Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Aug. 2011 - 3 StR 199/11
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
In Ergänzung der Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: Nach den Feststellungen erwarb der Angeklagte 350 Gramm Kokain (116 Gramm Kokainhydrochlorid), verkaufte plangemäß die Hälfte davon in mehreren Handlungen gewinnbringend an einen Dritten und konsumierte die andere Hälfte selbst. Das Landgericht hat ihn deshalb wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt. Es ist, soweit der Angeklagte Handel getrieben hat, von uneingeschränkter Schuldfähigkeit ausgegangen, da er "infolge seiner guten finanziellen Situation … der aus den Abverkäufen erzielten Gewinne nicht (bedurfte), um seinen eigenen Drogenkonsum zu sichern". Im Hinblick auf (Erwerb und) Besitz von Rauschgift zum Eigenkonsum hat das Landgericht indes erheblich verminderte Schuldfähigkeit angenommen, da "die Hemmungsfähigkeit des Angeklagten durch die Angst vor Entzugserscheinungen herabgesetzt war". Die Strafe hat es wegen des uneingeschränkt schuldfähig begangenen Betäubungsmittelhandels aus dem nicht gemilderten Strafrahmen des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG entnommen.
1. Der Senat hat gegen eine geteilte Beurteilung der Schuldfähigkeit, wie sie das Landgericht bezüglich des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln einerseits und des (Erwerbs und) Besitzes von Betäubungsmitteln andererseits vorgenommen hat, rechtliche Bedenken.
Es kommt für die Schuldfähigkeitsbeurteilung darauf an, ob der Täter aufgrund einer bestimmten psychischen Verfassung in der Lage war, einer konkreten Tat Unrechtseinsicht und Hemmungsvermögen entgegenzusetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 1984 - 3 StR 22/84, StV 1984, 419 mwN). Die Antwort darauf bezieht sich jeweils auf einen konkreten Rechtsverstoß. Dabei ist in der Rechtsprechung seit jeher anerkannt, dass ein bestimmtes psychisches Störungsbild sich bei Begehung verschiedenartiger Straftaten jeweils unterschiedlich auswirken kann. "So kann ein Betrunkener, der seinen Geschlechtstrieb nicht mehr zu beherrschen vermag und deshalb im Rausch einen Notzuchtsversuch begeht, möglicherweise sehr wohl noch fähig sein, Hemmungen gegenüber einem Raubmotiv einzuschalten; wer sich infolge seines Rausches schuldlos zu einer Beleidigung hinreißen lässt, kann für eine gefährliche Körperverletzung noch verantwortlich sein" (BGH, Urteil vom 3. Februar 1960 - 2 StR 640/59, BGHSt 14, 114, 116). Auch mag eine "neurotische Überempfindlichkeit" eines Angeklagten "bei typischen Querulantendelikten (Verleumdungen, Beleidigungen, falschen Anschuldigungen) einen im Rechtssinne erheblichen Einfluss auf seine Hemmungsfähigkeit haben", was bei einem Mordversuch gegenüber Beamten nicht der Fall ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1966 - 5 StR 190/66, NJW 1966, 1871). Ein Angeklagter, der wegen sexueller Abartigkeit und Alkoholisierung bei Vornahme der - nach § 154 Abs. 1 StPO aus dem Verfahren ausgeschiedenen - sexuellen Handlungen an einem Kind nachweislich oder nicht ausschließbar vermindert schuldfähig war, könnte wegen der insoweit höheren Hemmschwelle gleichwohl bei der nachfolgenden Tötung des Opfers voll schuldfähig sein (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 1989 - 3 StR 370/89, NStZ 1990, 231).
Verwirklicht der Täter hingegen - wie hier der Angeklagte durch den Erwerb des Betäubungsmittels in der Absicht des teilweisen Weiterverkaufs - durch eine einheitliche Handlung zwei Tatbestände, so scheint dem Senat die Schuldfähigkeitsbeurteilung nicht teilbar zu sein. Es kann für diese Entscheidung nicht auf die jeweils unterschiedliche rechtliche Einordnung der Handlung ankommen. Soweit ersichtlich, hat sich der Bundesgerichtshof mit dieser Frage noch nicht befasst. Die in der Literatur (vgl. Fischer, StGB, 58. Aufl., § 20 Rn. 5; LK-Schöch, 12. Aufl., § 20 Rn. 184) für die gegenteilige Auffassung in Anspruch genommenen Judikate behandeln eine solche Teilbarkeit jedenfalls nicht.
2. Der Senat braucht die Frage nicht zu entscheiden, denn der Angeklagte ist durch die Beurteilung der Schuldfähigkeit durch das Landgericht nicht beschwert.
Die Feststellungen belegen in keiner Weise, dass eine der Voraussetzungen vorgelegen hat, unter denen nach der ständigen Rechtsprechung Betäubungsmittelabhängigkeit zur Annahme verminderter Schuldfähigkeit führen kann (vgl. hierzu Fischer, StGB, 58. Aufl., § 21 Rn. 13 mwN). Das gilt auch für eine vom Landgericht zur Begründung herangezogene Angst vor Entzugser- scheinungen. Eine solche käme als Ursache für eine relevante Einschränkung der Steuerungsfähigkeit nur in Betracht, wenn der Angeklagte Angst vor Entzugserscheinungen , die er schon als äußerst unangenehm erlebt und als nahe bevorstehend eingeschätzt hat, gehabt hätte. Nach den Feststellungen des Landgerichts hatte der Angeklagte aber stets Geld, um seinen Bedarf an Betäubungsmitteln zu decken. Nach seiner kurzzeitigen Inhaftierung konnte er ohne gesundheitliche Probleme den Kokainkonsum einstellen. Dass er jemals Entzugserscheinungen gehabt hätte, ist nicht festgestellt und nach allem äußerst fernliegend.
VRiBGH Becker befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Pfister von Lienen Pfister Schäfer Menges
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer
- 1.
als Person über 21 Jahre Betäubungsmittel unerlaubt an eine Person unter 18 Jahren abgibt oder sie ihr entgegen § 13 Abs. 1 verabreicht oder zum unmittelbaren Verbrauch überläßt oder - 2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt, sie in nicht geringer Menge herstellt oder abgibt oder sie besitzt, ohne sie auf Grund einer Erlaubnis nach § 3 Abs. 1 erlangt zu haben.
(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren.
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
- 1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.