Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 19. Nov. 2014 - L 15 VS 4/13

published on 19/11/2014 00:00
Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 19. Nov. 2014 - L 15 VS 4/13
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Tenor

I.

Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 6. Februar 2013 wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Streitig ist, ob dem Kläger im Rahmen seiner Versorgung wegen einer Wehrdienstbeschädigung nach § 80 Soldatenversorgungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) ein höherer Berufsschadensausgleich im Sinn des § 30 Abs. 3 ff. BVG zu gewähren ist, als er in der Vergangenheit bestandskräftig festgestellt worden ist, wobei die angefochtene Entscheidung eine Überprüfungsentscheidung gemäß § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) darstellt.

Der 1958 geborene Kläger erlitt als Soldat bei einem Manöverschießen am 07.02.1978 ein Knalltrauma. Anerkannt als Schädigungsfolgen sind eine mittelgradige Innenohr-schwerhörigkeit rechts mit Ohrgeräuschen und erheblichen psychoreaktiven Störungen sowie Schwindelerscheinungen. Unter Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit bezieht der Kläger seit Januar 1995 Versorgung nach einem Grad der Schädigung von 50.

Mit Bescheid vom 17.04.2000 bewilligte der Beklagte dem Kläger Berufsschadensausgleich ab dem 01.07.1997 unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 10 bis zur Vollendung des 40. Lebensjahrs und der Besoldungsgruppe A 11 bis zur Vollendung des 52. Lebensjahrs.

Der vom Kläger wegen der Höhe des Berufsschadensausgleichs erhobene Widerspruch führte dazu, dass dem Kläger mit Abhilfebescheid vom 19.09.2001 Berufsschadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 11 bereits ab dem 01.07.1997 gewährt wurde. Im Übrigen wurde sein Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2001 zurückgewiesen. Der Ansicht des Klägers, dass wegen seiner beruflichen Tätigkeit in der Privatwirtschaft (zuletzt bei der N. Computer AG), nach der er in den gehobenen Dienst der Deutschen Bundespost gewechselt war, als Vergleichseinkommen das eines leitenden Angestellten in der Privatwirtschaft zugrunde zu legen sei, schloss sich der Beklagte nicht an, ebenso nicht der Meinung des Klägers, dass er aufgrund der Privatisierung der Telekom und wegen des zwischenzeitlich höheren Stellenwerts eines Diplom-Nachrichtentechnikers heute wesentlich mehr verdienen würde. Dagegen erhob der Kläger Klage. Vor Gericht konnte er mit seinem Begehren auf Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs nicht durchdringen (Urteil des Sozialgerichts - SG - Landshut vom 20.06.2006, Az.: S 9 VS 17/01; Urteil des Bayer. Landessozialgerichts - LSG - vom 30.06.2010, Az.: L 15 VS 12/06), wobei sich die Gerichte umfassend mit dem beruflichen Werdegang des Klägers und dessen Argumentation beschäftigt hatten.

Mit Schreiben vom 16.08.2010, dem Beklagten zur Kenntnisnahme übermittelt, teilte der Kläger dem Bayer. LSG zum Urteil vom 30.06.2010 mit, dass er die dortige Entscheidung, bei der die Revision nicht zugelassen worden war, für falsch halte.

Mit Schreiben vom 17.11.2010 stellte der Kläger beim Beklagten einen Überprüfungsantrag und verwies auf sein Schreiben vom 16.08.2010 an das Bayer. LSG. Das Augenmerk des Bayer. LSG im Urteil vom 30.06.2010 habe fälschlicherweise bei der Einstufung seines Berufsschadens nach der A-Besoldungstabelle gelegen und nicht, wie er zum Ausdruck gebracht habe, bei der Einstufung als leitender Angestellter mit durchschnittlich 120 Mitarbeitern. Die Einstufung müsse entsprechend dem Vergleichseinkommen bzw. Durchschnittseinkommen der Berufs- und Wirtschaftsgruppe erfolgen, innerhalb derer er sich zu diesem Zeitpunkt befunden habe, respektive der Tätigkeit eines Diplomingenieurs der Elektro- und Nachrichtentechnik, einem der schwierigsten Studiengänge mit hohen Abbrecher- und Durchfallquoten, d. h. als leitender Angestellter. Sein (letzter) Arbeitgeber (Telekom) sei bereits privatisiert und die Entlohnungs- und Aufstiegsstrukturen gravierenden Änderungen unterzogen worden, was bedeute, dass höhere Verdienst- und Karrierechancen in seinem Unternehmensbereich bestanden hätten.

Mit am 24.05.2012 per Fax übermittelten Schreiben trug der Kläger weiter vor, dass sein beruflicher Werdegang als leitender Ingenieur in einem Unternehmen mit hohem Zukunftspotential und damit einhergehend mit hohen Chancen des beruflichen Aufstiegs geendet habe. Die aufsteigende Besoldung (nach den Besoldungsgruppen des Beamtenrechts) sei nach dieser Betrachtung nicht angemessen.

Mit Bescheid vom 04.09.2012 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag mit Hinweis auf die Bestandskraft der in den Bescheiden vom 17.04.2000 und 19.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2001 getroffenen Entscheidung ab. Die Gewährung eines höheren Berufsschadensausgleichs sei bereits in einem Klage- und Berufungsverfahren ausführlich geprüft und rechtskräftig abgelehnt worden. Neue Tatsachen, Erkenntnisse oder Beweismittel seien diesbezüglich nicht vorgetragen worden. Der Antrag sei daher ohne neue Sachprüfung abzulehnen.

Seinen dagegen erhobenen Widerspruch begründete der Kläger mit Schreiben vom 14.10.2012 damit, dass sein beruflicher Werdegang als leitender Ingenieur in einem Unternehmen mit hohem Zukunftspotential und damit hohen Chancen des beruflichen Aufstiegs geendet habe. Die aufsteigende Besoldung bzw. das Leistungsentgelt (nach der Besoldungsordnung) sei dieser Betrachtung nicht angemessen, auch vor dem Hintergrund, dass er ein anspruchsvolles Studium erfolgreich abgeschlossen habe. Dieser Ansatz sei vom Sozialgericht nicht berücksichtigt worden. Der Gesetzgeber habe innerhalb der vergangenen Jahre die Besoldungsstufen bis zum höheren Dienst durchgängig gestaltet. Ein durchgängiges Beförderungssystem halte nicht mehr an den vergangenen Strukturen fest, sondern ermögliche den Aufstieg bis A 16 in Anlehnung an die Einkommenstabellen für Angestellte mit Leitungsfunktion.

Nachdem der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 19.10.2012 nochmals darauf hingewiesen hatte, dass sein Vorbringen keine neuen Gesichtspunkte enthalte, wies der Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 06.11.2012 zurück. Es wurde auf die Urteile des SG und des Bayer. LSG verwiesen, in denen ausführlich dargelegt worden sei, warum eine höhere Einstufung im Hätte-Beruf als die eines Beamten des gehobenen Dienstes nicht in Betracht komme. Der Kläger habe keine Argumente vorgebracht, die nicht bereits bekannt seien bzw. die zu einer anderen Entscheidung führen könnten.

Das an den Beklagten gerichtete Schreiben vom 08.11.2012 hat dieser an das Gericht als Klage weitergeleitet, nachdem der Kläger mit Schreiben vom 15.11.2012 zu erkennen gegeben hatte, dass sein erstgenanntes Schreiben als Klage zu verstehen sei.

Die Frage des Berufsschadensausgleichs ist aus dem zunächst unter dem Verfahren mit dem Aktenzeichen S 15 VS 8/12 beim SG Landshut geführten Verfahren abgetrennt und unter dem Aktenzeichen S 15 VS 1/13 weiter behandelt worden.

Im Erörterungstermin vom 28.01.2013 hat die zuständige Richterin des SG dem Kläger erläutert, dass sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine neuen Tatsachen im Vergleich zum Urteil des Bayer. LSG vom 30.06.2010 ergeben hätten. Die vom Kläger vorgelegten Unterlagen befänden sich bereits in den Akten.

Mit Gerichtsbescheid vom 06.02.2013, zugestellt am 14.02.2013, ist die Klage abgewiesen worden. In den Gründen hat das SG erläutert, dass sich der Beklagte mangels des Vortrags neuer Tatsachen oder Beweismittel auf die Bindungswirkung der bestandskräftigen Ausgangsbescheide stützen habe dürfen.

Dagegen hat der Kläger mit Schreiben vom 12.03.2013, eingegangen am Folgetag, Berufung eingelegt. Er hat - wie bereits früher - über seinen beruflichen Werdegang und seine langjährig leitende Position berichtet. Seiner Ansicht nach sei damit ein durchgängiger beruflicher Aufstieg bis zur Besoldungsgruppe A 16 beim Verbleib im Berufsleben nachgewiesen. Er habe ein technisches Studium mit sehr hohem Anspruch erfolgreich abgeschlossen.

Mit Schreiben vom 25.07.2014 hat der zuständige Berichterstatter des Senats dem Kläger detailliert die rechtlichen Vorgaben einer Überprüfungsentscheidung und den Umfang der gerichtlichen Überprüfbarkeit dargelegt.

Dazu hat der Kläger mit Schreiben vom 13.08.2014 auf alte medizinische Stellungnahmen und darauf, dass er durch seine sparsame Vorgehensweise (Verzicht auf anwaltliche Vertretung) die Kosten niedrig gehalten habe, verwiesen.

Mit Beschluss vom 06.10.2014 ist die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden.

In der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2014 hat der Kläger vorgetragen, dass er ohne die Schädigungsfolgen statt dem Fachhochschulstudium auch das von ihm begonnene Universitätsstudium erfolgreich abgeschlossen hätte. Denn der Abbruch des Studiums sei, wie er durch ärztliche Berichte belegen könne, wegen der Schädigungsfolgen erfolgt.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 06.02.2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 04.09.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 06.11.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm unter Abänderung der Bescheide vom 17.04.2000 und vom 19.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2001 höheren Berufsschadensausgleich zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat die Akten des Beklagten, die Wehrdienstbeschädigungsakte und die Akten des SG Landshut, auch zum Aktenzeichen S 9 VS 17/01, beigezogen; vorgelegen hat auch die Akte des Senat zum Aktenzeichen L 15 VS 12/06. Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der beigezogenen Akten und der Berufungsakte Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet.

Der Beklagte hat es zu Recht unter Hinweis auf die Bestandskraft abgelehnt, im Weg einer Überprüfungsentscheidung gemäß § 44 SGB X die bestandskräftigen Bescheide vom 17.04.2000 und 19.09.2001 aufzuheben und dem Kläger einen höheren Berufsschadensausgleich zu gewähren.

1. Allgemeines zum Prüfungsrahmen des § 44 SGB X

Bei der gesetzlichen Regelung des § 44 SGB X und dem dabei zu beachtenden Prüfungsrahmen ist Folgendes zu berücksichtigen:

Ausgangspunkt ist die gesetzliche Regelung des § 77 Sozialgerichtsgesetz (SGG), wonach ein Verwaltungsakt für die Beteiligten in der Sache bindend wird, wenn ein Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt wird. Diese Bestandskraft (Unanfechtbarkeit) ist ein wesentliches Prinzip der Rechtsordnung. Mit der Bestandskraft wird Rechtssicherheit geschaffen, weil die Beteiligten wissen, woran sie sind, nämlich dass die Regelung des Verwaltungsakts sie bindet, und Rechtsfrieden garantiert, weil weiterer Streit über den Verwaltungsakt ausgeschlossen ist. Für den Adressaten des Verwaltungsakts ist damit keine unangemessene Benachteiligung verbunden, hat er doch die Möglichkeit, sich im Rahmen der zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen einen Bescheid zu wehren und dessen Rechtmäßigkeit überprüfen zu lassen. Schöpft er diese Mittel nicht aus oder akzeptiert er den Verwaltungsakt, weil er selbst keinen überzeugenden Zweifel an der Rechtmäßigkeit hat, müssen die Beteiligten die getroffene Regelung in der Zukunft für und gegen sich gelten lassen.

Die Regelung des § 44 SGB X ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen eine ausnahmsweise Abweichung von der Bindungswirkung (Bestandskraft) unanfechtbarer und damit für die Beteiligten bindend gewordener sozialrechtlicher Verwaltungsakte, um damit materielle Rechtmäßigkeit herzustellen. § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X eröffnet dazu zwei Alternativen. Entweder muss bei der bestandskräftig gewordenen Entscheidung das Recht unrichtig angewandt worden (erste Alternative) oder die Behörde muss beim Erlass des bestandskräftig gewordenen Verwaltungsakts von einem Sachverhalt ausgegangen sein, der sich nachträglich aufgrund des Bekanntwerdens neuer Tatsachen als unrichtig erwiesen hat (zweite Alternative).

Nicht Sinn und Zweck des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist es, Fristenregelungen im Zusammenhang mit der Frage der Bestandskraft von Entscheidungen der Verwaltung oder auch der Gerichte auszuhebeln und die mit der Bestandskraft bezweckte Rechtssicherheit und den Rechtsfrieden in das Belieben der Beteiligten zu stellen.

§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X kann kein Mittel sein, um durch wiederholte Anträge bei der Behörde diese immer wieder zu Sachentscheidungen (deren Ergebnis wegen der bereits getroffenen Entscheidung absehbar ist) zu zwingen, die dann wiederum gerichtlich in der Sache überprüfbar wären. Würde man dies zulassen, hätte eine Behörde keinerlei Möglichkeit, sich vor wiederholenden Anträgen mit dem sich daraus ergebenden möglicherweise massiven Verwaltungsaufwand, der nicht nur Personal bindet, sondern auch Kosten verursacht, zu schützen.

Bei der oben genannten ersten Alternative handelt es sich um eine rein rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der bestandskräftig gewordenen Entscheidung, bei der es auf den Vortrag neuer Tatsachen nicht ankommt und die von Amts wegen zu erfolgen hat (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 24/05 R). Eine derartige Überprüfung bedeutet jedoch nicht, dass eine vollständige Überprüfung des Sachverhalts mittels neuer Ermittlung des Sachverhalts und neu einzuholender Gutachten durchzuführen wäre. Vielmehr ist lediglich aus rein rechtlicher Sicht zu würdigen, ob der der bestandskräftig gewordenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt rechtlich zutreffend beurteilt und rechtlich in nicht zu beanstandender Weise bewertet worden ist.

Weitergehende Sachermittlungen sind im Rahmen der ersten Alternative nicht geboten. Dies ergibt sich eindeutig aus der Systematik der gesetzlichen Regelung in § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Denn mit der Differenzierung zwischen den aufgezeigten zwei Alternativen (unrichtige Rechtsanwendung einerseits und ursprünglich unrichtig zugrunde gelegter Sachverhalt andererseits) hat der Gesetzgeber deutlich gemacht, dass nicht in jedem Fall eine völlige Überprüfung unter allen in Betracht kommenden Gesichtspunkten zu erfolgen hat. Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass die Verwaltung nicht durch aussichtslose Überprüfungsanträge, die beliebig oft wiederholt werden können, immer wieder zu einer neuen Sachprüfung gezwungen werden soll (vgl. BSG, Urteil vom 06.03.1991, Az.: 9b RAr 7/90). Würde hingegen bereits im Rahmen der ersten Alternative eine umfassende Sachprüfung, d. h. mit einer umfassenden Neuermittlung des zugrunde liegenden Sachverhalts, vorausgesetzt, so stünde dies im Widerspruch zu den gesetzlichen Anforderungen für die zweite Alternative, für die die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel vorausgesetzt wird. Im Rahmen der ersten Alternative sind daher die tatsächlichen Feststellungen, wie sie dem bestandskräftigen Bescheid zugrunde gelegen haben, auch im Überprüfungsverfahren zu beachten und lediglich zu prüfen, ob auf diesen Tatsachen aufbauend, unabhängig von ihrer Richtigkeit, die rechtlichen Schlussfolgerungen zutreffend sind. In dem Verfahren erfolgt eine rein rechtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit, zu der von Seiten des Klägers zwar Gesichtspunkte beigesteuert werden können, die aber letztlich umfassend von Amts wegen erfolgen muss.

Für die zweite Alternative kommt es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel im Rahmen eines abgestuften Verfahrens an (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RV 18/86, das auch im Urteil des BSG vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 24/05 R nicht infrage gestellt worden ist). Die Prüfung bei dieser zweiten Alternative hat sich an den rechtlichen Vorgaben zu orientieren, wie sie auch im Rahmen eines gerichtlichen Wiederaufnahmeverfahrens zu beachten sind. Es liegt daher der zweiten Alternative ein Verfahren zugrunde, bei der es auf die Benennung neuer Tatsachen und Beweismittel ankommt (vgl. BSG, Urteil vom 05.09.2006, Az.: B 2 U 24/05 R).

Ergibt sich bei diesem Verfahren nichts Neues, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte, darf sich die Verwaltung ohne jede weitere Sachprüfung auf die Bindungswirkung der bestandskräftigen Entscheidung berufen. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass die vorgebrachten Gesichtspunkte nicht tatsächlich vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen.

Eine Behörde ist daher nur dann, wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht bekannte Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, oder wenn sich herausstellt, dass das Recht unrichtig angewandt worden ist, dazu verpflichtet, ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 03.02.1988, Az.: 9/9a RV 18/86).

Hat eine Behörde unter zutreffender Anwendung des § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X eine erneute Sachprüfung und Sachentscheidung abgelehnt, kann sich das Gericht über diese Entscheidung nicht hinwegsetzen und den gesamten Sachverhalt einer wiederholten Sachprüfung unterziehen. Denn § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X gibt nur der Verwaltung selbst, nicht aber dem Gericht die Möglichkeit, sich über eine frühere negative Entscheidung zugunsten des Antragstellers hinwegzusetzen (vgl. BSG, Beschluss vom 09.08.1995, Az.: 9 BVg 5/95; Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 11.04.2004, Az.: L 8 U 115/02; ständige Rspr. des Senats, vgl. z. B. Urteil vom 18.02.2014, Az.: L 15 VK 3/12).

Diesen Prüfungsmaßstab, den der Senat beispielsweise im Urteil vom 18.03.2013, Az.: L 15 VK 11/11, ausführlich dargestellt hat, hat das BSG, dessen Rechtsprechung zu § 44 SGB X nicht immer einheitlich ist (vgl. vorgenanntes Urteil des Senats vom 18.03.2013, dort Ziff. 3.3.1. der Gründe), ausdrücklich bestätigt, wenn es im Anschluss an das vorgenannte Urteil des Senats mit Beschluss vom 31.07.2013, Az.: B 9 V 31/13 B, Folgendes ausgeführt hat:

„... Zulassung nach § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG scheidet ebenfalls aus. ... Abweichung (Divergenz) ist gegeben, wenn das angefochtene Urteil auf einer bestimmten Rechtsauffassung beruht, die zu der in einer Entscheidung des BSG ... zugrunde gelegten Rechtsansicht in Widerspruch steht. Davon kann hier nicht ausgegangen werden. Die Vorinstanz hat sich an der Rechtsprechung des BSG orientiert.“

2. Prüfung im hier zu entscheidenden Fall

Der Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, im Rahmen einer Entscheidung gemäß § 44 SGB X einen höheren Berufsschadensausgleich zu gewähren.

2.1. § 44 Abs. 1 Satz 1, 1. Alternative SGB X - unrichtige Rechtsanwendung

Den bestandskräftigen Bescheiden vom 17.04.2000 und 19.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2001 liegt keine unrichtige Rechtsanwendung zugrunde.

Unter Berücksichtigung des umfassend ermittelten und festgestellten Sachverhalts, wie er den Bescheiden vom 17.04.2000 und 19.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2001 und den diese Bescheide bestätigenden Urteilen des SG Landshut vom 20.06.2006, Az.: S 9 VS 17/01, und des Bayer. LSG vom 30.06.2010, Az.: L 15 VS 12/06, zugrunde gelegen hat, sind die bestandskräftig gewordenen Bescheide vom 17.04.2000 und 19.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2001 nicht zu beanstanden. Unter zutreffender Beweiswürdigung und richtiger Anwendung der einschlägigen gesetzlichen Normen ist der Berufsschadensausgleich damals in zutreffender Höhe festgestellt worden; warum kein Berufsschadensausgleich nach einem höheren Vergleichseinkommen (leitender Angestellter in der Privatwirtschaft) gewährt werden konnte, wurde damals umfassend geprüft und überzeugend begründet abgelehnt.

2.2. § 44 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative SGB X - neue Tatsachen

Der Beklagte hat zu Recht mangels Vortrags neuer Tatsachen auf die Bindungswirkung der bestandskräftigen Bescheide vom 17.04.2000 und 19.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2001 verwiesen und es abgelehnt, in der Sache erneut zu entscheiden.

Neue Tatsachen hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt im (vor dem aktuellen sozialgerichtlichen Verfahren durchgeführten) Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorgetragen. Er hat lediglich einen bereits früher bekannten Sachverhalt wiederholt und seine ebenfalls bereits früher zum Ausdruck gebrachte Meinung, es stehe ihm ein höherer Berufsschadensausgleich zu, weil als Vergleichseinkommen das eines leitenden Angestellten in der Privatwirtschaft zugrunde gelegt werden müsse, erneut geäußert. Dieser Vortrag unterscheidet sich nicht von dem, wie er im Rahmen der bestandskräftig gewordenen Bescheide und des sich anschließenden Gerichtsverfahrens erfolgt ist und der umfassend vom Beklagten und den Gerichten geprüft worden ist. Irgendwelche neuen Gesichtspunkte hat der Kläger nicht vorgetragen. Letztlich stellt die Begründung des Überprüfungsantrags lediglich den Versuch dar, die bereits früher abgeschlossenen und auch bei Gericht überprüften Abwägungen zum Berufsschadensausgleich trotz der eingetretenen Bestandskraft nochmals auf gleicher Tatsachengrundlage durchführen zu lassen. Dies ist aber nicht Sinn und Zweck des § 44 SGB X, der nicht wiederholte inhaltliche Diskussionen bereits bestandskräftig abgeschlossener Verfahren auf dem gleichen Tatsachen- und Erkenntnisstand eröffnet, sondern nur unter besonderen Voraussetzungen die Durchbrechung der Bestandskraft behördlicher Entscheidungen bei Bekanntwerden neuer entscheidungserheblicher Tatsachen ermöglicht. Diese Voraussetzungen sind aber im vorliegenden Fall offenkundig nicht gegeben.

2.3. Neuer Tatsachenvortrag im Rahmen des Berufungsverfahrens

Die vom Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2014 vor dem Bayer.LSG vorgetragene Begründung, dass er das Universitätsstudium wegen Schädigungsfolgen abbrechen habe müssen, eine Begründung, die er im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren nicht vorgebracht hat, kann in diesem Verfahren keine Berücksichtigung finden.

Neue Tatsachen, die bei der gerichtlichen Prüfung einer Entscheidung gemäß

§ 44 SGB X relevant sein können, sind nur solche, die bereits im Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren vorgetragen oder bekannt geworden sind (vgl. Urteil des Senats vom 05.08.2014, Az.: L 15 VK 15/13). Ein nachträgliches Bekanntwerden, sei es infolge späterer Ermittlungen durch das Gericht, sei es infolge eines Nachschiebens durch den Beteiligten, ist unbeachtlich (vgl. BSG, Urteil vom 13.02.2014, Az.: B 4 AS 22/13 R; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2012, Az.: L 34 AS 116/12). Nicht ausreichend ist es daher, wenn erst in einem nachfolgenden Gerichtsverfahren neue Tatsachen bekannt werden (vgl. BSG, Urteil vom 13.02.2014, Az.: B 4 AS 22/13 R; Urteile des Senats vom 18.02.2014, Az.: L 15 VK 3/12, vom 27.03.2014, Az.: L 15 VK 17/13, und vom 05.08.2014, Az.: L 15 VK 15/13; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23.11.2012, Az.: L 34 AS 116/12; Kunze, VSSR 3/2001, S. 151, 156). Denn in einem solchen Fall können die neuen Tatsachen nicht Gegenstand der vom Gericht auf Rechtmäßigkeit zu prüfenden Entscheidung der Behörde zu § 44 SGB X sein, eben weil sie der Behörde nicht bekannt waren. Würde man ein Nachreichen neuer Tatsachen im Gerichtsverfahren ausreichen lassen, würde dies dem Grundsatz des Vorrangs der Verwaltung widersprechen und der Behörde die Möglichkeit nehmen, selbst eine - dann gerichtlich überprüfbare - Entscheidung zu treffen. Denn bei einem Überprüfungsantrag gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1, 2. Alternative SGB X, also einem Antrag, der sich auf den Vortrag neuer Tatsachen stützt, besteht gerade keine umfassende Ermittlungspflicht der Behörde dahingehend, ob nicht - unabhängig vom Inhalt des gestellten Antrags - irgendwelche neuen Tatsachen vorliegen könnten, sondern nur eine Prüfpflicht, ob sich aus dem Vortrag des Antragstellers neue entscheidungsrelevante Tatsachen ergeben. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob die formellen Erfordernisse eines Überprüfungsantrags gemäß § 44 SGB X erfüllt sind, die erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers bezüglich des geltend gemachten materiellen Anspruchs auslösen können, ist daher der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BSG, Urteil vom 13.02.2014, Az.: B 4 AS 22/13 R).

Es kann daher dahingestellt bleiben, ob der Vortrag des Klägers in der mündlichen Verhandlung vom 19.11.2014 überhaupt neue Tatsachen beinhaltet und ob diese Anlass dafür geben würden, die bestandskräftige Entscheidung nochmals inhaltlich zu überprüfen. Diese Fragen wären erst nach einem erneuten, beim Beklagten zu stellenden Überprüfungsantrag zu klären.

2.4. Ergebnis

Da der der bestandskräftig gewordenen Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt rechtlich zutreffend beurteilt worden ist und der Kläger neue Tatsachen und Beweismittel im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren nicht benannt hat, geschweige denn dass solche neuen Tatsachen und Beweismittel bewiesen wären, hat sich der Beklagte zu Recht auf die Bestandskraft der Bescheide vom 17.04.2000 und 19.09.2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.11.2001 berufen und eine inhaltliche Überprüfung der bestandskräftigen Entscheidung abgelehnt.

Die Berufung kann daher unter keinem Gesichtspunkt Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha
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Annotations

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.