Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Apr. 2000 - 3 StR 122/00
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit der Ausübung der tatsächlichen Gewalt und dem Führen einer halbautomatischen Selbstladewaffe mit einer Länge von nicht mehr als 60 cm zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zu einer Ä nderung des Schuldspruchs. Im übrigen ist es unbegründet. Insoweit verweist der Senat auf die bis auf eine Ausnahme (vgl. 1.) zutreffenden Ausführungen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts.
1. Entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts ist die § 244 Abs. 3 StPO betreffende Verfahrensrüge zulässig erhoben. Der Zulässigkeit der Rüge steht nicht entgegen, daß die Revision den Beweisantrag und den Gerichtsbeschluß nicht im Wortlaut mitteilt. Denn es reicht aus, daß - wie hier - die Revision Antrag und Beschluß in eigenen Worten wiedergibt und dieser Vortrag vollständig ist (vgl. BGHR StPO § 344 II 2 Beweisantragsrecht 4; BGH bei Miebach/Sander NStZ-RR 2000, 1 - m.w.Nachw.).
Die Zulässigkeit scheitert auch nicht daran, daß der Beschwerdeführer nicht mitgeteilt hat, daß sein Beweisantrag eine zusätzliche Begründung mit einem Hilfsbeweisantrag enthielt und darüber ausweislich des ebenfalls nicht mitgeteilten Hauptverhandlungsprotokolls verhandelt wurde. Insoweit hat der Angeklagte nämlich in der Hauptverhandlung Begründung und Hilfsbeweisantrag zurückgenommen. Deshalb liegt keine nur auszugsweise Wiedergabe des Beweisantrags vor, was für die Zulässigkeit nicht ausreichen würde (vgl. BGH NStZ 1999, 396, 399), sondern in Bezug auf die Beweisbehauptung ein vollständiger Vortrag.
Die Rüge deckt auch einen Verfahrensfehler auf. Der Verteidiger hatte zum Beweis der Tatsache, daß der Zeuge Ali K. vor und während der Schußabgabe im Krankenwagen behandelt wurde (und deshalb von dem Angeklagten weder vor noch während der Schußabgabe gesehen werden konnte), die Vernehmung des Rettungssanitäters beantragt. Diesen Antrag hat die Strafkammer abgelehnt, weil die Behauptung so behandelt werden könne, als wäre die behauptete Tatsache wahr. Gegen diese Wahrunterstellung hat das Landgericht aber verstoßen, weil es seinen Feststellungen die Aussage des Zeugen KHK Ka. z ugrunde gelegt hat, wonach dieser Zeuge den Ange-
klagten darauf hingewiesen und ihm augenfällig deutlich gemacht habe, daß der Bruder des Angeklagten, der Zeuge Ali K. - unmittelbar bevor der Angeklagte auf das im Funkstreifenwagen sitzende Opfer schoß - wieder einmal den Krankenwagen verlassen hatte und auf der Straße umherlief, sich ihm also nicht das Bild eines schwer- oder lebensgefährlich verletzt im Krankenwagen liegenden Bruders aufgedrängt haben könne.
2. Auf diesem ausschließlich die Strafzumessung berührenden Rechtsfehler beruht aber der milde Strafausspruch nicht. Die Kammer, die die Strafe dem Strafrahmen des § 213 StGB entnommen hat, hat nämlich zum einen nicht geprüft, ob der Angeklagte heimtückisch - das Opfer, dem sich der Angeklagte von schräg hinten näherte, saß gefesselt und ohne Fluchtmöglichkeit in einem Funkstreifenwagen; aus ein bis anderthalb Meter Entfernung gab der Angeklagte mindestens fünf Schüsse ab - töten wollte.
Zum anderen hat das Landgericht unberücksichtigt gelassen, daß sich der Angeklagte nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch tateinheitlich einer gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht (vgl. BGH NStZ 1999, 30, zum Abdruck in BGHSt bestimmt), mithin nicht zwei, sondern drei Straftatbestände vorsätzlich verwirklicht hat.
3. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend. Das Landgericht war verpflichtet, die angeklagte Tat in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht erschöpfend abzuurteilen. Das Verschlechterungsverbot gemäß § 358 Abs. 2 StPO wird durch die vom Senat vorgenommene Schuldspruchergänzung nicht verletzt, dieses schließt das Risiko einer Verschärfung des Schuldspruchs nicht aus (vgl. Kuckein in KK 4. Aufl. § 358 StPO Rdn. 18). § 265 StPO steht
nicht entgegen, weil sich der Angeklagte gegen den Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
Kutzer Rissing-van Saan Miebach Winkler RiBGH Pfister ist durch Urlaub verhindert zu unterschreiben. Kutzer
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(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.
(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.
(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn
- 1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist, - 2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist, - 3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist, - 4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist, - 5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder - 6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.
(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.
(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.
(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.
(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn
- 1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen, - 2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder - 3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.
(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.
(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.