Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Juli 2014 - 2 BGs 255/14
Gericht
Tenor
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Der Bescheid der Justizvollzugsanstalt Moabit vom 28. Mai 2014, mit welchem der Antrag des Beschuldigten vom 19. Mai 2014 auf Gewährung verlängerter Besuchszeiten abgelehnt worden ist, wird aufgehoben.
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Die Justizvollzugsanstalt Moabit wird verpflichtet, über den vorgenannten Antrag des Beschuldigten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Gründe
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Der Beschuldigte befindet sich aufgrund Haftbefehls des Ermittlungsrichters des Bundesgerichtshofs vom 28. März 2014 (2 BGs 103/14) - in der Fassung der Beschwerdeentscheidung des Bundesgerichtshofs vom 2. Juli 2014 (StB 8/14) - seit 31. März 2014 im Vollzug der Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Moabit. Mit Schreiben vom 19. Mai 2014 beantragte der Beschuldigte unter Verweis auf seine sechs Kinder und die unmittelbar bevorstehende Geburt eines weiteren Kindes die Gewährung verlängerter Besuchszeiten für Besuche seiner Familie. Diesem Antrag hat die Justizvollzugsanstalt mit Bescheid vom 28. Mai 2014 nicht entsprochen. Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung wendet sich der Beschuldigte gegen die ablehnende Entscheidung der Justizvollzugsanstalt. Der zulässige Rechtsbehelf führt in der Sache zur Aufhebung des angefochtenen Bescheids und Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt zur Neubescheidung.
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1. Der Antrag des Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig. Mit dem Rechtsbehelf nach § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO kann auch die Ablehnung einer vom Untersuchungsgefangenen begehrten Regelung oder Maßnahme durch die Vollzugsanstalt zur gerichtlichen Überprüfung gestellt werden (vgl. OLG Stuttgart, Die Justiz 2011, 184; OLG Köln, NStZ-RR 2013, 285; Schultheis in KK-StPO, 7. Aufl., § 119a Rdn. 9; Wankel in KMR (Stand: Juli 2011), § 119a Rdn. 1; Herrmann in Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, § 119a Rdn. 11; Wiesneth, Die Untersuchungshaft, 2010, Rdn. 393; a.A. Grube, StV 2013, 534, 537; Paeffgen im SK-StPO, 4. Aufl., § 119a Rdn. 18a). Dies folgt bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, da es sich auch bei einem den Antrag eines Untersuchungsgefangenen ablehnenden Bescheid der Vollzugsanstalt um eine behördliche Entscheidung im Untersuchungshaftvollzug handelt. Für die Statthaftigkeit eines Verpflichtungsbegehrens im Rahmen des § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO sprechen ferner die Intentionen des Gesetzgebers, der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch die Schaffung eines praxisgerechten Rechtsbehelfs gegen Entscheidungen und Maßnahmen der Vollzugsanstalt jenseits des aufwändigen Verfahrens nach den §§ 23 ff. EGGVG vor den Oberlandesgerichten Rechnung zu tragen (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Gesetz zur Änderung des Untersuchungshaftrechts, BT-Drucks. 16/11644, S. 31), als auch das systematische Verhältnis zu der Regelung des § 119a Abs. 1 Satz 2 StPO, wonach im Wege des Vornahmeantrags die Verpflichtung der Vollzugsanstalt zur Bescheidung eines Antrags des Untersuchungsgefangenen geltend gemacht werden kann. Nach der Gesetzesbegründung zu § 119a Abs. 1 Satz 2 StPO soll die Möglichkeit eines Vornahmeantrags die zeitnahe Bescheidung gestellter Anträge gerade deshalb gewährleisten, weil der Betroffene ohne eine Entscheidung der Vollzugsanstalt den Rechtsweg nach § 119a Abs. 1 Satz 1 StPO nicht verfolgen kann (BT-Drucks. 16/11644, S. 32).
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2. Der Antrag des Beschuldigten auf gerichtliche Entscheidung hat in der Sache Erfolg. Der Bescheid der Justizvollzugsanstalt Moabit vom 28. Mai 2014 ist nicht frei von Ermessensfehlern und verletzt daher den Beschuldigten in seinen Rechten.
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Nach § 33 Abs. 1 UVollzG Berlin dürfen Untersuchungsgefangene Besuch empfangen, wobei die Gesamtdauer mindestens zwei Stunden im Monat beträgt. Während diese Regelung den Untersuchungsgefangenen einen Anspruch auf zwei Stunden Besuchsdauer im Monat einräumt, steht die Gewährung darüber hinausgehender Besuchszeiten im Ermessen der Vollzugsanstalt. Insoweit besitzt der Untersuchungsgefangene lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung. Im Rahmen der von ihr zu treffenden Ermessensentscheidung hat die Vollzugsanstalt die familiäre Situation des Betroffenen zu berücksichtigen. § 33 Abs. 2 UVollzG Berlin sieht in diesem Zusammenhang vor, dass die Kontakte der Untersuchungsgefangenen zu ihren Angehörigen im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 1 StGB, insbesondere zu ihren minderjährigen Kindern, besonders gefördert werden. Diese gesetzliche Regelung ist Ausfluss des in Art. 6 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten besonderen Schutzes der staatlichen Ordnung für Ehe und Familie, dem auch im Haftvollzug erhebliche Bedeutung zukommt. Danach ist es Aufgabe des Staates, in Erfüllung seiner verfassungsrechtlichen Pflicht, für die Erhaltung von Ehe und Familie zu sorgen, nachteilige Auswirkungen des Freiheitsentzugs im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren, aber auch unter angemessener Beachtung der Belange der Allgemeinheit zu begrenzen (vgl. BVerfGE 42, 95; BVerfG NStZ 1994, 604, 605).
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Den sich aus § 33 Abs. 2 UVollzG Berlin i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG ergebenden Anforderungen wird der Bescheid der Justizvollzugsanstalt Moabit vom 28. Mai 2014 nicht gerecht. Die Justizvollzugsanstalt setzt sich im Rahmen ihrer Ermessensausübung mit der besonderen familiären Situation des Beschuldigten, die dadurch gekennzeichnet ist, dass er sechs minderjährige Kinder im Alter von drei bis 14 Jahren hat und zum damaligen Zeitpunkt die Geburt eines weiteren Kindes unmittelbar bevorstand, nicht in Ansätzen auseinander. Die Frage, wie sich ein Festhalten an der Mindestbesuchsdauer von zwei Stunden im Monat angesichts des Umstandes, dass der Einzelbesuch auf drei Besucher beschränkt ist, auf den nach § 33 Abs. 2 UVollzG Berlin besonders zu fördernden Kontakt des Beschuldigten zu seinen sechs (jetzt sieben) minderjährigen Kindern auswirkt, wird nicht in Blick genommen. Soweit die Justizvollzugsanstalt zur Begründung ihrer ablehnenden Entscheidung auf die räumlichen und personellen Kapazitäten in der Anstalt verweist, ohne dies allerdings im Bescheid vom 28. Mai 2014 oder im Verfahren nach § 119a Abs. 1 StPO auf gerichtliche Anfrage in tatsächlicher Hinsicht im Einzelnen nachvollziehbar darzutun, hat sie die erforderliche Prüfung unterlassen, ob die angemessen zu beachtenden Belange der Allgemeinheit im vorliegenden Einzelfall eine Erweiterung der Besuchszeit zulassen (vgl. BVerfG NStZ 1994, 604, 605). Dass die Vollzugsanstalt nicht so ausgestattet ist, wie es zur Wahrung des in Art. 6 Abs. 1 GG normierten Schutzauftrages erforderlich wäre, kann dem Beschuldigten nicht entgegengehalten werden (vgl. BVerfG StV 2008, 30; NStZ 1994, 604, 605).
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Der den Antrag des Beschuldigten auf Gewährung verlängerter Besuchszeiten ablehnende Bescheid der Justizvollzugsanstalt Moabit vom 28. Mai 2014 kann daher keinen Bestand haben. Mangels Spruchreife wird die Justizvollzugsanstalt Moabit verpflichtet, über den Antrag des Beschuldigten unter Beachtung der dargelegten Rechtsauffassung erneut zu entscheiden.
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Bender
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Richter am Bundesgerichtshof
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(1) Gegen eine behördliche Entscheidung oder Maßnahme im Untersuchungshaftvollzug kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Eine gerichtliche Entscheidung kann zudem beantragt werden, wenn eine im Untersuchungshaftvollzug beantragte behördliche Entscheidung nicht innerhalb von drei Wochen ergangen ist.
(2) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.
(3) Gegen die Entscheidung des Gerichts kann auch die für die vollzugliche Entscheidung oder Maßnahme zuständige Stelle Beschwerde erheben.
(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.
(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.
(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.
(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.
(1) Gegen eine behördliche Entscheidung oder Maßnahme im Untersuchungshaftvollzug kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Eine gerichtliche Entscheidung kann zudem beantragt werden, wenn eine im Untersuchungshaftvollzug beantragte behördliche Entscheidung nicht innerhalb von drei Wochen ergangen ist.
(2) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.
(3) Gegen die Entscheidung des Gerichts kann auch die für die vollzugliche Entscheidung oder Maßnahme zuständige Stelle Beschwerde erheben.
(1) Im Sinne dieses Gesetzes ist
- 1.
Angehöriger: wer zu den folgenden Personen gehört: - a)
Verwandte und Verschwägerte gerader Linie, der Ehegatte, der Lebenspartner, der Verlobte, Geschwister, Ehegatten oder Lebenspartner der Geschwister, Geschwister der Ehegatten oder Lebenspartner, und zwar auch dann, wenn die Ehe oder die Lebenspartnerschaft, welche die Beziehung begründet hat, nicht mehr besteht oder wenn die Verwandtschaft oder Schwägerschaft erloschen ist, - b)
Pflegeeltern und Pflegekinder;
- 2.
Amtsträger: wer nach deutschem Recht - a)
Beamter oder Richter ist, - b)
in einem sonstigen öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht oder - c)
sonst dazu bestellt ist, bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle oder in deren Auftrag Aufgaben der öffentlichen Verwaltung unbeschadet der zur Aufgabenerfüllung gewählten Organisationsform wahrzunehmen;
- 2a.
Europäischer Amtsträger: wer - a)
Mitglied der Europäischen Kommission, der Europäischen Zentralbank, des Rechnungshofs oder eines Gerichts der Europäischen Union ist, - b)
Beamter oder sonstiger Bediensteter der Europäischen Union oder einer auf der Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung ist oder - c)
mit der Wahrnehmung von Aufgaben der Europäischen Union oder von Aufgaben einer auf der Grundlage des Rechts der Europäischen Union geschaffenen Einrichtung beauftragt ist;
- 3.
Richter: wer nach deutschem Recht Berufsrichter oder ehrenamtlicher Richter ist; - 4.
für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteter: wer, ohne Amtsträger zu sein, - a)
bei einer Behörde oder bei einer sonstigen Stelle, die Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt, oder - b)
bei einem Verband oder sonstigen Zusammenschluß, Betrieb oder Unternehmen, die für eine Behörde oder für eine sonstige Stelle Aufgaben der öffentlichen Verwaltung ausführen,
beschäftigt oder für sie tätig und auf die gewissenhafte Erfüllung seiner Obliegenheiten auf Grund eines Gesetzes förmlich verpflichtet ist; - 5.
rechtswidrige Tat: nur eine solche, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht; - 6.
Unternehmen einer Tat: deren Versuch und deren Vollendung; - 7.
Behörde: auch ein Gericht; - 8.
Maßnahme: jede Maßregel der Besserung und Sicherung, die Einziehung und die Unbrauchbarmachung; - 9.
Entgelt: jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung.
(2) Vorsätzlich im Sinne dieses Gesetzes ist eine Tat auch dann, wenn sie einen gesetzlichen Tatbestand verwirklicht, der hinsichtlich der Handlung Vorsatz voraussetzt, hinsichtlich einer dadurch verursachten besonderen Folge jedoch Fahrlässigkeit ausreichen läßt.
(3) Inhalte im Sinne der Vorschriften, die auf diesen Absatz verweisen, sind solche, die in Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.
(1) Gegen eine behördliche Entscheidung oder Maßnahme im Untersuchungshaftvollzug kann gerichtliche Entscheidung beantragt werden. Eine gerichtliche Entscheidung kann zudem beantragt werden, wenn eine im Untersuchungshaftvollzug beantragte behördliche Entscheidung nicht innerhalb von drei Wochen ergangen ist.
(2) Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Gericht kann jedoch vorläufige Anordnungen treffen.
(3) Gegen die Entscheidung des Gerichts kann auch die für die vollzugliche Entscheidung oder Maßnahme zuständige Stelle Beschwerde erheben.
(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.
(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.
(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.
(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.
(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.