BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
1 StR 517/10
vom
11. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
München II vom 10. Februar 2010 wird als unbegründet verworfen
, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und
die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner
Antragsschrift vom 4. Oktober 2010 bemerkt der Senat:
Soweit das Landgericht neben den Mordmerkmalen der Habgier und des
Ermöglichens einer Straftat auch das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt
angesehen hat, hält dies der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Dieser
Rechtsfehler lässt aber im Ergebnis sowohl den Schuldspruch als auch den
Strafausspruch unberührt. Der Angeklagte ist daher hierdurch nicht beschwert.
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs handelt
heimtückisch, wer das Opfer unter bewusster Ausnutzung seiner
Arg- und
Wehrlosigkeit tötet (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 1984 - 3 StR 199/84, BGHSt 32,
382, 383 mwN). Für die Annahme von Arglosigkeit kommt es auf den Beginn
der mit Tötungsvorsatz begangenen Handlung an. Rechnet das Tatopfer aufgrund
einer vorangegangenen tätlichen Auseinandersetzung mit einem schwe-
ren oder doch erheblichen Angriff gegen seine körperliche Unversehrtheit, entfällt
seine Arglosigkeit (BGH, Urteil vom 24. Februar 1999 - 3 StR 520/98,
So liegt der Fall auch hier: Als der Angeklagte damit begann, der Geschädigten
gegen den Kopf zu treten, und dabei nach den Feststellungen des
Landgerichts erstmals mit Tötungsvorsatz handelte, war die Geschädigte nicht
mehr arglos. Den Tritten war ein nicht mit Tötungsvorsatz geführter Angriff auf
ihre körperliche Unversehrtheit vorausgegangen. Der Angeklagte, der die ihm
unbekannte Geschädigte gemeinsam mit dem Mitangeklagten I. auf
ihrem Nachhauseweg ausrauben wollte, hatte ihr einen kräftigen Schlag gegen
die rechte Schläfe versetzt und sie hierdurch zu Boden gebracht. Entgegen den
Erwartungen der beiden Angeklagten gelang es ihnen aber anschließend zunächst
nicht, den Rucksack der Geschädigten zu entreißen. Sie setzte sich
hiergegen heftig zur Wehr und hielt den Rucksack mit beiden Händen an seinen
Riemen fest. Außerdem fragte sie die beiden an ihrem Rucksack zerrenden
Angeklagten, warum sie dies täten, sie habe ihnen doch nichts getan. Erst in
dieser Situation entschloss sich der Angeklagte S. , der Geschädigten mehrere
heftige Tritte in das Gesicht zu versetzen, um auf diese Weise in den Besitz
des Rucksacks zu gelangen, wobei er auch ihren Tod billigend in Kauf
nahm.
Eine Arglosigkeit der Geschädigten als Voraussetzung der Annahme von
Heimtücke
lag zu diesem Zeitpunkt nicht mehr vor. Sie hatte wegen des vorausgegangenen
Angriffs und der anschließenden körperlichen Auseinandersetzung
um den Rucksack die ihr drohende Gefahr erkannt, was auch durch
ihre Äußerungen im Rahmen des Tatgeschehens belegt wird. Der Umstand,
dass sie bei dem Schlag gegen die Schläfe noch nicht mit einem Angriff ge-
rechnet hatte, ist insoweit ohne Belang, da der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt
nach den Feststellungen des Landgerichts noch nicht mit Tötungsvorsatz gehandelt
hatte (vgl. BGH, Urteil vom 9. Juni 1964 - 1 StR 105/64, BGHSt 19,
321, 322).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts liegt hier auch kein Fall vor, bei
dem der Körperverletzungsvorsatz derart schnell in einen Tötungsvorsatz umgeschlagen
ist, dass dem Opfer keine Zeit blieb, dem Angriff irgendwie zu begegnen
(vgl. BGH, Urteil vom 20. Juli 2004 -
1 StR 145/04; BGH, Urteil vom
27. Juni 2006 - 1 StR 113/06, NStZ 2006, 502 jew. mwN). Zwischen dem ersten
Angriff - dem Schlag gegen die Schläfe - und den mit Tötungsvorsatz ausgeführten
Tritten in das Gesicht der Geschädigten
lag eine deutliche zeitliche Zäsur
, nämlich die Auseinandersetzung um den Rucksack. Bei dieser Auseinandersetzung
wurde deutlich, dass die Geschädigte durchaus zur Gegenwehr fähig
war, indem sie trotz des heftigen Zerrens der beiden Angeklagten nicht nur
den Rucksack mit beiden Händen festhielt, sondern auch noch versuchte, an
das Gewissen der beiden Angeklagten zu appellieren, um diese damit zu bewegen
, von der weiteren Tatausführung Abstand zu nehmen.
2. Der Schuldspruch wegen versuchten Mordes ist durch die fehlerhafte
Annahme des Mordmerkmals der Heimtücke nicht betroffen, da das Landgericht
rechtsfehlerfrei von dem Vorliegen weiterer Mordmerkmale - Habgier und
Ermöglichen einer Straftat - ausgegangen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22. August
1995 - 1 StR 393/95, BGHSt 41, 222).
3. Auch der Strafausspruch hat Bestand. Denn das Landgericht hat das
von ihm angenommene Vorliegen von Heimtücke nicht strafschärfend gewertet.
Es hat lediglich bei der Bemessung der Jugendstrafe allgemein auf das Vorlie-
gen von „mehreren“ Mordmerkmalen abgestellt. Der für die Strafzumessung
bedeutsame Umstand, dass der Angeklagte mehr als nur ein Mordmerkmal
verwirklicht hat, ist im Hinblick auf die vom Landgericht rechtsfehlerfrei festgestellten
Mordmerkmale der Habgier und des Ermöglichens einer Straftat aber
auch ohne das Mordmerkmal der Heimtücke gegeben. Im Übrigen hat das
Landgericht bei der Bemessung der schuldangemessenen und erzieherisch
gebotenen Jugendstrafe auch gewichtige andere Umstände in den Blick genommen
, nämlich die schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen für die Geschädigte
und die hartnäckige Verfolgung des Plans durch den Angeklagten, an
jenem Tag einen Raub zu begehen. Der Senat kann daher ausschließen, dass
der Strafausspruch auf der fehlerhaften Annahme von Heimtücke beruht.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander