung grundsätzlich nicht durch minder einschneidende Mittel außerhalb des Bereichs der strafrechtlichen Maßregeln aufgehoben wird, weil bei den freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung das Subsidiaritätsprinzip nur für die Frage der Aussetzung der Vollstreckung, nicht aber für die Frage ihrer Anordnung gilt (vgl. BGH, Urteile vom 23. Februar 2000 - 3 StR 595/99, NStZ-RR 2000, 300, 301; vom 14. Februar 2001 - 3 StR 455/00, juris Rn. 8; vom 23. Juni 1993 - 3 StR 260/93, BGHR StGB § 63 Beweiswürdigung 1; vgl. zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Prüfung des § 64 StGB auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 4 StR 291/10, NStZ 2010, 692, 693).
- 8
- c) Die Entscheidung des Landgerichts erweist sich entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts auch nicht deshalb im Ergebnis als rechtsfehlerfrei , weil die Feststellungen keinen Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB belegen. Zwar ergibt sich aus diesen, dass der Angeklagte seit Sommer 2013 keinen Alkohol mehr trank. Jedoch steht eine kurzfristige Abstinenz der Feststellung eines Hangs nicht entgegen (BGH, Beschluss vom 11. Februar 2009 - 5 StR 13/09, NStZ-RR 2009, 184). Sie lässt gerade in Fällen wie dem vorliegenden, die durch eine über viele Jahre hinweg erworbene, tief verwurzelte Neigung, Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen, sowie eine hohe Blutalkoholkonzentration des Täters zur Tatzeit gekennzeichnet sind, nicht ohne weiteres den Schluss zu, dass ein Hang nicht mehr besteht.
- 9
- d) Dass die Unterbringung als nicht erforderlich anzusehen wäre, weil von dem Angeklagten keine Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten ausgeht, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Diese verhalten sich zu der Gefahrenprognose nicht. Entsprechendes gilt für die Frage der Erfolgsaussichten einer Behandlung des Angeklagten im Wege des Maßregelvollzuges. Diese hat das Landgericht nur in ihrer relativen Beziehung zu außerstrafrechtlichen Maßnahmen erörtert.
- 10
- e) Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2013 - 3 StR 193/13, juris Rn. 6; Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9 f.). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch den Tatrichter auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362, 363).
- 11
- 3. Der aufgezeigte Fehler führt auch zur Aufhebung des Strafausspruches. Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt eine mildere Freiheitsstrafe verhängt hätte. Der Aufhebung der dem Strafausspruch zugrunde liegenden Feststellungen bedarf es nicht.
- 12
- 4. Mit Blick auf die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts bemerkt der Senat ergänzend:
- 13
- Nach ständiger Rechtsprechung ist in den Fällen, in denen das Gesetz bei einer Straftat einen minderschweren Fall vorsieht und im Einzelfall ein gesetzlicher Milderungsgrund im Sinne von § 49 StGB gegeben ist, bei der Strafrahmenwahl vorrangig zu prüfen ist, ob ein minderschwerer Fall vorliegt. Dabei ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zunächst zu prüfen, ob die allgemeinen Milderungsgründe allein schon zur Annahme eines minderschweren Falls führen , da die vertypten Milderungsgründe dann für eine Strafrahmenmilderung nach § 49 StGB noch nicht verbraucht sind. Ist nach einer Abwägung aller allgemeinen Strafzumessungstatsachen das Vorliegen eines minderschweren Falles abzulehnen, sind bei der weitergehenden Prüfung, ob der mildere Sonderstrafrahmen zur Anwendung kommt, gesetzlich vertypte Strafmilderungsgründe zusätzlich heranzuziehen. Erst wenn das Tatgericht danach weiterhin die Annahme eines minderschweren Falles nicht für gerechtfertigt hält, darf es seiner konkreten Strafzumessung den wegen des gegebenen gesetzlich vertypten Milderungsgrundes gemilderten Regelstrafrahmen zugrunde legen (st.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
(1) Wer die Körperverletzung
- 1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen, - 2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs, - 3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls, - 4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder - 5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
(2) Der Versuch ist strafbar.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.