Bundesfinanzhof Beschluss, 29. Juni 2011 - III B 122/11
Gericht
Tatbestand
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I. Die aus Nigeria stammende Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) begehrte für ihre 1999 geborenen Töchter Kindergeld. Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) lehnte den Antrag ab und wies den hiergegen gerichteten Einspruch im November 2005 als unbegründet zurück, da die Klägerin nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung bzw. einer Aufenthaltserlaubnis sei. Im anschließenden Klageverfahren ordnete das Finanzgericht (FG) durch Beschluss vom 23. März 2009 mit Einverständnis der Beteiligten das Ruhen des Verfahrens an, weil dies zweckmäßig sei, um die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu dem "Vorlagebeschluss des FG Köln (10 K 983/04)" --gemeint ist offenbar der Vorlagebeschluss des FG Köln vom 9. Mai 2007 10 K 1690/07 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2007, 1247)-- abzuwarten.
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Unter dem Datum des 3. Mai 2011 erklärte das FG das Ruhen des Verfahrens für beendet. Zur Begründung führte es aus, dass das Ruhen des Verfahrens nicht zweckmäßig sei, da das BVerfG zwischenzeitlich mit Beschluss vom 20. November 2009 --gemeint ist offenbar: 6. November 2009-- 2 BvL 4/07 (Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung --HFR-- 2010, 174) entschieden habe, dass die Vorlage des FG Köln in EFG 2007, 1247 unzulässig sei. Das Ruhen sei auch nicht im Hinblick auf den Vorlagebeschluss des Bundessozialgerichts (BSG) vom 3. Dezember 2009 B 10 EG 5/08 R (juris) zweckmäßig, da es dort nicht um Kindergeld, sondern um Bundeserziehungsgeld gehe.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der --anwaltlich vertretenen-- Klägerin. Zur Begründung trägt sie vor, dass es in der Vorlage des BSG zwar nicht um Kindergeld, aber um eine wortgleiche Regelung im Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) gehe. Halte das BVerfG die Regelung im BErzGG für verfassungswidrig, gelte dies auch für die entsprechende Regelung im Einkommensteuergesetz (EStG). Zudem gehe es im vorliegenden Fall nicht um den Kindergeldbezug von geduldeten Ausländern, denn die Klägerin sei seit Juni 2003 im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis nach § 30 Abs. 4 des Ausländergesetzes, die bis zum 12. Juni 2004 erteilt und am 20. September 2004 bis zum 19. September 2006 verlängert worden sei. Das BVerfG habe die seinerzeit geltende Rechtslage in seinem Beschluss vom 6. Juli 2004 1 BvL 4/97 (BVerfGE 111, 160) für verfassungswidrig erklärt.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des FG, das Verfahren wieder aufzunehmen, ist nicht zu beanstanden.
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1. Nach § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 Satz 1 der Zivilprozessordnung hat das FG das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn die Beteiligten dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Verwendung des Wortes "zweckmäßig" im Gesetzestext bedeutet, dass das FG einen Ermessensspielraum bei seiner Entscheidung hat (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. Januar 1995 IV B 69/94, BFH/NV 1995, 802). Die Entscheidung, das Ruhen des Verfahrens für beendet zu erklären und das Verfahren wieder aufzunehmen, ist ebenfalls eine Ermessensentscheidung, die das Gericht jederzeit erlassen kann, wenn es ihm zweckmäßig erscheint (BFH-Beschluss in BFH/NV 1995, 802; Senatsbeschluss vom 20. März 2009 III B 219/08, juris).
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2. Im Streitfall hat das FG den ihm zustehenden Ermessensspielraum nicht überschritten.
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a) Auch die Klägerin bestreitet nicht, dass das Verfahren, hinsichtlich dessen der Rechtsstreit vor dem FG zum Ruhen gebracht worden war, durch Beschluss des BVerfG in HFR 2010, 174 beendet ist.
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b) Zwar könnte die Wiederaufnahme eines ruhenden Verfahrens ermessenswidrig sein, wenn das FG ohnehin gezwungen wäre, die Verfahrensaussetzung entsprechend § 74 FGO wegen der beim BVerfG zwischenzeitlich anhängigen Verfahren 1 BvL 2-4/10 (Vorlagebeschlüsse des BSG vom 3. Dezember 2009 B 10 EG 5/08 R, B 10 EG 6/08 R sowie B 10 EG 7/08 R, juris) anzuordnen. Eine Reduzierung des dem FG in § 74 FGO eingeräumten Ermessens zu einer Pflicht zur Verfahrensaussetzung ist jedoch zu verneinen, weil der BFH bereits im Urteil vom 28. April 2010 III R 1/08 (BFHE 229, 262, BStBl II 2010, 980) entschieden hat, dass die vorgenannten Vorlagebeschlüsse des BSG, die zu der dem § 62 Abs. 2 EStG wortgleichen Regelung der Berechtigung von Ausländern zur Inanspruchnahme von Erziehungsgeld nach § 1 Abs. 6 BErzGG in der Fassung des Gesetzes zur Anspruchsberechtigung von Ausländern wegen Kindergeld, Erziehungsgeld und Unterhaltungsvorschuss vom 13. Dezember 2006 (BGBl I 2006, 2915) ergangen sind, keine Zweifel an der Verfassungskonformität des § 62 Abs. 2 EStG begründen, da die vom BSG vorgebrachten Bedenken gegen § 1 Abs. 6 BErzGG im steuerrechtlichen Kindergeld nicht zum Tragen kommen, weil das Kindergeld, anders als das Erziehungsgeld (s. § 8 Abs. 1 Satz 1 BErzGG), als Einkommen auf Sozialleistungen angerechnet wird.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO. Die Kosten eines erfolglosen Beschwerdeverfahrens, das die Wiederaufnahme eines ruhenden Verfahrens betrifft, sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (z.B. BFH-Beschluss vom 9. August 2000 VI B 289/98, BFH/NV 2000, 1496; Brandis in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 143 FGO Rz 7).
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Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und, soweit die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten es nicht ausschließen, die Zivilprozessordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a sinngemäß anzuwenden; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs der Bundesfinanzhof und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Finanzgerichtsordnung tritt; die Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden.
Das Gericht hat das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Anordnung hat auf den Lauf der im § 233 bezeichneten Fristen keinen Einfluss.
Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
(1)1Für Kinder im Sinne des § 63 hat Anspruch auf Kindergeld nach diesem Gesetz, wer
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im Inland einen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder - 2.
ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland - a)
nach § 1 Absatz 2 unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist oder - b)
nach § 1 Absatz 3 als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt wird.
(1a)1Begründet ein Staatsangehöriger eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union oder eines Staates, auf den das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Anwendung findet, im Inland einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt, so hat er für die ersten drei Monate ab Begründung des Wohnsitzes oder des gewöhnlichen Aufenthalts keinen Anspruch auf Kindergeld.2Dies gilt nicht, wenn er nachweist, dass er inländische Einkünfte im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 mit Ausnahme von Einkünften nach § 19 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 erzielt.3Nach Ablauf des in Satz 1 genannten Zeitraums hat er Anspruch auf Kindergeld, es sei denn, die Voraussetzungen des § 2 Absatz 2 oder Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU liegen nicht vor oder es sind nur die Voraussetzungen des § 2 Absatz 2 Nummer 1a des Freizügigkeitsgesetzes/EU erfüllt, ohne dass vorher eine andere der in § 2 Absatz 2 des Freizügigkeitsgesetzes/EU genannten Voraussetzungen erfüllt war.4Die Prüfung, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Kindergeld gemäß Satz 2 vorliegen oder gemäß Satz 3 nicht gegeben sind, führt die Familienkasse in eigener Zuständigkeit durch.5Lehnt die Familienkasse eine Kindergeldfestsetzung in diesem Fall ab, hat sie ihre Entscheidung der zuständigen Ausländerbehörde mitzuteilen.6Wurde das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen durch die Verwendung gefälschter oder verfälschter Dokumente oder durch Vorspiegelung falscher Tatsachen vorgetäuscht, hat die Familienkasse die zuständige Ausländerbehörde unverzüglich zu unterrichten.
(2) Ein nicht freizügigkeitsberechtigter Ausländer erhält Kindergeld nur, wenn er
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eine Niederlassungserlaubnis oder eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EU besitzt, - 2.
eine Blaue Karte EU, eine ICT-Karte, eine Mobiler-ICT-Karte oder eine Aufenthaltserlaubnis besitzt, die für einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigen oder berechtigt haben oder diese erlauben, es sei denn, die Aufenthaltserlaubnis wurde - a)
nach § 16e des Aufenthaltsgesetzes zu Ausbildungszwecken, nach § 19c Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Beschäftigung als Au-Pair oder zum Zweck der Saisonbeschäftigung, nach § 19e des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck der Teilnahme an einem Europäischen Freiwilligendienst oder nach § 20 Absatz 1 und 2 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt, - b)
nach § 16b des Aufenthaltsgesetzes zum Zweck eines Studiums, nach § 16d des Aufenthaltsgesetzes für Maßnahmen zur Anerkennung ausländischer Berufsqualifikationen oder nach § 20 Absatz 3 des Aufenthaltsgesetzes zur Arbeitsplatzsuche erteilt und er ist weder erwerbstätig noch nimmt er Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch, - c)
nach § 23 Absatz 1 des Aufenthaltsgesetzes wegen eines Krieges in seinem Heimatland oder nach den § 23a oder § 25 Absatz 3 bis 5 des Aufenthaltsgesetzes erteilt,
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eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und im Bundesgebiet berechtigt erwerbstätig ist oder Elternzeit nach § 15 des Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetzes oder laufende Geldleistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch in Anspruch nimmt, - 4.
eine in Nummer 2 Buchstabe c genannte Aufenthaltserlaubnis besitzt und sich seit mindestens 15 Monaten erlaubt, gestattet oder geduldet im Bundesgebiet aufhält oder - 5.
eine Beschäftigungsduldung gemäß § 60d in Verbindung mit § 60a Absatz 2 Satz 3 des Aufenthaltsgesetzes besitzt.
(1) Der unterliegende Beteiligte trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, soweit er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Besteht der kostenpflichtige Teil aus mehreren Personen, so haften diese nach Kopfteilen. Bei erheblicher Verschiedenheit ihrer Beteiligung kann nach Ermessen des Gerichts die Beteiligung zum Maßstab genommen werden.