Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. März 2019 - 8 ZB 19.30971

published on 27/03/2019 00:00
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. März 2019 - 8 ZB 19.30971
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Verwaltungsgericht Regensburg, RO 2 K 17.33030, 30/01/2019

Gericht

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Tenor

Die Berufung wird zugelassen.

Gründe

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat Erfolg.

1. Die Berufung ist wegen eines Verfahrensmangels im Sinne von § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO zuzulassen.

Der geltend gemachte Verfahrensmangel der Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 91 Abs. 1 BV) liegt vor. Das rechtliche Gehör als prozessuales Grundrecht gebietet, dass ein Urteil nur auf solche Tatsachen und Beweismittel - einschließlich Presseberichte und Behördenauskünfte - gestützt werden darf, die von einem Verfahrensbeteiligten oder dem Gericht im Einzelnen bezeichnet zum Gegenstand des Verfahrens gemacht wurden und zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (vgl. BVerfG, B.v. 3.11.1959 - 1 BvR 13/59 - BVerfGE 10,177/182 = juris Rn. 14; B.v. 18.6.1985 - 2 BvR 414/84 - BVerfGE 70, 180, 189 = juris Rn. 27; Berlit in GK-AsylG, Stand März 2018, § 78 Rn. 322). Diese Pflicht besteht unabhängig davon, dass offenkundige Tatsachen gemäß § 291 ZPO keines Beweises bedürfen. Die Frage, ob Beweis erhoben werden muss, ist von der Frage zu trennen, ob eine Tatsache verwertet werden darf bzw. ob und wie diese in den Prozess einzuführen ist (vgl. BVerfG, B.v. 3.11.1959 - 1 BvR 13/59 - BVerfGE 10,177/183 = juris Rn. 15; Greger in Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, § 291 Rn. 4). Die Verpflichtung zur sach- und zweckgerichteten Gehörsgewährung kann auch nicht mit der Erwägung verneint werden, das Urteil beruhe auf einer wertenden Erkenntnis und auf einer Überzeugungsbildung, die keines Nachweises und keiner weiteren Darlegung bedürfe; denn nur bei Offenlegung der Erkenntnisquellen über die der Entscheidungsfindung zugrunde gelegten tatsächlichen Umstände wird den Beteiligten eine effektive Prozessführung ermöglicht und die Gelegenheit eröffnet, durch Vortrag und Anträge auf die Zusammensetzung des Quellenmaterials Einfluss zu nehmen.

Hieraus folgt im gerichtlichen Asylverfahren grundsätzlich die Pflicht des Gerichts, die Erkenntnismittel, auf die es seine Entscheidung zu stützen beabsichtigt, in einer Weise zu bezeichnen und in das Verfahren einzuführen, die es den Verfahrensbeteiligten ermöglicht, diese zur Kenntnis zu nehmen und sich zu ihnen zu äußern (vgl. VGH BW, B.v. 9.3.2017 - A 12 S 235/17 - juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 8.7.2014 - 13 LA 16/14 - InfAuslR 2014, 458 = juris Rn. 4). Lediglich auf offenkundige Tatsachen, die allen Beteiligten gegenwärtig sind und von denen sie wissen, dass sie für die Entscheidung erheblich sein können, darf die Entscheidung auch ohne ausdrücklichen Hinweis gestützt werden. Für eine ordnungsgemäße Einführung in das Verfahren reicht es dabei grundsätzlich aus, dass das Gericht den Beteiligten eine Liste der betreffenden Erkenntnismittel übersendet (vgl. VGH BW, B.v. 9.3.2017 - A 12 S 235/17 - juris Rn. 6; NdsOVG, B.v. 8.7.2014 - 13 LA 16/14 - InfAuslR 2014, 458).

Gemessen an diesen Grundsätzen ist hier ein Gehörsverstoß gegeben. Ein Teil der vom Gericht entscheidungstragend verwendeten Erkenntnismittel sind nicht ordnungsgemäß in den Prozess eingeführt worden. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung darauf abgestellt, dass unter Berücksichtigung der Ereignisse im Jahr 2018 in Äthiopien nicht davon auszugehen ist, dass eine Verfolgung von nicht herausgehoben politisch tätigen Personen beachtlich wahrscheinlich wäre (Urteilsabdruck S. 9). Bei der anschließenden Darstellung der diese Einschätzung des Gerichts stützenden Entwicklungen des Jahres 2018 werden vor allem Presseberichte der BBC, des Portals africanews und jeune afrique bzw. ein facebook-Account zitiert. Diese Pressemeldungen waren weder in der zusammen mit der Terminsladung übersandten Auskunftsliste Äthiopien (Stand: 22.10.2018) enthalten noch auf andere Weise zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht worden. Es ist nicht ersichtlich, dass diese Informationen allen Beteiligten gegenwärtig gewesen sind und dass sie sich der Entscheidungserheblichkeit bewusst waren. Die vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zur aktuellen politischen Lage in Äthiopien ergeben sich auch nicht aus anderen - vom Gericht in das Verfahren eingeführten - Erkenntnismitteln. Dies ist der Entscheidung selbst zu entnehmen, indem dort „zu den meisten der im Folgenden mit Primärquellen zitierten Entwicklungen“ auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Äthiopien, BFA Österreich vom 8. Januar 2019 und auf den Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 17. Oktober 2018 verwiesen wird (vgl. Urteilsabdruck S. 9). Das Urteil beruht auch auf dem dargestellten Verstoß, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kläger ohne ihn im Einzelnen noch spezifiziert vorgetragen und gegebenenfalls weiteren Beweis angetreten hätte.

2. Der Senat erwägt, nach § 130 a VwGO die Berufung entsprechend seiner im beigefügten Urteil vom 13. Februar 2019 - 8 B 17.31645 - niedergelegten Rechtsprechung zurückzuweisen. Nach einhelliger Auffassung des Senats müssen infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 Personen - wie der Kläger - wegen ihrer Mitgliedschaft in einer in Deutschland exilpolitisch tätigen Organisation, die - wie die TBOJ/UOSG - einer der in Äthiopien bis Sommer 2018 als Terrororganisation eingestuften Organisation nahesteht, oder wegen einer exilpolitischen Tätigkeit für eine solche Organisation bei ihrer Rückkehr nach Äthiopien grundsätzlich nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsmaßnahmen befürchten (vgl. Leitsatz und Rn. 43 des Urteilsabdrucks).

Die Beteiligten können sich dazu binnen vier Wochen ab Zugang der Berufungsbegründung äußern. Auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 2018 - 1 B 50.18 u.a. - juris Rn. 21 ff. wird hingewiesen.

3. Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge
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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge
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published on 09/03/2017 00:00

Tenor Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 8. Dezember 2016 - A 1 K 5331/16 - wird abgelehnt.Die Kläger tragen die Kosten des gerichtskostenfreien Zulassungsverfahrens je zur Hälfte.
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Annotations

(1) Das Urteil des Verwaltungsgerichts, durch das die Klage in Rechtsstreitigkeiten nach diesem Gesetz als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet abgewiesen wird, ist unanfechtbar. Das gilt auch, wenn nur das Klagebegehren gegen die Entscheidung über den Asylantrag als offensichtlich unzulässig oder offensichtlich unbegründet, das Klagebegehren im Übrigen hingegen als unzulässig oder unbegründet abgewiesen worden ist.

(2) In den übrigen Fällen steht den Beteiligten die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zu, wenn sie von dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(3) Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein in § 138 der Verwaltungsgerichtsordnung bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.

(4) Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. In dem Antrag sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss, der keiner Begründung bedarf. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) § 134 der Verwaltungsgerichtsordnung findet keine Anwendung, wenn das Urteil des Verwaltungsgerichts nach Absatz 1 unanfechtbar ist.

(7) Ein Rechtsbehelf nach § 84 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung ist innerhalb von zwei Wochen nach Zustellung des Gerichtsbescheids zu erheben.

(8) Gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht den Beteiligten die Revision an das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 132 Absatz 1 und § 137 Absatz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung auch zu, wenn das Oberverwaltungsgericht

1.
in der Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat von deren Beurteilung durch ein anderes Oberverwaltungsgericht oder durch das Bundesverwaltungsgericht abweicht und
2.
die Revision deswegen zugelassen hat.
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann auf diesen Zulassungsgrund nicht gestützt werden. Die Revision ist beschränkt auf die Beurteilung der allgemeinen asyl-, abschiebungs- oder überstellungsrelevanten Lage in einem Herkunfts- oder Zielstaat. In dem hierfür erforderlichen Umfang ist das Bundesverwaltungsgericht abweichend von § 137 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung nicht an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden. Das Bundesverwaltungsgericht berücksichtigt für die Beurteilung der allgemeinen Lage diejenigen herkunfts- oder zielstaatsbezogenen Erkenntnisse, die von den in Satz 1 Nummer 1 genannten Gerichten verwertet worden sind, die ihm zum Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung oder Entscheidung (§ 77 Absatz 1) von den Beteiligten vorgelegt oder die von ihm beigezogen oder erhoben worden sind. Die Anschlussrevision ist ausgeschlossen.

(8a) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat evaluiert im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Justiz die Revision nach Absatz 8 drei Jahre nach Inkrafttreten.

Ein Urteil ist stets als auf der Verletzung von Bundesrecht beruhend anzusehen, wenn

1.
das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war,
2.
bei der Entscheidung ein Richter mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramts kraft Gesetzes ausgeschlossen oder wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abgelehnt war,
3.
einem Beteiligten das rechtliche Gehör versagt war,
4.
ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war, außer wenn er der Prozeßführung ausdrücklich oder stillschweigend zugestimmt hat,
5.
das Urteil auf eine mündliche Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt worden sind, oder
6.
die Entscheidung nicht mit Gründen versehen ist.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

Tatsachen, die bei dem Gericht offenkundig sind, bedürfen keines Beweises.