Bundesfinanzhof Beschluss, 23. Mai 2011 - III B 211/10
Gericht
Tatbestand
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I. Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin) begründete am 29. Dezember 2008 eine eingetragene Lebenspartnerschaft. In ihrer für den Veranlagungszeitraum 2008 eingereichten --und nur von ihr unterschriebenen-- Einkommensteuererklärung beantragte die Antragstellerin die Zusammenveranlagung mit ihrer eingetragenen Lebenspartnerin.
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Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) führte die Zusammenveranlagung der Antragstellerin und ihrer Lebenspartnerin zunächst mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO--) stehendem Bescheid vom 26. April 2010 antragsgemäß durch. Auf einen Einspruch --nur-- der Antragstellerin erließ das FA, gestützt auf § 164 Abs. 2 AO, am 19. August 2010 einen --aus nicht streitgegenständlichen Gründen-- geänderten Einkommensteuerbescheid für 2008. In diesem geänderten Bescheid nahm das FA nunmehr auch eine Einzelveranlagung der Antragstellerin vor. Die Antragstellerin legte wiederum Einspruch ein und beantragte zugleich die Aussetzung der Vollziehung (AdV) des geänderten Bescheids in Höhe der Differenz zwischen der "Einkommensteuernachzahlung mit Einzelveranlagung" und der "Einkommensteuernachzahlung mit Zusammenveranlagung"; den ihrer Ansicht nach danach auszusetzenden Betrag bezifferte sie mit 5.243,35 €. Das FA lehnte den Antrag auf AdV ab. Über den Einspruch hat es noch nicht entschieden.
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Das Finanzgericht (FG) gab dem daraufhin bei ihm gestellten Antrag auf AdV überwiegend statt. Es entschied, es bestünden ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einzelveranlagung. Der Ausschluss der Antragstellerin als Partnerin einer eingetragenen Lebenspartnerschaft von der Anwendung der Regelungen über das Ehegattensplitting sei verfassungswidrig. Das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiege auch die gegen die Gewährung der Vollzugsaussetzung sprechenden öffentlichen Belange. Der auszusetzende Betrag ergebe sich "aus der Differenz des Zusammenveranlagungsbescheids vom 26. April 2010 und dem angefochtenen Bescheid vom 19. August 2010"; er betrage 4.652 €.
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Mit seiner vom FG zugelassenen Beschwerde bringt das FA im Wesentlichen vor, der Bundesfinanzhof (BFH) habe in der streitigen Frage bereits mehrfach entschieden und dabei insbesondere auch keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der anzuwendenden Normen erkennen lassen. Dem bis zu einer gegenteiligen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) bestehenden Geltungsanspruch jedes formell verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetzes sei daher der Vorrang einzuräumen. Im Übrigen sei auch inhaltlich weder ein Verstoß des geltenden Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen Verfassungsrecht noch eine Unvereinbarkeit mit weiterem höherrangigem Recht gegeben.
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Das FA beantragt sinngemäß, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und den AdV-Antrag abzulehnen.
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Die Antragstellerin ist der Beschwerde durch Wiederholung der Ausführungen des FG entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet und durch Beschluss zurückzuweisen (§ 132 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat die Vollziehung des geänderten Einkommensteuerbescheids vom 19. August 2010 im Ergebnis zu Recht ausgesetzt. Denn es ist ernstlich zweifelhaft, ob dieser Änderungsbescheid hätte ergehen dürfen.
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1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes auf Antrag u.a. dann ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Gründen gewichtige, gegen sie sprechende Umstände zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen bewirken oder Unklarheiten in der Beurteilung der Tatfragen aufwerfen (z.B. BFH-Beschluss vom 5. April 2011 II B 153/10, Deutsches Steuerrecht 2011, 769, m.w.N.).
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2. Bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Einkommensteueränderungsbescheids vom 19. August 2010.
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Das FA hat auf die von der Antragstellerin eingereichte Einkommensteuererklärung für 2008 am 26. April 2010 zunächst die beantragte Zusammenveranlagung der Antragstellerin mit ihrer eingetragenen Lebenspartnerin durchgeführt und einen zusammengefassten (§ 155 Abs. 3 Satz 1 AO) Einkommensteuerbescheid für 2008 erlassen. Im hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren der Antragstellerin hat das FA diesen Bescheid aus anderen Gründen geändert und den Änderungsbescheid zugleich dazu genutzt, um nunmehr eine Einzelveranlagung der Antragstellerin durchzuführen.
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Einzelveranlagung (§ 25 EStG) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) sind jedoch wesensverschiedene Veranlagungsformen (z.B. BFH-Urteil vom 24. April 2007 I R 64/06, BFH/NV 2007, 1893). Der Übergang von der einen zur anderen Veranlagungsform kann deshalb nur im Rahmen eines jeweils selbstständigen Veranlagungsverfahrens, aber nicht durch eine Änderung des ursprünglichen Steuerbescheids erfolgen (BFH-Urteil vom 9. März 1973 VI R 396/70, BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487; Senatsurteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980). Wenn somit im Laufe des Verfahrens festgestellt wird, dass die Voraussetzungen für eine Zusammenveranlagung nicht vorliegen, kann der Bescheid über die Zusammenveranlagung nicht geändert, sondern nur aufgehoben (Schneider in Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, EStG, § 26 Rz A 252) und ein neues Veranlagungsverfahren durchgeführt werden (BFH-Urteil in BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487; Senatsurteil in BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980).
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Dem entspricht, dass der verfahrensrechtliche Weg, eine bereits durchgeführte Veranlagung zu ändern, mit der Klage auf Verpflichtung zur Durchführung der begehrten Veranlagungsform (§ 40 Abs. 1 2. Alt. FGO) zu erreichen ist (BFH-Urteil in BFHE 109, 44, BStBl II 1973, 487).
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Durfte das FA in dem geänderten Einkommensteuerbescheid vom 19. August 2010 somit nicht von der mit Bescheid vom 26. April 2010 durchgeführten Zusammenveranlagung der Antragstellerin mit ihrer Lebenspartnerin zu der als nunmehr zutreffend erachteten Einzelveranlagung (nur) der Antragstellerin übergehen, hat das FG die Vollziehung des Bescheids vom 19. August 2010 im Ergebnis zu Recht ausgesetzt. Auf die Frage, ob der Ausschluss der Antragstellerin als Partnerin einer eingetragenen Lebenspartnerschaft von der Anwendung der Regelungen über das Ehegattensplitting verfassungswidrig ist, kommt es danach nicht an.
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(1) Die Steuern können, solange der Steuerfall nicht abschließend geprüft ist, allgemein oder im Einzelfall unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgesetzt werden, ohne dass dies einer Begründung bedarf. Die Festsetzung einer Vorauszahlung ist stets eine Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung.
(2) Solange der Vorbehalt wirksam ist, kann die Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert werden. Der Steuerpflichtige kann die Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung jederzeit beantragen. Die Entscheidung hierüber kann jedoch bis zur abschließenden Prüfung des Steuerfalls, die innerhalb angemessener Frist vorzunehmen ist, hinausgeschoben werden.
(3) Der Vorbehalt der Nachprüfung kann jederzeit aufgehoben werden. Die Aufhebung steht einer Steuerfestsetzung ohne Vorbehalt der Nachprüfung gleich; § 157 Abs. 1 Satz 1 und 3 gilt sinngemäß. Nach einer Außenprüfung ist der Vorbehalt aufzuheben, wenn sich Änderungen gegenüber der Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung nicht ergeben.
(4) Der Vorbehalt der Nachprüfung entfällt, wenn die Festsetzungsfrist abläuft. § 169 Absatz 2 Satz 2, § 170 Absatz 6 und § 171 Absatz 7, 8 und 10 sind nicht anzuwenden.
Über die Beschwerde entscheidet der Bundesfinanzhof durch Beschluss.
(1) Die Steuern werden, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, von der Finanzbehörde durch Steuerbescheid festgesetzt. Steuerbescheid ist der nach § 122 Abs. 1 bekannt gegebene Verwaltungsakt. Dies gilt auch für die volle oder teilweise Freistellung von einer Steuer und für die Ablehnung eines Antrags auf Steuerfestsetzung.
(2) Ein Steuerbescheid kann erteilt werden, auch wenn ein Grundlagenbescheid noch nicht erlassen wurde.
(3) Schulden mehrere Steuerpflichtige eine Steuer als Gesamtschuldner, so können gegen sie zusammengefasste Steuerbescheide ergehen. Mit zusammengefassten Steuerbescheiden können Verwaltungsakte über steuerliche Nebenleistungen oder sonstige Ansprüche, auf die dieses Gesetz anzuwenden ist, gegen einen oder mehrere der Steuerpflichtigen verbunden werden. Das gilt auch dann, wenn festgesetzte Steuern, steuerliche Nebenleistungen oder sonstige Ansprüche nach dem zwischen den Steuerpflichtigen bestehenden Rechtsverhältnis nicht von allen Beteiligten zu tragen sind.
(4) Die Finanzbehörden können Steuerfestsetzungen sowie Anrechnungen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen auf der Grundlage der ihnen vorliegenden Informationen und der Angaben des Steuerpflichtigen ausschließlich automationsgestützt vornehmen, berichtigen, zurücknehmen, widerrufen, aufheben oder ändern, soweit kein Anlass dazu besteht, den Einzelfall durch Amtsträger zu bearbeiten. Das gilt auch
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für den Erlass, die Berichtigung, die Rücknahme, den Widerruf, die Aufhebung und die Änderung von mit den Steuerfestsetzungen sowie Anrechnungen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen verbundenen Verwaltungsakten sowie, - 2.
wenn die Steuerfestsetzungen sowie Anrechnungen von Steuerabzugsbeträgen und Vorauszahlungen mit Nebenbestimmungen nach § 120 versehen oder verbunden werden, soweit dies durch eine Verwaltungsanweisung des Bundesministeriums der Finanzen oder der obersten Landesfinanzbehörden allgemein angeordnet ist.
(5) Die für die Steuerfestsetzung geltenden Vorschriften sind auf die Festsetzung einer Steuervergütung sinngemäß anzuwenden.
(1) Die Einkommensteuer wird nach Ablauf des Kalenderjahres (Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat, soweit nicht nach § 43 Absatz 5 und § 46 eine Veranlagung unterbleibt.
(2) (weggefallen)
(3)1Die steuerpflichtige Person hat für den Veranlagungszeitraum eine eigenhändig unterschriebene Einkommensteuererklärung abzugeben.2Wählen Ehegatten die Zusammenveranlagung (§ 26b), haben sie eine gemeinsame Steuererklärung abzugeben, die von beiden eigenhändig zu unterschreiben ist.
(4)1Die Erklärung nach Absatz 3 ist nach amtlich vorgeschriebenem Datensatz durch Datenfernübertragung zu übermitteln, wenn Einkünfte nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 erzielt werden und es sich nicht um einen der Veranlagungsfälle gemäß § 46 Absatz 2 Nummer 2 bis 8 handelt.2Auf Antrag kann die Finanzbehörde zur Vermeidung unbilliger Härten auf eine Übermittlung durch Datenfernübertragung verzichten.
Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten werden die Einkünfte, die die Ehegatten erzielt haben, zusammengerechnet, den Ehegatten gemeinsam zugerechnet und, soweit nichts anderes vorgeschrieben ist, die Ehegatten sodann gemeinsam als Steuerpflichtiger behandelt.