Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Aug. 2010 - 1 StR 410/10

published on 25/08/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Aug. 2010 - 1 StR 410/10
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Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 410/10
vom
25. August 2010
in der Strafsache
gegen
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
______________________________
Eine starke Erhöhung der Einsatzstrafe legt einen Rechtsfehler bei der Gesamtstrafenbildung
gemäß § 54 StGB nicht ohne weiteres nahe.
BGH, Beschluss vom 25. August 2010 - 1 StR 410/10 - LG Augsburg
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. August 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 22. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts
merkt der Senat an:
Entgegen dem Revisionsvorbringen erfolgte die Bildung der Gesamtstrafe
gemäß § 54 StGB ohne Rechtsfehler. Der Tatrichter war nicht gehindert, die
verwirkte höchste Einzelstrafe (zwei Jahre) auf sechs Jahre und neun Monate
zu erhöhen.
1. Die Bemessung der Gesamtstrafe ist im Wege einer Gesamtschau
des Unrechtsgehalts und des Schuldumfangs vorzunehmen. Erforderlich ist bei
der Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 1 StGB ein eigenständiger Zumessungsakt
(vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2008 - 3 StR 485/08). Der
Summe der Einzelstrafen kommt nur ein geringes Gewicht zu, maßgeblich ist
die angemessene Erhöhung der Einsatzstrafe unter zusammenfassender Würdigung
der Person des Täters und der einzelnen Straftaten (§ 54 Abs. 1 Satz 3
StGB). Die Erhöhung der Einsatzstrafe kann geringer ausfallen, wenn zwischen
den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang
besteht. Die wiederholte Begehung gleichartiger Taten kann der Ausdruck
einer niedriger werdenden Hemmschwelle sein. Andererseits kann hierin je
nach den Umständen des Einzelfalles ein Indiz für eine besondere kriminelle
Energie (§ 46 Abs. 2 StGB) gesehen werden. Denn aus hartnäckiger Tatwiederholung
in schneller Folge können sich durchaus gesamtstrafen-schärfende
Umstände ergeben (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 54 Rn. 10). Gerade bei Sexualdelikten
wird die Milderungsmöglichkeit der sinkenden Hemmschwelle
durch den ständigen Druck ausgeglichen, dem das Opfer dadurch ausgesetzt
ist, dass es jederzeit mit einer neuen Tat rechnen muss (vgl. Schäfer/
Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 664).
An die Begründung der Gesamtstrafenhöhe sind umso höhere Anforderungen
zu stellen, je mehr sich die Strafe der oberen oder unteren Grenze des
Zulässigen nähert. Eine starke Erhöhung der Einsatzstrafe bedarf dann besonderer
Begründung, wenn sich diese nicht aus den fehlerfrei getroffenen Feststellungen
von selbst ergibt. Da eine "Mathematisierung" der Strafzumessung
fremd ist, kann - anders als der Revisionsführer meint - kein Rechtsfehler allein
darin gesehen werden, dass die Einsatzstrafe mehr als verdreifacht wurde (vgl.
hierzu Fischer, aaO, § 54 Rn. 7a). Derartige Überlegungen finden im Gesetz
keine Stütze. Der Tatrichter kann auch nicht dazu gezwungen werden, eine
schuldunangemessene erhöhte Einsatzstrafe festzusetzen, um die rechtsfehlerfreie
Verhängung einer tat- und schuldangemessenen Gesamtstrafe zu ermöglichen
(vgl. auch BGHR StGB § 54 Strafhöhe 1).
Das Revisionsgericht hat nur auf Rechtsfehler einzugreifen. Diese können
insbesondere dann vorliegen, wenn die Gesamtstrafe sich nicht innerhalb
des gesetzlichen Strafrahmens befindet oder die gebotene Begründung für die
Gesamtstrafe fehlt, oder wenn die Besorgnis besteht, der Tatrichter habe sich
von der Summe der Einzelstrafen leiten lassen (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss
vom 3. Februar 1999 - 2 StR 678/98 - mwN). Denn eine ungewöhnlich hohe
Divergenz zwischen Einsatzstrafe und Gesamtstrafe kann (jedenfalls beim Fehlen
einer tragfähigen Begründung) die Besorgnis begründen, dass das Gericht
sich in zu starkem Maße von der Summe der Einzelstrafen hat leiten lassen
(vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 661 mwN).
2. Solche Rechtsfehler sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Tatrichter
hat die Erhöhung der Einsatzstrafe nicht nur durch zulässige (vgl. u.a.
BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 1, 4) Bezugnahme auf die den Einzelstrafen
zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen begründet. Er hat vielmehr
zusätzlich einerseits auf "die Sexualstraftaten im sozialen Nahraum innewohnende
Wiederholungsdynamik" abgestellt und andererseits auf das "Gesamtgewicht
der Taten". Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gerade das
Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts hat nach dem Beschluss des
Großen Senats für Strafsachen zur fortgesetzten Handlung bei der Gesamtstrafenbildung
besondere Bedeutung erlangt. Dies gilt vor allem bei Sexualstraftaten
, wo die insbesondere psychischen Folgen beim Opfer einzelnen Taten nur
schwer zugeordnet werden können, aber in ihrem Gesamtgewicht als Ergebnis
aller Einzeltaten sicher feststehen (vgl. BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 3
mwN). In diesen Fällen ist ohnehin nicht die Zahl der Taten, sondern die durch
die Taten erfolgte Beeinträchtigung des Opfers maßgeblicher Strafzumessungsgrund
(vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 664).
Im Übrigen ergibt sich hier aus den fehlerfrei getroffenen Feststellungen,
dass der Angeklagte weit über 100 erhebliche Sexualstraftaten an zwei verschiedenen
Opfern begangen hat, wobei "beide Stieftöchter den erlebten Missbrauch
psychisch noch nicht verarbeiten konnten" (UA S. 49). Grundsätzlich
lässt nicht jede deutliche Erhöhung der Einsatzstrafe besorgen, der Tatrichter
habe sich rechtsfehlerhaft (vgl. hierzu BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 12)
bei Bemessung der Gesamtstrafe an der Obergrenze des Strafrahmens oder
gar an der Summe der Einzelstrafen orientiert. Im vorliegenden Fall ist diese
Besorgnis ohnehin fern liegend. Der Tatrichter hat sich bei der Festsetzung der
Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten ersichtlich nicht von
der Obergrenze des Strafrahmens (15 Jahre; § 54 Abs. 2 StGB) oder gar der
Summe der Einzelstrafen (über 130 Jahre) leiten lassen.
Nack Wahl Rothfuß
Jäger Sander
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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Annotations

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

(1) Ist eine der Einzelstrafen eine lebenslange Freiheitsstrafe, so wird als Gesamtstrafe auf lebenslange Freiheitsstrafe erkannt. In allen übrigen Fällen wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe, bei Strafen verschiedener Art durch Erhöhung der ihrer Art nach schwersten Strafe gebildet. Dabei werden die Person des Täters und die einzelnen Straftaten zusammenfassend gewürdigt.

(2) Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafen nicht erreichen. Sie darf bei zeitigen Freiheitsstrafen fünfzehn Jahre und bei Geldstrafe siebenhundertzwanzig Tagessätze nicht übersteigen.

(3) Ist eine Gesamtstrafe aus Freiheits- und Geldstrafe zu bilden, so entspricht bei der Bestimmung der Summe der Einzelstrafen ein Tagessatz einem Tag Freiheitsstrafe.