Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Dez. 2018 - 1 StR 508/18
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 18. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung , schweren Raubes und versuchter schwerer räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen.
I.
- 2
- Die hiergegen gerichtete, auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Verfahrensrüge gemäß § 275 Abs. 1, § 338 Nr. 7 StPO Erfolg.
- 3
- Die Revision beanstandet zu Recht, dass das am 16. Mai 2018 am vierten Hauptverhandlungstag verkündete Urteil erst am 5. Juli 2018 – und damit nach Ablauf der Urteilsabsetzungsfrist am 4. Juli 2018 – zu den Akten gebracht wurde.
- 4
- An der Einhaltung der nach § 275 Abs. 1 Satz 2 StPO geltenden Frist von sieben Wochen nach der Urteilsverkündung war das Landgericht nicht durch einen unvorhersehbaren und unabwendbaren Umstand im Sinne des § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO gehindert. Ein solcher Umstand liegt insbesondere nicht darin, dass das Urteil, wie sich aus der dienstlichen Erklärung des Berichterstatters vom 16. August 2018 ergibt (SB IV, S. 1280 ff.), am 4. Juli 2018 wegen erheblicher anderweitiger dienstlicher Belastung des Berichterstatters und wegen Verzögerungen bei der Verschriftung seines Diktates noch nicht fertiggestellt und unterschrieben war. Denn weder eine (auch erhebliche) Belastung der Richter mit anderen Dienstgeschäften noch andere Gründe, die sich aus der gerichtsinternen Organisation ergeben, stellen – von hier nicht vorliegenden Ausnahmefällen abgesehen – unvorhersehbare unabwendbare Umstände i.S.d. § 275 Abs. 1 Satz 4 StPO dar, die eine Fristüberschreitung rechtfertigen können (vgl. BGH, Urteile vom 9. April 2003 – 2 StR 513/02, NStZ 2003, 564 f. und vom 12. Dezember 1991 – 4 StR 436/91, NStZ 1992, 398, 399 jeweils mwN; Beschluss vom 26. Juli 2007 – 1 StR 368/07, NStZ 2008, 55).
- 5
- Der aufgezeigte Mangel, der einen absoluten Revisionsgrund bildet, führt nach gesetzlicher Wertung zur Aufhebung des Urteils (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juli 2007 – 1 StR 368/07, NStZ 2008, 55 mwN), so dass es auf das weitere Vorbringen der Revision nicht mehr ankommt.
II.
- 6
- Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat darauf hin, dass im Falle einer Verurteilung das Gesamtstrafübel genauer in den Blick zu nehmen sein wird, dass der Angeklagte durch die drohende Vollstreckung der in Tschechien (sechs Jahre) und in Österreich (ein Monat) verhängten Freiheitsstrafen zu erwarten hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Juni 2017 – 1 StR 670/16, StraFo 2017, 375 mwN und vom 26. März 2014 – 2 StR 202/13, juris Rn. 15 mwN). Wären diese Verurteilungen durch deutsche Gerichte ergangen, wäre eine Einbeziehung der Strafen nach § 55 StGB möglich und geboten gewesen. Bei der Bemessung der hiernach zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe wäre das nach § 54 Abs. 2 Satz 2 StGB zulässige Höchstmaß von 15 Jahren zu beachten gewesen. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, Urteil vom 21. September 2017 – C-171/16, Rn. 26) kann im Ergebnis nicht anderes gelten, wenn es um frühere berücksichtigungsfähige Verurteilungen des Angeklagten in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union geht. Denn hiernach haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass frühere in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Verurteilungen in gleichem Maße bei der Strafzumessung berücksichtigt werden wie nach innerstaatlichem Recht im Inland erfolgte frühere Verurteilungen (vgl. EuGH aaO). Der Rechtsprechung, nach der bei Verurteilungen in derartigen Konstellationen ein Härteausgleich nicht zu gewähren sein soll, weil für die im Ausland begangenen und abgeurteilten Taten kein Gerichtsstand in Deutschland eröffnet gewesen wäre, so dass eine Aburteilung in einem einzigen Verfahren von vornherein nicht hätte erfolgen können (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 StR 386/08), ist durch das vorgenannte Urteil des Europäischen Gerichtshofs der Boden entzogen. Sollte eine angemessene Berücksichtigung des Gesamtstrafübels bei der Bildung der Gesamtstrafe nicht möglich sein, so wäre das Ge- samtstrafübel bereits bei der Bemessung der Einzelstrafen zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 9. September 1997 – 1 StR 279/97, BGHSt 43, 216, 218).
Hohoff Pernice
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen. Nach Ablauf der Frist dürfen die Urteilsgründe nicht mehr geändert werden. Die Frist darf nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert worden ist. Der Zeitpunkt, zu dem das Urteil zu den Akten gebracht ist, und der Zeitpunkt einer Änderung der Gründe müssen aktenkundig sein.
(2) Das Urteil ist von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter der Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der Schöffen bedarf es nicht.
(3) Die Bezeichnung des Tages der Sitzung sowie die Namen der Richter, der Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, die an der Sitzung teilgenommen haben, sind in das Urteil aufzunehmen.
(4) (weggefallen)
Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,
- 1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn - a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder - b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und - aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind, - bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder - cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
- 2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war; - 3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist; - 4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat; - 5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat; - 6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind; - 7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind; - 8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.
(1) Ist das Urteil mit den Gründen nicht bereits vollständig in das Protokoll aufgenommen worden, so ist es unverzüglich zu den Akten zu bringen. Dies muß spätestens fünf Wochen nach der Verkündung geschehen; diese Frist verlängert sich, wenn die Hauptverhandlung länger als drei Tage gedauert hat, um zwei Wochen, und wenn die Hauptverhandlung länger als zehn Tage gedauert hat, für jeden begonnenen Abschnitt von zehn Hauptverhandlungstagen um weitere zwei Wochen. Nach Ablauf der Frist dürfen die Urteilsgründe nicht mehr geändert werden. Die Frist darf nur überschritten werden, wenn und solange das Gericht durch einen im Einzelfall nicht voraussehbaren unabwendbaren Umstand an ihrer Einhaltung gehindert worden ist. Der Zeitpunkt, zu dem das Urteil zu den Akten gebracht ist, und der Zeitpunkt einer Änderung der Gründe müssen aktenkundig sein.
(2) Das Urteil ist von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterschreiben. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies unter der Angabe des Verhinderungsgrundes von dem Vorsitzenden und bei dessen Verhinderung von dem ältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der Schöffen bedarf es nicht.
(3) Die Bezeichnung des Tages der Sitzung sowie die Namen der Richter, der Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft, des Verteidigers und des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, die an der Sitzung teilgenommen haben, sind in das Urteil aufzunehmen.
(4) (weggefallen)
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.
(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.
(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.
(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.