Restschuldbefreiung in Frankreich im europäischen Rechtsvergleich

Restschuldbefreiung in Frankreich im europäischen Rechtsvergleich

Restschuldbefreiung in Frankreich im europäischen Rechtsvergleich

originally published: 25/06/2021 16:47, updated: 25/06/2021 16:47

Restschuldbefreiung in Frankreich im europäischen Rechtsvergleich

originally published: 17/11/2008 19:38, updated: 22/02/2024 15:47
Rechtsanwalt Dirk Streifler Wirtschaftsrecht


Bitte beachten Sie auch unsere Ausführungen zur Verbraucher- und Unternehmensinsolvenz in England und Wales.

Die Verfahren zur Schuldenbereinigung unterscheiden sich in Frankreich nach Personengruppen: Für Kaufleute und bestimmte andere Personengruppen kommt eine umfassende Restschuldbefreiung im Anschluss an ein Insolvenzverfahren nach der Loi n. 2005-841 vom 26.07.2005 (InsolvG) in Betracht, während für Verbraucher eine eingeschränkte Schuldensanierung nur nach der Loi n. 89-1010 vom 31.12.1989 zu erlangen ist.

 

I. Restschuldbefreiung nach der Loi n. 2005-841 vom 26.07.2005

Dieses Gesetz bildet die Rechtsgrundlage für das französische Insolvenzverfahren. In Art. L 620-1 ist die Schuldenbereinigung als Ziel des französischen Konkursrechts festgeschrieben.

1. Vollstreckungshindernis nach Verfahrensende

Mit dem Gesetz vom 26.07.2005 wurde eine Restschuldbefreiung in Form eines Vollstreckungshindernisses eingeführt. Dabei soll nach der jetzt geltenden Regelung des Art. L 643-11 der Anspruch der Gläubiger im Anschluss an ein durchgeführtes Konkursverfahren und mit Erlass des Aufhebungsurteils nicht untergehen, sondern nur nicht mehr vollstreckbar sein. Die Erlangung des Vollstreckungshindernisses ist an keine Mindestleistungen oder Befriedigungsquoten des Schuldners geknüpft. Die Gefahr eines Missbrauchs dürfte allerdings wohl deshalb nicht bestehen, weil der Schuldner zur Erlangung der Restschuldbefreiung sein gesamtes Vermögen opfern muss.

2. Ausnahmen vom Vollstreckungsverbot

Für folgende Gläubiger besteht kein Vollstreckungsverbot:

- Gl., die im Strafverfahren Titel erworben haben

- Gl. von Unterhaltsansprüchen o. Schmerzensgeldansprüchen

- Gl., die Ansprüche aus Gläubigerbenachteiligung haben (Art. 169 Abs.2)

- für Gl. im Fall des persönlichen Konkurses oder Bankrotts

Eine Individualzwangsvollstreckung findet ferner statt, wenn der Schuldner bereits schon einmal in seinem Leben ein Insolvenzverfahren durchlaufen hat, welches ohne vollständige Befriedigung der Gläubiger abgeschlossen wurde (kein zweiter fresh start!).

3. Persönlicher Anwendungsbereich

Das Konkursverfahren in Frankreich ist nicht allen Schuldnern zugänglich.

- grundsätzlich typisches Kaufmanns- und Handelsrecht

- Erstreckung auf jur. Personen des Privatrechts ungeachtet der Kaufmannseigenschaft durch Loi n. 67-563

- umfassendes Insolvenzrecht für Unternehmen, Handwerker und Landwirte durch Loi n. 85-98

Nur für diese Personen kommt überhaupt Restschuldbefreiung in Betracht. Eine Restschuldbefreiung für juristische Personen ist allerdings nicht möglich, da sie mit Eröffnungsurteil zum Liquidationsverfahren aufgelöst werden. Auf Freiberufler ist das Konkursverfahren nicht anwendbar.

Eine Besonderheit gilt gem. Art. 234 Loi n. 85-98 für Elsaß und Lothringen: Dort ist das Konkursverfahren aufgrund der besonderen historischen Situation und anknüpfend an das früher maßgebliche, deutsche Recht in vollem Umfang auf Privatpersonen anwendbar, wenn diese sich im Zustand der offenbaren Zahlungsunfähigkeit befinden. Daher ist eine Restschuldbefreiung in Elsaß-Lothringen grundsätzlich auch für Privatpersonen möglich. Gleichwohl zeichnet sich ab, dass die Gerichte in den betroffenen Departments zurückhaltend sind bei der Eröffnung von Konkursverfahren über das Vermögen von Privatpersonen. Befürchtet wird, dass skrupellose Schuldner allzu leicht in den Genuss des Art. 169 Loi n. 85-98 kommen.

Zusammenfassung zum Anwendungsbereich:

Das Gesetz vom 25.1.1985 ist nicht auf Privatpersonen, wohl aber bei Kaufleuten, Handwerkern, Landwirten, Gesellschaftern oder Mitgliedern bestimmter Vereinigungen anzuwenden:

a. Kaufleute

- derjenige, welcher gewerbsmäßig Handelsgeschäfte abschließt

- sind im Handelsregister einzutragen, Verfahrenseröffnung ist aber nicht von Eintragung abhängig® deutsches Recht gilt, Siehe unter IV!

b. Handwerker

- jede Person, welche eine Handwerkstätigkeit ausübt, eine Eintragung in Handwerksrolle ist nicht Voraussetzung

c. Landwirte

d. Gesellschafter und Mitglieder bestimmter Gesellschaften

- Gesellschafter, die unbeschränkt als Gesamtschuldner für Verbindlichkeiten der Gesellschaft haften

- in Betracht kommen: oHG, KG

- Vor. ist Rechtsfähigkeit durch Eintragung

® deutsches Recht gilt, Siehe unter IV!

- bei Verfahrenseröffnung gegenüber Gesellschaftern eröffnet das zuständige Gericht ein gesondertes Verfahren für jeden betroffenen Gesellschafter

e. Geschäftsführer

- fallen grdszl. als Privatperson nicht unter das Gesetz vom 25.1.1985, da sie nicht in eigenem Namen handeln, sondern im Namen und auf Rechnung der Gesellschaft

- Eröffnung des Verfahrens aber denkbar, wenn der GF seine Geschäftsführungsbefugnisse überschritten hat und bei ähnlichen Handlungen (vgl. S.33, Weber, franz. Insolvenzrecht)

f. Körperschaften des Privatrechts

- z. B. Handelsgesellschaften, GbR

- Rechtsfähigkeit durch Registereintragung ist Voraussetzung

® deutsches Recht gilt, Siehe unter IV!

4. Ablehnung des Zivilkonkurses

Darüber hinaus wird die Einführung eines jedermann zugänglichen Privatkonkurses abgelehnt. Die Möglichkeit der Restschuldbefreiung durch Konkurs setze die falschen erzieherischen Signale an Kreditnehmer.

5. Durchführung des Insolvenzverfahrens nach der Loi n. 85-98

Die Loi n. 85-98 unterscheidet in einem einheitlichen Verfahren die Liquidation und die Sanierung. Da die Sanierung Hauptzweck des Verfahrens ist, kommt eine Liquidation mit abschließender Restschuldbefreiung nur in Betracht, wenn eine Sanierung aussichtslos erscheint oder fehlgeschlagen ist.

Die Erfolgsaussichten einer Sanierung werden in der Beobachtungsphase beurteilt, mit der das Konkursverfahren beginnt.

a. Eröffnungsgrund ist die Zahlungseinstellung des Schuldners. Die Zahlungseinstellung wird nach Art. 3 InsolvG als der Zustand definiert, bei dem die verfügbaren Aktiva nicht ausreichen, um die fälligen Passiva zu befriedigen.

b. Beantragt werden kann die Verfahrenseröffnung vom Schuldner, den Gläubigern, der Staatsanwaltschaft oder vom Insolvenzgericht.

Hat der Schuldner in Frankreich seinen Sitz, seine Hauptniederlassung oder gar nur ein „Zentrum seiner wirtschaftlichen Interessen“ (Art. 1 der Verordnung vom 27.12.1985), so sind französische Gerichte für die Verfahrenseröffnung regelmäßig zuständig.

c. Insolvenzgericht erlässt Eröffnungsurteil, in dem für die Beobachtungsphase und das Sanierungsverfahren ein Verwalter bestellt wird. Ferner wird ein Gläubigervertreter bestimmt, der für die Anmeldung und Prüfung der Forderungen zuständig ist. Über die Zulassung der Forderungen entscheidet im Bestreitensfall der beauftragte Richter, der ansonsten auch die Liquidation überwacht.

d. Scheitert ein Sanierungsverfahren, kommt es zum Erlass eines jugement de liquidation. In dem Eröffnungsurteil wird der „liquidateur“ bestellt, der die Verwertung des schuldnerischen Vermögens betreibt und den Erlös nach Maßgabe der Art. 162 ff. Loi n. 85-98 verteilt. Die Verwertung des schuldnerischen Vermögens in der Liquidation schließt das bis zum Verfahrensende erworbene Vermögen ein, Art. 152 Abs. 1 Loi n. 85-98. Darüber hinaus muss der Schuldner jedoch keine weiteren Opfer für eine Restschuldbefreiung erbringen. Insbesondere sind nicht wie in Deutschland Einkommensabtretungen oder die Einhaltung von Fristen Voraussetzung für eine Restschuldbefreiung.

Nach vollständiger Übertragung des Unternehmens bzw. nach Verwertung des nicht vom Veräußerungsplan erfassten Restvermögens stellt das Gericht das Insolvenzverfahren ein. Nach Art. 169 InsolvG ist eine individuelle Rechtsverfolgung der Gläubiger wegen offener Restforderungen nach Verfahrensbeendigung ausgeschlossen (Restschuldbefreiung). Ausgenommen hiervon sind Forderungen, die aus einer Verurteilung wegen berufsfremder Straftaten resultieren oder aus privaten Verbindlichkeiten des Schuldners. Außerdem gilt die Restschuldbefreiung nicht in einigen Fällen der Unredlichkeit im Geschäftsverkehr (Betrug, Verbotverstöße, Bankrott oder Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mit anschließender Einstellung mangels Masse)

e. Die Sanierung führt entweder zum Abschluss eines Sanierungsplans, der in Form eines Zwangsvergleichs eine Schuldbefreiung vorsehen kann, oder zur Liquidation.

II. Schuldensanierung für Privatpersonen

Restschuldbefreiung ist für Privatpersonen nicht vorgesehen, da sie außer in Elsaß-Lothringen nicht konkursfähig sind. Alternative Möglichkeiten zur Schuldensanierung gibt es für Privatpersonen in Frankreich nur begrenzt nach dem Gesetz vom 31.12.1989 (Loi n. 89-1010). Zu Voraussetzungen und Wirkungen siehe Exzerpt I. Allerdings ist wirkliche Entlastung und ein fresh start für Privatpersonen kaum möglich.

 

III.Rechtsvergleich

Restschuldbefreiung hat sich mittlerweile als Idee eines modernen Insolvenzrechts in den nord- und westeuropäischen Staaten durchgesetzt. Gemeinsam ist allen Rechtsordnungen das Nebeneinander von Liquidations- und Vergleichsverfahren. Grundsätzlich wird Restschuldbefreiung sämtlichen Privatpersonen zugänglich gemacht. Die Ausnahme bildet das französische Verfahren, das nur auf Kaufleute und vergleichbare Personengruppen begrenzt ist.

In großem Umfang unterscheiden sich die Verfahren zur Erlangung von Restschuldbefreiung: Frankreich sieht eine automatische Restschuldbefreiung vor. Deutschland schaltet ein eigenes Verfahren vor, das sich über sieben Jahre hinzieht. Mindestquoten werden von keinem Staat verlangt. In Frankreich kann Restschuldbefreiung nur einmal im Leben erlangt werden. Möglicherweise wird so berücksichtigt, dass die Restschuldbefreiung in Frankreich ansonsten ausgesprochen schuldnerfreundlich ausgestaltet ist.


IV.  Anerkennung der Restschuldbefreiung in Deutschland

Maßgeblich für die Anerkennung der Restschuldbefreiung in Deutschland ist die Entscheidung des BUNDESGERICHTSHOF IX ZB 51/00 vom 18. September 2001.

 

V. Zusammenfassung

Die einfachste Form der Restschuldbefreiung ist in Frankreich zu erreichen. Die Aufhebung des Insolvenzverfahrens, das in Frankreich allerdings nur für Kaufleute und vergleichbare Berufsgruppen einschlägig ist, führt ohne Vorbedingungen und ohne weitere Leistungen des Schuldners zur Restschuldbefreiung. Die Forderungen bleiben nach dem französischen Modell zwar formell bestehen. Sie sind aber aufgrund gesetzlicher Anordnung vollstreckungsrechtlich nicht mehr durchsetzbar.

Die deutsche Restschuldbefreiung ist strenger und kann nur in einem eigenen Restschuldbefreiungsverfahren nach Abschluss des Insolvenzverfahrens ergehen. Sie wird gerichtlich angeordnet, wenn sich der Schuldner sechs Jahre lang „wohl verhält“, d.h. bestimmte Obliegenheiten erfüllt und sein pfändbares Einkommen an die Gläubiger abtritt.

Die Bestimmung des maßgeblichen nationalen Insolvenzrechts – sowohl in verfahrens- als auch in materiellrechtlicher Hinsicht –  wird nach dem Grundsatz der lex fori vorgenommen. Es ist also das nationale Recht anzuwenden, in dessen Herrschaftsbereich sich das zuständige Gericht befindet. Vom Grundsatz der lex fori haben die zuständigen französischen Gerichte jedoch folgende Ausnahmen zu machen:

- alle Fragen, die das Personenrecht oder die Rechts- und Geschäftsfähigkeit eines ausländischen Schuldners betreffen, sind nach dem Recht zu beurteilen, das das allgemeine Personenrecht des ausländischen Schuldners bestimmt,

- für in Deutschland belegene Sachen ist das Recht des Belegenheitsorts anzuwenden,

- schließlich kann für Verträge, welche der Schuldner geschlossen hat und über welche das für das Insolvenzverfahren zuständige Gericht zu befinden hat, die Geltung eines ausländischen Rechts vereinbart sein. Dieses ist dann heranzuziehen, soweit nicht französisches Recht entgegensteht.

Für die Entscheidung über die Restschuldbefreiung ist das Gericht zuständig, das auch für das (universale) Hauptinsolvenzverfahren zuständig ist, vgl. Art. 3 I EuInsÜ. Begründet ein Schuldner seinen Insolvenzgerichtsstand im Ausland, um in den Genuss eines bestimmten – liberalen – Restschuldbefreiungsrechts zu kommen (forum shopping), muss dies hingenommen werden, solange die Zuständigkeit nicht erschlichen wurde.

Eine ausländische Restschuldbefreiung wird nach Art. 16, 17 oder Art. 15 I EuInsÜ und nach Art. 102 I EGInsO verfahrensrechtlich anerkannt, sofern sie in einem universalen Hauptverfahren ergangen ist oder die Gläubiger ihre Zustimmung erteilt haben. Materielle Wirkungen der Restschuldbefreiung richten sich nach der Lex fori concursus (Konkursrecht am Ort des Gerichts). Dies ergibt sich aus Art. 4 I lit. k EuInsÜ.

Der Bundesgerichtshof hat dem Begehren eines gegen die französische Entschuldungsentscheidung vorgehenden Gläubigers in allen wesentlichen Argumentationspunkten widersprochen, indem er klargestellt hat, dass das französische Insolvenzverfahren insoweit mit dem deutschen vergleichbar sei, dass die Anerkennung der französischen Entscheidung insbesondere nicht zu einem Verstoß gegen den Ordre Public in Deutschland führen würde. Die kürzere Verfahrensdauer alleine führe nicht dazu, eine Vergleichbarkeit auszuschließen.


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