Bundesarbeitsgericht Urteil, 22. Feb. 2018 - 6 AZR 137/17

ECLI: ECLI:DE:BAG:2018:220218.U.6AZR137.17.0
published on 22/02/2018 00:00
Bundesarbeitsgericht Urteil, 22. Feb. 2018 - 6 AZR 137/17
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Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 6. Februar 2017 - 7 Sa 319/16 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Klägerin ordentlich unkündbar und deswegen eine Wartezeitkündigung unwirksam ist.

2

Die 1972 geborene Klägerin war nach ihrer Ausbildung zur Verwaltungsangestellten ab dem 13. August 1991 zunächst bei der Stadt A, ab dem 1. Januar 1999 bei der Stadt V ohne zeitliche Unterbrechung beschäftigt. Auf die Arbeitsverhältnisse waren kraft Bezugnahme die Tarifverträge für den öffentlichen Dienst (BAT, ab Oktober 2005 TVöD) in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung anzuwenden.

3

Zum 1. Januar 2015 wechselte die Klägerin nahtlos als Verwaltungsangestellte zur beklagten Stadt. Diese ordnete die Klägerin in der Entgeltgruppe 10 der Stufe 5 zu. In § 2 des Arbeitsvertrags war auf die durchgeschriebene Fassung des „Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) für den Dienstleistungsbereich Verwaltung (TVöD-V) und … [die] ergänzenden, ändernden oder ersetzenden Tarifverträge in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) jeweils geltenden Fassung einschließlich des Tarifvertrages zur Überleitung der Beschäftigten kommunaler Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (§ 1 Abs. 2 TVÜ-VKA)“ Bezug genommen.

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Mit Schreiben vom 22. Mai 2015, der Klägerin am 26. Mai 2015 zugegangen, erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni 2015. Hiergegen hat die Klägerin fristgerecht die vorliegende Kündigungsschutzklage erhoben.

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Die Klägerin meint, ihr Arbeitsverhältnis sei ordentlich nicht kündbar. Dies ergebe sich aus § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD, da ihre Beschäftigungszeiten ab August 1991 gemäß § 34 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 TVöD vollständig anzurechnen seien. Jedenfalls ergebe sich ein Ausschluss der ordentlichen Kündigung aus § 14 Abs. 1 TVÜ-VKA. Dieser stelle für übergeleitete Beschäftigte wie sie eine abschließende Regelung dar und bestimme, dass die nach Maßgabe der jeweiligen tarifrechtlichen Vorschriften anerkannten Beschäftigungszeiten im Rahmen des § 34 Abs. 3 TVöD iVm. § 34 Abs. 2 TVöD zu berücksichtigen seien.

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Die Klägerin hat beantragt

        

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 22. Mai 2015 nicht zum 30. Juni 2015 beendet worden ist.

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Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

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Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren in den Vorinstanzen erfolglos gebliebenen Feststellungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht die Kündigung vom 22. Mai 2015 für wirksam erachtet und das Arbeitsverhältnis unter Beachtung einer Kündigungsfrist von zwei Wochen zum Monatsschluss zum 30. Juni 2015 als beendet angesehen. Die ordentliche Kündigung ist nicht aufgrund der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen tariflichen Regelungen ausgeschlossen.

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I. Das Arbeitsverhältnis ist nicht nach § 2 Arbeitsvertrag iVm. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD ordentlich unkündbar. Die Klägerin hat in diesem keine Beschäftigungszeit von mehr als 15 Jahren zurückgelegt.

11

1. Nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD können Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die das 40. Lebensjahr vollendet haben und für die die Regelungen des Tarifgebiets West Anwendung finden, nach einer „Beschäftigungszeit (Absatz 3 Satz 1 und 2)“ von mehr als 15 Jahren durch den Arbeitgeber nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Beschäftigungszeit ist die bei demselben Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen ist (§ 34 Abs. 3 Satz 1 TVöD).

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2. Entgegen der Annahme der Revision sind Zeiten bei anderen Arbeitgebern keine Beschäftigungszeit iSd. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD. Dies ergibt eine Auslegung des Tarifvertrags (zur Auslegung vgl. BAG 20. September 2017 - 6 AZR 143/16 - Rn. 33 mwN).

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a) Bereits der Tarifwortlaut ist eindeutig. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD definiert den Begriff der Beschäftigungszeit durch eine auf § 34 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 TVöD beschränkte Bezugnahme. Damit werden nur bei demselben Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeiten berücksichtigt, auch wenn sie unterbrochen sind (Satz 1). Zeiten eines Sonderurlaubs gemäß § 28 TVöD werden grundsätzlich nicht berücksichtigt(Satz 2). Hingegen verweist der Klammerzusatz nicht auf § 34 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 TVöD und die darin geregelte Anerkennung von bei einem anderen vom Geltungsbereich des TVöD erfassten Arbeitgeber oder bei einem anderen öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber zurückgelegten Zeiten als Beschäftigungszeit(BAG 10. Dezember 2014 - 7 AZR 1002/12 - Rn. 38, BAGE 150, 165).

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b) Diese Auslegung wird durch die Tarifsystematik bestätigt. Während der Tarifvertrag in § 22 Abs. 3 Satz 1 und § 23 Abs. 2 Satz 1 TVöD auf § 34 Abs. 3 TVöD insgesamt verweist, beschränkt sich der Klammerzusatz in § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD ausdrücklich auf die Sätze 1 und 2 des § 34 Abs. 3 TVöD. Damit verbietet sich eine Ausweitung auf § 34 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 TVöD.

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c) Die Tarifgeschichte spricht ebenfalls für eine Beschränkung der Bezugnahme auf § 34 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 TVöD. Ursprünglich war sowohl in § 22 Abs. 3 Satz 1, § 23 Abs. 2 Satz 1 TVöD als auch in § 34 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD eine Bezugnahme auf den gesamten Absatz 3 des § 34 TVöD enthalten. Während dies die Tarifvertragsparteien in Teil I Ziff. 15 der Vereinbarung vom 24. November 2005 mit Rückwirkung zum 13. September 2005 hinsichtlich § 34 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD korrigierten und den Regelungen ihren heutigen Inhalt gaben, blieben die Klammerverweise in § 22 Abs. 3 Satz 1, § 23 Abs. 2 Satz 1 TVöD unverändert. Das steht einer über den Tarifwortlaut hinausgehenden Ausweitung der Bezugnahme in § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD auf den gesamten Absatz 3 dieser Tarifnorm entgegen.

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d) Das Auslegungsergebnis entspricht dem Begriffsverständnis der Tarifvertragsparteien des TVöD. Diese haben gesehen, dass der Begriff der Beschäftigungszeit nicht eindeutig ist, sondern je nach Regelungszusammenhang unterschiedlich gebraucht wird und verstanden werden kann (BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 590/09 - Rn. 15 ff.).

17

3. Danach hatte die seit dem 1. Januar 2015 bei der Beklagten als derselben Arbeitgeberin iSd. § 34 Abs. 3 Satz 1 TVöD beschäftigte Klägerin im Zeitpunkt des Kündigungszugangs am 26. Mai 2015 die nach § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD erforderliche Beschäftigungsdauer von mehr als 15 Jahren noch nicht erreicht. Die vorherigen Beschäftigungszeiten der Klägerin vom 13. August 1991 bis 31. Dezember 2014 bei der Stadt A bzw. der Stadt V sind bei der Berechnung der für den Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit maßgeblichen Beschäftigungsdauer im Arbeitsverhältnis mit der Beklagten nicht zu berücksichtigen.

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II. Ein Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit des Arbeitsverhältnisses der Klägerin ergibt sich ebenso wenig aus § 2 Arbeitsvertrag iVm. § 34 Abs. 2 Satz 2 TVöD.

19

1. Gemäß § 34 Abs. 2 Satz 2 TVöD verbleibt es für Beschäftigte, soweit sie nach den bis zum 30. September 2005 geltenden Tarifregelungen unkündbar waren, bei dieser Unkündbarkeit. Die Regelung dient der Besitzstandswahrung. Sie nimmt Bezug auf § 53 Abs. 3 BAT, wonach der Angestellte nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren, frühestens jedoch nach Vollendung des 40. Lebensjahres unkündbar war. Beschäftigungszeit iSd. § 19 BAT war die bei demselben Arbeitgeber nach Vollendung des 18. Lebensjahres in einem Arbeitsverhältnis zurückgelegte Zeit, auch wenn sie unterbrochen war.

20

2. Einen solchen Besitzstand hat die Klägerin bereits deswegen nicht erworben, weil sie am 30. September 2005 das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hatte. Darauf weist das Landesarbeitsgericht zutreffend hin. Im Übrigen könnte sich die Klägerin, selbst wenn sie in ihrer früheren Beschäftigung nach § 53 Abs. 3 BAT Schutz vor ordentlichen Kündigungen erworben hätte, darauf in ihrem jetzigen Arbeitsverhältnis nicht berufen. Der Bestandsschutz nach § 34 Abs. 2 Satz 2 TVöD erfasst nur Beschäftigungszeiten bei demselben Arbeitgeber(BAG 10. Dezember 2014 - 7 AZR 1002/12 - Rn. 38, BAGE 150, 165). Mit ihrem Wechsel zur Beklagten am 1. Januar 2015 hätte ihn die Klägerin verloren.

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III. Entgegen der Auffassung der Revision ergibt sich der Ausschluss der ordentlichen Kündbarkeit nicht aus § 2 Arbeitsvertrag iVm. § 34 Abs. 2 Satz 1, § 34 Abs. 3 Satz 1 TVöD, § 14 Abs. 1 TVÜ-VKA. Die Voraussetzungen des § 14 Abs. 1 TVÜ-VKA liegen nicht vor.

22

1. Dieser bestimmt, dass für die Dauer des über den 30. September 2005 hinaus fortbestehenden Arbeitsverhältnisses die vor dem 1. Oktober 2005 nach Maßgabe der jeweiligen tarifrechtlichen Vorschriften anerkannten Beschäftigungszeiten als Beschäftigungszeit iSd. § 34 Abs. 3 TVöD berücksichtigt werden.

23

2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist kein „über den 30. September 2005 hinaus fortbestehendes Arbeitsverhältnis“. Es begann erst am 1. Januar 2015. Diesem Wortlautverständnis entspricht der Sinn und Zweck der Regelung des § 14 Abs. 1 TVÜ-VKA. Mit ihm sollte der unter der Geltung des bisherigen Tarifrechts erworbene Besitzstand der zum 1. Oktober 2005 in den TVöD übergeleiteten Beschäftigten gewahrt werden. In Bezug auf das Arbeitsverhältnis der Parteien gibt es keinen am 30. September 2005 bereits erworbenen Besitzstand. Ein solcher folgt auch nicht aus dem vorhergehenden Arbeitsverhältnis der Klägerin zur Stadt V. Wechselt ein unter den TVÜ-VKA fallender Arbeitnehmer zu einem anderen, ebenfalls den TVöD/TVÜ-VKA anwendenden Arbeitgeber nach dem 1. Oktober 2005, handelt es sich um eine Neueinstellung (vgl. zu diesem Begriff BAG 27. Januar 2011 - 6 AZR 382/09 - Rn. 17 ff.). Der betreffende Arbeitnehmer verliert grundsätzlich alle ggf. im bisherigen Arbeitsverhältnis bestehenden Überleitungsvorteile (Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese TVöD Stand Oktober 2017 Teil IV/3 Rn. 5g).

24

IV. Soweit das Landesarbeitsgericht angenommen hat, die Klägerin habe im Zusammenhang mit der durch die Beklagte nach § 16 Abs. 2a TVöD (VKA) vorgenommenen Zuordnung in die Stufe 5 der Entgeltgruppe 10 nicht darauf vertrauen können, dass ihr auch die bisherigen Beschäftigungszeiten unabhängig von den Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 und Abs. 3 TVöD angerechnet werden, greift die Revision das Urteil nicht an.

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V. Die Beklagte hat die Kündigungsfrist des § 34 Abs. 1 Satz 1 TVöD von zwei Wochen zum Monatsschluss mit der am 26. Mai 2015 zugegangenen Kündigung vom 22. Mai 2015 zum 30. Juni 2015 gewahrt. Die Vorbeschäftigungszeiten der Klägerin sind aus den vorgenannten Gründen auch bei § 34 Abs. 1 Satz 2 TVöD nicht zu berücksichtigen.

26

VI. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

        

    Fischermeier    

        

    Spelge    

        

    Heinkel    

        

        

        

    D. Knauß    

        

    Augat    

                 
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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo
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(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat. (2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vo

Annotations

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)