Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 21. Mai 2015 - 14 B 12 30323

published on 21/05/2015 00:00
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 21. Mai 2015 - 14 B 12 30323
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Tenor

I.

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Mai 2012 wird abgeändert. Die Klage wird abgewiesen.

II.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Kläger, iranische Staatsangehörige, reisten auf dem Luftweg aus T. kommend am 19. Mai 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein. In den vorgelegten iranischen Reisepässen befanden sich spanische Schengenvisa. Zur Begründung der Einreise befragt führten die Kläger aus, dass sie aus politischen Gründen einen Asylantrag stellen wollen, da sie im Iran Angst um ihr Leben gehabt hätten.

Am 27. Mai 2011 bat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge S. um Übernahme des Asylverfahrens nach der Dublin II-Verordnung (Dublin II-VO). Die spanischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 13. Juni 2011 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung der Asylanträge gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO.

Mit Bescheid vom 17. Juni 2011 stellte das Bundesamt fest, dass die Asylanträge der Kläger unzulässig sind und ordnete deren Abschiebung nach S. an. Die Asylanträge seien gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, da S. aufgrund der Ausstellung von Schengenvisa an die Kläger gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Die sofort vollziehbare Anordnung der Abschiebung nach S. beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 28. Juni 2011 nahmen die Kläger die Anträge auf Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Art. 16a GG sowie auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG (a. F.) zurück und beschränkten das Verfahren auf den „Antrag zur Feststellung subsidiären Schutzes“.

Mit Bescheid vom 30. Juni 2011 stellte daraufhin das Bundesamt in Nr. 1 des Bescheids die Asylverfahren der Kläger ein und ordnete in Nr. 2 die Abschiebung nach S. an. Nr. 1 des Bescheids beruhe auf § 32 AsylVfG. Die Rücknahme könne insoweit nur im Rahmen des Asylverfahrens im zuständigen Mitgliedstaat verbindlich erklärt werden und beseitige nicht die Regelungswirkung der Dublin II-Verordnung. Von einer Prüfung von § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG sei abzusehen, da eine Überstellung in das Herkunftsland nicht beabsichtigt sei. Daher würden die Asylanträge in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft; Deutschland sei verpflichtet, die Überstellung nach S. als zuständigen Mitgliedstaat innerhalb von sechs Monaten nach Zustimmung durchzuführen. Die sofort vollziehbare Anordnung der Abschiebung nach S. beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.

Auf den Antrag der Kläger gemäß § 80 Abs. 5 VwGO hin ordnete das Verwaltungsgericht Ansbach mit Beschluss vom 27. Oktober 2011 die aufschiebende Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klage gegen die Anordnung der Abschiebung der Kläger nach S. an.

Im Klageverfahren beantragten die Kläger, den Bescheid vom 30. Juni 2011 in Nr. 2 aufzuheben. Sie gaben an, den Iran verlassen zu haben, weil ihr Leben in Gefahr gewesen sei. Der Kläger zu 1 habe politische Aktivitäten durchgeführt und sei gegen das Regime gewesen. Sie hätten ein Visum für S. gehabt, seien aber nie in diesem Land gewesen.

Mit Urteil vom 16. Mai 2012 hob das Verwaltungsgericht Ansbach Nr. 2 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 30. Juni 2011 auf. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Abschiebungsandrohung nach S. sei rechtswidrig. Da ein Asylantrag der Kläger nicht mehr vorliege, komme die Dublin II-Verordnung nicht mehr zur Anwendung. Denn diese gelte nicht für Personen, die lediglich subsidiären Schutz beantragten. Mit der Rücknahme des Asylbegehrens sei der gestellte Asylantrag ex tunc entfallen, so dass nicht mehr S., sondern die Bundesrepublik Deutschland für die Prüfung des subsidiären Schutzanspruchs zuständig sei. Dies ergebe sich aus einem Vergleich von Art. 2 Buchst. c Dublin II-VO mit Erwägungsgrund Nr. 24 Satz 2 der Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, wonach der subsidiäre Schutzstatus die in der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegten Schutzregelungen für Flüchtlinge ergänzen solle. Dafür spreche erst Recht Art. 2 Buchst. e der Qualifikationsrichtlinie, welcher als „Person mit Anspruch auf subsidiären Schutz“ gerade einen Drittstaatsangehörigen bezeichne, „der die Voraussetzungen für die Anerkennung als Flüchtling nicht erfülle“. Daher stünden die rechtlichen Wirkung der älteren Dublin II-Verordnung für Asylanträge und internationalen Schutz auf der einen Seite und der jüngeren und ergänzend gültigen Qualifikationsrichtlinie auf der anderen Seite in einem Stufen- und Subsidiaritätsverhältnis zueinander mit der Folge, dass das Verfahren nach der Dublin II-Verordnung nur für die dort genannten Schutzmechanismen, aber nicht für den subsidiären Schutz gelte. Dies folge auch aus dem Bericht der Kommission der EG vom 6. Juni 2007 zur Bewertung des Dublin-Systems, worin die Absicht verkündet worden sei, die Ausweitung des Geltungsbereichs der Dublin II-Verordnung zwecks Berücksichtigung subsidiären Schutzes zu empfehlen. Ferner sei vorgeschlagen worden, die Begriffsdefinition des Asylantrags in Art. 2 Buchst. c Dublin II-VO durch den „Antrag auf internationalen Schutz“ zu ersetzen.

Mit der vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Berufung beantragt die Beklagte,

die Klage unter Abänderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass in Fallgestaltungen wie der vorliegenden die Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-Verordnung weiter Gültigkeit hätten. Nur dann, wenn ein Antragsteller ausschließlich nationalen Schutz begehre, liege kein Asylantrag im Sinne der Dublin II-Verordnung vor. Bei Rücknahme eines Asylantrags ohne ausdrückliche Beschränkung auf rein nationalen Schutz sei dessen Wirkung nicht ex tunc entfallen, da auch in nationalen Verfahren die Wirkung der Asylantragstellung gerade nicht rückwirkend dergestalt beseitigt werde, als ob ein Asylantrag nie gestellt worden sei. Vielmehr verbleibe die Entscheidungskompetenz über den subsidiären Schutz auch nach Rücknahme beim Bundesamt, während sie ohne Asylantrag bei der Ausländerbehörde gelegen hätte; ein erneuter Asylantrag sei als Folgeantrag zu werten. Zudem müsse nach Art. 5 Abs. 2 Dublin II-VO bei der Prüfung der Zuständigkeit der an Dublin beteiligten Staaten zur Durchführung eines Asylverfahrens von der Situation ausgegangen werden, die im Zeitpunkt der Stellung des ersten Asylantrags eines Asylbewerbers im Hoheitsgebiet oder an der Grenze eines Dublin-Staates bestehe. Eine Änderung dieser Situation habe grundsätzlich keine Auswirkung auf die Zuständigkeit, soweit nicht in der Dublin II-Verordnung selbst Ausnahmeregelungen enthalten seien. Auch beseitige die Rücknahme des Asylantrags nicht die konstitutive Wirkung der Zuständigkeitsbegründung S.s. Damit seien eine Fortsetzung des Dublin-Verfahrens sowie eine Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat möglich. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Mai 2012 - C-620/10 - Kastrati - ergebe sich nichts anderes. In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Fall sei der Asylantrag vor der Zustimmung des Mitgliedstaats zur Aufnahme zurückgenommen und auf den Antrag auf subsidiären Schutz beschränkt worden, während die Kläger vorliegend ihren Asylantrag erst nach der Zustimmung S.s zurückgenommen hätten. Der Europäische Gerichtshof stelle somit für den Fall eines einzigen Asylantrags auf den Zeitpunkt der Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats zur Aufnahme des Asylbewerbers ab. Nur diese Interpretation entspreche sowohl Sinn und Zweck der Zuständigkeitsregelungen nach dem Dublin-Verfahren als auch der angestrebten Verwirklichung der Prinzipien des gemeinsamen europäischen Asylsystems. Der einzelne Antragsteller habe keinen Anspruch darauf, dass sein Asylantrag in einem Mitgliedstaat seiner Wahl geprüft werde. Aus der Dublin-Verordnung könnten keine subjektiven Rechtsansprüche auf Übernahme der Verfahrenszuständigkeit abgeleitet werden. Auch sei die Frage zu stellen, ob überhaupt eine wirksame Antragsrücknahme vorliege. Denn nach den Gesamtumständen zeige sich die erklärte Rücknahme als widersprüchlich und letztlich nicht auf Aufgabe des inhaltlichen Schutzbegehrens gerichtet. Zur Begründung des nun auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gerichteten Begehrens würden unverändert solche Umstände genannt, die die Voraussetzungen für im Heimatland drohende Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 AsylVfG beträfen. Fehle es aber an einer wirksamen Rücknahmeerklärung, stehe die weiter geltende Zuständigkeitsbestimmung nach der Dublin II-Verordnung als Grundlage für die nach § 34a AsylVfG erlassene Abschiebungsanordnung schon im Ansatz nicht infrage.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Dublin II-Verordnung sei im Zeitpunkt des streitgegenständlichen Bescheids nicht mehr anwendbar, da eine Zuständigkeit der Beklagten nach Art. 1 Dublin II-VO nur bei einem „gestellten Asylantrag“ gegeben sei. Mit Schriftsatz vom 28. Juni 2011 sei jedoch das Verfahren ausdrücklich auf den „Antrag zur Feststellung subsidiären Schutzes“ beschränkt worden. Maßgeblich sei hier der Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung und nicht der Zeitpunkt der Zustimmung S.s. Die Wirkungen der von den Klägern vorgenommenen Rücknahme ihres Asylantrags bestimmten sich nach nationalem Verfahrensrecht. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 3. Mai 2012. Für die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts spreche auch, dass der Bundesrat in seiner Sitzung vom 13. Februar 2009 der von der Kommission der Europäischen Gemeinschaft empfohlenen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Verordnung auf Personen, die subsidiären Schutz beantragt haben (KOM 2008, 820), ausdrücklich widersprochen habe (BR-Drs. 965/08).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Akten des Verwaltungsgerichts Ansbach und die Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Berufung der Beklagten, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 125 Abs. 1, § 101 Abs. 2 VwGO), ist begründet. Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids vom 30. Juni 2011 ist rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach war daher abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Abschiebungsanordnung in Nr. 2 des Bescheids vom 30. Juni 2011 ist rechtmäßig.

Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann (§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG in der hier maßgeblichen Fassung vom 2.9.2008 - § 34a AsylVfG a. F. -). Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkt oder vor der Entscheidung des Bundesamts zurückgenommen hat (§ 34a Abs. 1 Satz 2 AsylVfG a. F.). Kann die Einreise über einen sicheren Drittstaat nicht nachgewiesen werden, stellt das Bundesamt im Falle der Rücknahme des Asylantrags das Asylverfahren nach § 32 AsylVfG ein und prüft nationale Abschiebungsverbote (vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl. 2014, § 34a Rn. 8). Nach § 32 AsylVfG ist im Fall der Antragsrücknahme auch zu entscheiden, wenn sich die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaats für die Durchführung des Asylverfahrens (vgl. § 27a AsylVfG) nicht ergibt.

Rechtmäßigkeitsvoraussetzung für den Erlass einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG a. F. ist, dass zum Zeitpunkt ihres Ergehens alle tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen einer Abschiebung vorliegen (vgl. Funke-Kaiser in GK-AsylVfG, Stand: Juni 2014, § 34a AsylVfG Rn. 64). Für den Fall einer Abschiebungsanordnung gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylVfG a. F. muss der zuständige Mitgliedstaat zugestimmt haben. Unabhängig von der Frage, ob unter einem Asylantrag im Sinne von Art. 2 Buchst. c der (hier noch maßgeblichen) Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl EG Nr. L 50 S. 1) - Dublin II-Verordnung (Dublin II-VO) - lediglich der Antrag auf Flüchtlingsschutz oder auch der auf subsidiären internationalen Schutz zu verstehen ist (bejahend: Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, 3. Aufl. 2010, Art. 2 Anm. K5; VG Karlsruhe, U. v. 13.4.2011 - A 3 K 2110/10 - juris; VG Saarl, B. v. 14.6.2010 - 10 L 528/10 - juris; verneinend: VG Augsburg, U. v. 23.3.2010 - Au 6 K 10.30006 - juris; VG München, U. v. 9.9.2010 - M 2 K 09.50582 - juris), wurde die Zuständigkeit S.s mit dessen Zustimmung begründet (1.) und ist durch die Rücknahme der Asylanträge nicht wieder entfallen (2.).

1. Am 13. Juni 2011 hat S. seine Zustimmung gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO erteilt. Mit dieser Zustimmung zum Übernahmegesuch der Beklagten steht S. als der für die Prüfung der Asylanträge zuständige Mitgliedstaat fest. Die Erteilung der Zustimmung entfaltet für die Zuständigkeitsbestimmung gleichsam konstitutive Wirkung. Die Zustimmung beendet das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats; der Hauptzweck der Dublin II-Verordnung, d. h. die Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft der Antragsteller zu gewährleisten (vgl. EuGH, U. v. 3.5.2012 - C-620/10 - Kastrati - NVwZ 2012, 817 Rn. 42), ist damit erreicht. Dem Antragsteller ist es verwehrt, gegen eine durch Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats begründete Zuständigkeit vorzugehen, selbst wenn die Zuständigkeitsbestimmung auf der Heranziehung nicht einschlägiger Kriterien basiert. Denn nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 10.12.2013 - C-394/12 - Abdullahi - NVwZ 2014, 208 Rn. 62) kann der Antragsteller dem nur insoweit entgegentreten, als er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden. Das Dublin-Verfahren dient vorrangig der Klärung der Zuständigkeitsfrage mit dem Ziel einer zügigen Bearbeitung der Asylanträge, subjektive Rechte des Antragstellers auf Prüfung seines Asylantrags durch einen bestimmten, nach den in Kapitel III der Dublin II-Verordnung genannten Zuständigkeitskriterien zuständigen Mitgliedstaat werden nicht begründet. Aber auch durch den ersuchenden Mitgliedstaat kann ein rechtsrichtiges Handeln in Form einer Zustimmung im Einzelfall aus dem Regelungswerk der Verordnung selbst nicht erzwungen werden (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, Art. 16 Anm. K2).

Für die konstitutive Wirkung der Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats spricht auch Folgendes: Bereits vor der Zustimmung wird zwar objektiv einer der in Art. 6 bis 14 Dublin II-VO beschriebenen zuständigkeitsbegründenden Sachverhalte bezüglich eines Mitgliedstaats verwirklicht sein. Es bleibt aber kein Raum für die Annahme einer „schwebenden“ Zuständigkeit, die dann - auch unabhängig vom Ergebnis des Zuständigkeitsprüfungsverfahrens - zu einem späteren Zeitpunkt von mitgliedstaatlichen Organen „erkannt“ werden könnte. Denn dies würde zu massiver Rechtsunsicherheit führen, da das einmal zum Zeitpunkt des Art. 4 Abs. 1 Dublin II-VO festgelegte Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung ex post wieder relativiert werden könnte, beispielsweise durch Selbsteintritt des Mitgliedstaats, in dem der erste Asylantrag gestellt wird. Auch Art. 13 Dublin II-VO spricht in diesem Zusammenhang von „Lässt sich... nicht bestimmen“ (vgl. auch Art. 10 Abs. 1 Dublin II-VO, der eine Feststellung nur gemäß einer der dort genannten Liste von Beweismitteln fordert und somit nicht primär auf den objektiven Sachverhalt abzielt) und verweist somit nicht auf die abstrakte Zuständigkeit, sondern auf deren konkrete Bestimmbarkeit durch die Mitgliedstaaten. Die Feststellung der Zuständigkeit zur Prüfung des Asylantrags i. S. d. Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO bedingt somit einen Akt eines Mitgliedstaats (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, Art. 16 Anm. K2). Erst wenn die Zuständigkeit anlässlich der Asylantragstellung in einem Mitgliedstaat nach den Kriterien des Kapitel III oder des Kapitel IV der Dublin II-Verordnung durch Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats zu einem Aufnahmeersuchen nach Art. 17, 18 Dublin II-VO anerkannt worden ist (oder durch Nichteinleitung eines Aufnahmeverfahrens wegen angenommener eigener Zuständigkeit oder Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO durch den Mitgliedstaat des ersten Asylantrags) werden die in Art. 16 Dublin II-VO geregelten umfassenden Verpflichtungen des zuständigen Mitgliedstaats ausgelöst.

Auch ein Vergleich mit der im Fall der Verfristung bei der Beantwortung eines Aufnahmeersuchens in Art. 18 Abs. 7 Dublin II-VO geregelten Zustimmungsfiktion spricht für die konstitutive Wirkung der ausdrücklich erteilten Zustimmung durch den ersuchten Mitgliedstaat. Denn bei Eintritt der Verfristung wird der die Frist versäumende Mitgliedstaat in diesem Zeitpunkt ex lege zuständig i. S. d. Art. 16 Abs. 1 Dublin II-VO (vgl. Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, Art. 18 Anm. K16). Die Zustimmungsfiktion begründet somit unabdingbar die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats. Nichts anderes kann für die innerhalb der Frist erteilte Zustimmung durch den ersuchten Mitgliedstaat gelten, denn auch die die Zustimmung ersetzende Zustimmungsfiktion begründet die Zuständigkeit ohne Rücksicht auf die abstrakt zuständigkeitsbegründenden Sachverhalte nach den im Kapitel III der Dublin II-Verordnung genannten Kriterien. Die Zuständigkeitsbegründung infolge Verfristung entspricht dem Hauptzweck der Dublin II-Verordnung, d. h. die rasche Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um das jeweilige Asylverfahren zügig zu behandeln.

2. Die durch die Zustimmung begründete Zuständigkeit S.s ist durch die Rücknahme der Asylanträge der Kläger nicht wieder entfallen. Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats war bereits abgeschlossen. Die daran anknüpfenden Regelungen der Dublin II-Verordnung finden weiterhin Anwendung.

Gemäß Art. 2 Buchst. f Dublin II-VO bezeichnet der Ausdruck „Rücknahme des Asylantrags“ die vom Antragsteller im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht ausdrücklich oder stillschweigend unternommenen Schritte zur Beendigung des Verfahrens, das aufgrund des von ihm eingereichten Asylantrags eingeleitet wurde. Art. 2 Buchst. f Dublin II-VO verweist somit nur im Hinblick auf die vom Antragsteller unternommenen Schritte zur Beendigung des Verfahrens auf das einzelstaatliche Recht, nicht aber im Hinblick auf die Wirkungen der Rücknahme, die nicht nach nationalem, sondern nach Unionsrecht zu beurteilen sind (vgl. Marx, AsylVfG, § 34a Rn. 8). Welche Folgen eine Rücknahme des Asylantrags für die Anwendung der Dublin II-Verordnung hat, hat der Unionsgesetzgeber nur für die Fälle geregelt, in denen zumindest zwei Asylanträge in unterschiedlichen Mitgliedstaaten gestellt worden sind (vgl. Art. 4 Abs. 5 und Art. 16 Satz 1 Buchst. d Dublin II-VO), nicht aber für die Fälle der Rücknahme eines im Unionsgebiet gestellten einzigen Asylantrags. Für diesen Fall, dass der Antragsteller seinen Antrag zurückgenommen hat, ohne zumindest in einem anderen Mitgliedstaat einen solchen Antrag gestellt zu haben, hat der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 3. Mai 2012 - C-620/10 - Kastrati - (NVwZ 2012, 817) entschieden, dass die Dublin II-Verordnung nicht mehr anzuwenden ist, wenn die Rücknahme des Asylantrags erfolgt, bevor der für die Prüfung dieses Antrags zuständige Mitgliedstaat der Aufnahme des Antragstellers zugestimmt hat. Zur Begründung führt der Europäische Gerichtshof aus, dass in diesem Fall der Hauptzweck der Dublin II-Verordnung, d. h. die Ermittlung des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats, um den effektiven Zugang zu den Verfahren zur Beurteilung der Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers zu gewährleisten, nicht mehr erreicht werden kann (EuGH a. a. O. Rn. 42). Daraus ist im Umkehrschluss zu folgern, dass dann, wenn - wie hier - mit der Zustimmung die Zuständigkeit des für die Prüfung des Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats feststeht, der Hauptzweck der Dublin II-Verordnung also erreicht wurde, die an diese Zuständigkeitsbestimmung anknüpfenden Regelungen der Dublin II-Verordnung weiter Anwendung finden, auch wenn der Antragsteller seinen Asylantrag nach der Zustimmung zurücknimmt. Denn das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats ist abgeschlossen; der zur Prüfung des Asylantrags (und der Folgeentscheidungen) zuständige Mitgliedstaat ist bereits eindeutig bestimmt.

Dem so ermittelten Ergebnis steht nicht entgegen, dass der Europäische Gerichtshof in der Regel die ihm vorgelegten Rechtsfragen nur soweit beantwortet, als es für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens erforderlich ist und folglich hier die vom vorlegenden Gericht offen gestellte Frage, ob es für die Folgen der Rücknahme des Asylantrags von Bedeutung sei, in welchem Stadium der Bearbeitung der Asylantrag die Rücknahme erfolge, nur in dem für das Ausgangsverfahren streitentscheidenden Umfang beantwortet hat. Vielmehr erschließt sich die Beantwortung der Frage nach der weiteren Geltung der Dublin II-Verordnung für die Fälle, in denen der Antragsteller seinen (einzigen) Asylantrag zurücknimmt, aus der maßgeblichen Urteilsbegründung, die darauf abstellt, ob der Hauptzweck der Dublin II-Verordnung, nämlich die Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaats, noch erreicht werden kann oder nicht. Im Gegensatz zu dem vom Europäischen Gerichtshof entschiedenen Fall war hier dieser Zweck bereits vor der Rücknahme der Asylanträge mit Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats erreicht. Soweit das Verwaltungsgericht Hamburg in seinem Urteil vom 17. März 2014 - 8 A 445/14 - (juris) aus der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs folgert, dass die Dublin II-Verordnung auch dann keine Anwendung mehr finden könne, wenn die Rücknahme nach Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaats erfolge, da die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats kein Selbstzweck sei, ist dem entgegenzuhalten, dass der Europäische Gerichtshof unter Heranziehung der Erwägungsgründe den Hauptzweck der Dublin II-Verordnung klar in den Fokus seiner Begründung gestellt hat; die Regelungen der Dublin II-Verordnung sollen vorrangig eine klare und praktikable Formel für die Bestimmung des für die Prüfung eines Asylantrags zuständigen Mitgliedstaats sein (vgl. Erwägungsgrund 3 der Dublin II-Verordnung). Wegen der auch nach Rücknahme eines Asylantrags noch anstehenden Entscheidungen, etwa über die Gewährung subsidiären (internationalen) Schutzes, über aufenthaltsbeendigende Maßnahmen oder auch Folgeanträge, ist die bereits erfolgte Bestimmung des nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Staats gerade kein Selbstzweck.

Die Weitergeltung der Dublin II-Verordnung im Falle der Rücknahme des (einzigen) Asylantrags hängt nicht davon ab, ob der Rücknahme eine ex tunc- oder ex nunc- Wirkung beigemessen wird. Denn durch die Rücknahme eines Asylantrags werden dessen Wirkungen auch nach den Vorgaben des Unionsrechts nicht restlos rückwirkend beseitigt. Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 (ABl EG Nr. L 326 S. 13) regelt, dass die Mitgliedstaaten, soweit sie in den nationalen Rechtsvorschriften die Möglichkeit einer ausdrücklichen Rücknahme des Antrags vorsehen, im Falle der ausdrücklichen Rücknahme eines Asylantrags durch den Asylbewerber sicherstellen, dass die Asylbehörde die Entscheidung trifft, entweder die Antragsprüfung einzustellen oder den Antrag abzulehnen. Nach Art. 19 Abs. 2 der Richtlinie 2005/85/EG können die Mitgliedstaaten auch beschließen, dass die Asylbehörde die Antragsprüfung einstellen kann, ohne dass eine Entscheidung über den Antrag getroffen wurde. In diesem Fall stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass die Asylbehörde eine entsprechende Notiz in die Akte des Antragstellers aufnimmt. Auch das Unionsrecht geht folglich im Falle der ausdrücklichen Rücknahme eines Asylantrags von der Entscheidungskompetenz der Asylbehörde und nicht der Ausländerbehörde aus, die, ginge man von der restlosen rückwirkenden Beseitigung der Asylantragstellung aus, folgerichtig zuständig wäre.

3. Aufgrund dieses Befundes kommt es vorliegend nicht mehr entscheidungserheblich auf die Frage an, ob die Asylanträge der Kläger überhaupt wirksam zurückgenommen werden konnten. An sich wäre zwar im Fall der Kläger zu prüfen, ob die Beschränkung des Antrags auf subsidiären (internationalen und nationalen) Schutz überhaupt gewollt war, nachdem die Kläger auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht zur Begründung des nun auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gerichteten Begehrens unverändert solche Umstände genannt haben, die die Voraussetzungen im Heimatland drohender Verfolgung i. S. d. § 3 Abs. 1 AsylVfG betreffen. Da jedoch - wie oben ausgeführt - trotz Rücknahme der (einzigen) Asylanträge die Anwendbarkeit der Dublin II-Verordnung und somit die Zuständigkeit S.s zu bejahen ist, kann diese Frage dahinstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylVfG gerichtskostenfrei.

Die Revision ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a). (2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur 1. bei der

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalit
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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published on 17/03/2014 00:00

Tenor 1. Der Bescheid der Beklagten vom ... Januar 2014 wird aufgehoben. Im Übrigen wird das Verfahren eingestellt. 2. Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Tatb
published on 13/04/2011 00:00

Tenor Die Klage wird abgewiesen. Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. Tatbestand   1 Der Kläger wendet sich gegen die Anordnung seiner Abschiebung nach Schweden. 2 Der am 02.04.1979 geborene Kläger ist irakischer S
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Annotations

(1) Politisch Verfolgte genießen Asylrecht.

(2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Die Staaten außerhalb der Europäischen Gemeinschaften, auf die die Voraussetzungen des Satzes 1 zutreffen, werden durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, bestimmt. In den Fällen des Satzes 1 können aufenthaltsbeendende Maßnahmen unabhängig von einem hiergegen eingelegten Rechtsbehelf vollzogen werden.

(3) Durch Gesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, können Staaten bestimmt werden, bei denen auf Grund der Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint, daß dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet. Es wird vermutet, daß ein Ausländer aus einem solchen Staat nicht verfolgt wird, solange er nicht Tatsachen vorträgt, die die Annahme begründen, daß er entgegen dieser Vermutung politisch verfolgt wird.

(4) Die Vollziehung aufenthaltsbeendender Maßnahmen wird in den Fällen des Absatzes 3 und in anderen Fällen, die offensichtlich unbegründet sind oder als offensichtlich unbegründet gelten, durch das Gericht nur ausgesetzt, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme bestehen; der Prüfungsumfang kann eingeschränkt werden und verspätetes Vorbringen unberücksichtigt bleiben. Das Nähere ist durch Gesetz zu bestimmen.

(5) Die Absätze 1 bis 4 stehen völkerrechtlichen Verträgen von Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften untereinander und mit dritten Staaten nicht entgegen, die unter Beachtung der Verpflichtungen aus dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, deren Anwendung in den Vertragsstaaten sichergestellt sein muß, Zuständigkeitsregelungen für die Prüfung von Asylbegehren einschließlich der gegenseitigen Anerkennung von Asylentscheidungen treffen.

(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.

(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.

(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.

(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.

(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.

(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.

(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.

(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.

(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.

(11) (weggefallen)

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung.

(2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts (§ 49 Nr. 1) und gegen Beschlüsse nach § 47 Abs. 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht zu, wenn das Oberverwaltungsgericht oder auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung das Bundesverwaltungsgericht sie zugelassen hat.

(2) Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Bundesverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden.