Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2016 - 1 StR 219/16

ECLI: ECLI:DE:BGH:2016:140616B1STR219.16.0
published on 14/06/2016 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2016 - 1 StR 219/16
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 219/16
vom
14. Juni 2016
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in
nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:140616B1STR219.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 1.b) und 2. auf dessen Antrag – am 14. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Würzburg vom 14. Januar 2016 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch,
b) soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es aus den Gründen der Antragsschrift der Generalbundesanwalt vom 11. Mai 2016 unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
Die Nichtanordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Dies führt auch zur Aufhebung des Strafausspruchs.
4
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 3/4) konsumierte der Angeklagte erstmals mit 15 Jahren Cannabis. Während dieser Konsum anfänglich nur gelegentlich erfolgte, erhöhte er sich bis Februar 2015 auf zwei Gramm täglich und steigerte sich in der Folge bis zur Inhaftierung des Angeklagten sogar auf ungefähr das Doppelte der bisherigen Tagesdosis. Das Landgericht geht deshalb auch davon aus, dass dreihundert Gramm des an den Angeklagten gelieferten Marihuanas aus der verfahrensgegenständlichen Tat seinem Eigenkonsum dienen sollten und stellt dazu fest (UA S. 7): „Der An- geklagte beging die Tat auch, um seinen eigenen Marihuanakonsum zu för- dern.“
5
Ohne weitergehende Anknüpfungstatsachen und Ausführungen der gerichtlich beauftragten Sachverständigen mitzuteilen, geht das Landgericht (UA S. 13) im Rahmen der Ausführungen zum Maßregelausspruch im Folgenden aber davon aus, dass bei dem Angeklagten weder eine körperliche noch ein psychische Abhängigkeit von Cannabinoiden gegeben sei, so dass es bereits an einem Hang fehle, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Zur weiteren Begründung verweist das Landgericht hier vor allem noch darauf, dass der Angeklagte seinen Betäubungsmittelkonsum kontrollieren könne, indem er vor wichtigen Terminen vom Konsum von Cannabinoiden abgesehen bzw. diesen reduziert habe.
6
2. Diese Ausführungen lassen – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat – besorgen, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist, und enthalten keine umfassende und widerspruchsfreie Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls bei der Entscheidung über die Maßregel.
7
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung eine eingewurzelte , auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15). Ebenso wenig steht die Tatsache, dass ein Angeklagter kurzzeitig in der Lage war, seinen Rauschmittelkonsum zu verringern oder einzustellen, dem Vorliegen eines Hanges entgegen (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271 und Beschluss vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204).

8
b) Diesen Anforderungen genügen die Ausführungen des Landgerichts nicht, weil es weder die lange Konsumdauer noch die konsumierte Menge im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung in den Blick nimmt.
9
Hinzu kommt, dass auch die Schlussfolgerungen des Landgerichts, die sich überwiegend auf die Einschätzung der psychiatrischen Sachverständigen stützen, auf der Grundlage der Darstellungen im Urteil nicht uneingeschränkt nachvollziehbar sind. In Ermangelung einer nachvollziehbaren Darstellung der den sachverständigen Wertungen zu Grunde liegenden Anknüpfungstatsachen bleibt weitgehend unklar, wie die Sachverständige zu den von ihr gezogenen Schlüssen gelangt ist. Dies gilt vor allem für die Wertung, bei dem Angeklagten sei zwar ein Verlangen, nicht aber eine Art Zwang oder starker Wunsch nach Cannabis auszumachen. Zudem bleibt unklar, warum das Gericht hinsichtlich der Frage, ob bei dem Angeklagten ein schädlicher Gebrauch von Cannabis vorhanden ist, von den insoweit verneinenden Ausführungen der Sachverständigen ohne weitere Begründung abgewichen ist (siehe einerseits UA S. 9, andererseits UA S. 13).
10
3. Die rechtsfehlerhaften Ausführungen zur Rauschmittelabhängigkeit berühren auch den Strafausspruch. Der Senat kann im vorliegendenEinzelfall nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Freiheitsstrafe erkannt hätte und hebt deshalb den Strafausspruch ebenfalls auf.
11
4. Die zugehörigen Feststellungen werden mit aufgehoben, um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie neue Feststellungen zu ermöglichen. Raum Graf Jäger Mosbacher Bär
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.