Sanierung im Insolvenzrecht: Chancen, Herausforderungen und rechtliche Rahmenbedingungen
Einführung in das Thema
Das Ziel des Insolvenzrechts ist nicht ausschließlich die Liquidation eines insolventen Unternehmens, sondern auch die Möglichkeit der Sanierung. § 1 InsO stellt explizit die Option der Unternehmensfortführung und Sanierung in den Mittelpunkt. Diese Perspektive betont die gesellschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung von Sanierungen: Arbeitsplätze bleiben erhalten, die Gläubiger erhalten höhere Quoten, und das Unternehmen kann gestärkt in den Markt zurückkehren.
Sanierung ist jedoch nicht auf den insolvenzrechtlichen Rahmen beschränkt. Es existieren zahlreiche außergerichtliche Möglichkeiten, die eine Insolvenz vermeiden können, wie etwa die Anwendung des IDW S 6 oder andere Sanierungsstandards. Mit dem ESUG (Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen) hat der Gesetzgeber die Sanierungschancen innerhalb des Insolvenzverfahrens erheblich verbessert.
1. Arten der Sanierung: Wege zur Überwindung der Unternehmenskrise
a) Sanierung im Rahmen des Insolvenzverfahrens
Innerhalb eines Insolvenzverfahrens bestehen verschiedene rechtliche Instrumente, die eine Sanierung ermöglichen:
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Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO): Der Schuldner bleibt unter Aufsicht eines Sachwalters in der Unternehmensführung. Dies stärkt die Eigenverantwortung und ermöglicht eine flexible Umsetzung von Sanierungsmaßnahmen.
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Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO): Dieses Verfahren erlaubt maßgeschneiderte Lösungen, etwa den Erlass von Forderungen oder die Umstrukturierung der Unternehmensorganisation. Es wird häufig als zentrale Säule der Sanierung gesehen.
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Schutzschirmverfahren (§ 270b InsO): Eine Sonderform der Eigenverwaltung, bei der der Schuldner frühzeitig Schutz vor Vollstreckungsmaßnahmen genießt und unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters einen Insolvenzplan erstellt.
b) Vorinsolvenzliche Sanierung
Neben den geregelten Verfahren gibt es die vorinsolvenzliche Sanierung, die außerhalb eines förmlichen Insolvenzverfahrens stattfindet. Solche Maßnahmen können z. B. außergerichtliche Schuldenbereinigungen, Verhandlungen mit Gläubigern oder die Restrukturierung von Geschäftsprozessen umfassen.
2. Krisenstadien und ihre Bewältigung
Unternehmenskrisen verlaufen oft in mehreren Stufen, die nach dem IDW S 6 wie folgt definiert werden:
- Stakeholderkrise: Konflikte zwischen Gesellschaftern, Arbeitnehmern oder Gläubigern.
- Strategiekrise: Fehlende Marktanpassung oder unklare Unternehmensziele.
- Produkt- und Absatzkrise: Rückgänge in Umsatz und Marktanteilen.
- Erfolgskrise: Verlust von Rendite und Eigenkapital.
- Liquiditätskrise: Akute Zahlungsunfähigkeit.
Die erfolgreiche Sanierung erfordert eine systematische Analyse und Überwindung dieser Krisenstufen.
3. Rechtliche Streitpunkte und abweichende Meinungen
a) Insolvenzplanverfahren
Das Insolvenzplanverfahren stellt eine zentrale Möglichkeit zur Unternehmenssanierung dar, stößt jedoch in der Praxis auf verschiedene rechtliche Herausforderungen. Ein wesentlicher Streitpunkt ist die Wahrung des Gleichbehandlungsgrundsatzes unter den Gläubigern. Die Anforderungen an die Gleichbehandlung und die Abwägung von Mehrheiten in den Gläubigergruppen stehen immer wieder im Fokus gerichtlicher Auseinandersetzungen. Es muss sichergestellt sein, dass keine Gläubigergruppe unangemessen benachteiligt wird, ein Punkt, der in der Rechtsprechung immer wieder thematisiert wird.
Ein häufiger Streitpunkt ist die Bewertung der Unternehmensfortführung im Plan. Gläubiger, die eine schnelle Liquidation bevorzugen, stellen häufig infrage, ob der prognostizierte Erfolg der Sanierung realistisch ist. Hier kommt es auf sorgfältige und transparente Prognosen an, um die Zustimmung der Gläubigergruppen zu sichern.
b) Schutzschirmverfahren
Das Schutzschirmverfahren nach § 270b InsO bietet dem Schuldner die Möglichkeit, eigenverantwortlich einen Sanierungsplan zu entwickeln, während das Unternehmen vor Zwangsvollstreckungen geschützt bleibt. Es wird jedoch immer wieder kritisiert, dass die Anforderungen an die Bescheinigung über die Sanierungsfähigkeit (§ 270b Abs. 1 Satz 3 InsO) in der Praxis oft subjektiv interpretiert werden. Dies führt zu Unsicherheiten, insbesondere bei der gerichtlichen Prüfung.
c) Vorinsolvenzliche Sanierung
Die vorinsolvenzliche Sanierung gewinnt an Bedeutung, insbesondere durch die EU-Restrukturierungsrichtlinie (RL (EU) 2019/1023), die die Schaffung eines vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens in den Mitgliedstaaten fordert. In Deutschland wurde dies durch das Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) umgesetzt. Ein häufig diskutierter Aspekt ist, inwieweit Gläubiger, die nicht zustimmen, dennoch an Restrukturierungsvereinbarungen gebunden werden können.
Die Frage der Vereinbarkeit solcher Regelungen mit dem grundgesetzlich geschützten Eigentumsrecht (Art. 14 GG) führt immer wieder zu Diskussionen.
d) Anfechtungsrechte und Aufrechnung
Ein weiterer Streitpunkt betrifft die Insolvenzanfechtung und die Aufrechnungsmöglichkeiten während der Sanierung. Die Regelungen der §§ 129 ff. InsO werden häufig als „gläubigerfeindlich“ wahrgenommen, insbesondere wenn Rückzahlungen an Gläubiger oder Sicherheitenanfechtungen den Erfolg der Sanierung gefährden könnten. Hierzu gibt es unterschiedliche Ansichten, wie weit die Anfechtungsrechte reichen sollten, um einen gerechten Ausgleich zwischen Gläubigerinteressen und Sanierungszielen zu schaffen.
4. Vorteile der Sanierung
- Erhalt von Arbeitsplätzen: Sanierte Unternehmen können oft einen Großteil ihrer Belegschaft behalten.
- Höhere Gläubigerquote: Durch den Fortbestand des Unternehmens erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Gläubiger ihre Forderungen zumindest teilweise zurückerhalten.
- Erhalt der Marktposition: Ein saniertes Unternehmen kann wettbewerbsfähig bleiben und langfristig wachsen.
Fazit
Die Sanierung im Insolvenzrecht bietet Unternehmen eine zweite Chance, ist jedoch mit rechtlichen und praktischen Herausforderungen verbunden. Sie erfordert eine präzise Analyse der Krisenursachen und eine strategische Umsetzung von Maßnahmen.
Für Rechtsanwälte ist es unerlässlich, ihre Mandanten über die verfügbaren Optionen aufzuklären, um eine nachhaltige Lösung zu ermöglichen. Unterschiedliche Meinungen, insbesondere zu vorinsolvenzlichen Maßnahmen und der Reichweite von Gläubigerrechten, erfordern eine detaillierte rechtliche Prüfung, um die bestmögliche Strategie zu entwickeln.
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Annotations
Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Dem redlichen Schuldner wird Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien.
(1) Das Gericht bestellt einen vorläufigen Sachwalter, auf den die §§ 274 und 275 anzuwenden sind (vorläufige Eigenverwaltung), wenn
- 1.
die Eigenverwaltungsplanung des Schuldners vollständig und schlüssig ist und - 2.
keine Umstände bekannt sind, aus denen sich ergibt, dass die Eigenverwaltungsplanung in wesentlichen Punkten auf unzutreffenden Tatsachen beruht.
(2) Sind nach dem gemäß § 270a Absatz 1 Nummer 1 übermittelten Finanzplan die Kosten der Eigenverwaltung und der Fortführung des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs nicht gedeckt, übersteigen die nach § 270a Absatz 1 Nummer 5 ausgewiesenen voraussichtlichen Kosten der Eigenverwaltung in wesentlicher Weise die voraussichtlichen Kosten des Regelverfahrens oder sind Umstände bekannt, aus denen sich ergibt, dass
- 1.
Zahlungsrückstände gegenüber Arbeitnehmern oder erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber den weiteren in § 270a Absatz 2 Nummer 1 genannten Gläubigern bestehen, - 2.
zugunsten des Schuldners in den letzten drei Jahren vor der Stellung des Antrags Vollstreckungs- oder Verwertungssperren nach diesem Gesetz oder nach dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz angeordnet worden sind oder - 3.
der Schuldner in einem der letzten drei Jahre vor der Antragstellung gegen die Offenlegungsverpflichtungen, insbesondere nach den §§ 325 bis 328 oder 339 des Handelsgesetzbuchs verstoßen hat,
(3) Einem vorläufigen Gläubigerausschuss ist vor Erlass der Entscheidung nach Absatz 1 oder Absatz 2 Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Ohne Äußerung des Gläubigerausschusses darf eine Entscheidung nur ergehen, wenn seit der Antragstellung zwei Werktage vergangen sind oder wenn offensichtlich mit nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners zu rechnen ist, die sich nicht anders als durch Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters abwenden lassen. An einen die vorläufige Eigenverwaltung unterstützenden einstimmigen Beschluss des vorläufigen Gläubigerausschusses ist das Gericht gebunden. Stimmt der vorläufige Gläubigerausschuss einstimmig gegen die vorläufige Eigenverwaltung, unterbleibt die Anordnung.
(4) Bestellt das Gericht einen vorläufigen Insolvenzverwalter, sind die Gründe hierfür schriftlich darzulegen. § 27 Absatz 2 Nummer 4 gilt entsprechend.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.