Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Apr. 2015 - 14 ZB 13.30076

published on 27/04/2015 00:00
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 27. Apr. 2015 - 14 ZB 13.30076
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Verwaltungsgericht Regensburg, RO 4 K 11.30204, 08/02/2013

Gericht

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Tenor

I.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) ist nicht in der gebotenen Weise (§ 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG) dargelegt bzw. liegt nicht vor.

Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung setzt voraus, dass die im Zulassungsantrag dargelegte Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung der Vorinstanz von Bedeutung war, auch für die Entscheidung im Berufungsverfahren erheblich wäre, bisher höchstrichterlich oder - bei tatsächlichen Fragen oder nicht revisiblen Rechtsfragen - durch die Rechtsprechung des Berufungsgerichts nicht geklärt, aber klärungsbedürftig und über den zu entscheidenden Fall hinaus bedeutsam ist (st. Rspr., z. B. BayVGH, B.v. 25.2.2013 - 14 ZB 13.30023 - juris Rn. 2 m. w. N.; vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 36 ff. m. w. N.).

Um den auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer (1.) eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, (2.) ausführen, weshalb die Rechts- oder Tatsachenfrage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, (3.) erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist und (4.) darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt; Darlegungen zu offensichtlichen Punkten sind dabei entbehrlich (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 72 m. w. N.).

Gemessen hieran hat der Kläger keine Fragen von grundsätzlicher Bedeutung formuliert. Die von ihm aufgeworfenen Fragen bedürfen keiner Klärung in einem Berufungsverfahren.

I.

Der Kläger hält es zunächst für grundsätzlich klärungsbedürftig, ob

1. Asylsuchende in Deutschland, die aus „Ungarn nach Deutschland reisen, im Rahmen der Dublin II-Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrens wieder nach Ungarn rücküberstellt werden“ dürfen,

2. davon ausgegangen werden kann, „dass die ungarische Regierung die rücküberstellten Asylsuchenden entsprechend den europäischen Standards und unter Einhaltung der EMRK behandelt“,

3. davon ausgegangen werden kann, „dass die Asylsuchenden ihr Verfahren in Ungarn nach europäischem Maßstab durchführen können“.

Es kann offen bleiben, ob der Kläger mit derart weitgefassten Fragestellungen konkrete Rechts- oder Tatsachenfragen i. S. d. § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG dargelegt hat, die einer grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren zugänglich sind. Die Fragen Nrn. 1 bis 3, die sich im Übrigen thematisch überschneiden, beinhalten rechtlich und/oder tatsächlich derart viele unterschiedliche Fallgestaltungen, dass die Fragen - so wie sie gestellt sind - weder klärungs- noch auslegungsfähig sein dürften. Jedenfalls aber rechtfertigen die aufgeworfenen Fragen mangels Klärungsbedürftigkeit bzw. mangels Darlegung der Klärungsbedürftigkeit nicht die Zulassung der Berufung nach § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG.

Der Kläger könnte in einem Berufungsverfahren dem streitgegenständlichen Bescheid vom 16. Februar 2011, mit dem die Beklagte festgestellt hat, dass der Asylantrag des Klägers unzulässig ist (Nr. 1 des Bescheids), und seine Abschiebung nach Ungarn angeordnet hat (Nr. 2 des Bescheids), damit entgegentreten, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Ungarn geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 10.12.2013 - C-394/12 - NVwZ 2014, 208 Rn. 62; BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 Rn. 6 m. w. N.). Dabei wäre nach § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Berufungsentscheidung abzustellen (vgl. Schenk in Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Nov. 2014, § 77 AsylVfG Rn. 6). Bei der Bewertung der in Ungarn anzutreffenden Umstände der Durchführung des Asylverfahrens und der Aufnahme von Flüchtlingen wären im Berufungsverfahren diejenigen Umstände heranzuziehen, die im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (auch) auf die Situation des Klägers zutreffen. Abzustellen wäre demnach auf die Situation von Flüchtlingen in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage, wohingegen die Situation von Flüchtlingen in anderen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen keine unmittelbare Rolle spielen würde. Sie könnte allenfalls ergänzend herangezogen werden, sofern sich diese Umstände auch auf die Situation des Klägers auswirken könnten (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - InfAuslR 2014, 352 Rn. 5; OVG NW, U.v. 7.3.2014 - 1 A 21/12.A - DVBl 2014, 790 Rn. 130).

Ausweislich der von der Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgelegten und vom Verwaltungsgericht in Bezug genommenen Mitteilung des Liasonmitarbeiters beim Ungarischen Amt für Staatsbürgerschaft und Einwanderung (BAH) vom 4. Februar 2013 wurde der Asylantrag des Klägers in Ungarn am 29. Juli 2011 abgelehnt. Die von ihm fristgerecht gegen die Verwaltungsentscheidung eingelegte Klage sei von einem ungarischen Gericht am 8. Dezember 2011 abgewiesen worden. Ein am 5. Januar 2012 in Ungarn gestellter weiterer Asylantrag des Klägers sei nach dessen Anhörung am 1. Februar 2012 abgelehnt worden. Eine auch hiergegen erhobene Klage sei mit Entscheidung vom 13. März 2012 abgewiesen worden. Nachdem der Kläger am 26. Januar 2012 aus der Abschiebehaft entlassen worden sei, sei er zunächst in einer Aufnahmeeinrichtung verblieben und anschließend am 27. Februar 2012 in eine Privatunterkunft verzogen.

Der Kläger hat dem Inhalt dieser Mitteilung lediglich insoweit widersprochen, als er im Zulassungsantrag rügt, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb das Gericht in seinem Urteil plötzlich zu der Feststellung gelange, dass die „ungarischen Behörden über das Datum der Entlassung des Klägers die Wahrheit sagen und nicht der Kläger“. Die weiteren Angaben des Liasonmitarbeiters hat er weder im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch im Zulassungsverfahren in Abrede gestellt. Damit hat der Senat davon auszugehen, dass über die vom Kläger in Ungarn gestellten Asylanträge während seines dortigen Aufenthalts, d. h. zwischen dem 12. Mai 2011 (Datum der Luftabschiebung des Klägers) und seiner Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland, (endgültig) entschieden worden ist.

Aus diesem Grund befindet sich der Kläger derzeit nicht mehr in einem Asylverfahren. Demgemäß dürfte die Frage Nr. 2, die sich auf die Behandlung rücküberstellter „Asylsuchender“ bezieht, im erstrebten Berufungsverfahren schon aus diesem Grund nicht entscheidungserheblich sein. Da auch Frage Nr. 3 ihrem Wortlaut nach auf Asylsuchende abstellt und der Kläger nicht darlegt, dass er in Ungarn über die bereits abgeschlossenen Asylverfahren hinaus ein weiteres Asylverfahren durchführen könnte, ist auch sie nicht entscheidungserheblich. Somit wäre in einem Berufungsverfahren nicht in erster Linie die Situation von Asylsuchenden zu beleuchten, vor allem nicht - wie es der Kläger in der aufgeworfenen Frage Nr. 1 für grundsätzlich klärungsbedürftig hält - von solchen Asylsuchenden, die zur „Durchführung des Asylverfahrens wieder nach Ungarn rücküberstellt werden“. Im Berufungsverfahren des Klägers wäre vielmehr die Situation von Dublin-Rückkehrern zu betrachten, die sich aktuell in Ungarn nicht mehr in einem Asylverfahren befinden, weil über (mindestens) einen Asylantrag bereits entschieden worden ist, und die, auch wenn der ursprüngliche Antrag abgelehnt worden ist, ein weiteres Asylverfahren regelmäßig nicht mehr (unter den gleichen Voraussetzungen wie bei einem Erstantrag) neu einleiten könnten.

Selbst dann, wenn man zugunsten des Klägers im Gesamtzusammenhang seiner Antragsbegründung die aufgeworfenen Fragen Nrn. 1 bis 3 dahingehend auslegt, dass sie sich auf die gebotene Behandlung von Rückkehrern beziehen, die sich in einer vergleichbaren Situation wie er selbst befinden, hat der Kläger die Klärungsbedürftigkeit dieser Fragen nicht dargelegt. Aufgrund systemischer Mängel die Vermutung zu widerlegen, dass der als zuständig bestimmte Mitgliedstaat die Unionsgrundrechte beachtet (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411.10 u. a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 80), setzt voraus, dass die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Nur dann scheidet eine Überstellung an den nach der Dublin II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat aus (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - InfAuslR 2014, 352 Rn. 5). Dies berücksichtigend müsste der Kläger in allen Fragen Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass Flüchtlingen, die sich in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Lage wie er selbst befinden, bei ihrer Rücküberstellung nach Ungarn systemische Mängel des Asylverfahrens drohen. Dem kommt der Kläger jedoch nicht nach. Zwar zitiert er umfangreich aus dem Bericht des UNHCR vom April 2012 und trägt vor, die von ihm im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geschilderten Zustände und Misshandlungen deckten sich vollständig unter anderem mit den Berichten von internationalen Organisationen. Da die wiedergegebenen Verhältnisse im Wesentlichen Rückkehrer betreffen, die zur Durchführung eines Asylverfahrens nach Ungarn rücküberstellt wurden, hätte der Kläger zunächst darlegen müssen, warum die vom UNHCR geschilderten Umstände auch für Rückkehrer gelten, die, wie er selbst (mindestens) ein Asylverfahren in Ungarn durchgeführt haben. Durch die auszugsweise Wiedergabe des Berichts des UNHCR vom April 2012 wird zudem deutlich, dass sich der Kläger auf Umstände bezieht, die sich vor Juli 2012 ereignet haben. Nach entscheidungserheblicher Einschätzung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Urteil, die auf die Mitteilung des Liasonmitarbeiters vom 4. Februar 2013 gestützt ist, ist es jedoch in Ungarn ab Mitte Juli 2012 zu einer veränderten Verfahrenspraxis gekommen, so dass dort nicht (mehr) von systemischen Mängeln des Asylverfahrens auszugehen sei. Mit dieser Einschätzung des Verwaltungsgerichts setzt sich der Kläger weder substantiiert auseinander noch zeigt er auf, warum die Aussagen des UNHCR nicht veraltet, sondern über Juli 2012 hinaus Gültigkeit haben. Auch legt der Kläger in diesem Zusammenhang nicht dar, warum seine persönlichen Erlebnisse, die bereits einige Jahre zurückliegen und die er im Wesentlichen während des laufenden Asylverfahrens in Ungarn hatte, nicht durch neuere Entwicklungen im betreffenden Staat überholt sein können (vgl. BVerwG, B.v. 6.6.2014 - 10 B 35.14 - NVwZ 2014, 1677 Rn. 6).

Die Zuständigkeit Ungarns zur Aufnahme des Klägers, die sich wegen seiner Einreise mit einem von der ungarischen Botschaft in Teheran ausgestellten ungarischen Visum aus Art. 9 Abs. 4 der im vorliegenden Verfahren noch maßgeblichen Verordnung (EG) Nr. 343/2003 - Dublin II-Verordnung - (im Folgenden: Dublin II-VO) ergibt, bleibt durch die tatsächlichen Veränderungen unberührt. Denn Ziel der Dublin II-Verordnung ist, dass der Staat, der zur Prüfung des Asylantrags zuständig ist, auch für die Vornahme aufenthaltsbeendender Maßnahmen zuständig sein soll (Filzwieser/Sprung, Dublin II-Verordnung, 3. Aufl. 2010, Art. 16 K25). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Ungarn das insoweit Erforderliche getan hat.

II.

Ungeachtet dessen, dass der Kläger bereits die Entscheidungserheblichkeit der Frage Nr. 4 nicht in der nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG gebotenen Weise dargelegt hat, ist es vorliegend nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, ob „das Versäumnis der Frist zum Ersuchen des anderen Mitgliedsstaates, vorliegend Ungarn, gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 1 und 2 EG-AsylZustVO, durch den ersuchenden Mitgliedstaat, vorliegend Deutschland, dem Asylsuchenden ein individuelles Recht auf Zuständigkeit des ersuchenden Staates, als Sanktion für das Fristversäumnis“ verleiht.

Es ist in der Rechtsprechung geklärt, dass die Fristbestimmungen des § 17 Abs. 1 und 2 der - vom Kläger als EG-AsylZustVO bezeichneten - Dublin II-Verordnung für Übernahmeersuchen allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats und einer zeitnahen Überstellung in diesen Staat dienen (vgl. auch HessVGH, B.v. 25.8.2014 - 2 A 976/14.A - Rn. 15 m. w. N.). Denn wie zuvor dargelegt, ist insoweit sowohl der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, U.v. 10.12.2013 - C-394/12 - NVwZ 2014, 208 Rn. 62) als auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - NVwZ 2014, 1039 Rn. 6 m. w. N.; B.v. 15.4.2014 - 10 B 16.14 - Buchholz 402.25 § 27a AsylVfG Nr. 1 Rn. 12) zu entnehmen, dass ein Asylbewerber der Überstellung in den nach der Dublin II-Verordnung für ihn zuständigen Mitgliedstaat - jedenfalls nach dessen Zustimmung - nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegen treten kann. Damit ist zugleich geklärt, dass wichtige Verfahrensregelungen und -fristen des „Dublin“-Systems kein subjektives Recht des Asylantragstellers begründen (Berlit, Anmerkung zu BVerwG, B.v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - jurisPR-BVerwG 12/2014 Anm. D).

Kosten: § 154 Abs. 2 VwGO

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we
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Annotations

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.