Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Apr. 2004 - 1 StR 14/04
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Der Angeklagte hat mit Schreiben vom 25. November 2003 - eingegangen beim Landgericht am 28. November 2003 - gebeten, ihm "das Recht zu geben, um Einspruch einzulegen". Er habe angenommen, eine Woche Zeit zu haben, um "Widerspruch" einzulegen. Seine Emotionen seien ihm "über den Kopf gestiegen", so daß er nicht alles verstanden habe. Dieses Schreiben ist als Einlegung der Revision auszulegen. Das Rechtsmittel ist unzulässig. Der Generalbundesanwalt hat hierzu in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt:
"Die Revision ist unzulässig, weil Rechtsanwalt M. als Verteidiger des Angeklagten sowie der Angeklagte selbst ausweislich des beweiskräftigen Protokolls der Hauptverhandlung (§ 274 StPO) im Anschluss an die Verkündung des Urteils auf Rechtsmittel verzichtet haben (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO; Bl. 512 d.A.). Umstände, die Zweifel an der Wirksamkeit des Verzichts begründen könnten, bestehen nicht. Der Angeklagte macht mit seinem Vorbringen, ihm seien die Emotionen über den Kopf gestiegen, so dass er nicht alles verstanden habe (Bl. 541 d.A.), geltend, zum Zeitpunkt der Verzichtserklärung verhandlungsunfähig gewesen zu sein. Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit, in oder außerhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger Weise zu führen, Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen (Pfeiffer in KK 5. Aufl. Einl. Rdn. 26 m.w.N.). Sie wird in der Regel nur durch schwere körperliche oder seelische Mängel ausgeschlossen; auf die Geschäftsfähigkeit im Sinne des bürgerlichen Rechts kommt es nicht an (BGH NStZ 1983, 280; BGH bei Kusch NStZ 1997, 378; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 3, 16). Ob Verhandlungsunfähigkeit in diesem Sinne vorliegt, ist im Wege des Freibeweises zu prüfen ; der Grundsatz 'in dubio pro reo' gilt hier nicht (BGH a.a.O.). Ein solcher Ausnahmefall liegt schon nach dem Vorbringen des Angeklagten nicht vor, weil allein die Tatsache, dass er zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärung emotional aufgewühlt war, nicht in Frage stellt, dass er sich der Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung bewusst war. Auch aus dem Protokoll der Hauptverhandlung ergibt sich kein Hinweis darauf, dass Bedenken gegen die Verhandlungsfähigkeit des
Angeklagten bestanden haben. Er hat während der eintägigen Verhandlung aktiv an der Verhandlung teilgenommen und Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen gemacht (Bl. 505 d.A.). Nach der Erklärung des Vorsitzenden, dass die Kammer für den Fall eines Geständnisses auf keine höhere Gesamtstrafe als zwei Jahre und drei Monate erkennen werde, hat der Verteidiger nach einer Besprechung mit dem Angeklagten erklärt, dass dieser mit der Vorgehensweise einverstanden sei und eine Erklärung für ihn abgegeben (Bl. 506 d.A.). Den Rechtsmittelverzicht hat der Angeklagte nach Erteilung einer Rechtsmittelbelehrung erklärt. Die Erklärung wurde vorgelesen und genehmigt (Bl. 512 d.A.). Wenn das Landgericht danach keinen Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten hatte und solche auch von der Verteidigung nicht geltend gemacht worden sind, so kann diese grundsätzlich auch vom Revisionsgericht ohne Bedenken bejaht werden (vgl. BGH NStZ 1984, 181; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 16). Ein Rechtsmittelverzicht ist grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2002, 114 m.w.N.). Infolge des wirksamen Verzichts ist das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 20. November 2003 in Rechtskraft erwachsen. Die dagegen eingelegte Revision ist somit nach § 349 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen."
Dem tritt der Senat bei. Boetticher Schluckebier Kolz Elf Graf
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Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.