Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Okt. 2019 - 1 StR 411/19
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 10. Oktober 2019 gemäß § 349 Abs. 4, § 354 Abs. 1 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu der Freiheitsstrafe von acht Monaten und die nicht revidierende Mitangeklagte H. wegen mehrerer Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz – unter anderem der Haupttat, zu der der Angeklagte Beihilfe geleistet haben soll – zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt.
- 2
- Die gegen seine Verurteilung gerichtete, auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils und zum Freispruch des Angeklagten.
I.
- 3
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts fuhr der Angeklagte die nicht revidierende Mitangeklagte H. am 17. April 2018 – beide befanden sich gerade auf dem Weg zu einem Operationstermin der Mitangeklagten in S. – zu einem verlassenen Gebäudekomplex in F. , in dem die Mitangeklagte am Vortag 590,88 Gramm Marihuana (Wirkstoffgehalt 12,3 % THC, Mindestwirkstoffmenge 72,67 Gramm) von einem Dealer erworben und dann dort versteckt hatte. Er begleitete die Mitangeklagte zu deren Schutz in das Gebäude, um ihr die Abholung des für den späteren Verkauf vorgesehenen Betäubungsmittels zu ermöglichen, und hätte dieses anschließend vereinbarungsgemäß für die Mitangeklagte bis zu deren Entlassung aus der Klinik in Verwahrung nehmen sollen. Da die Polizei das von der Mitangeklagten im Gebäude versteckte Betäubungsmittel bereits am Vortag sichergestellt hatte, konnten die Angeklagten dieses nicht mehr an sich bringen.
- 4
- 2. Das Landgericht hat im Rahmen der Beweiswürdigung hinsichtlich der Tatbeteiligung des Angeklagten – dieser hat von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht – zunächst konstatiert, dass sich keine unmittelbaren Hinweise auf die „Täterschaft“ des Angeklagten „mit Ausnahme der DNA Spur des Angeklagten auf einer der Zippverschlusstüten“ ergeben hätten; die Mitangeklagte habe versucht, den Angeklagten zu entlasten, und keiner der Zeugen habe den Angeklagten zweifelsfrei identifizieren können. Auch die polizeilichen Ermittlun- gen hätten „keine greifbaren Anhaltspunkte“ für eine Beteiligung des Angeklag- ten an der konkreten Tat ergeben (III.2.2. der Urteilsgründe, UA S. 19). Unter III.2.3. der Urteilsgründe (UA S. 24) hat das Landgericht zur Begründung der Ablehnung von Hilfsbeweisanträgen ausgeführt, dass es aus der DNA des Angeklagten auf einem der Zippverschlussbeutel keine Rückschlüsse auf dessen „Täterschaft“ ziehe, weil unklar sei, wie die DNA auf diesen gelangt sei.
- 5
- Seine Überzeugung von der Tatbeteiligung des Angeklagten – namentlich dessen Gehilfenvorsatz – hat das Landgericht auf verschiedene Indizien gestützt, insbesondere auf die persönliche Beziehung des Angeklagten zur Mitangeklagten und seine Kenntnis von deren Lebensumständen, dessen eigene Erfahrung im Bereich des Betäubungsmittelhandels, das aus dem Lichtbildmaterial erkennbare Bewegungsbild der Angeklagten bei der Annäherung an das verlassene Gebäude sowie den Umstand, dass die Mitangeklagte Unterstützung bei der Abholung und Verwahrung der Betäubungsmittel habe gebrauchen können.
II.
- 6
- Das landgerichtliche Urteil hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 7
- 1. Der Schuldspruch wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist nicht von einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung getragen.
- 8
- a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 21. August 2019 – 1 StR 218/19 Rn. 8 und vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14 Rn. 9 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen , wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14 Rn. 8). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16 Rn. 20 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16 Rn. 9). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen ergeben , dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96 Rn. 9; Urteil vom 27. April 2017 – 4 StR 434/16 Rn. 8).
- 9
- b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts wird diesen Maßgaben nicht gerecht.
- 10
- aa) Die vom Landgericht für seine Beweiswürdigung herangezogenen Indizien stellen keine tragfähige Tatsachengrundlage für die Annahme dar, der Angeklagte habe die Mitangeklagte wissentlich und willentlich bei der Abholung der Betäubungsmittel zwecks Aufbewahrung bis zu deren Entlassung aus der Klinik unterstützt. Sie sind weder jeweils für sich betrachtet noch in ihrer Gesamtheit geeignet, den Schuldspruch zu tragen, weil sich aus ihnen kein belastbarer Anhaltspunkt dafür ergibt, dass der Angeklagte wenigstens eine ungefähre Vorstellung von der Haupttat der Mitangeklagten hatte (vgl. BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – 3 StR 236/17 Rn. 96 mwN), und sich daher die vom Landgericht aus ihnen gezogene Schlussfolgerung auf eine vorsätzliche Förderung der Haupttat der Mitangeklagten durch den Angeklagten als bloße Vermutung erweist. Es ist nicht mehr als die bloße Anwesenheit des Angeklagten am irrtümlich angenommenen Aufbewahrungsort der Betäubungsmittel belegt.
- 11
- bb) Bedenken begegnet die Beweiswürdigung aber auch deshalb, weil sie nicht frei von Widersprüchen ist. Die einleitende Feststellung des Landgerichts , dass es bis auf die DNA-Spur des Angeklagten an einer der im Drogenversteck aufgefundenen Zippverschlusstüten keine unmittelbaren Hinweise auf dessen „Täterschaft“ gebe, ist nicht mit der Begründung zur Ablehnung der Hilfsbeweisanträge in Einklang zu bringen, wonach die Strafkammer keine Rückschlüsse aus der DNA-Spur auf die „Täterschaft“ des Angeklagten ziehe (UA S. 24).
- 12
- 2. Die Verurteilung des Angeklagten kann danach keinen Bestand haben , ohne dass es noch darauf ankäme, ob das Verhalten des Angeklagten – hiergegen bestehen erhebliche Bedenken – nach Sicherstellung der Betäubungsmittel überhaupt noch als vollendete Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln zu werten sein kann (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 7. Februar 2008 – 5 StR 242/07 Rn. 12 ff.; aA Beschlüsse vom 28. Mai 2008 – 1 StR 196/08 und vom 9. Juli 1996 – 1 StR 71 StR 728/95 Rn. 12 mwN; offengelassen im Beschluss vom 27. Juni 2017 – 3 StR 218/17).
- 13
- Der Senat entscheidet durch Freispruch in der Sache selbst (§ 354 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 22. Januar 2008 – 5 StR 200/07 Rn. 8 mwN). Er schließt aus, dass in einer erneuten Hauptverhandlung Tatsachen festgestellt werden könnten, die geeignet wären, eine Verurteilung zu tragen, nachdem das Landgericht bereits alle Beweismittel ausgeschöpft und alle denkbaren Indizien in seine Beweiswürdigung eingestellt hat.
- 14
- 3. Aufgrund der Aufhebung des Urteils und des Freispruchs des Angeklagten ist über die Entschädigung des Angeklagten wegen der erlittenen Untersuchungshaft erneut zu befinden. Da es hierfür ergänzender tatrichterlicher Feststellungen – insbesondere zur genauen Dauer der Untersuchungshaft – bedarf, bleibt die Entscheidung dem Landgericht vorbehalten (§ 8 Abs. 1 StrEG; vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2012 – 5 StR 401/12 Rn. 12 mwN).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.
(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.
(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.
(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.
(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.
(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.
(1) Über die Verpflichtung zur Entschädigung entscheidet das Gericht in dem Urteil oder in dem Beschluß, der das Verfahren abschließt. Ist die Entscheidung in der Hauptverhandlung nicht möglich, so entscheidet das Gericht nach Anhörung der Beteiligten außerhalb der Hauptverhandlung durch Beschluß.
(2) Die Entscheidung muß die Art und gegebenenfalls den Zeitraum der Strafverfolgungsmaßnahme bezeichnen, für die Entschädigung zugesprochen wird.
(3) Gegen die Entscheidung über die Entschädigungspflicht ist auch im Falle der Unanfechtbarkeit der das Verfahren abschließenden Entscheidung die sofortige Beschwerde nach den Vorschriften der Strafprozeßordnung zulässig. § 464 Abs. 3 Satz 2 und 3 der Strafprozeßordnung ist entsprechend anzuwenden.