Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Aug. 2017 - 1 StR 269/17
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 3. auf dessen Antrag – am 23. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Erwerb von Betäubungsmitteln und mit vorsätzlichem Besitz einer verbotenen Waffe zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt sowie eine Einziehungs- und eine Verfallsentscheidung getroffen.
- 2
- Hiergegen richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
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- Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 4
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 6) begann der Angeklagte nach eigenen Angaben im Alter von 15/16 Jahren mit dem Konsum von Cannabis, steigerte diesen und ergänzte ihn später durch den Konsum von Alkohol und anderen Stimulanzien. Vor der Festnahme im vorliegenden Verfahren konsumierte er Cannabis und Amphetamin in nicht genau feststellbaren Mengen. Bei dem Angeklagten liegt weder eine Abhängigkeitserkrankung noch eine rauschmittelbedingte Persönlichkeitsveränderung vor. Der Betäubungsmittelkonsum hat – so die Feststellungen des Landgerichts – das psychische und soziale Leistungsvermögen des Angeklagten nicht eingeschränkt und nicht zu einer Gesundheitsgefährdung geführt.
- 5
- Hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Tat hat das Landgericht festgestellt, dass diese auch dazu dienen sollte, den Eigenkonsum des Ange- klagten „in der Größenordnung von bis zu einem Gramm pro Tag“ zu finanzie- ren (UA S. 10).
- 6
- Ohne weitergehende Anknüpfungstatsachen und Ausführungen des gerichtlich beauftragten Sachverständigen mitzuteilen, geht die Kammer im Rahmen der Ausführungen zu den Voraussetzungen für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt davon aus, dass bei dem nicht betäubungsmittelabhängigen Angeklagten ein Hang, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen , nicht festzustellen sei. Es hätten sich – wie im Rahmen der Ausführungen zum Betäubungsmittelkonsum und zur Schuldfähigkeit des Angeklagten dargestellt – keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Angeklagte aufgrund einer psychischen Abhängigkeit von Marihuana oder anderer Betäubungsmittel sozial gefährdet oder gefährlich sein könnte (UA S. 22 f.).
- 7
- 2. Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB im Hinblick auf den Konsum von Marihuana ausgegangen ist. Sie enthalten zudem keine umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel.
- 8
- Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16, StV 2017, 672 und vom 14. Juni2016 – 1 StR 219/16, BGHR StGB § 64 Hang 4; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai2014 – 3 StR 386/13, NStZ- RR 2014, 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April2015 – 3 StR 103/15).
- 9
- Diesem Maßstab genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht. Das Landgericht hätte sich nicht damit begnügen dürfen, allein darauf abzustellen , ob der Angeklagte aufgrund einer psychischen Abhängigkeit von Marihuana oder anderer Betäubungsmittel sozial gefährdet oder gefährlich sein könnte. Es hätte vielmehr auch prüfen müssen, ob eine durch Übung erworbene Neigung , immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, vorliegt, wobei es insbesondere die lange Konsumdauer, die Vorahndungen des Angeklagten wegen Betäubungsmitteldelikten , die (auch) dem Eigenkonsum dienten, den Aufenthalt im Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim im Jahr 2013 zur Entgiftung im Hinblick auf eine dort angenommene Abhängigkeit von Cannabis (UA S. 18) und die Passivität des Angeklagten mit einem überwiegenden Verbleib in der Wohnung (UA S. 18) in den Blick hätte nehmen müssen. Hinzu kommt, dass die Feststellungen des Landgerichts zum Umfang des Betäubungsmittelkonsums nicht widerspruchsfrei sind (UA S. 6 und 10).
- 10
- 3. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt – gegebenenfalls ergänzend unter Hinzuziehung eines weiteren Sachverständigen – neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschluss vom 19. Dezember 2007 – 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107); er hat die Nichtanordnung des § 64 StGB auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen.
- 11
- 4. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist im vorliegenden Fall auszuschließen, dass das Landgericht bei einer Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine niedrigere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Raum Cirener Radtke Bär Hohoff
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Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.