Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Juli 2019 - 3 StR 155/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Juli 2019 einstimmig
beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung zu Freiheitsstrafe verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Seine Revision, mit der er ein Prozesshindernis geltend macht und die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Anders als die Revision meint, begründet es kein - dauerndes oder vorübergehendes - Prozesshindernis im Sinne von § 206a Abs. 1 bzw. § 205 Satz 1 StPO, dass der Angeklagte nach Einlegung der Revision und vor Zustellung des angefochtenen Urteils aus der Untersuchungshaft heraus in den Libanon abgeschoben worden ist.
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- a) Hat ein Angeklagter einen Verteidiger, so hindert seine Abschiebung den Fortgang des Revisionsverfahrens im Grundsatz - wie auch hier - nicht (zur Überstellung eines Angeklagten aufgrund Rückführungsverlangens eines anderen Staates vor der Revisionshauptverhandlung s. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 1986 - 2 StR 588/86, BGHR GG Art. 25 Restitutionsanspruch 1; vom 18. Februar 1987 - 2 StR 588/86, juris Rn. 4; die Verfassungskonformität dieser Entscheidungen bestätigend BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 1994 - 2 BvR 435/87, NJW 1995, 651; zur freiwilligen Ausreise ins Ausland vgl. OLG Celle, Beschluss vom 13. Oktober 2011 - 31 Ss 42/11, juris Rn. 5). Die zwangsweise Rückführung des Angeklagten gebietet weder mit Blick auf das Prinzip des fairen Verfahrens nach § 6 Abs. 1 MRK noch auf das Recht auf Verteidigung gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. c MRK für sich gesehen die Einstellung des Verfahrens.
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- Die grundsätzliche Ablehnung eines solchen Prozesshindernisses folgt aus dem Wesen der Revision als eines auf Rechtsprüfung beschränkten Rechtsmittels, dem die gesetzliche Ausgestaltung des Revisionsverfahrens Rechnung trägt, und steht in Einklang mit der Rechtsprechung zur Verfahrensvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit in der Revisionsinstanz.
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- aa) Zwischen dem Tat- und dem Revisionsgericht besteht eine prinzipielle Aufgabenteilung dergestalt, dass dem Tatgericht die Aufklärung und Feststellung des ihm durch die Anklage unterbreiteten Sachverhalts sowie die Rechtsanwendung hierauf einschließlich der Festsetzung gerechter Rechtsfolgen obliegt , während das Revisionsgericht zu überprüfen hat, ob das angefochtene tatrichterliche Urteil aus sich heraus Rechtsfehler enthält und in gesetzmäßiger Weise zustande gekommen ist.
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- Dementsprechend kann in der Hauptverhandlung vor dem Tatgericht die Einlassung des Angeklagten wesentliche Grundlage der richterlichen Überzeugungsbildung sein. Er kann selbst Anträge stellen und Zeugen befragen. Er wird vor Entscheidungen des Gerichts neben seinem Verteidiger angehört. Diese Rechte geben dem Angeklagten die Möglichkeit, das Verfahren unabhängig von seinem Verteidiger mitzugestalten und sich so zu verteidigen. Demgegenüber finden im Revisionsverfahren Erörterungen tatsächlicher Art im Allgemeinen nicht statt. Die Möglichkeiten des Angeklagten, dieses Verfahren mitzugestalten , sind gering. Selbst kann der Angeklagte das Rechtsmittel lediglich einlegen und zurücknehmen. Schon die Bestimmung des Umfangs der Anfechtung kann der Angeklagte nur durch seinen Verteidiger (oder zu Protokoll der Geschäftsstelle ) vornehmen (§ 344 Abs. 1 StPO). Dasselbe gilt für die nach § 344 Abs. 2 StPO erforderliche Begründung der Revision. In der Revisionshauptverhandlung hat der auf freiem Fuß befindliche Angeklagte das Recht auf Anwesenheit und auf Gewährung des letzten Worts. Freilich kann er dabei für das Revisionsverfahren maßgebliche Erklärungen gemäß § 344 StPO, die nach § 345 StPO nur befristet angebracht werden können und der dort genannten Form bedürfen , nicht wirksam abgeben (s. zum Ganzen BGH, Beschluss vom 8. Februar 1995 - 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 18 f.). Der nicht auf freiem Fuß befindliche Angeklagte kann seine Anwesenheit in der Hauptverhandlung vor dem Revisionsgericht nicht erzwingen; die Entscheidung darüber steht vielmehr in dessen Ermessen (§ 350 Abs. 2 Satz 3 StPO). Dies ist wegen der skizzierten Ausgestaltung des Revisionsverfahrens unbedenklich, wenn der Angeklagte einen Verteidiger hat und dieser in der Hauptverhandlung anwesend ist (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 1995 - 5 StR 434/94, aaO, S. 19).
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- bb) In Anbetracht dessen ist etwa auch für die Verfahrensvoraussetzung der Verhandlungsfähigkeit anerkannt, dass es im Revisionsverfahren für die Wahrung der Verteidigungsinteressen des Angeklagten ausreichend ist, wenn er die Fähigkeit hatte, über die Einlegung des Rechtsmittels verantwortlich zu entscheiden, und wenigstens zeitweilig zu einer Grundübereinkunft mit seinem Verteidiger über Fortführung oder Rücknahme des Rechtsmittels in der Lage ist (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 8. Februar 1995 - 5 StR 434/94, BGHSt 41, 16, 19; vom 21. Dezember 2016 - 4 StR 527/16, NStZ 2017, 490; Urteil vom 4. Juli 2018 - 5 StR 46/18, NStZ-RR 2018, 320, 321; zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit s. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 1995 - 2 BvR 345/95, NJW 1995, 1951, 1952).
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- b) Im Fall der Abschiebung ist ein Prozesshindernis zwar ausnahmsweise in Betracht zu ziehen, falls es dem Angeklagten tatsächlich nicht möglich ist, mit seinem Verteidiger in Verbindung zu treten. Da sich ein Angeklagter zu diesem Zweck moderner Kommunikationsmittel bedienen kann, wird mit der Abschiebung jedoch selten die Vereitelung einer Kontaktaufnahme einhergehen (aA - ohne nähere Begründung - OLG Brandenburg, Beschluss vom 26. Mai 2004 - 2 Ws 97/04, NStZ-RR 2005, 49 f.). Im zu beurteilenden Fall besteht hierfür keinerlei Anhalt. Gerade der Vortrag des Verteidigers zu Einzelheiten der Abschiebung spricht, ohne dass es entscheidungserheblich darauf ankommt, für eine solche Kommunikationsmöglichkeit. Denn seine diesbezüglichen Kenntnisse beruhen naheliegenderweise darauf, dass der Angeklagte dem Verteidiger oder seiner in Deutschland lebenden Familie, noch bevor dieser die Revisionsbegründungsschrift verfasst hat, Informationen über seine zwangsweise Rückführung in den Libanon erteilt hatte.
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- c) Daraus, dass einem abgeschobenen Angeklagten versagt ist, selbst die Revisionsbegründung zu Protokoll der Geschäftsstelle zu erklären, ergibt sich nichts anderes. Trotz eines solchen Mangels bei der persönlichen Wahrnehmung seiner Verteidigungsrechte (zum Anspruch des verteidigten Angeklagten auf Protokollerklärung s. LR/Franke, StPO, 26. Aufl., § 345 Rn. 16; BeckOK StPO/Wiedner, § 345 Rn. 36) sind diese ausreichend gewahrt, wenn er einen Verteidiger hat, zumal dieser - anders als gewöhnlich der Angeklagte - rechtskundig ist.
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- Im zu beurteilenden Fall kommt hinzu, dass der im Revisionsverfahren tätige Verteidiger dem Angeklagten bereits im Ermittlungsverfahren beigeordnet worden war und an der Hauptverhandlung teilgenommen hat. Welchen revisionsrechtlich erheblichen Informationsvorsprung der Angeklagte ihm gegenüber gehabt haben könnte, der persönliche Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle als erfolgversprechender hätte erscheinen lassen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Auch in anderem Zusammenhang gilt, dass die Beiordnung eines Verteidigers geeignet ist, erkennbare Mängel bei der persönlichen Wahrnehmung der Verteidigungsrechte zu kompensieren (vgl. BGH, Beschluss vom 9. Februar 2017 - StB 2/17, BGHR GVG § 184 Gerichtssprache 1 Rn. 10; ferner MüKoStPO/Wenske, § 205 Rn. 34).
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- 2. Die auf die Sachbeschwerde gebotene umfassende materiellrechtliche Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Hoch Anstötz
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Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Steht der Hauptverhandlung für längere Zeit die Abwesenheit des Angeschuldigten oder ein anderes in seiner Person liegendes Hindernis entgegen, so kann das Gericht das Verfahren durch Beschluß vorläufig einstellen. Der Vorsitzende sichert, soweit nötig, die Beweise.
Die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes sind Bestandteil des Bundesrechtes. Sie gehen den Gesetzen vor und erzeugen Rechte und Pflichten unmittelbar für die Bewohner des Bundesgebietes.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.
(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.
(1) Dem Angeklagten, seinem gesetzlichen Vertreter und dem Verteidiger sowie dem Nebenkläger und den Personen, die nach § 214 Absatz 1 Satz 2 vom Termin zu benachrichtigen sind, sind Ort und Zeit der Hauptverhandlung mitzuteilen. Ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, so ist dieser zu laden.
(2) Der Angeklagte kann in der Hauptverhandlung erscheinen oder sich durch einen Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht vertreten lassen. Die Hauptverhandlung kann, soweit nicht die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, auch durchgeführt werden, wenn weder der Angeklagte noch ein Verteidiger anwesend ist. Die Entscheidung darüber, ob der Angeklagte, der nicht auf freiem Fuß ist, zu der Hauptverhandlung vorgeführt wird, liegt im Ermessen des Gerichts.
(3) (weggefallen)
Die Gerichtssprache ist deutsch. Das Recht der Sorben, in den Heimatkreisen der sorbischen Bevölkerung vor Gericht sorbisch zu sprechen, ist gewährleistet.