Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Jan. 2020 - 2 StR 520/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 9. Januar 2020 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Beschuldigten wegen im Zustand nicht ausschließbarer Schuldunfähigkeit tateinheitlich begangener Taten der versuchten schweren Brandstiftung, der versuchten gefährlichen Körperverletzung und des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Seine hiergegen gerichtete und auf die Beanstandung der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision ist mit der Sachrüge überwiegend begründet.
I.
- 2
- Nach den Feststellungen des Landgerichts wohnte der zur Tatzeit 32jährige Beschuldigte zuletzt zurückgezogen in einer kleinen Wohnung in einem Hochhaus. Er bezog Leistungen nach Hartz IV, verfügte über keinen Freundeskreis und verbrachte die Zeit alleine oder mit seiner psychisch kranken Mutter. Seit seinem 16. Lebensjahr konsumiert er in unregelmäßigen Abständen Cannabis und Amphetamine sowie Alkohol. In den vergangenen zwölf Jahren befand er sich ‒ jeweils aus eigener Initiative ‒ mehrfach in stationärer psychiatri- scher Behandlung. Die jeweiligen Diagnosen lauteten „schizoaffektivePsycho- se, gegenwärtig depressiv (ICD-10: F25.16) DD: Paranoide Schizophrenie (ICD-10: F20.0)“ sowie schädlicher Cannabis-, Amphetamin- und Alkoholgebrauch.
- 3
- Am 14. September 2018 abends nach erheblichem Alkoholgenuss begab sich der Beschuldigte auf den Balkon seiner Wohnung, schrie ‒ wie bereits mehrfach in der Vergangenheit ‒ unkontrolliert und zusammenhanglos herum und warf ungezielt Bierflaschen herunter, die in der Nähe von Passanten aufschlugen , ohne diese zu verletzen. Es kam in diesem Zusammenhang zu einer verbalen Auseinandersetzung mit einem anderen Anwohner, die der zwischenzeitlich nach unten geeilte Beschuldigte mit einem Handschlag versöhnlich beilegte. Zurück in seiner Wohnung betrat er jedoch erneut den Balkon und setzte sein Verhalten fort.
- 4
- Beim Eintreffen der mittlerweile alarmierten Polizei entfachte der Beschuldigte im Flur seiner Wohnung ein Feuer, um die Beamten am Betreten zu hindern. Dazu ergriff er drei auf dem Schreibtisch stehende KettenreinigerSpraydosen , perforierte diese mit einem Messer und warf sie zusammen mit einem brennenden Papiertaschentuch auf im Flur auf dem Boden befindlichen Hausrat. Den Polizeibeamten gelang es trotz starker Rauchentwicklung, den Brand alsbald zu löschen, ohne dass dabei jemand verletzt wurde. Nachdem die Löscharbeiten beendet waren, kam der Beschuldigte der Aufforderung, das noch in seiner Hand befindliche Messer wegzulegen, nach und ließ sich widerstandslos festnehmen. Er wurde umgehend in ein psychiatrisches Krankenhaus eingeliefert, wo er ein psychotisches Verhalten zeigte.
- 5
- Das Landgericht hat das Geschehen als tateinheitlich begangene versuchte schwere Brandstiftung, versuchte gefährliche Körperverletzung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte gewertet. Sachverständig beraten hat es sich davon überzeugt, dass bei der Tat die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund seines akut psychotischen Zustands erheblich vermindert, möglicherweise auch ganz aufgehoben war. Das Landgericht ist weiter davon ausgegangen , dass der Beschuldigte aufgrund dieser für die Tat ursächlichen Störung für die Allgemeinheit gefährlich sei. Da er nur bedingt krankheitseinsichtig sei, sei mit einem höheren Grad an Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass er unter weniger kontrollierten Bedingungen, als sie in der Forensischen Klinik gewährleistet sind, innerhalb kürzester Zeit wieder vergleichbare Taten begehen werde.
II.
- 6
- Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Während die Annahme nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit infolge psychotischen Wahnerlebens noch keinen durchgreifenden Bedenken begegnet, gilt dies für die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht:
- 7
- 1. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 ‒ 2 BvR 298/12, NStZ-RR 2014, 305; BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2016 ‒ 1 StR 445/16, StV 2017, 585). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat zu entwickeln und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BGH aaO).
- 8
- 2. Diesen aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht. Die Strafkammer stellt allein darauf ab, dass der Beschuldigte in der Vergangenheit durch Ruhestörungen aufgefallen ist, nunmehr eine versuchte schwere Brandstiftung begangen hat und nur bedingt krankheitseinsichtig ist. Hierbei lässt sie unberücksichtigt, dass der Beschuldigte über einen Zeitraum von zwölf Jahren weitgehend unbehandelt lebte, wiederholt bei Bedarf aus eigenem Antrieb medizinische Hilfe suchte und lediglich ein einziges Mal wegen des Besitzes von 4,68 g Amphetaminen vorgeahndet ist. Auch am Tattag hat sich der Beschuldigte gegenüber Zeugen zwar verbal aggressiv gezeigt, eine physische Eskalation aber vermieden. Von den Polizeibeamten ließ er sich widerstandslos festnehmen. Schließlich hat er auch in der Unterbringung keine fremdaggressiven Verhaltensweisen gezeigt. Dies alles hätte näherer Erörterung und Bewertung bedurft, um die Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblich rechtswidriger Taten hinreichend zu belegen.
- 9
- 3. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu der Anlasstat können bestehen bleiben.
Vorinstanz:
Aachen, LG, 29.05.2019 - 407 Js 1432/18 6/19 68 KLs
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.