Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Juli 2019 - 2 StR 570/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 2. Juli 2019 beschlossen :
Es wird festgestellt, dass die gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 23. Januar 2018 eingelegte Revision des Angeklagten wirksam zurückgenommen worden ist.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Gründe:
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- 1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten Revision eingelegt und diese am 8. Mai 2018 begründet. Mit einem handschriftlich verfassten Schreiben vom 9. Juli 2018 hat der Angeklagte gegenüber dem Landgericht erklärt: „Hiermit teile ich Ihnen mit, dass ich mit sofortiger Wirkung meinen Wider- spruch/Einspruch sowie die Revision von meiner Verurteilung zurückziehe!! Ich nehme das Urteil von 5 Jahren und 9 Monate an… Ich habe damals Mist gebaut , den ich nicht wieder rückgängig machen kann. Ich möchte mich nun meinem Fehler stellen. Ich bitte daher darum meine Verurteilung nun rechtskräftig werden zu lassen“. Auf eine durch das Landgericht veranlasste Rückfrage er- klärte der Angeklagte gegenüber der Justizvollzugsanstalt, dass er das Schreiben nicht selbst verfasst habe, sondern von einem Mitgefangenen habe schrei- ben lassen; er wolle „weiterhin, dass die Revision bestehen bleibt“. Vor diesem Hintergrund vertritt der Verteidiger die Auffassung, dass die Revision nicht rechtswirksam zurückgenommen worden sei. Überdies spreche der Angeklagte auch nicht „hinreichend“ die deutsche Sprache, um die „Inhalte von Schriftsätzen zur Kenntnis zu nehmen“.
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- 2. Die Revision ist wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1). Da der Verteidiger dies in Zweifel gezogen hat, ist die eingetretene Rechtsfolge durch deklaratorischen Beschluss festzustellen (vgl. Senat, Beschlüsse vom 30. November 2005 – 2 StR 522/05, BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 11, und vom 8. Oktober 2015 – 2 StR 103/15, NStZ-RR 2016, 180; BGH, Beschluss vom 19. Februar 2019 – 3 StR 6/19, BeckRS 2019, 4519).
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- a) Dass das Rechtsmittel von seinem Verteidiger eingelegt worden war, ist für die Wirksamkeit der Rücknahme durch den Angeklagten ohne Belang; der erklärte Wille des Angeklagten geht stets vor (vgl. BGH, Beschluss vom 18. August 1988 – 4 StR 316/88, BGHR StPO § 302 Abs.1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 7 und Senat, Beschluss vom 3. November 2011 – 2 StR 353/11, BeckRS 2011, 27090).
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- b) Die Rücknahmeerklärung des Angeklagten wahrt die hierfür erforderliche Form (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 302 Rn. 7 mwN). Er hat sich hierfür nach eigenen Angaben eines Mitgefangenen als Schreibhilfe bedient und das Schreiben sodann eigenhändig unterzeichnet, was ein freibeweislicher Abgleich mit seiner Unterschrift unter dem Protokoll über seine polizeiliche Beschuldigtenvernehmung bestätigt (Bl. 80 d.A.). Dass dem Angeklagten von dem – nicht näher bekannt gemachten – Mitgefangenen absprachewid- rig eine Rücknahmeerklärung untergeschoben worden sei, wird nicht geltend gemacht.
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- c) Die Rücknahmeerklärung ist inhaltlich eindeutig und zweifelsfrei auf die Beendigung des Revisionsverfahrens sowie auf den Eintritt der Rechtskraft gerichtet. Dies belegt die gebotene Würdigung von Wortlaut und Gesamtsinn der Erklärung (vgl. BGH, Beschluss vom 19. September 1996 – 1 StR 487/96, BeckRS 1996, 31090889). Hiermit ist der Vortrag des Beschwerdeführers, mit der Erklärung sei allein eine Beanstandung des Haftregimes nach § 119 Abs. 5 StPO gemeint gewesen, unvereinbar.
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- d) Der Senat schließt aus, dass der Angeklagte eine Erklärung unterschrieben hat, die ihm wegen unzureichender Sprachkenntnisse unbekannt gewesen war. Dies liegt schon eingedenk seines nahezu vierzigjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet und seiner langjährigen beruflichen Einbindung hier nicht nahe (vgl. UA S. 4). Entsprechend waren im Ermittlungsverfahren weder bei Beschuldigtenvernehmungen noch bei Verteidigergesprächen mangelnde Sprachkenntnisse offenbar geworden (vgl. Bl. 80 d.A.). Besonders Gewicht kommt im Rahmen dieser freibeweislichen Würdigung dem Beschluss der Strafkammer vom 5. Oktober 2017 zu (Anlage 1 zum Hauptverhandlungsprotokoll ). Das Landgericht hat hier die Sprachkenntnisse des Angeklagten im Einzelnen gewürdigt und nachvollziehbar dargelegt, dass der Angeklagte der deutschen Sprache mächtig ist. Insbesondere habe der Angeklagte in der von der Strafkammer durchgeführten Haftprüfung Deutsch gesprochen und „den deutlichen Eindruck erweckt“, er verstehe die Verfahrensabläufe. Ausweislich des Protokolls über diese durchgeführte Haftprüfung ließ sich der Angeklagte dort ohne Dolmetscher näher zur Sache ein (Bl. 499 d.A.).
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- e) Die wirksame Rücknahmeerklärung ist nach ihrem Eingang bei Gericht unwiderruflich und unanfechtbar geworden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 16. Dezember 1994 – 2 StR 461/94, NStZ 1995, 356, 357, vom 28. Juli 2004 – 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341 und vom 17. Oktober 2017 – 2 StR 410/17, NStZ 2018, 615, 616). Eine möglicherweise nachträglich eingetretene Willensänderung ist bedeutungslos.
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- 3. Nach wirksamer Rücknahme der Revision hat der Angeklagte die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO).
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(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
(1) Soweit dies zur Abwehr einer Flucht-, Verdunkelungs- oder Wiederholungsgefahr (§§ 112, 112a) erforderlich ist, können einem inhaftierten Beschuldigten Beschränkungen auferlegt werden. Insbesondere kann angeordnet werden, dass
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der Empfang von Besuchen und die Telekommunikation der Erlaubnis bedürfen, - 2.
Besuche, Telekommunikation sowie der Schrift- und Paketverkehr zu überwachen sind, - 3.
die Übergabe von Gegenständen bei Besuchen der Erlaubnis bedarf, - 4.
der Beschuldigte von einzelnen oder allen anderen Inhaftierten getrennt wird, - 5.
die gemeinsame Unterbringung und der gemeinsame Aufenthalt mit anderen Inhaftierten eingeschränkt oder ausgeschlossen werden.
(2) Die Ausführung der Anordnungen obliegt der anordnenden Stelle. Das Gericht kann die Ausführung von Anordnungen widerruflich auf die Staatsanwaltschaft übertragen, die sich bei der Ausführung der Hilfe durch ihre Ermittlungspersonen und die Vollzugsanstalt bedienen kann. Die Übertragung ist unanfechtbar.
(3) Ist die Überwachung der Telekommunikation nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 angeordnet, ist die beabsichtigte Überwachung den Gesprächspartnern des Beschuldigten unmittelbar nach Herstellung der Verbindung mitzuteilen. Die Mitteilung kann durch den Beschuldigten selbst erfolgen. Der Beschuldigte ist rechtzeitig vor Beginn der Telekommunikation über die Mitteilungspflicht zu unterrichten.
(4) Die §§ 148, 148a bleiben unberührt. Sie gelten entsprechend für den Verkehr des Beschuldigten mit
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der für ihn zuständigen Bewährungshilfe, - 2.
der für ihn zuständigen Führungsaufsichtsstelle, - 3.
der für ihn zuständigen Gerichtshilfe, - 4.
den Volksvertretungen des Bundes und der Länder, - 5.
dem Bundesverfassungsgericht und dem für ihn zuständigen Landesverfassungsgericht, - 6.
dem für ihn zuständigen Bürgerbeauftragten eines Landes, - 7.
dem oder der Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, den für die Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in den Ländern zuständigen Stellen der Länder und den Aufsichtsbehörden nach § 40 des Bundesdatenschutzgesetzes, - 8.
dem Europäischen Parlament, - 9.
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, - 10.
dem Europäischen Gerichtshof, - 11.
dem Europäischen Datenschutzbeauftragten, - 12.
dem Europäischen Bürgerbeauftragten, - 13.
dem Europäischen Ausschuss zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, - 14.
der Europäischen Kommission gegen Rassismus und Intoleranz, - 15.
dem Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, - 16.
den Ausschüssen der Vereinten Nationen für die Beseitigung der Rassendiskriminierung und für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, - 17.
dem Ausschuss der Vereinten Nationen gegen Folter, dem zugehörigen Unterausschuss zur Verhütung von Folter und den entsprechenden Nationalen Präventionsmechanismen, - 18.
den in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 4 genannten Personen in Bezug auf die dort bezeichneten Inhalte, - 19.
soweit das Gericht nichts anderes anordnet, - a)
den Beiräten bei den Justizvollzugsanstalten und - b)
der konsularischen Vertretung seines Heimatstaates.
(5) Gegen nach dieser Vorschrift ergangene Entscheidungen oder sonstige Maßnahmen kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden, soweit nicht das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft ist. Der Antrag hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.
(6) Die Absätze 1 bis 5 gelten auch, wenn gegen einen Beschuldigten, gegen den Untersuchungshaft angeordnet ist, eine andere freiheitsentziehende Maßnahme vollstreckt wird (§ 116b). Die Zuständigkeit des Gerichts bestimmt sich auch in diesem Fall nach § 126.
(1) Die Kosten eines zurückgenommenen oder erfolglos eingelegten Rechtsmittels treffen den, der es eingelegt hat. Hat der Beschuldigte das Rechtsmittel erfolglos eingelegt oder zurückgenommen, so sind ihm die dadurch dem Nebenkläger oder dem zum Anschluß als Nebenkläger Berechtigten in Wahrnehmung seiner Befugnisse nach § 406h erwachsenen notwendigen Auslagen aufzuerlegen. Hat im Falle des Satzes 1 allein der Nebenkläger ein Rechtsmittel eingelegt oder durchgeführt, so sind ihm die dadurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschuldigten aufzuerlegen. Für die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Beteiligten gilt § 472a Abs. 2 entsprechend, wenn eine zulässig erhobene sofortige Beschwerde nach § 406a Abs. 1 Satz 1 durch eine den Rechtszug abschließende Entscheidung unzulässig geworden ist.
(2) Hat im Falle des Absatzes 1 die Staatsanwaltschaft das Rechtsmittel zuungunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten (§ 424 Absatz 1, §§ 439, 444 Abs. 1 Satz 1) eingelegt, so sind die ihm erwachsenen notwendigen Auslagen der Staatskasse aufzuerlegen. Dasselbe gilt, wenn das von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten oder eines Nebenbeteiligten eingelegte Rechtsmittel Erfolg hat.
(3) Hat der Beschuldigte oder ein anderer Beteiligter das Rechtsmittel auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt und hat ein solches Rechtsmittel Erfolg, so sind die notwendigen Auslagen des Beteiligten der Staatskasse aufzuerlegen.
(4) Hat das Rechtsmittel teilweise Erfolg, so hat das Gericht die Gebühr zu ermäßigen und die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, soweit es unbillig wäre, die Beteiligten damit zu belasten. Dies gilt entsprechend für die notwendigen Auslagen der Beteiligten.
(5) Ein Rechtsmittel gilt als erfolglos, soweit eine Anordnung nach § 69 Abs. 1 oder § 69b Abs. 1 des Strafgesetzbuches nur deshalb nicht aufrechterhalten wird, weil ihre Voraussetzungen wegen der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a Abs. 1) oder einer Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 69a Abs. 6 des Strafgesetzbuches) nicht mehr vorliegen.
(6) Die Absätze 1 bis 4 gelten entsprechend für die Kosten und die notwendigen Auslagen, die durch einen Antrag
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auf Wiederaufnahme des durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens oder - 2.
auf ein Nachverfahren (§ 433)
(7) Die Kosten der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.