Bundesfinanzhof Beschluss, 23. Aug. 2011 - VII B 8/11
Gericht
Tatbestand
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I. Über das Vermögen der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) wurde in 2002 das Insolvenzverfahren eröffnet. Ihren bisherigen Gewerbebetrieb meldete die Klägerin daraufhin ab, gründete aber mit Zustimmung des Insolvenzverwalters ein neues Unternehmen. Der Insolvenzverwalter gab gegenüber dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) an, dass die Klägerin über die Einnahmen aus ihrer neuen selbstständigen Tätigkeit verfügen könne, da eine Abtretung für die den Pfändungsfreibetrag übersteigenden Beträge vorliege. Außerdem erklärte er sowohl dem FA als auch der Klägerin, dass es sich bei dem neuen Gewerbebetrieb um insolvenzfreies Vermögen handele.
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Aus den die neue selbstständige Tätigkeit betreffenden Umsatzsteuervoranmeldungen für August und Oktober 2003 ergaben sich Erstattungsbeträge von insgesamt … €, die das FA mit Umsatzsteuerschulden der Klägerin aus ihrer Tätigkeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens verrechnete und worüber es auf Antrag der Klägerin einen entsprechenden Abrechnungsbescheid erteilte.
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Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) ab. Es urteilte, ein Aufrechnungsverbot habe nicht bestanden, weil die Erstattungsansprüche der Klägerin nicht zur Insolvenzmasse, sondern zum insolvenzfreien Vermögen der Klägerin gehörten. Zum einen habe die Klägerin keine zur Insolvenzmasse gehörenden Gegenstände für ihr neues Unternehmen verwendet, weil solche Gegenstände bereits frühzeitig vom Insolvenzverwalter verwertet gewesen seien. Außerdem habe dieser nach den von ihm abgegebenen Erklärungen den neuen Gewerbebetrieb der Klägerin bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens freigegeben. Damit sei dieser aus der Insolvenzmasse ausgeschieden mit der Folge, dass auch mit diesem Unternehmen erworbene Vermögensgegenstände und Forderungen nicht vom Insolvenzbeschlag erfasst worden seien.
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Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin, welche sie auf die Zulassungsgründe der Fortbildung des Rechts, der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) stützt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe z.T. nicht schlüssig dargelegt sind, wie es § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO verlangt, jedenfalls aber nicht vorliegen.
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1. Der beschließende Senat hat bereits entschieden, dass Steuererstattungsansprüche des Insolvenzschuldners, welche dieser im Rahmen einer aus dem Insolvenzbeschlag freigegebenen gewerblichen Tätigkeit erworben hat, nicht in die Insolvenzmasse fallen und somit keine insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbote einer vom Finanzamt erklärten Aufrechnung gegen solche Ansprüche mit vorinsolvenzlichen Steuerforderungen entgegenstehen (Senatsbeschluss vom 1. September 2010 VII R 35/08, BFHE 230, 490, BStBl II 2011, 336). Von jenem Fall unterscheidet sich der Streitfall nicht, weil das FG die Erklärungen des Insolvenzverwalters dahin gewürdigt hat, dass dieser das neue Unternehmen der Klägerin bereits zu Beginn des Insolvenzverfahrens freigegeben hatte, woraus das FG geschlossen hat, dass dieses Unternehmen sowie die mit diesem erworbenen Forderungen der Klägerin von Anfang an nicht zur Insolvenzmasse gehörten.
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Der Streitfall wirft auch keine weiteren, bisher nicht beantworteten Rechtsfragen auf, deren Klärung zur Fortbildung des Rechts erforderlich ist. Es erschließt sich nicht, weshalb das Vorliegen eines insolvenzrechtlichen Aufrechnungsverbots von der Frage abhängt, "was jetzt eigentlich eine Freigabe eines selbstständigen Gewerbebetriebs aus der Insolvenzmasse zivilrechtlich bewirkt und zu welchem Zeitpunkt". Soweit der Beschwerdebegründung sinngemäß die Auffassung zu entnehmen ist, dass die vom Insolvenzverwalter erklärte Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners wie eine Vorausabtretung künftiger, im Rahmen dieser neuen Tätigkeit erworbener Forderungen zu behandeln ist, diese Forderungen für eine logische Sekunde in die Insolvenzmasse fallen und damit in analoger Anwendung des § 401 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) mit dem Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) verbunden bleiben, ist dieser Ansicht nicht zu folgen, was keiner Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Forderungen, die während des Insolvenzverfahrens im Rahmen einer freigegebenen selbstständigen Tätigkeit erworben werden, sind dem Schuldner nicht vom Insolvenzverwalter im Voraus abgetreten. Vielmehr handelt es sich --ebenso wie bei außerhalb dieser selbstständigen Tätigkeit erworbenen Forderungen-- von Anfang an um solche des Schuldners, die keiner Abtretung von Seiten des Insolvenzverwalters bedürfen. Für die Frage, ob hinsichtlich solcher Forderungen ein von ihrem jeweiligen Schuldner zu beachtendes Aufrechnungsverbot gemäß § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO besteht, kommt es nur darauf an, ob die betreffenden Forderungen zur Insolvenzmasse gehören. Bei Forderungen, die im Rahmen einer vom Insolvenzverwalter freigegebenen selbstständigen Tätigkeit erworben werden, ist dies --wie sich aus dem vorgenannten Senatsbeschluss in BFHE 230, 490, BStBl II 2011, 336 ergibt-- nicht der Fall. Solche Forderungen unterliegen ebenso wenig dem Insolvenzbeschlag wie die für die selbstständige Tätigkeit freigegebenen Vermögensgegenstände des Insolvenzschuldners, ohne dass zuvor ein "Durchgangserwerb durch die Masse" stattfindet. Für eine analoge Anwendung der die rechtsgeschäftliche Übertragung von Forderungen betreffenden §§ 401 ff. BGB ist daher kein Raum.
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2. Die ordnungsgemäße Erhebung einer Divergenzrüge setzt voraus, dass der Beschwerdeführer tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits herausarbeitet und gegenüberstellt, um so eine Abweichung zu verdeutlichen (vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs vom 12. Juli 2002 II B 33/01, BFH/NV 2002, 1482, und vom 11. September 2003 X B 103/02, BFH/NV 2004, 180). Diesen Anforderungen wird die Beschwerde nicht gerecht. Im Übrigen ist eine Abweichung des FG-Urteils von den seitens der Beschwerde bezeichneten Urteilen des Bundesgerichtshofs auch nicht erkennbar. In keiner dieser Entscheidungen ist die Rede davon, dass die mit der Freigabe einer selbstständigen Tätigkeit des Insolvenzschuldners verbundene Freigabe der durch diese Tätigkeit erworbenen Forderungen im Wege der Vorausabtretung stattfindet oder dass solche Forderungen für eine logische Sekunde in die Insolvenzmasse fallen.
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3. Der geltend gemachte Verfahrensmangel einer Verletzung der dem FG von Amts wegen obliegenden Sachaufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) ist nicht schlüssig dargelegt. Die Beschwerde meint lediglich, dass das FG die Erklärungen des Insolvenzverwalters nicht als eindeutige Freigabe der selbstständigen Tätigkeit und der in diesem Rahmen erworbenen Forderungen hätte ansehen dürfen.
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(1) Gegen das Urteil des Finanzgerichts (§ 36 Nr. 1) steht den Beteiligten die Revision an den Bundesfinanzhof zu, wenn das Finanzgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Bundesfinanzhof sie zugelassen hat.
(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
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die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs erfordert oder - 3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
(3) Der Bundesfinanzhof ist an die Zulassung gebunden.
(1) Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden.
(2) Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Bundesfinanzhof einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder Abschrift des Urteils, gegen das Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht im Falle der elektronischen Beschwerdeeinlegung.
(3) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist bei dem Bundesfinanzhof einzureichen. In der Begründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 dargelegt werden. Die Begründungsfrist kann von dem Vorsitzenden auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag um einen weiteren Monat verlängert werden.
(4) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.
(5) Der Bundesfinanzhof entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch den Bundesfinanzhof wird das Urteil rechtskräftig.
(6) Liegen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann der Bundesfinanzhof in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(7) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt, wenn nicht der Bundesfinanzhof das angefochtene Urteil nach Absatz 6 aufhebt; der Einlegung einer Revision durch den Beschwerdeführer bedarf es nicht. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt für den Beschwerdeführer die Revisionsbegründungsfrist, für die übrigen Beteiligten die Revisions- und die Revisionsbegründungsfrist. Auf Satz 1 und 2 ist in dem Beschluss hinzuweisen.
(1) Mit der abgetretenen Forderung gehen die Hypotheken, Schiffshypotheken oder Pfandrechte, die für sie bestehen, sowie die Rechte aus einer für sie bestellten Bürgschaft auf den neuen Gläubiger über.
(2) Ein mit der Forderung für den Fall der Zwangsvollstreckung oder des Insolvenzverfahrens verbundenes Vorzugsrecht kann auch der neue Gläubiger geltend machen.
(1) Die Aufrechnung ist unzulässig,
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wenn ein Insolvenzgläubiger erst nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, - 2.
wenn ein Insolvenzgläubiger seine Forderung erst nach der Eröffnung des Verfahrens von einem anderen Gläubiger erworben hat, - 3.
wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat, - 4.
wenn ein Gläubiger, dessen Forderung aus dem freien Vermögen des Schuldners zu erfüllen ist, etwas zur Insolvenzmasse schuldet.
(2) Absatz 1 sowie § 95 Abs. 1 Satz 3 stehen nicht der Verfügung über Finanzsicherheiten im Sinne des § 1 Abs. 17 des Kreditwesengesetzes oder der Verrechnung von Ansprüchen und Leistungen aus Zahlungsaufträgen, Aufträgen zwischen Zahlungsdienstleistern oder zwischengeschalteten Stellen oder Aufträgen zur Übertragung von Wertpapieren entgegen, die in Systeme im Sinne des § 1 Abs. 16 des Kreditwesengesetzes eingebracht wurden, das der Ausführung solcher Verträge dient, sofern die Verrechnung spätestens am Tage der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt; ist der andere Teil ein Systembetreiber oder Teilnehmer in dem System, bestimmt sich der Tag der Eröffnung nach dem Geschäftstag im Sinne des § 1 Absatz 16b des Kreditwesengesetzes.
(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen. Die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Sie haben ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben und sich auf Anforderung des Gerichts zu den von den anderen Beteiligten vorgebrachten Tatsachen zu erklären. § 90 Abs. 2, § 93 Abs. 3 Satz 2, § 97, §§ 99, 100 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.
(2) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, dass Formfehler beseitigt, sachdienliche Anträge gestellt, unklare Anträge erläutert, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.
(3) Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der von der Finanzbehörde nach § 364b Abs. 1 der Abgabenordnung gesetzten Frist im Einspruchsverfahren oder im finanzgerichtlichen Verfahren vorgebracht werden, kann das Gericht zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden. § 79b Abs. 3 gilt entsprechend.
(4) Die Verpflichtung der Finanzbehörde zur Ermittlung des Sachverhalts (§§ 88, 89 Abs. 1 der Abgabenordnung) wird durch das finanzgerichtliche Verfahren nicht berührt.