Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Sept. 2010 - 2 StR 408/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Seine Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs ; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Die Beweiswürdigung, aufgrund derer das Landgericht das Vorliegen einer im Sinne von § 21 StGB erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei der Tat verneint hat, hält rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach den Feststellungen des Landgerichts handelt es sich bei dem Angeklagten um einen "depravierten, verfallenen Alkoholiker", einen "Spiegeltrinker", der ständig große Mengen Alkohol konsumiert und dessen Leben hiervon geprägt ist. Auch am Tattag konsumierte er - mit den Eltern der Geschädigten - größere, im einzelnen nicht mehr feststellbare Mengen Alkohol, bis er "stark angetrunken" war; er konnte noch sprechen, hatte aber Mühe zu gehen. Er legte sich im Kinderzimmer der Wohnung zum Schlafen. Als die 8-jährige Geschädigte und ihre Schwester begannen, mit ihm zu spielen, zog er der Geschädigten die Hose herunter, leckte einmal über ihre Scheide und beendete dies sofort, als die Geschädigte ihn hierzu aufforderte. Der Angeklagte hat die Tat gestanden; er hat bekundet, er habe sie nur aufgrund seiner Trunkenheit begangen; im nüchternen Zustand hätte er "so etwas nie im Leben getan". Einige Monate nach der Tat stach ihn der Vater der Geschädigten aus Rache für die Tat nieder und verletzte ihn so schwer, dass er nur durch glückliche Umstände und eine Notoperation gerettet werden konnte.
- 3
- Das Landgericht ist einem in der Hauptverhandlung vernommenen Sachverständigen in der Beurteilung gefolgt, eine erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit habe nicht vorgelegen. Ein hirnorganisches Psychosyndrom sei beim Angeklagten noch nicht gegeben. Die genaue Höhe der Alkoholintoxikation zur Tatzeit habe sich nicht mehr feststellen lassen. Für seine uneingeschränkte Steuerungsfähigkeit sprächen die Umstände, dass er "Spiegeltrinker" und alkoholgewöhnt sei, dass er noch relativ normal sprechen konnte und dass er "zielgerichtet" die Hose des Kindes heruntergezogen und über seine Scheide geleckt habe. Die Eltern der Geschädigten, mit denen er vor der Tat gezecht hatte, könnten, da sie den Angeklagten "schon lange Zeit kennen", seine Alkoholisierung "gut beurteilen" (UA S. 17). Bei der Strafzumessung hat das Landgericht überdies ausgeführt, zu Gunsten des Angeklagten sei der "Alkoholkonsum mit der Folge einer solchen Enthemmung und nur daraus resultierend die Verübung der hier gegenständlichen Tat" zu werten gewesen (UA S. 19).
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- Aufgrund dieser Ausführungen ließ sich eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht ausschließen. Soweit das Landgericht die Bekundung des Sachverständigen wiedergibt, die Trinkmengenangaben des Angeklagten seien unrealistisch hoch gewesen, wird nicht deutlich, ob es gegebenenfalls möglich war und versucht wurde, durch Kontrollrechnungen jedenfalls zur Feststellung von annähernd realistischen Werten zu gelangen oder ob dies - auch unter Berücksichtigung der Zeugenaussagen der Mittrinker - von vornherein ausgeschlossen war. Die vom Landgericht herangezogenen Argumente, der Angeklagte sei "Spiegeltrinker" und habe die Tat "zielgerichtet" ausgeführt, haben im vorliegenden Zusammenhang für die Feststellung der Steuerungsfähigkeit kaum Gewicht. Die "Zielgerichtetheit" der Tatausführung ging ersichtlich nicht über die bloße (spontane) Begehung der Tat hinaus; dies erforderte offenkundig weder differenzierte Überlegungen noch komplexe körperliche Fertigkeiten , die auf voll erhaltene Steuerungsfähigkeit hindeuten könnten. Der Umstand , dass es sich beim Angeklagten um einen alkoholgewöhnten "Spiegeltrinker" handelt, ist in seiner Bedeutung für die Steuerungsfähigkeit jedenfalls bei sehr hoher Blutalkoholkonzentration gemindert. Gegen voll erhaltene Steuerungsfähigkeit sprechen die wiederholten Beschreibungen des Angeklagten als "verfallener, depravierter Alkoholiker" durch das Landgericht, die Feststellung, die Tat habe "nur" aus der alkoholischen Enthemmung resultiert, sowie die spontane, ohne jegliche Sicherungstendenz in Anwesenheit eines zweiten Kindes vollzogene Tatbegehung.
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- 2. Keinen Bestand hat auch die Nichtanordnung einer Maßregel gemäß § 64 StGB. Das Landgericht hat - im Anschluss an den Sachverständigen - insoweit ausgeführt, eine Unterbringung sei aussichtslos. Der Angeklagte sei "völlig haltlos"; er sei "ohne jegliches Problembewusstsein" (UA S. 22). Das ist mit sonstigen Feststellungen nicht vereinbar. Danach hat der Angeklagte "einen Antrag auf Durchführung einer Alkoholentwöhnungstherapie" (UA S. 5) gestellt; im Januar 2010 fand ein Beratungstermin statt; der Angeklagte hat aber bisher die erforderlichen Unterlagen nicht zusammengestellt (ebd.). In seinem letzten Wort äußerte er "den Wunsch nach einer letzten Chance zur Therapie" (UA S. 23). Danach kann nicht die Rede davon sein, es liege keinerlei Problembewusstsein vor. Die Ausführung des Landgerichts, "eine bloße Absichtserklärung ohne einen ernstzunehmenden eigenen Beitrag" reiche nicht aus (UA S. 23), lässt im Unklaren, welchen "eigenen Beitrag" der Tatrichter als Voraussetzung einer Maßregelanordnung verlangt. Wäre dies, wofür die Formulierungen sprechen könnten, die bereits "ernsthafte" oder gar erfolgreiche Durchführung einer (ambulanten) Therapie, so würde dies die Voraussetzungen des § 64 StGB verkennen. Auf dieser widersprüchlichen, jedenfalls unklaren Grundlage findet die Entscheidung, von einer Maßregelanordnung abzusehen, keine Stütze. Der neue Tatrichter hat über die Rechtsfolgen daher insgesamt neu zu entscheiden.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.