Strafrecht: Verbringen eines Kindes in einen fremden Kulturbereich
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§ 235 IV Nr. 1 StGB setzt voraus, dass durch die Tat die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung des Opfers verursacht wird. Wie der BGH bereits mehrfach ausgeführt hat, kann eine konkrete Gefahr, soll die Grenze zur abstrakten Gefahr nicht verwischt werden, nur dann angenommen werden, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation geführt hat; in dieser Situation muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass „das noch einmal gut gegangen sei“ . Diese Erwägungen gelten auch für die von § 235 IV StGB vorausgesetzte konkrete Gefahr. Danach kann die bloße Kindesentziehung, auch wenn sie mit einem Verbringen des Kindes in das Ausland verbunden ist, für die Annahme einer solchen Gefahr nicht ausreichen. Freilich birgt ein solches Verhalten ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung des Kindes. Die Steigerung dieses Risikos stellt sich aber – nicht anders als dieses selbst –, auch wenn sie erheblich ist, lediglich als eine abstrakte, für § 235 IV Nr. 1 StGB nicht ausreichende Gefahr dar. Das Verbringen in einen fremden Kulturkreis kann aber den Qualifikationstatbestand dann erfüllen, wenn eine konkrete Gefahr für die körperliche, seelische oder psychische Entwicklung des Minderjährigen damit verbunden ist, etwa wenn unter massivem Einfluss einer fremden Religion die Gefahr einer Entwicklungsschädigung droht.
Gründe:
Das LG hat den Angeklagten wegen Entziehung Minderjähriger (§ 235 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 50.000 Euro verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der namentlich die Nichtannahme des Qualifizierungstatbestandes nach § 235 IV Nr. 1 StGB beanstandet wird, bleibt ohne Erfolg.
Das LG hat folgende Feststellungen getroffen:
Der dem Islam angehörende Angeklagte ist in Ägypten geboren und aufgewachsen. 1992 reiste er nach Deutschland ein und heiratete 1993 die Nebenklägerin, eine deutsche Staatsbürgerin. Im November 1998 gab er die ägyptische Staatsangehörigkeit auf und wurde deutscher Staatsbürger. Aus der 2001 wieder geschiedenen Ehe sind die am 3. 12. 1995 geborene Tochter H und der am 28. 4. 1998 geborene Sohn I hervorgegangen.
Bereits im Mai 2000 trennte sich die Nebenklägerin vom Angeklagten, nachdem dieser sie körperlich misshandelt hatte. Vom Familiengericht erhielt sie im Rahmen einer einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer gerichtlichen Regelung der Scheidungsfolgen das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder übertragen. Außerdem wurde dem Angeklagten durch Gerichtsbeschluss verboten, die Kinder außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu bringen. Die Kinder wurden zudem präventiv polizeilich im Schengener Informationssystem zur Fahndung ausgeschrieben. Im Rahmen einer Besuchsvereinbarung brachte die Nebenklägerin am 28. 12. 2000 dem Angeklagten beide Kinder. Noch am selben Tag übergab der Angeklagte abredewidrig die damals fünf bzw. zweieinhalb Jahre alten Kinder an nicht ermittelte Mittäter, die sie auf unbekanntem Weg nach Ägypten brachten. Am folgenden Tag flog auch der Angeklagte selbst nach Ägypten. Die jahrelange Suche der Nebenklägerin nach den Kindern blieb erfolglos. Der Angeklagte wurde nach seiner im September 2003 erfolgten Rückkehr nach Deutschland im Februar 2004 polizeilich festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Bis zur Urteilsverkündung war der Angeklagte nicht bereit, dem Gericht konkrete Angaben zum Aufenthalt der Kinder zu machen.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
Das LG hat den Angeklagten zutreffend gem. § 235 I Nr. 1, II Nr. 1 StGB (Strafandrohung Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) wegen Entziehung Minderjähriger verurteilt, weil dieser der Kindesmutter durch List die Kinder entzogen hat, um sie in das Ausland zu verbringen.
Die Begründung, mit der das LG aus tatsächlichen Gründen den allein in Betracht kommenden Qualifikationstatbestand des § 235 IV Nr. 1 StGB (Strafandrohung Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren) verneint hat, hält entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft der rechtlichen Nachprüfung stand.
Erforderlich ist, dass durch die Tat die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung des Opfers verursacht wird. Wie der BGH bereits mehrfach ausgeführt hat, kann eine konkrete Gefahr, soll die Grenze zur abstrakten Gefahr nicht verwischt werden, nur dann angenommen werden, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation geführt hat; in dieser Situation muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass „das noch einmal gut gegangen sei“ . Diese Erwägungen gelten auch für die von § 235 IV StGB vorausgesetzte konkrete Gefahr. Danach kann die bloße Kindesentziehung, auch wenn sie mit einem Verbringen des Kindes in das Ausland verbunden ist, für die Annahme einer solchen Gefahr nicht ausreichen. Freilich birgt ein solches Verhalten ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung des Kindes. Die Steigerung dieses Risikos stellt sich aber – nicht anders als dieses selbst –, auch wenn sie erheblich ist, lediglich als eine abstrakte, für § 235 IV Nr. 1 StGB nicht ausreichende Gefahr dar. Das Verbringen in einen fremden Kulturkreis kann aber den Qualifikationstatbestand dann erfüllen, wenn eine konkrete Gefahr für die körperliche, seelische oder psychische Entwicklung des Minderjährigen damit verbunden ist, etwa wenn unter massivem Einfluss einer fremden Religion die Gefahr einer Entwicklungsschädigung droht.
Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat das LG nicht verkannt. Es hat eine solche konkrete Gefährdung jedoch nicht festzustellen vermocht, weil über den tatsächlichen Zustand der Kinder keine Erkenntnisse gewonnen werden konnten. Diese Wertung ist vom RevGer. auf Grund der besonderen Umstände des Falles hinzunehmen. Die Nebenklägerin befasste sich alsbald nach der Heirat intensiv mit der arabischen Kultur und las viel über die muslimische Religion. Zwei Jahre nach ihrer Heirat konvertierte sie zum Islam. Beide Eheleute waren sich nach Geburt der Tochter darüber einig, das Kind auch nach islamischen Wertvorstellungen und Lebensregeln zu erziehen. So bekam die Tochter – worauf die Nebenklägerin auch im Kindergarten achtete – kein Schweinefleisch zu essen. Der Angeklagte und die Nebenklägerin vermittelten ihrer Tochter das Land Ägypten, in dem der überwiegende Teil der Familie des Angeklagten lebt, auf zahlreichen Reisen dorthin als zweite Heimat. Nach der Geburt des Sohnes begann die Nebenklägerin, die Wert darauf legte, dass beide Kinder zweisprachig aufwachsen, selbst arabisch zu lernen und riet dem Angeklagten, arabische Kinderbücher zu kaufen, aus denen sie beiden Kindern vorlesen könnten.
Das LG hat auch zutreffend darauf abgestellt, ob die genannte Gefahr sich bei den Kindern und nicht etwa bei ihrer Mutter – der Nebenklägerin – verwirklicht hat. Opfer i.S. von § 235 IV Nr. 1 StGB ist der von der Tat betroffene Minderjährige, nicht jedoch der Sorgeberechtigte. Zwar wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, Opfer könne auch der beteiligte Sorgeberechtigte sein, weil dieser Inhaber eines der durch § 235 StGB geschützten Rechtsgüter sei. Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen. Die Vorschrift des § 235 StGB ist durch das 6. StrRG vom 26. 1. 1998 umgestaltet worden. Dabei wurden unter anderem auch IV und Abs. 5 neu eingefügt und der Begriff des „Opfers“ in § 235 StGB erstmals verwendet. Nach den Gesetzesmaterialien zum 6. StrRG ist durch IV die Strafdrohung vor allem im Hinblick auf das erweiterte Schutzgut des § 235 verschärft worden (Schutz nicht nur der elterlichen Sorge, sondern auch der ungestörten Entwicklung des jungen Menschen). Dementsprechend wird in der Entwurfsbegründung hervorgehoben, die Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung könne gegeben sein, wenn der Täter ein Kind für längere Zeit in ein asoziales Milieu bringt, er auf unabsehbare Zeit einen Zustand erhöhter Schutzlosigkeit des Kindes herbeiführt oder sich aus egoistischen Motiven hemmungslos über die berechtigten Interessen des Kindes und der Mutter hinwegsetzt. Ebenfalls ist die Strafschärfung durch den Qualifikationstatbestand des Abs. 5 (Tod des Opfers) damit begründet worden, dass der neu gefasste § 235 StGB auch dem Kinder- und Jugendschutz diene.
Die Nichtanwendung des Qualifikationstatbestandes führt auch nicht dazu, dass auf den Angeklagten, der den Aufenthalt der Kinder noch immer verheimlicht, mit den Mitteln des Strafrechts nicht in ausreichender Weise eingewirkt werden könnte. Die Entziehung Minderjähriger ist eine Dauerstraftat. Die Tat ist daher mit der Erfüllung der Merkmals „Entziehung“ zwar rechtlich vollendet, sie wird aber durch pflichtwidriges Aufrechterhalten des vom Täter geschaffenen rechtswidrigen Zustandes weiter verwirklicht. Deshalb erscheint es zum einen als zweifelhaft, dass der die Straftat fortsetzende Angeklagte vorzeitig aus der Strafhaft entlassen werden könnte. Zum anderen wird auch durch die Verurteilung wegen Entziehung Minderjähriger in dieser Sache die Straftat nicht beendet; bei weiter andauernder Entziehung wäre mithin eine erneute Verurteilung möglich.
Die Überprüfung des Urteils nach § 301 StPO hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Annotations
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Entziehung Minderjähriger (§ 235 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 50.000 Euro verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte, vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der namentlich die Nichtannahme des Qualifizierungstatbestandes nach § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB beanstandet wird, bleibt ohne Erfolg.
I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
Der dem Islam angehörende Angeklagte ist in Ägypten geboren und aufgewachsen. 1992 reiste er nach Deutschland ein und heiratete 1993 die Nebenklägerin, eine deutsche Staatsbürgerin. Im November 1998 gab er die ägyptische Staatsangehörigkeit auf und wurde deutscher Staatsbürger. Aus
der 2001 wieder geschiedenen Ehe sind die am 3. Dezember 1995 geborene Tochter H und der am 28. April 1998 geborene Sohn I hervorgegangen.
Bereits im Mai 2000 trennte sich die Nebenklägerin vom Angeklagten, nachdem dieser sie körperlich misshandelt hatte. Vom Familiengericht erhielt sie im Rahmen einer einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einer gerichtlichen Regelung der Scheidungsfolgen das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für beide Kinder übertragen. Außerdem wurde dem Angeklagten durch Gerichtsbeschluss verboten, die Kinder außerhalb der Grenzen der Bundesrepublik Deutschland zu bringen. Die Kinder wurden zudem präventiv polizeilich im Schengener Informationssystem zur Fahndung ausgeschrieben. Im Rahmen einer Besuchsvereinbarung brachte die Nebenklägerin am 28. Dezember 2000 dem Angeklagten beide Kinder. Noch am selben Tag übergab der Angeklagte abredewidrig die damals fünf bzw. zweieinhalb Jahre alten Kinder an nicht ermittelte Mittäter, die sie auf unbekanntem Weg nach Ägypten brachten. Am folgenden Tag flog auch der Angeklagte selbst nach Ägypten. Die jahrelange Suche der Nebenklägerin nach den Kindern blieb erfolglos. Der Angeklagte wurde nach seiner im September 2003 erfolgten Rückkehr nach Deutschland im Februar 2004 polizeilich festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Bis zur Urteilsverkündung war der Angeklagte nicht bereit, dem Gericht konkrete Angaben zum Aufenthalt der Kinder zu machen.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat den Angeklagten zutreffend gemäß § 235 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 StGB (Strafandrohung Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe) wegen Entziehung Minderjähriger verurteilt, weil die-
ser der Kindesmutter durch List die Kinder entzogen hat, um sie in das Ausland zu verbringen.
2. Die Begründung, mit der das Landgericht aus tatsächlichen Gründen den allein in Betracht kommenden Qualifikationstatbestand des § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB (Strafandrohung Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren) verneint hat, hält entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft der rechtlichen Nachprüfung stand.
a) Erforderlich ist, dass durch die Tat die konkrete Gefahr (vgl. Gribbohm in LK 11. Aufl. § 235 Rdn. 84; Tröndle/Fischer, StGB 53. Aufl. § 235 Rdn. 16a; Horn/Wolters in SK-StGB 7. Aufl. [Stand: Oktober 2003] § 235 Rdn. 18) einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung des Opfers verursacht wird. Wie der Bundesgerichtshof bereits mehrfach ausgeführt hat, kann eine konkrete Gefahr, soll die Grenze zur abstrakten Gefahr nicht verwischt werden, nur dann angenommen werden, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus im Hinblick auf einen bestimmten Vorgang in eine kritische Situation geführt hat; in dieser Situation muss – was nach der allgemeinen Lebenserfahrung aufgrund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt worden sein, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist ein Geschehen, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, dass "das noch einmal gut gegangen sei" (vgl. BGHR StGB § 315b Abs. 1 Gefährdung 3 und § 306a Abs. 2 Gesundheitsschädigung 1; vgl. auch Sonnen in Nomos-Kommentar, StGB 2. Aufl. § 235 Rdn. 23). Diese Erwägungen gelten auch für die von § 235 Abs. 4 StGB vorausgesetzte konkrete Gefahr. Danach kann die bloße Kindesentziehung , auch wenn sie mit einem Verbringen des Kindes in das Ausland verbunden ist, für die Annahme einer solchen Gefahr nicht ausreichen. Freilich birgt ein solches Verhalten ein besonders hohes Risiko für die Entwicklung des Kindes. Die Steigerung dieses Risikos stellt sich aber – nicht
anders als dieses selbst –, auch wenn sie erheblich ist, lediglich als eine abstrakte , für § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB nicht ausreichende Gefahr dar. Das Verbringen in einen fremden Kulturkreis kann aber den Qualifikationstatbestand dann erfüllen, wenn eine konkrete Gefahr für die körperliche, seelische oder psychische Entwicklung des Minderjährigen damit verbunden ist, etwa wenn unter massivem Einfluss einer fremden Religion die Gefahr einer Entwicklungsschädigung droht (vgl. Tröndle/Fischer aaO; Wieck-Noodt in Münch-Komm § 235 Rdn. 80).
Diesen rechtlichen Ausgangspunkt hat das Landgericht nicht verkannt. Es hat eine solche konkrete Gefährdung jedoch nicht festzustellen vermocht, weil über den tatsächlichen Zustand der Kinder keine Erkenntnisse gewonnen werden konnten (vgl. dazu BGH NJW 1999, 1344, 1346). Diese Wertung ist vom Revisionsgericht aufgrund der besonderen Umstände des Falles hinzunehmen. Die Nebenklägerin befasste sich alsbald nach der Heirat intensiv mit der arabischen Kultur und las viel über die muslimische Religion. Zwei Jahre nach ihrer Heirat konvertierte sie zum Islam. Beide Eheleute waren sich nach Geburt der Tochter darüber einig, das Kind auch nach islamischen Wertvorstellungen und Lebensregeln zu erziehen. So bekam die Tochter – worauf die Nebenklägerin auch im Kindergarten achtete – kein Schweinefleisch zu essen. Der Angeklagte und die Nebenklägerin vermittelten ihrer Tochter das Land Ägypten, in dem der überwiegende Teil der Familie des Angeklagten lebt, auf zahlreichen Reisen dorthin als zweite Heimat. Nach der Geburt des Sohnes begann die Nebenklägerin, die Wert darauf legte, dass beide Kinder zweisprachig aufwachsen, selbst arabisch zu lernen und riet dem Angeklagten, arabische Kinderbücher zu kaufen, aus denen sie beiden Kindern vorlesen könnten.
b) Das Landgericht hat auch zutreffend darauf abgestellt, ob die genannte Gefahr sich bei den Kindern und nicht etwa bei ihrer Mutter – der Nebenklägerin – verwirklicht hat. Opfer im Sinne von § 235 Abs. 4 Nr. 1 StGB ist der von der Tat betroffene Minderjährige, nicht jedoch der Sorgeberechtig-
te. Zwar wird in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten, Opfer könne auch der beteiligte Sorgeberechtigte sein (vgl. Gribbohm aaO Rdn. 82; Eser in Schönke/Schröder, StGB 26. Aufl. § 235 Rdn. 23; Sonnen in NomosKommentar aaO; Sonnen, Strafrecht Besonderer Teil, 2005, S. 64), weil dieser Inhaber eines der durch § 235 StGB geschützten Rechtsgüter sei. Diese Ansicht vermag jedoch nicht zu überzeugen (so Maurach/Schroeder/Maiwald , Strafrecht Besonderer Teil TB 2, 9. Aufl. § 63 Rdn. 67; wohl auch Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl. § 235 Rdn. 8; Horn/Wolters aaO Rdn. 20). Die Vorschrift des § 235 StGB ist durch das 6. StrRG vom 26. Januar 1998 umgestaltet worden. Dabei wurden unter anderem auch Abs. 4 und Abs. 5 neu eingefügt und der Begriff des „Opfers“ in § 235 StGB erstmals verwendet. Nach den Gesetzesmaterialien zum 6. StrRG (vgl. Entwurf der Bundesregierung BT-Drucks. 13/8587 S. 39) ist durch Abs. 4 die Strafdrohung vor allem im Hinblick auf das erweiterte Schutzgut des § 235 verschärft worden (Schutz nicht nur der elterlichen Sorge, sondern auch der ungestörten Entwicklung des jungen Menschen). Dementsprechend wird in der Entwurfsbegründung hervorgehoben, die Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung könne gegeben sein, wenn der Täter ein Kind für längere Zeit in ein asoziales Milieu bringt, er auf unabsehbare Zeit einen Zustand erhöhter Schutzlosigkeit des Kindes herbeiführt oder sich aus egoistischen Motiven hemmungslos über die berechtigten Interessen des Kindes und der Mutter hinwegsetzt. Ebenfalls ist die Strafschärfung durch den Qualifikationstatbestand des Abs. 5 (Tod des Opfers) damit begründet worden, dass der neu gefasste § 235 StGB auch dem Kinder- und Jugendschutz diene.
3. Die Nichtanwendung des Qualifikationstatbestandes führt auch nicht dazu, dass auf den Angeklagten, der den Aufenthalt der Kinder noch immer verheimlicht, mit den Mitteln des Strafrechts nicht in ausreichender Weise eingewirkt werden könnte. Die Entziehung Minderjähriger ist eine Dauerstraftat (vgl. RG DR 1942, 438, 439; BGH NJW 1999, 1344, 1346; Gribbohm aaO Rdn. 128; Tröndle/Fischer aaO Rdn. 12; Joecks, StGB
6. Aufl. § 235 Rdn. 2; Wessels/Hettinger, Strafrecht Besonderer Teil/1, 29. Aufl. Rdn. 437). Die Tat ist daher mit der Erfüllung der Merkmals „Entziehung“ zwar rechtlich vollendet, sie wird aber durch pflichtwidriges Aufrechterhalten des vom Täter geschaffenen rechtswidrigen Zustandes weiter verwirklicht. Deshalb erscheint es zum einen als zweifelhaft, dass der die Straftat fortsetzende Angeklagte vorzeitig aus der Strafhaft entlassen werden könnte. Zum anderen wird auch durch die Verurteilung wegen Entziehung Minderjähriger in dieser Sache die Straftat nicht beendet; bei weiter andauernder Entziehung wäre mithin eine erneute Verurteilung möglich (vgl. RGSt 47, 154, 155; BGHSt 14, 280, 281).
III.
Die Überprüfung des Urteils nach § 301 StPO hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Harms Häger Raum Brause Schaal
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
- 1.
eine Person unter achtzehn Jahren mit Gewalt, durch Drohung mit einem empfindlichen Übel oder durch List oder - 2.
ein Kind, ohne dessen Angehöriger zu sein,
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind den Eltern, einem Elternteil, dem Vormund oder dem Pfleger
- 1.
entzieht, um es in das Ausland zu verbringen, oder - 2.
im Ausland vorenthält, nachdem es dorthin verbracht worden ist oder es sich dorthin begeben hat.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 und des Absatzes 2 Nr. 1 ist der Versuch strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
das Opfer durch die Tat in die Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt oder - 2.
die Tat gegen Entgelt oder in der Absicht begeht, sich oder einen Dritten zu bereichern.
(5) Verursacht der Täter durch die Tat den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
(6) In minder schweren Fällen des Absatzes 4 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 5 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.
(7) Die Entziehung Minderjähriger wird in den Fällen der Absätze 1 bis 3 nur auf Antrag verfolgt, es sei denn, daß die Strafverfolgungsbehörde wegen des besonderen öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung ein Einschreiten von Amts wegen für geboten hält.
Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.