Amtsgericht Lüdinghausen Urteil, 20. Juli 2015 - 19 OWi-89 Js 1028/15-77/15
Gericht
Tenor
Der Betroffene wird wegen fahrlässiger Unterschreitung des erforderlichen Sicherheitsabstandes zu einer Geldbuße von 100,00 EUR verurteilt.
Die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen trägt der Betroffene (§§ 4 III,49 StVO, 24 StVG, 2 BKatV).
Tatbestandsnummer: 104 636
1
G r ü n d e :
2Der Betroffene ist geschieden und Vater eines Kindes im Alter von 3 Jahren, welches nicht in seinem Haushalt lebt. Von Beruf ist er Landmaschinenhändler. Zu seinen wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen hat er auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts angegeben, dass diese gesichert seien und zwar so, dass es weder zu einer Herabsetzung des im Bußgeldbescheid verhängten Bußgeldes, noch zu einer Ratenzahlung allein auf Grund der wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen kommen muss.
3Ausweislich des Verkehrszentralregisterauszuges ist der Betroffene
4wie folgt vorbelastet:
5Am 31.07.2014 (Rechtskraft:02.10.2014 )setzte der Kreis Rotenburg/Wümme gegen d. Betroffenen wegen eines Geschwindigkeitsverstoßes eine Geldbuße von 90 Euro fest.
6Weitere Eintragungen sind tilgungsreif.
7Am 08.12.2014 um 11:39 Uhr befuhr der Betroffenen mit seinem LKW mit dem amtlichen Kennzeichen XXXXXXX die Bundesautobahn 1 in Ascheberg in Fahrtrichtung Dortmund. Im Bereich Kilometer 302, 450 betrug sein Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug bei einer nach Toleranzabzug von 3 km/h gefahrenen Geschwindigkeit von 88 km/h allenfalls 33 Meter. Bei Beobachtung der erforderlichen und ihm auch zumutbaren Sorgfalt hätte der Betroffene anhand der Länge der Fahrtstrecke mit ähnlich geringem Abstand auch schon vor Eintritt in den Messbereich der Autobahnpolizei am Tatort erkennen können und müssen, dass er den erforderlichen Sicherheitsabstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug erheblich unterschritt. Er wurde hier mittels gültig geeichten und entsprechend der Bedienungsanleitung des Geräteherstellers von dem Polizeibeamten A eingesetzten Messgerätes VKS 3.01 – Softwareversion 3.1 „Select“ des Herstellers Vidit GmbH gemessen.
8Die vorstehenden Feststellungen beruhen auf der nach Maßgabe des Hauptverhandlungsprotokolls durchgeführten Beweisaufnahme.
9Der Betroffene hat seine Fahrereigenschaft bestritten und zur Sache ausgeführt, er sei auf der Tachoscheibe als Fahrzeugführer eingetragen und sei auch Fahrzeugeigentümer. Zudem sei es richtig, dass am Tattage hinter der Windschutzscheibe ein Schild mit dem Vornamen des Betroffenen gelegen habe. Fahrer sei aber ein Bekannter gewesen, der mittlerweile Suizid begangen habe. Dieser habe am Tattage gerne einmal das Fahrzeug fahren wollen. Beweismittel oder weitere Indizien hierfür könne er keine benennen.
10Die Abstandsmessung selbst ist auch ordnungsgemäß durchgeführt worden. Die Abstandsmessung wurde durch den Polizeibeamten A mittels des Verkehrskontrollsystems des Herstellers VIDIT VKS 3.01, Softwareversion 3.1, sog. „Select-System“ durchgeführt. Die Abstandsmessung mit dem Verfahren VKS 3.1 ist ein so genanntes standardisiertes Messverfahren im Sinne von BGHSt 39, 291 = NJW 1993, 3081 (vgl. bereits OLG Dresden, VRR 2005, 315 zur alten Technik des VKS 3.0). Unter diesem Begriff ist ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH NJW 1998, 321). Das System ermöglicht es, aus einer Videoaufzeichnung Geschwindigkeiten von Fahrzeugen und deren Abstände zu vorausfahrenden Fahrzeugen zu bestimmen. Das Tatvideo wird mit Hilfe eines Computerprogramms ausgewertet. Die Abstands- und Geschwindigkeitsmessungen werden im Tatvideo mit einer Messlinie durchgeführt, bei welcher es sich um eine in das Videobild gerechnete, quer zur Fahrbahn gelegte Linie handelt. Aus dem Charakter als standardisiertes Messverfahren folgt, dass der Tatrichter grundsätzlich neben dem angewendeten Messverfahren VKS 3.01 nur die gemessene Geschwindigkeit nebst Toleranzabzug sowie den ermittelten vorwerfbaren Abstandswert feststellen muss. Ausführungen zur Beachtung der Verfahrensbestimmungen muss der Tatrichter im Urteil erst dann machen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass diese nicht eingehalten worden sind oder Messfehler von dem Betroffenen oder einem anderen Verfahrensbeteiligten behauptet werden (vgl. BGH NJW 1993, 3081, 3082; BayObLG NJW 2003, 1752).Generelle Sicherheitsabschläge von dem festgestellten Abstandswert sind bei Anwendung des Messverfahrens VKS 3.1 nicht veranlasst. Der vom System vorgenommene Toleranzabzug von der gemessenen Geschwindigkeit, die Zugrundelegung des jeweils für den Betroffenen günstigsten Wertes der Messlinie und der so ermittelten Abstände sowie die Außerachtlassung der Fahrzeugüberhänge sind ausreichend, um alle möglichen Betriebsfehlerquellen auszugleichen (vgl. zu alledem: OLG Dresden, DAR 2005, 637 = VRR 2005, 315; Krumm, Verkehrsordnungswidrigkeiten, 2012, Rn. 584 m.w.N.).
11Hier konnte nach Inaugenscheinnahme des Videos des Vorfalls und der aus dem Video gefertigten Prints (auf denen die vorbezeichneten eingespiegelten Linien sichtbar waren) bzw. durch urkundsbeweisliche Verlesung des Computerausdrucks der von dem System ermittelten Messdaten nachfolgende Werte ermittelt werden:
12ermittelte Geschwindigkeit: 91 km/h
13Toleranzabzug von der ermittelten Geschwindigkeit: 3 km/h
14vorwerfbare Geschwindigkeit: 88 km/h
15vorwerfbarer Abstand: 33 m
16Auch der genannte Messbeamte bestätigte diese Daten als die von dem Messgerät ermittelten Messwerte. Ausweislich des urkundsbeweislich verlesenen Eichscheins des Eichamtes Düsseldorf vom24.04.2014 ist das System am 23.04.2014 gültig bis zum 31.12.2015 geeicht worden. Der ordnungsgemäße Einsatz des Gerätes nach den Herstellerangaben konnte durch den Zeugen A bekundet werden. Er hat bestätigt, das ebenfalls urkundsbeweislich verlesene Einsatzprotokoll vom Tattage gefertigt und unterschrieben zu haben. Der Zeuge ist dem Gericht schon seit Jahren als zuverlässiger Polizeibeamter bekannt. Er ist eigens für das VKS, Version 3.01 der Firma VIDIT ausgebildet worden.
17Auf der auf dem in Augenschein genommenen Videofilm erkennbaren Strecke der Autobahn 1 von insgesamt ca. 500 Metern ist das vorausfahrende Fahrzeug nicht vor dem Fahrzeug des Betroffenen eingeschert. Vielmehr war klar zu erkennen, dass der Betroffene mit gleichbleibender Geschwindigkeit und gleichbleibenden Abstand die gesamte durch die Kamera einsehbare Strecke der Autobahn 1 hinter dem vor ihm fahrenden Fahrzeug geblieben ist. Eine Verlangsamung des vor ihm fahrenden Fahrzeuges erfolgte nicht.
18Die durchgehende Videoaufzeichnung findet ihre Ermächtigungsgrundlage in § 100 h Abs. 1 Nr. 1 StPO – es handelte sich nämlich dabei um eine zulässige Observationsmaßnahme. Soweit das Select-System mittels digitaler Videotechnik nur Fahreraufnahmen/Fahrzeugfrontkurzaufnahmen nach vorheriger Feststellung eines Unterschreitens des erforderlichen Sicherheitsabstands fertigt, ist zumindest § 100h StPO Ermächtigungsgrundlage hierfür (OLG Hamm NJW-Spezial 2010, 107). Die Heranziehung des § 100h StPO als Ermächtigungsgrundlage für derartige Messungen ist verfassungsrechtlich unbedenklich, vgl. BVerfG, 2 BvR 1447/10 vom 12.8.2010.
19Was die Fahreridentifizierung angeht, so gilt: Neben der für die Messung selbst erforderlichen Kamera ist noch eine weitere – mit den anderen Kameras synchronisierte - Kamera im Einsatz, die Frontalaufnahmen (sog. „Videoprints“) der Pkws vornimmt zwecks Fahreridentifizierung bzw. der Kennzeichen der passierenden LKW. Aus diesen in Augenschein genommenen qualitativ guten Lichtbildern/Prints ( Bl. 79 d.A.) lässt sich die Front des Fahrzeugs des Betroffenen gut erkennen. Auch das amtliche Kennzeichen des Betroffenen ist sichtbar und auch das hinter der Fahrerscheibe sichtbare Schild „XXXXXXX“. Dieser Name und das Kennzeichen wurden urkundsbeweislich verlesen.
20Diese der Täteridentifizierung dienenden Bilder/Prints sind auch verwertbar. Das seit dem 1.1.2009 von der Polizei genutzte Select-System erkennt Abstandsverstöße nämlich selbstständig und schaltet erst dann eine Täteridentifizierungskamera an – diese fertigt automatisiert 8 Videostandbilder (also fotogleiche Abbildungen). Eine Daueraufnahme aller Fahrzeugführer findet also nicht statt.
21Das Gericht konnte sich so von der Fahrereigenschaft überzeugen. Die drei Indizien „Fahrtenschreiberschaublatt“ mit Namenseintrag des Betroffenen, Eigentum am Fahrzeug und Schild mit Namen „XXXXXX“ hinter der Windschutzscheibe reichen hierfür.
22Damit war die – wenig glaubhafte - Einlassung des Betroffenen widerlegt.
23Der Betroffene hat danach vorwerfbar zumindest fahrlässig eine Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen die Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstandes gem. §§ 4 Abs. 3, 49 StVO, 24 StVG begangen. Die Bußgeldkatalogverordnung sieht hierfür eine Regelgeldbuße von 80 € vor, welche aufgrund der Voreintragungen angemessen auf 100 € zu erhöhen war.
24Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 465 Abs. 1 StPO, 46 Abs. 1 OWiG.
25Unterschrift
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(1) Auch ohne Wissen der betroffenen Personen dürfen außerhalb von Wohnungen
- 1.
Bildaufnahmen hergestellt werden, - 2.
sonstige besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel verwendet werden,
(2) Die Maßnahmen dürfen sich nur gegen einen Beschuldigten richten. Gegen andere Personen sind
- 1.
Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 1 nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert wäre, - 2.
Maßnahmen nach Absatz 1 Nr. 2 nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit einem Beschuldigten in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt wird, die Maßnahme zur Erforschung des Sachverhalts oder zur Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten führen wird und dies auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre.
(3) Die Maßnahmen dürfen auch durchgeführt werden, wenn Dritte unvermeidbar mitbetroffen werden.
(4) § 100d Absatz 1 und 2 gilt entsprechend.
(1) Der Abstand zu einem vorausfahrenden Fahrzeug muss in der Regel so groß sein, dass auch dann hinter diesem gehalten werden kann, wenn es plötzlich gebremst wird. Wer vorausfährt, darf nicht ohne zwingenden Grund stark bremsen.
(2) Wer ein Kraftfahrzeug führt, für das eine besondere Geschwindigkeitsbeschränkung gilt, sowie einen Zug führt, der länger als 7 m ist, muss außerhalb geschlossener Ortschaften ständig so großen Abstand von dem vorausfahrenden Kraftfahrzeug halten, dass ein überholendes Kraftfahrzeug einscheren kann. Das gilt nicht,
- 1.
wenn zum Überholen ausgeschert wird und dies angekündigt wurde, - 2.
wenn in der Fahrtrichtung mehr als ein Fahrstreifen vorhanden ist oder - 3.
auf Strecken, auf denen das Überholen verboten ist.
(3) Wer einen Lastkraftwagen mit einer zulässigen Gesamtmasse über 3,5 t oder einen Kraftomnibus führt, muss auf Autobahnen, wenn die Geschwindigkeit mehr als 50 km/h beträgt, zu vorausfahrenden Fahrzeugen einen Mindestabstand von 50 m einhalten.
(1) Die Kosten des Verfahrens hat der Angeklagte insoweit zu tragen, als sie durch das Verfahren wegen einer Tat entstanden sind, wegen derer er verurteilt oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung gegen ihn angeordnet wird. Eine Verurteilung im Sinne dieser Vorschrift liegt auch dann vor, wenn der Angeklagte mit Strafvorbehalt verwarnt wird oder das Gericht von Strafe absieht.
(2) Sind durch Untersuchungen zur Aufklärung bestimmter belastender oder entlastender Umstände besondere Auslagen entstanden und sind diese Untersuchungen zugunsten des Angeklagten ausgegangen, so hat das Gericht die entstandenen Auslagen teilweise oder auch ganz der Staatskasse aufzuerlegen, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten. Dies gilt namentlich dann, wenn der Angeklagte wegen einzelner abtrennbarer Teile einer Tat oder wegen einzelner von mehreren Gesetzesverletzungen nicht verurteilt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für die notwendigen Auslagen des Angeklagten. Das Gericht kann anordnen, dass die Erhöhung der Gerichtsgebühren im Falle der Beiordnung eines psychosozialen Prozessbegleiters ganz oder teilweise unterbleibt, wenn es unbillig wäre, den Angeklagten damit zu belasten.
(3) Stirbt ein Verurteilter vor eingetretener Rechtskraft des Urteils, so haftet sein Nachlaß nicht für die Kosten.