Bundesfinanzhof Urteil, 07. Juli 2011 - V R 53/10
Gericht
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, wurde am 21. Juli 1997 von der M-GmbH und RH gegründet. Die M-GmbH war zu 51 v.H. und RH zu 49 v.H. beteiligt. Die Stimmrechte entsprachen den Beteiligungsverhältnissen. Alleiniger Geschäftsführer der Klägerin war RH; Geschäftsführer der M-GmbH waren BF und HH.
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Nach dem Gesellschaftsvertrag der Klägerin wurden Gesellschafterbeschlüsse mit einfacher Stimmenmehrheit gefasst. Bestellung, Abberufung und Entlastung von Geschäftsführern sowie der Abschluss, die Änderung und die Aufhebung von Anstellungsverträgen mit der Geschäftsführung bedurften der Zustimmung der beiden Gründungsgesellschafter.
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Am Tag ihrer Gründung schloss die Klägerin mit der M-GmbH einen Gewinnabführungsvertrag ab, der in einer Gesellschafterversammlung der Klägerin am 8. August 1997 bestätigt und notariell beurkundet wurde. Nach dem unter Bezugnahme auf das Aktiengesetz abgeschlossenen Vertrag hatte die Klägerin einen pauschalen Gewinnanteil an die M-GmbH abzuführen, die sich ihrerseits zu einer Verlustübernahme verpflichtete. Darüber hinaus verpflichtete sich die Klägerin, ihre Geschäfte nach den Weisungen der M-GmbH zu führen.
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Am 28. November 1997 vereinbarten die Klägerin und die M-GmbH eine "einheitliche Gestaltungsrichtlinie" ("Konzernrichtlinien") insbesondere für den Wareneinkauf nach Rahmenverträgen. Am 1. Dezember 1997 verpflichtete sich die Klägerin, der M-GmbH wöchentlich den nach Handel und Service getrennten Umsatz, den Wareneinkauf und die Kontostände zu melden.
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Nach einer am 16. Dezember 1997 vereinbarten Geschäftsordnung bedurften insbesondere der Erwerb und die Veräußerung von Anlagevermögen von mehr als 10.000 DM sowie der Abschluss, die Änderung und die Beendigung von Anstellungsverträgen mit einer Kündigungsfrist von mehr als 1 Jahr oder einem Jahresgehalt von mehr als 75.000 DM der Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Klägerin.
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Am 9. Januar 1998 wurde RH zum Prokuristen der M-GmbH bestellt. Am 29. April 1999 warf die M-GmbH der Klägerin vor, Einkaufsverträge vor Abschluss der Zentralverhandlungen abgeschlossen zu haben, und mahnte die Zahlung von "Managementvergütungen" für Leistungen der M-GmbH an die Klägerin an.
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Die Klägerin ging zunächst davon aus, dass sie umsatzsteuerrechtlich Organgesellschaft der M-GmbH sei. Die Organschaft endete unstreitig zum 30. Juni 1999. Demgegenüber ging der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) in den Umsatzsteuerbescheiden für die Streitjahre 1997 und 1998 vom 19. April 2000 und für das Streitjahr 1999 vom 27. Juli 2000 davon aus, dass von Anfang an keine Organschaft bestanden habe. Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
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Das Finanzgericht (FG) bestätigte das FA. Es fehle an der für die Organschaft erforderlichen organisatorischen Eingliederung. Hierfür reichten weder Weisungsrechte der M-GmbH noch Berichtspflichten noch eine Geschäftsordnung aus, da der Mehrheitsgesellschafter ein Letztentscheidungsrecht nicht verwirklichen könne, wenn einziger Geschäftsführer der Organgesellschaft der Minderheitsgesellschafter sei. Hieran habe sich auch durch die Prokuraerteilung für RH bei der M-GmbH nichts geändert, da die Geschäftsführerstellung des RH bei der Klägerin nicht auf seiner Stellung als Prokurist bei der M-GmbH beruht habe. Es habe eine "Pattsituation" zwischen den beiden Gesellschaftern der Klägerin bestanden, da die M-GmbH, selbst wenn sie RH als Geschäftsführer der Klägerin zumindest aus wichtigem Grund hätte abberufen können, einen neuen Geschäftsführer nur mit dessen Zustimmung habe bestellen können.
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Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 586 veröffentlicht.
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Ihre Revision stützt die Klägerin auf die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Sie sei Organgesellschaft der M-GmbH gewesen, da sie in diese auch organisatorisch eingegliedert sei. Hierfür komme es nicht zwingend auf eine vollständige Personenidentität der Vertretungsorgane an. Ihr Geschäftsführer RH sei Prokurist der M-GmbH gewesen. Es sei nur theoretisch möglich gewesen, dass RH seinen Interessen als Minderheitsgesellschafter Vorrang vor dem Willen des Organträgers einräumen konnte. Eine vom Willen des Organträgers abweichende Willensbildung sei auch durch die "Gestaltung der Beziehungen" verhindert worden. So sei der M-GmbH ein umfangreiches Informationsrecht eingeräumt worden. Sie sei teils zur wöchentlichen, teils sogar zur täglichen Berichterstattung verpflichtet gewesen und sei dem auch nachgekommen. Darüber hinaus habe zugunsten der M-GmbH ein vertraglich vereinbartes Weisungsrecht bestanden. Die organisatorische Eingliederung sei rechtlich abgesichert und betriebswirtschaftlich durchsetzbar gewesen, wie sich aus dem Gewinnabführungsvertrag, den Gestaltungs- und Konzernrichtlinien, den zugunsten ihrer Gesellschafterversammlung bestehenden Zustimmungsvorbehalten und der Geschäftsordnung ergebe. RH habe als Geschäftsführer zumindest aus wichtigem Grund abberufen werden können. Es habe eine für die organisatorische Eingliederung ausreichende "Pattsituation" bestanden. Das FG habe schließlich gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen, da sich aus ihrem Klagevortrag ergeben habe, "in welchem Umfang die Klägerin und der Organträger organisatorische Maßnahmen zur Verhinderung einer abweichenden Willensbildung getroffen haben" und das FG sich bei seiner Beurteilung "auf einen verzerrten Sachverhalt, der von den tatsächlichen Gegebenheiten abweicht", gestützt habe.
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Die Klägerin beantragt,
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die Umsatzsteuerbescheide 1997 und 1998 vom 19. April 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Februar 2003 aufzuheben und den Umsatzsteuerbescheid 1999 vom 27. Juli 2000 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 10. Februar 2003 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf 40.648,88 € herabgesetzt wird.
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Das FA beantragt,
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die Revision zurückzuweisen.
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Das FG habe die Organschaft zu Recht verneint. Die gegenüber einem Prokuristen bestehende Weisungsbefugnis reiche zur Begründung der organisatorischen Eingliederung nicht aus. Diese folge auch nicht aus der Geschäftsordnung, die für den Geschäftsführer "weite Spielräume" gelassen habe.
Entscheidungsgründe
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II. Die Revision der Klägerin ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Wie das FG im Ergebnis zu Recht entschieden hat, ist die Klägerin mangels organisatorischer Eingliederung nicht Organgesellschaft ihres Mehrheitsgesellschafters.
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1. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen eines anderen Unternehmers eingegliedert ist (Organschaft).
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Unionsrechtlich beruht diese Vorschrift auf Art. 4 Abs. 4 Unterabs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG. Danach können die Mitgliedstaaten im Inland ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, jedoch durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln.
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Die Ausübung der Ermächtigung, "Personen ... als einen Steuerpflichtigen zu behandeln", führt zu einer "Verschmelzung zu einem einzigen Steuerpflichtigen[, die] es ausschließt, dass die untergeordneten Personen weiterhin getrennt Mehrwertsteuererklärungen abgeben und innerhalb und außerhalb ihres Konzerns weiter als Steuerpflichtige angesehen werden, da nur der einzige Steuerpflichtige befugt ist, diese Erklärungen abzugeben" (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 22. Mai 2008 C-162/07, Ampliscientifica und Amplifin, Slg. 2008, I-4019 Rdnr. 19). Dementsprechend setzt die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG erforderliche Eingliederung in ein anderes Unternehmen ein Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen einer Organgesellschaft als "untergeordneter Person" und dem sog. Organträger voraus (Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Dezember 1996 XI R 25/94, BFHE 182, 392, BStBl II 1997, 441, unter II.1.; vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a aa; vom 3. April 2008 V R 76/05, BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.1., und vom 22. April 2010 V R 9/09, BFHE 229, 433, BFH/NV 2010, 1581, unter II.3.b aa).
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2. Die Eingliederungsvoraussetzungen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG dienen der Feststellung, ob das für die Organschaft erforderliche Über- und Unterordnungsverhältnis vorliegt, das zur Verschmelzung zu nur einem einzigen Steuerpflichtigen führt.
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a) Finanziell muss der Organträger in der Weise an der Organgesellschaft beteiligt sein, dass er seinen Willen durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung durchsetzen kann (BFH-Urteile vom 22. November 2001 V R 50/00, BFHE 197, 319, BStBl II 2002, 167, unter II.1.a; in BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671, unter II.2.a dd; vom 30. April 2009 V R 3/08, BFHE 226, 144, BFH/NV 2009, 1734, unter II.2.b aa; in BFHE 229, 433, BFH/NV 2010, 1581, unter II.2., und vom 1. Dezember 2010 XI R 43/08, BFHE 232, 550, BStBl II 2011, 600, unter II.2.).
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b) Die organisatorische Eingliederung setzt voraus, dass der Organträger die mit der finanziellen Eingliederung verbundene Möglichkeit der Beherrschung der Tochtergesellschaft in der laufenden Geschäftsführung wahrnimmt, wobei er die Organgesellschaft durch die Art und Weise der Geschäftsführung beherrschen muss (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 5. Dezember 2007 V R 26/06, BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451, unter II.2.; vom 14. Februar 2008 V R 12, 13/06, BFH/NV 2008, 1365, unter II.2.f aa; in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.3.b, und die bisherige Rechtsprechung zusammenfassend vom 28. Oktober 2010 V R 7/10, BFHE 231, 356, BStBl II 2011, 391, unter II.2., m.w.N.).
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c) Für die wirtschaftliche Eingliederung i.S. von § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG müssen die Unternehmensbereiche von Organträger und Organgesellschaft miteinander verflochten sein. Dabei kann die wirtschaftliche Eingliederung auf entgeltlichen Leistungen des Mehrheitsgesellschafters (Organträger) gegenüber seiner Tochtergesellschaft (Organgesellschaft) beruhen, wenn diesen für das Unternehmen der Organgesellschaft mehr als nur unwesentliche (geringfügige) Bedeutung zukommt (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 6. Mai 2010 V R 26/09, BFHE 230, 256, BStBl II 2010, 1114, unter II.3.b bb (3)). Es ist dann im Regelfall davon auszugehen, dass der Organträger aufgrund derartiger Leistungen auf die Organgesellschaft Einfluss nehmen kann, für ihn auch aufgrund der Möglichkeit zur Beendigung dieser Leistungsbeziehung eine "beherrschende Stellung" besteht (BFH-Urteil vom 9. September 1993 V R 124/89, BFHE 172, 541, BStBl II 1994, 129, unter II.1.b) und somit für ihn "besondere Einwirkungsmöglichkeiten" vorliegen (BFH-Urteil vom 25. Juni 1998 V R 76/97, BFH/NV 1998, 1534, unter II.2.c).
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3. Im Streitfall war die Klägerin nur finanziell, nicht aber auch organisatorisch in die M-GmbH eingegliedert.
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a) Die M-GmbH war nicht in der Lage, die für sie aufgrund ihrer Mehrheitsbeteiligung bestehende Beherrschungsmöglichkeit in der Geschäftsführung der Klägerin auszuüben.
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aa) Die organisatorische Eingliederung besteht zwischen zwei GmbHs insbesondere bei einer Personenidentität in den Geschäftsführungsorganen der beiden Gesellschaften (BFH-Urteile vom 17. Januar 2002 V R 37/00, BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, unter II.1.c bb; in BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451, unter II.3.). Darüber hinaus kann sich die organisatorische Eingliederung auch aus einer (teilweisen) personellen Verflechtung über diese Geschäftsführungsorgane ergeben (BFH-Urteile in BFHE 197, 357, BStBl II 2002, 373, unter II.1.c bb; in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.3.b), wenn dem Organträger eine Willensdurchsetzung in der Geschäftsführung der Organgesellschaft möglich ist. Sind für die Organ-GmbH z.B. mehrere einzelvertretungsberechtigte Geschäftsführer bestellt, reicht es aus, dass zumindest einer von ihnen auch Geschäftsführer der Organträger-GmbH ist, der Organträger über ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung der Organ-GmbH verfügt (vgl. § 37 Abs. 2 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung --GmbHG--) und --anders als in der dem BFH-Urteil in BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451 zugrunde liegenden Fallgestaltung-- zur Bestellung und Abberufung aller Geschäftsführer der Organ-GmbH berechtigt ist (vgl. § 46 Nr. 5 GmbHG).
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Diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht erfüllt. Zwischen den Geschäftsführungsorganen der Klägerin, einer GmbH, und der M-GmbH bestand keine Personalunion, da der einzige Geschäftsführer der Klägerin, RH, nicht auch bei der M-GmbH geschäftsführungsbefugt war. Dass die M-GmbH als Mehrheitsgesellschafter in der Gesellschafterversammlung der Klägerin gegenüber der Geschäftsführung der Klägerin weisungsbefugt war, reicht ohne zusätzliche personelle Verflechtung über die Geschäftsführung der Klägerin nicht aus.
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bb) Am Fehlen der für die organisatorische Eingliederung erforderlichen Beherrschungsmöglichkeit hat sich durch die Bestellung des einzigen Geschäftsführers der Klägerin, RH, zum Prokuristen der M-GmbH ab 9. Januar 1998 nichts geändert. Zwar reicht es für die eine organisatorische Eingliederung begründende personelle Verflechtung aus, dass der oder die Geschäftsführer der Organgesellschaft leitende Mitarbeiter des Organträgers sind (BFH-Urteil vom 20. August 2009 V R 30/06, BFHE 226, 465, BStBl II 2010, 863, Leitsatz 2).
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Die nach dieser Rechtsprechung mögliche Berücksichtigung leitender Mitarbeiter des Organträgers bei der organisatorischen Eingliederung beruht jedoch auf der Annahme, dass der leitende Mitarbeiter des Organträgers dessen Weisungen bei der Geschäftsführung der Organgesellschaft aufgrund eines zum Organträger bestehenden Anstellungsverhältnisses und einer sich hieraus ergebenden persönlichen Abhängigkeit befolgen wird und er bei weisungswidrigem Verhalten vom Organträger als Geschäftsführer der Organgesellschaft abberufen werden kann.
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Im Streitfall begründete die Erteilung einer Prokura bei der M-GmbH für RH, den Geschäftsführer der Klägerin, danach keine organisatorische Eingliederung. Denn die M-GmbH konnte nach den besonderen Verhältnissen des Streitfalls ihren Willen gegenüber ihrem Prokuristen RH bei der Geschäftsführung der Klägerin bereits deshalb nicht durchsetzen, weil RH als Gründungsgesellschafter der Klägerin nach deren Satzung --und damit entgegen § 46 Nr. 5 GmbHG-- nicht gegen seinen Willen als Geschäftsführer der Klägerin durch Mehrheitsbeschluss in der Gesellschafterversammlung abberufen werden konnte. Ohne Bedeutung für die organisatorische Eingliederung ist, ob gemäß § 38 Abs. 2 GmbHG gleichwohl zumindest eine Abberufung aus wichtigem Grund möglich war (vgl. hierzu z.B. Urteil des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 20. Dezember 1982 II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, unter I.1.; zu § 47 Abs. 4 GmbHG vgl. BGH-Urteile vom 27. April 2009 II ZR 167/07, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2009, 2300, unter II.3.a, und vom 21. Juni 2010 II ZR 230/08, NJW 2010, 3027, unter II.1.). Denn die organisatorische Eingliederung setzt die Möglichkeit der Beherrschung in der laufenden Geschäftsführung voraus. Dies erfordert ein uneingeschränktes Abberufungsrecht, das nicht nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes besteht. Im Übrigen spricht auch der Umfang der Beteiligung des RH an der Klägerin gegen dessen Abhängigkeit vom Mehrheitsgesellschafter.
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cc) Es liegen auch keine sonstigen Umstände vor, aus denen sich für die M-GmbH eine Möglichkeit zur Willensdurchsetzung ergab.
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So begründen bereits nach bisheriger Rechtsprechung weder das mit der finanziellen Eingliederung einhergehende Weisungsrecht durch Gesellschafterbeschluss noch eine vertragliche Pflicht zur regelmäßigen Berichterstattung über die Geschäftsführung die organisatorische Eingliederung (BFH-Urteile in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.4., und in BFHE 231, 356, BStBl II 2011, 391, unter II.2.). Dies gilt auch für die von der Klägerin behauptete Pflicht zur sogar täglichen Berichterstattung. Auch Zustimmungsvorbehalte zugunsten der Gesellschafterversammlung z.B. aufgrund einer Geschäftsführungsordnung sind als bloße Verpflichtung zur Einholung von Weisungen unbeachtlich (vgl. BFH-Urteile vom 20. Februar 1992 V R 80/85, BFH/NV 1993, 133, unter II.a cc, und in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.4.). Ebenso reicht das bloße Recht zur Bestellung oder Abberufung von Geschäftsführern ohne weiter gehende personelle Verflechtung über das Geschäftsführungsorgan nicht aus (s. oben II.3.a).
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Im Streitfall war die M-GmbH daher auch nicht aufgrund der ihr als GmbH-Mehrheitsgesellschafter zustehenden Weisungsrechte, der Berichtspflichten und der darüber hinaus bestehenden Zustimmungsvorbehalte in der Lage, die Geschäftsführung der Klägerin zu beherrschen.
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b) Der Senat hat im Streitfall nicht zu entscheiden, ob er an seiner bisherigen Rechtsprechung festhält, nach der sich die organisatorische Eingliederung --ohne Möglichkeit zur Willensdurchsetzung-- auch daraus ergeben kann, dass eine vom Organträger abweichende Willensbildung in der Organgesellschaft ausgeschlossen ist (vgl. z.B. BFH-Urteile in BFHE 219, 463, BStBl II 2008, 451, unter II.2.; in BFH/NV 2008, 1365, unter II.2.f aa; in BFHE 221, 443, BStBl II 2008, 905, unter II.3.b, und die bisherige Rechtsprechung zusammenfassend in BFHE 231, 356, BStBl II 2011, 391, unter II.2., m.w.N.).
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Denn auch nach dieser Rechtsprechung reichten die von der Klägerin angeführten Rechte zur Erteilung von Weisungen, zur Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern sowie die Berichtspflichten nicht aus, um eine organisatorische Eingliederung zu begründen (s. oben II.3.a cc). Aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls war RH schließlich trotz seiner Stellung als Prokurist nicht als leitender Mitarbeiter der M-GmbH anzusehen (s. oben II.3.a bb).
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c) Auf das Vorliegen der wirtschaftlichen Eingliederung kam es nicht mehr an.
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4. Das FG hat nicht gegen den klaren Inhalt der Akten verstoßen.
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Nach § 96 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 FGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Zum Gesamtergebnis des Verfahrens gehört auch die Auswertung des Inhalts der dem Gericht vorliegenden Akten. Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten liegt insbesondere dann vor, wenn das FG eine nach Aktenlage feststehende Tatsache, die richtigerweise in die Beweiswürdigung hätte einfließen müssen, unberücksichtigt lässt oder seiner Entscheidung einen Sachverhalt zugrunde legt, der dem protokollierten Vorbringen der Beteiligten nicht entspricht (vgl. BFH-Beschlüsse vom 19. Mai 2000 X B 75/99, BFH/NV 2000, 1458; vom 17. März 2010 X B 95/09, BFH/NV 2010, 1827, und vom 22. März 2011 X B 151/10, BFH/NV 2011, 1165). Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
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Demgegenüber wird § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO nicht verletzt, wenn das FG den ihm vorliegenden Akteninhalt --wie im Streitfall-- nicht entsprechend den klägerischen Vorstellungen würdigt. Insoweit handelt es sich um einen materiell-rechtlichen Fehler, der im Übrigen im Streitfall nicht vorliegt (s. oben 3.), nicht aber um einen Verfahrensverstoß (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 12. September 1996 X B 76/96, BFH/NV 1997, 246; vom 24. April 2007 VIII B 251/05, BFH/NV 2007, 1521, und vom 23. Juli 2010 IV B 12/09, BFH/NV 2010, 2063).
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Annotations
(1) Ist die Revision unzulässig, so verwirft der Bundesfinanzhof sie durch Beschluss.
(2) Ist die Revision unbegründet, so weist der Bundesfinanzhof sie zurück.
(3) Ist die Revision begründet, so kann der Bundesfinanzhof
- 1.
in der Sache selbst entscheiden oder - 2.
das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.
(4) Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Verletzung des bestehenden Rechts, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision zurückzuweisen.
(5) Das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Bundesfinanzhofs zugrunde zu legen.
(6) Die Entscheidung über die Revision bedarf keiner Begründung, soweit der Bundesfinanzhof Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Das gilt nicht für Rügen nach § 119 und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.
(1) Unternehmer ist, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbstständig ausübt, unabhängig davon, ob er nach anderen Vorschriften rechtsfähig ist. Das Unternehmen umfasst die gesamte gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des Unternehmers. Gewerblich oder beruflich ist jede nachhaltige Tätigkeit zur Erzielung von Einnahmen, auch wenn die Absicht, Gewinn zu erzielen, fehlt oder eine Personenvereinigung nur gegenüber ihren Mitgliedern tätig wird.
(2) Die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit wird nicht selbständig ausgeübt,
- 1.
soweit natürliche Personen, einzeln oder zusammengeschlossen, einem Unternehmen so eingegliedert sind, dass sie den Weisungen des Unternehmers zu folgen verpflichtet sind, - 2.
wenn eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist (Organschaft). Die Wirkungen der Organschaft sind auf Innenleistungen zwischen den im Inland gelegenen Unternehmensteilen beschränkt. Diese Unternehmensteile sind als ein Unternehmen zu behandeln. Hat der Organträger seine Geschäftsleitung im Ausland, gilt der wirtschaftlich bedeutendste Unternehmensteil im Inland als der Unternehmer.
(3) (weggefallen)
(1) Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft gegenüber verpflichtet, die Beschränkungen einzuhalten, welche für den Umfang ihrer Befugnis, die Gesellschaft zu vertreten, durch den Gesellschaftsvertrag oder, soweit dieser nicht ein anderes bestimmt, durch die Beschlüsse der Gesellschafter festgesetzt sind.
(2) Gegen dritte Personen hat eine Beschränkung der Befugnis der Geschäftsführer, die Gesellschaft zu vertreten, keine rechtliche Wirkung. Dies gilt insbesondere für den Fall, daß die Vertretung sich nur auf gewisse Geschäfte oder Arten von Geschäften erstrecken oder nur unter gewissen Umständen oder für eine gewisse Zeit oder an einzelnen Orten stattfinden soll, oder daß die Zustimmung der Gesellschafter oder eines Organs der Gesellschaft für einzelne Geschäfte erfordert ist.
Der Bestimmung der Gesellschafter unterliegen:
- 1.
die Feststellung des Jahresabschlusses und die Verwendung des Ergebnisses; - 1a.
die Entscheidung über die Offenlegung eines Einzelabschlusses nach internationalen Rechnungslegungsstandards (§ 325 Abs. 2a des Handelsgesetzbuchs) und über die Billigung des von den Geschäftsführern aufgestellten Abschlusses; - 1b.
die Billigung eines von den Geschäftsführern aufgestellten Konzernabschlusses; - 2.
die Einforderung der Einlagen; - 3.
die Rückzahlung von Nachschüssen; - 4.
die Teilung, die Zusammenlegung sowie die Einziehung von Geschäftsanteilen; - 5.
die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern sowie die Entlastung derselben; - 6.
die Maßregeln zur Prüfung und Überwachung der Geschäftsführung; - 7.
die Bestellung von Prokuristen und von Handlungsbevollmächtigten zum gesamten Geschäftsbetrieb; - 8.
die Geltendmachung von Ersatzansprüchen, welche der Gesellschaft aus der Gründung oder Geschäftsführung gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter zustehen, sowie die Vertretung der Gesellschaft in Prozessen, welche sie gegen die Geschäftsführer zu führen hat.
Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung - GmbHG | § 38 Widerruf der Bestellung
(1) Die Bestellung der Geschäftsführer ist zu jeder Zeit widerruflich, unbeschadet der Entschädigungsansprüche aus bestehenden Verträgen.
(2) Im Gesellschaftsvertrag kann die Zulässigkeit des Widerrufs auf den Fall beschränkt werden, daß wichtige Gründe denselben notwendig machen. Als solche Gründe sind insbesondere grobe Pflichtverletzung oder Unfähigkeit zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung anzusehen.
(3) Der Geschäftsführer hat das Recht, um den Widerruf seiner Bestellung zu ersuchen, wenn er wegen Mutterschutz, Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder Krankheit seinen mit der Bestellung verbundenen Pflichten vorübergehend nicht nachkommen kann und mindestens ein weiterer Geschäftsführer bestellt ist. Macht ein Geschäftsführer von diesem Recht Gebrauch, muss die Bestellung dieses Geschäftsführers
- 1.
widerrufen und dabei die Wiederbestellung nach Ablauf des Zeitraums der in § 3 Absatz 1 und 2 des Mutterschutzgesetzes genannten Schutzfristen zugesichert werden, - 2.
in den Fällen der Elternzeit, der Pflege eines Familienangehörigen oder der Krankheit widerrufen und dabei die Wiederbestellung nach einem Zeitraum von bis zu drei Monaten entsprechend dem Verlangen des Geschäftsführers zugesichert werden; von dem Widerruf der Bestellung kann abgesehen werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt.
(1) Die von den Gesellschaftern in den Angelegenheiten der Gesellschaft zu treffenden Bestimmungen erfolgen durch Beschlußfassung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
(2) Jeder Euro eines Geschäftsanteils gewährt eine Stimme.
(3) Vollmachten bedürfen zu ihrer Gültigkeit der Textform.
(4) Ein Gesellschafter, welcher durch die Beschlußfassung entlastet oder von einer Verbindlichkeit befreit werden soll, hat hierbei kein Stimmrecht und darf ein solches auch nicht für andere ausüben. Dasselbe gilt von einer Beschlußfassung, welche die Vornahme eines Rechtsgeschäfts oder die Einleitung oder Erledigung eines Rechtsstreits gegenüber einem Gesellschafter betrifft.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; die §§ 158, 160, 162 der Abgabenordnung gelten sinngemäß. Das Gericht darf über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.