Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2019 - 1 StR 612/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 27. Juni 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus einer anderweitigen Entscheidung wegen Vergewaltigung in fünf Fällen, davon in drei Fällen in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und dabei die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsan- stalt aufrechterhalten. Aufgrund der Zäsurwirkung des anderweitigen Urteils hat es den Angeklagten wegen einer weiteren Vergewaltigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Daneben hat das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unter Bestimmung eines Vorwegvollzugs der verhängten Freiheitsstrafen sowie seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Schließlich hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
I.
- 2
- Nach den Feststellungen des Landgerichts vergewaltigte der Angeklagte im Zeitraum von August/Anfang September 2014 bis 31. Oktober 2015 seine damalige Lebenspartnerin, die Nebenklägerin F. , in fünf Fällen, dabei in drei Fällen unter Einsatz von Fesselungsmaterial. Bei diesen drei Taten ließ er sie für jeweils mehrere Stunden gefesselt. In der Nacht vom 10. auf den 11. September 2016 vergewaltigte er seine neue Lebenspartnerin, die Nebenund Adhäsionsklägerin M. . Der Angeklagte, der eine dissoziale, narzisstische und psychopathische Persönlichkeitsstruktur aufweist sowie zudem alkohol- und betäubungsmittelabhängig ist, hat vor Begehung der hier gegenständlichen Taten keine Strafhaft verbüßen müssen.
II.
- 3
- Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 2 StGB) hält der sachlichrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Zwar hat das Landgericht die formellen und materiellen Voraussetzungen der Sicherungsverwahrung nach § 66 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a, Nr. 4 StGB, insbesondere einen Hang des Angeklagten und seine fortbestehende Gefährlichkeit, rechtsfehlerfrei festgestellt. Indes lässt die knappe Begründung der Ermessensentscheidung nicht die revisionsrechtliche Überprüfung zu, ob das Landgericht sein Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt hat.
- 4
- 1. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 Abs. 2 StGB liegt im pflichtgemäßen Ermessen des Tatrichters. Die Ermessensausübung unterliegt zwar nur eingeschränkter revisionsrechtlicher Überprüfung. Die Urteilsgründe müssen aber erkennen lassen, dass sich das Tatgericht seiner Entscheidungsbefugnis bewusst war; sie müssen auch nachvollziehbar darlegen, aus welchen Gründen es von ihr in einer bestimmten Weise Gebrauch gemacht hat. Die revisionsrechtliche Überprüfung erstreckt sich dann vor allem darauf, ob der Tatrichter bei der Ermessensausübung von einem zutreffenden rechtlichen und tatsächlichen Ansatz ausgegangen ist (BGH, Beschlüsse vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09 Rn. 22, BGHR StGB § 66 Abs. 2 Ermessensausübung 1 und vom 11. September 2003 – 3 StR 481/02 Rn. 6).
- 5
- Beim Ausüben des Ermessens sind die Wert- und Zweckvorstellungen des Gesetzes zu beachten. Nach der Vorstellung des Gesetzgebers soll das Tatgericht die Möglichkeit haben, sich ungeachtet der festgestellten Gefährlichkeit des Täters zum Zeitpunkt der Urteilsfällung auf die Verhängung einer Freiheitsstrafe zu beschränken, sofern erwartet werden kann, dass sich dieser die Strafe hinreichend zur Warnung dienen lässt. Damit wird dem Ausnahmecharakter der Vorschrift Rechnung getragen, der sich daraus ergibt, dass Absatz 2 – im Gegensatz zu Absatz 1 – eine frühere Verurteilung und eine frühere Straf- verbüßung des Täters nicht voraussetzt. Die Wirkungen eines langjährigen Strafvollzugs sowie die mit dem Fortschreiten des Lebensalters erfahrungsge- mäß eintretenden Haltungsänderungen sind deshalb wichtige Kriterien, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Rahmen dieser Ermessensentscheidung grundsätzlich zu berücksichtigen sind. Es besteht zwar keine Vermutung dahingehend, dass langjährige, erstmalige Strafverbüßung stets zu einer Verhaltensänderung führen wird. Je länger die verhängte Freiheitsstrafe und je geringer die bisherige Erfahrung des Täters mit Verurteilung und Strafvollzug sind, desto mehr muss sich das Tatgericht aber mit diesen Umständen auseinandersetzen. Von vornherein offenlassen kann es dies jedenfalls nicht (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 4. August 2009 – 1 StR 300/09 Rn. 24; vom 13. September 2011 – 5 StR 189/11 Rn. 19; vom 25. Mai 2011 – 4 StR 164/11 Rn. 6; vom 5. April 2011 – 3 StR 12/11 Rn. 10 und vom 11. September 2003 – 3 StR 481/02 Rn. 7 f.; Urteil vom 19. Februar 2013 – 1 StR 275/12 Rn. 34). Freilich muss eine günstige Prognoseentscheidung auf konkrete Anhaltspunkte und hinreichende Gründe gestützt werden; nur denkbare positive Veränderung und Wirkung künftiger Maßnahmen im Strafvollzug reichen nicht aus (BGH, Urteil vom 3. Februar 2011 – 3 StR 466/10 Rn. 14 mwN).
- 6
- 2. Diesen Anforderungen an die Begründung einer Ermessensentscheidung wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat seine Entscheidung allein auf eine Bezugnahme auf seine Begründung der Anordnungsvoraussetzungen , der Vollstreckungsreihenfolge der beiden verhängten Maßregeln (§ 72 Abs. 3 Satz 1, Abs. 2 StGB), das strafrechtliche Vorleben des Angeklagten, seine Persönlichkeit und die Schwere der Anlasstaten gestützt. Das Landgericht hat unerörtert gelassen, wie sich der Strafvollzug auf den 32jährigen Angeklagten und seine Dissozialität auswirken könnte. Es hätte sich auch damit auseinandersetzen müssen, dass der Angeklagte in dieser Sache erstmals Strafhaft verbüßt.
- 7
- 3. Die Feststellungen sind von dem hier allein vorliegenden Erörterungsmangel nicht betroffen und können daher bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 12. Mai 2016 – 1 StR 103/16 Rn. 5). Ergänzende Feststellungen der nach Zurückverweisung zur Entscheidung berufenen Kammer, die den bisherigen nicht widersprechen, sind möglich.
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Das Gericht ordnet neben der Strafe die Sicherungsverwahrung an, wenn
- 1.
jemand zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat verurteilt wird, die - a)
sich gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung richtet, - b)
unter den Ersten, Siebenten, Zwanzigsten oder Achtundzwanzigsten Abschnitt des Besonderen Teils oder unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fällt und im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist oder - c)
den Tatbestand des § 145a erfüllt, soweit die Führungsaufsicht auf Grund einer Straftat der in den Buchstaben a oder b genannten Art eingetreten ist, oder den Tatbestand des § 323a, soweit die im Rausch begangene rechtswidrige Tat eine solche der in den Buchstaben a oder b genannten Art ist,
- 2.
der Täter wegen Straftaten der in Nummer 1 genannten Art, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon zweimal jeweils zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, - 3.
er wegen einer oder mehrerer dieser Taten vor der neuen Tat für die Zeit von mindestens zwei Jahren Freiheitsstrafe verbüßt oder sich im Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung befunden hat und - 4.
die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Taten ergibt, dass er infolge eines Hanges zu erheblichen Straftaten, namentlich zu solchen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden, zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist.
(2) Hat jemand drei Straftaten der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 genannten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verwirkt hat, und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzung neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen.
(3) Wird jemand wegen eines die Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 Buchstabe a oder b erfüllenden Verbrechens oder wegen einer Straftat nach § 89a Absatz 1 bis 3, § 89c Absatz 1 bis 3, § 129a Absatz 5 Satz 1 erste Alternative, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1, den §§ 174 bis 174c, 176a, 176b, 177 Absatz 2 Nummer 1, Absatz 3 und 6, §§ 180, 182, 224, 225 Abs. 1 oder 2 oder wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a, soweit die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist, zu Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt, so kann das Gericht neben der Strafe die Sicherungsverwahrung anordnen, wenn der Täter wegen einer oder mehrerer solcher Straftaten, die er vor der neuen Tat begangen hat, schon einmal zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist und die in Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hat jemand zwei Straftaten der in Satz 1 bezeichneten Art begangen, durch die er jeweils Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verwirkt hat und wird er wegen einer oder mehrerer dieser Taten zu Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt, so kann das Gericht unter den in Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bezeichneten Voraussetzungen neben der Strafe die Sicherungsverwahrung auch ohne frühere Verurteilung oder Freiheitsentziehung (Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 und 3) anordnen. Die Absätze 1 und 2 bleiben unberührt.
(4) Im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 gilt eine Verurteilung zu Gesamtstrafe als eine einzige Verurteilung. Ist Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung auf Freiheitsstrafe angerechnet, so gilt sie als verbüßte Strafe im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3. Eine frühere Tat bleibt außer Betracht, wenn zwischen ihr und der folgenden Tat mehr als fünf Jahre verstrichen sind; bei Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung beträgt die Frist fünfzehn Jahre. In die Frist wird die Zeit nicht eingerechnet, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Eine Tat, die außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs dieses Gesetzes abgeurteilt worden ist, steht einer innerhalb dieses Bereichs abgeurteilten Tat gleich, wenn sie nach deutschem Strafrecht eine Straftat der in Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, in den Fällen des Absatzes 3 der in Absatz 3 Satz 1 bezeichneten Art wäre.
(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.
(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.
(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.