Nachbarrecht: Wohnungsmieter hat kein Abwehrrecht gegen Baugenehmigung für Nachbarn
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Da das Bebauungsrecht die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke regelt, kann grundsätzlich nur der jeweilige - zivilrechtliche - Eigentümer eines benachbarten Grundstücks Nachbarschutz in Anspruch nehmen.
Hierauf machte das Verwaltungsgericht (VG) Gelsenkirchen aufmerksam. Die Richter machten deutlich, dass Mieter oder Pächter lediglich ein obligatorisches Recht an einem Grundstück von dessen Eigentümer ableiten könnten. Aus dieser Rechtsposition hätten sie daher gegen die einem Nachbarn erteilte Baugenehmigung grundsätzlich kein öffentlich-rechtliches Abwehrrecht. Etwas anderes gelte nur für Erbbauberechtigte oder Nießbraucher. Diese seien dem Eigentümer gleichzustellen, da sie in einer eigentumsähnlichen Weise an dem Grundstück dinglich berechtigt seien (VG Gelsenkirchen, 5 K 4586/09).
Die Entscheidung im einzelnen lautet:
VG Gelsenkirchen: Urteil vom 30.09.2010 - 5 K 4586/09
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor in derselben Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
Die Klägerin ist Mieterin einer Wohnung im 1. Obergeschoss in dem Mehrfamilienhaus der Beigeladenen C.-Strauß-Str. ... in F. Das Haus liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 176 „R-weg“ mit den Festsetzungen B-Gebiet g/III. Seit einigen Jahren werden Räumlichkeiten im gesamten Gebäude durch das T. A. „F1. L. e. V.“ genutzt, das die Räume sowohl als Büro- als auch als Gruppenräume unterhält. Zweck des Vereins ist die ideelle und materielle Unterstützung von psychisch Kranken, Behinderten und Genesenden. In der Vergangenheit wandte sich die Klägerin bereits mit massiven Beschwerdebriefen wegen erheblicher Lärmbelästigungen aus diesen Räumen an den Beklagten. Eine baurechtliche Genehmigung für diese Nutzung existierte zunächst nicht.
Mit Bauantrag vom 9. März 2009 beantragte die Beigeladene beim Beklagten die baurechtliche Genehmigung für die Umnutzung von zwei Wohnungen im Erdgeschoss für Beratung, von einer Wohnung im 1. Obergeschoss sowie von zwei Wohnungen im 2. Obergeschoss für Büros durch den „F1. L. e. V.“. Nach der Betriebsbeschreibung umfasst das Angebot eine Vielzahl unterschiedlicher Hilfen, wie u. a. persönliche Beratung und Begleitung, Hilfen bei Behördenangelegenheiten, Krisenintervention, Gruppenangebote (z. B. gemeinsame Freizeitgestaltung, offener Treff, Gesprächsgruppen, Kreativgruppen, Musik- und Bewegungsangebote), Beratung von Angehörigen und Bezugspersonen sowie Vermittlung an ambulante, teilstationäre und stationäre Dienste. Die Beratungszeiten sind Montag bis Freitag, 9 bis 13 Uhr und nach Vereinbarung, die Gruppen werden täglich (auch am Wochenende) zwischen 9 und 21 Uhr angeboten.
Mit Bauschein vom 20. Mai 2009 genehmigte der Beklagte das Vorhaben und erteilte von der Festsetzung „Art der Nutzung“ im Bebauungsplan Befreiung.
Hiergegen hat die Klägerin am 16. Oktober 2009 Klage erhoben. Sie ist der Auffassung, dass sie auch als Mieterin klagebefugt sei. Für eine lediglich formelle Auslegung des Nachbarbegriffs sei kein Raum mehr. Vielmehr sei Nachbar im Sinne der baurechtlichen Nachbarklage nicht nur der Angrenzer im Sinne des Eigentümers, sondern nach dem materiellen Nachbarbegriff jede Person, die sich im Einwirkungsbereich der Anlage ständig oder langfristig aufhalte. Denn die Gebietsklassifizierungen der BauNVO dienten zumindest auch dem Schutz der in den betreffenden Gebieten sich ständig oder langfristig aufhaltenden Personen. Auch die Klägerin als Mieterin habe ein subjektiv-öffentliches Recht auf Wahrung des Gebietscharakters. Deshalb könnten sich Nachbarn gegen Nutzungen, die nicht allgemein oder ausnahmsweise zulässig sind, zur Wehr setzen. Die Klägerin sei aber von den Auswirkungen der Befreiung von den Vorgaben des reinen Wohngebiets massivst betroffen. In der Erdgeschosswohnung fänden jeden Tag mehrere Veranstaltungen mit hoher Publikumsfrequenz statt. Auch in den übrigen, von dem „F1. L. e. V.“ genutzten Räumen finde umfangreicher Publikumsverkehr statt. An jedem ersten Samstag eines Monats werde von 18 bis 22 Uhr eine Discoveranstaltung mit hohem Publikumsaufkommen und ständiger Lärmbelästigung durch An- und Abfahrt der Besucher durchgeführt. Darüber hinaus finde jeweils an Sylvestertagen eine große Party mit Stereoanlage und Bewirtung und sehr hohem Publikumsaufkommen statt. Jeden Samstag und Sonntag (auch an Feiertagen) gebe es Veranstaltungen sowohl im Erdgeschoss als auch in den Gruppenbereichen das Kaffeetrinken von 15 bis 17:30 Uhr. Die Besucher kämen schon ab 14:30 Uhr, Klingelanlage und Türdrücker schallten im Minutentakt durchs Haus. Die Klägerin habe schon vom Beklagten ein ordnungsbehördliches Einschreiten gegen die zunächst formell illegale Nutzung beantragt; geschehen sei nichts.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unzulässig.
Die Klägerin ist nicht nach § 42 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - antragsbefugt. Einen etwaigen Verstoß gegen hier allein in Rede stehende Vorschriften des Bebauungsplanungsrechts kann die Klägerin nicht geltend machen. Sie ist weder Eigentümerin des Grundstücks C.-T1.-Str. ... noch sonst in eigentumsähnlicher Weise an dem Grundstück berechtigt. Das Mietverhältnis an der Wohnung im Hause C.-T1.-Str. ... vermittelt der Klägerin keinen bauplanungsrechtlichen Nachbarschutz.
Das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG NRW - hat hierzu sowie zu der Frage, wie die von der Klägerin zitierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 26. Mai 1993, - 1 BvR 208/93 -, BVerfGE 1989, 1, in diesem Zusammenhang zu verstehen ist Folgendes ausgeführt:
„Nachbarschutz aus den Vorschriften des Bauplanungsrechts kann grundsätzlich nur der jeweilige - zivilrechtliche - Eigentümer eines benachbarten Grundstücks in Anspruch nehmen. Denn das Bebauungsrecht regelt die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke. Es ist grundstücks-, nicht personenbezogen. Zu den Aufgaben des Bauplanungsrechts gehört es, die einzelnen Grundstücke einer auch im Verhältnisuntereinander verträglichen Nutzung zuzuführen. Indem es in dieser Weise auf einen Ausgleich möglicher Bodennutzungskonflikte zielt, bestimmt es zugleich den Inhalt des Grundeigentums. Demgemäß beruht bauplanungsrechtlicher Nachbarschutz auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses; weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlich- rechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Grundstücksnachbarn durchsetzen. Dem Eigentümer gleichzustellen ist (nur), wer in eigentumsähnlicher Weise an einem Grundstückdinglich berechtigt ist, wie etwa der Inhaber eines Erbbaurechts oder der Nießbraucher; ferner auch der Käufer eines Grundstücks, auf den der Besitz sowie Nutzungen und Lasten übergegangen sind und zu dessen Gunsten eine Auflassungsvormerkung in das Grundbuch eingetragen ist. Wer dagegen - wie hier der Antragsteller - lediglich ein obligatorisches Recht an einem Grundstück von dessen Eigentümer ableitet (Mieter, Pächter usw.), hat aus dieser Rechtsposition gegen die einem Nachbarn erteilte Baugenehmigung grundsätzlich kein öffentlich- rechtliches Abwehrrecht.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Mai 1989 - 4 C 1/88 -, BVerwGE 82, 61 (74 f.) und Beschluss vom 20. April 1988 - 4 B 22.98 -, BRS 60 Nr. 174; OVG NRW, Beschlüsse vom 11. April 1997- 7 A 879/97 -, BRS 59 Nr. 194, und vom 21. Oktober 2004 - 10 B 1643/04 -; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27. Juni 2006 - 8 S 997/06 -, BRS 70 Nr. 160, jeweils m. w. N.
Daran hat sich auch durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Mai 1993 - 1 BvR 208/93 -, BVerfGE 89, 1 (5 ff.), nichts geändert, wonach das Besitzrecht des Mieters an der gemieteten Wohnung Eigentum im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ist. Denn mit dieser Verankerung des Mietrechts in Art. 14 GG ist angesichts der gesetzgeberischen Ausgestaltung der der Eigentumsgarantie unterfallenden Rechte noch keinerlei Aussage darüber getroffen, ob und inwieweit der Mieter eigentumsrechtlichen Schutz gegenüber der Erteilung einer Baugenehmigung für das Nachbargrundstück genießt.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 1988 - 4 B 22.98 -, a. a. O.; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 42 Rdnr. 97; Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage 2006, § 42 Rdnr. 456.“
Dem schließt sich das erkennende Gericht an.
Die Klage ist deshalb mit der sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO abzuweisen. Es entspricht der Billigkeit, die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst tragen zu lassen und sie nicht für erstattungsfähig zu erklären, weil die Beigeladene keinen eigenen Antrag in der Sache gestellt und sich damit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
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Annotations
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
Tenor
Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 27. März 2006 - 12 K 884/06 - werden zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 7.500 festgesetzt.
Gründe
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(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.
(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.
(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.