Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Dez. 2019 - 2 StR 176/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts – zu Ziffer 2. auf dessen Antrag – und des Beschwerdeführers am 11. Dezember 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubter gewerbsmäßiger Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in 154 Fällen, hiervon in zwölf Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Überlassen von Betäubungsmitteln an Minderjährige zum unmittelbaren Gebrauch, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es den „Verfall von Wertersatz“ in Höhe von 2.840 Euroangeordnet. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge überwiegend Erfolg.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen bezog der Angeklagte zwischen April 2016 und Ende Januar 2017 von einem namentlich nicht feststellbaren Verkäufer mehrfach pro Woche jeweils bis zu 20 Gramm Marihuana guter Qualität zu einem Preis von acht Euro pro Gramm. Während ein Teil des Marihuanas zum Eigenkonsum bestimmt war, verkaufte der Angeklagte den anderen Teil mit Gewinn an weitere Konsumenten, um sich eine dauerhafte Einnahmequelle zu verschaffen. Im Zeitraum zwischen 12. April 2016 und 26. Januar 2017 veräußerte er in 154 Fällen an drei minderjährige Abnehmer Marihuana und überließ darüber hinaus einem der Abnehmer an zwölf verschiedenen Tagen Amphetamin zum nasalen Konsum.
- 3
- 2. Die Verfahrensrüge ist aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet.
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- 3. Die Revision hat mit der Sachrüge weitgehend Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils mit den Feststellungen, ausgenommen die Feststellungen zu den einzelnen Verkäufen der Betäubungsmittel.
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- a) Die Verurteilung wegen 154 selbständiger Taten der unerlaubten gewerbsmäßigen Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, da das Landgericht die Grundsätze der Bewertungseinheit nicht hinreichend beachtet hat.
- 6
- Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind sämtliche Betätigungen, die sich auf den Vertrieb derselben, in einem Akt erworbenen Betäubungsmittel beziehen, als eine Tat des unerlaubten Handeltreibens anzusehen , weil bereits ihr Erwerb und Besitz zum Zweck des gewinnbringenden Weiterverkaufs den Tatbestand des Handeltreibens in Bezug auf die Gesamtmenge erfüllen; die späteren, diese Betäubungsmittel betreffenden Veräußerungsgeschäfte gehören als unselbständige Teilakte zu dieser Tat (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 9. Mai 2012 – 4 StR 67/12, NStZ-RR 2012, 279, 280, und vom 11. Januar 2012 – 5 StR 445/11, NStZ-RR 2012, 121, jeweils mwN); dies gilt auch, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Abgabe an Minderjährige erfolgt (BGH, Beschluss vom 8. Mai 2003 – 3 StR 123/03, NStZ 2004, 109, und vom 6. August 2013 – 5 StR 255/13, NStZ-RR 2013, 347, 348). Es ist daher rechtsfehlerhaft, allein auf die Anzahl der Veräußerungsgeschäfte abzustellen, wenn sich konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass an sich selbständige Rauschgiftgeschäfte dieselbe Rauschgiftmenge betreffen (BGH, Beschluss vom 25. September 2003 – 4 StR 291/03 juris Rn. 2). So liegt es hier.
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- Da das Landgericht keine Feststellungen zu der für die konkurrenzrechtliche Einordnung relevanten Frage getroffen hat, welchen Lieferungen in dem 42 Wochen umfassenden Tatzeitraum die jeweiligen Veräußerungen an die Minderjährigen im Einzelnen zuzuordnen sind, bedarf die Sache insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
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- b) Der Aufhebung der Feststellungen zu den einzelnen Verkäufen bedarf es nicht, da diese nicht vom Rechtsfehler betroffen sind; insoweit bleibt die Revision ohne Erfolg. Die Feststellungen dürfen um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.
- 9
- c) Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, ggf. auf der Grundlage einer Schätzung nähere Feststellungen zum Wirkstoffgehalt der Betäubungsmittel zu treffen, auf die für eine sachgerechte schuldangemessene Festsetzung der Strafen im Betäubungsmittelstrafrecht regelmäßig nicht verzichtet werden kann (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 – 1 StR 43/16, NStZ-RR 2016, 247, 248).
Vorinstanz:
Gießen, LG, 18.01.2019 - 502 Js 36410/17 9 KLs
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.