Immobilienrecht: Neuer Eigentümer hat Recht auf erstmalige Besichtigung der Wohnung
Das hat das Amtsgericht München im Fall eines Mannes entschieden, der eine Wohnung in München gekauft hatte, ohne sie zuvor zu besichtigen. Die Wohnung war seit 1981 an den beklagten Mieter vermietet. In dem Mietvertrag ist folgende Regelung: „(1) Der Vermieter oder ein von ihm Beauftragter oder beide können die Mieträume betreten, um die Notwendigkeit unaufschiebbarer Hausarbeiten festzustellen. (2) Will der Vermieter das Grundstück verkaufen, so darf er oder ein von ihm Beauftragter nach Ankündigung die Mieträume zusammen mit den Kaufinteressenten an Wochentagen von 9 Uhr bis 12 Uhr und 16 Uhr bis 18 Uhr betreten. (3) Ist das Mietverhältnis gekündigt, so darf der Vermieter oder ein von ihm Beauftragter die Räume mit den Mietinteressenten zu den gleichen Stunden betreten. (4) Der Mieter muss dafür sorgen, dass die Räume auch in seiner Abwesenheit betreten werden können.“ 2016 kündigte der Eigentümer das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs. Da er die Wohnung bisher noch nie besichtigt hatte, teilte er dem Mieter schriftlich mit, dass er die Wohnung besichtigen und ausmessen möchte. Dazu schlug er drei verschiedene Termine vor. Der Mieter wendet sich dagegen. Er vertritt die Ansicht, dass dem Vermieter ein Besichtigungsrecht nur mit Mietinteressenten zustände. Sein Informationsrecht sei zudem durch die Übersendung einer Architektenskizze erfüllt. Außerdem forderte der Mieter den Eigentümer auf, 638 EUR an ihn zu bezahlen. Er habe eine neue Spülmaschine angeschafft, nachdem die alte Maschine kaputt gegangen war.
Der neue Eigentümer erhob Klage vor dem Amtsgericht München. Die zuständige Richterin verurteilte den Mieter auf Duldung der Besichtigung der Wohnung. In seinem Bedürfnis auf erstmalige Information hinsichtlich des Aussehens, der Ausstattung sowie der genauen Größe der Wohnung ist ein berechtigtes Interesse zu sehen. Dies überwiegt das Interesse des Mieters an fehlender Störung deutlich, so das Urteil. Die Regelung des Mietvertrags sei so zu verstehen, dass das Besichtigungsrecht nicht abschließend geregelt sei und in den dort aufgezählten Fällen jedenfalls ein Besichtigungsrecht bestehe.
Der Mieter kann die Besichtigung auch nicht davon abhängig machen, dass die Spülmaschine bezahlt wird: Gegenüber dem aus Art. 14 GG herrührenden Recht auf Duldung der erstmaligen Besichtigung einer Wohnung durch den neuen Eigentümer kann die fehlende Bezahlung von Geldansprüchen nicht geltend gemacht werden, so das Gericht.
Das Urteil ist rechtskräftig.
Das Amtsgericht München hat mit Endurteil vom 12.08.2016 entschieden:
Tenor:
1. Der Beklagte wird verurteilt, die Besichtigung der Wohnung im 2. OG im Vorderhaus des Anwesens nach dem Verlassen des Aufzuges rechts, erste Türe rechts, durch den Kläger zu dulden, wenn dieser dem Beklagten mit einer Frist von mindestens 3 Tagen einen Termin zu üblichen Zeiten benennt.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 1.500,00 € festgesetzt.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Besichtigung einer an diesen vermieteten Wohnung im 2. OG des Anwesens.
Mit Mietvertrag vom 27.05.1981 mietete der Beklagte vom Rechtsvorgänger des Klägers die streitgegenständliche Wohnung. Der Kläger kaufte die Wohnung mit Kaufvertrag vom 05.10.2015 ohne vorherige Besichtigung der Wohnung und wurde am 04.02.2016 als Eigentümer im Grundbuch eingetragen. Er trat damit auf Vermieterseite in das Mietverhältnis zwischen dem Beklagten und seinem Rechtsvorgänger ein.
In § 10 des streitgegenständlichen Mietvertrags ist Folgendes geregelt:
„ Der Vermieter oder ein von ihm Beauftragter oder beide können die Mieträume betreten, um die Notwendigkeit unaufschiebbarer Hausarbeiten festzustellen.
Will der Vermieter das Grundstück verkaufen, so darf er oder ein von ihm Beauftragter nach Ankündigung die Mieträume zusammen mit den Kaufinteressenten an Wochentagen von 9 Uhr bis 12 Uhr und 16 Uhr bis 18 Uhr betreten.
Ist das Mietverhältnis gekündigt, so darf der Vermieter oder ein von ihm Beauftragter die Räume mit den Mietinteressenten zu den gleichen Stunden betreten.
Der Mieter muss dafür sorgen, daß die Räume auch in seiner Abwesenheit betreten werden können.“
Mit Schreiben vom 26.02.2016 kündigte der Kläger das Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs.
Nachdem der Kläger die streitgegenständliche Wohnung bislang überhaupt noch nicht besichtigt hatte, wandte er sich mit Schreiben vom 21.03.2016 an den Beklagten und teilte diesem mit, dass er die Wohnung gerne besichtigen und ausmessen möchte. Hierbei wurden vom Kläger drei verschiedene Termine vorgeschlagen.
Mit Schreiben vom 10.03.2016 forderte der Beklagte den Kläger auf, 638,00€ an ihn zu bezahlen, da er eine neue Spülmaschine habe anschaffen müssen, nachdem die alte Spülmaschine kaputt gegangen sei. Dem Schreiben war die Rechnung der Fa. Saturn über die Spülmaschine vom 29.02.2016 beigefügt.
Mit Schreiben vom 20.04.2016 übersandte der Beklagte dem Kläger eine Architektenskizze betreffend die streitgegenständliche Wohnung sowie die Rechnung der Fa. Waldhauser vom 12.04.2016 betreffend die Erneuerung einer defekten Mischbatterie in der Küche i.H.v. 169,22 €.
Der Kläger beantragt:
Der Beklagte wird verurteilt, die Besichtigung der Wohnung im 2. OG im Vorderhaus des Anwesens nach dem Verlassen des Aufzuges rechts, erste Türe rechts, durch den Kläger zu dulden, wenn dieser dem Beklagten mit einer Frist von mindestens 3 Tagen einen Termin zu üblichen Zeiten benennt.
Der Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
Er ist der Auffassung, dass dem Kläger wegen der Regelung in § 10 des streitgegenständlichen Mietvertrags ein Besichtigungsrecht nur mit Mietinteressenten zustünde und seinem Informationsrecht durch Übersendung der Architektenskizze Genüge getan sei. Ferner macht er ein Zurückbehaltungsrecht gegenüber dem Duldungsanspruch des Klägers geltend, solange die o.g. Rechnungen vom Kläger nicht bezahlt worden sind. In diesem Zusammenhang ist er der Auffassung, dass eine Inverzugsetzung des Klägers hinsichtlich der Behebung der geltend gemachten Mängel nicht erforderlich gewesen sei.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den gesamten Akteninhalt, insbesondere die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage war vollumfänglich begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Duldung der erstmaligen Besichtigung der Wohnung wie beantragt zu. Unstreitig hat der Kläger die vermietete Wohnung ohne vorherige Besichtigung erworben, sodass in seinem Bedürfnis auf erstmalige Information hinsichtlich des Aussehens, der Ausstattung sowie der genauen Größe der Wohnung ein berechtigtes Interesse zu sehen ist, das das Interesse des Mieters an fehlender Störung deutlich überwiegt.
Das Informationsbedürfnis des Klägers hinsichtlich der genauen Maße der Wohnung wird vorliegend auch nicht durch die beklagtenseits übersandte Architektenskizze befriedigt. In der Skizze sind lediglich Quadratmeterangaben enthalten, jedoch weder die Maße der Wände noch ein konkreter Maßstab. Für den Kläger, der beabsichtigt, selbst in die Wohnung einzuziehen und diese daher ausmessen möchte, ergeben sich aus der Architektenskizze daher nicht die benötigten Informationen.
Entgegen der Auffassung des Beklagtenvertreters regelt § 10 des streitgegenständlichen Mietvertrags das Besichtigungsrecht des Vermieters nicht abschließend. Die Regelung ist nicht dahingehend auszulegen, dass dem Vermieter ausschließlich in den dort aufgezählten Fällen ein Besichtigungsrecht zusteht. Vielmehr ist sie so zu verstehen, dass das Besichtigungsrecht des Vermieters jedenfalls in den dort aufgezählten Fällen besteht. Selbst wenn man – wie nicht – von einer abschließenden Regelung des § 10 ausgehen würde, hätte der Kläger entsprechend § 10 Abs. 2 des streitgegenständlichen Mietvertrags ein Besichtigungsrecht, da er dieses als Kaufinteressent nicht vor Abschluss des Kaufvertrags, sondern nunmehr erst hinterher geltend macht.
Ein Zurückbehaltungsrecht des Beklagten gem. § 273 BGB gegenüber dem Besichtigungsanspruch des Klägers besteht ebenfalls nicht. Entgegen der Auffassung des Beklagten war eine Inverzugsetzung des Klägers vorliegend nicht entbehrlich, da die Reparaturen weder zur Erhaltung noch Wiederherstellung des Bestands der Mietsache i.S.v. § 536 a Abs. 2 Ziff. 2 BGB notwendig waren. Der Beklagte hätte die Mängel mit Fristsetzung zur Beseitigung gegenüber dem Kläger anzeigen müssen, damit dieser sein Recht auf Veranlassung der Reparaturen und Auswahl der Ersatzgegenstände ausüben kann. Nachdem der Beklagte dies unstreitig nicht getan hat, scheidet ein Anspruch gem. § 536 a Abs. 2 BGB aus.
Dies kann letztlich jedoch dahinstehen, da das Zurückbehaltungsrecht im vorliegenden Fall gem. § 242 BGB ohnehin aufgrund der Natur des Gläubigeranspruchs ausgeschlossen ist. Gegenüber dem aus Art. 14 GG herrührenden Recht auf Duldung der erstmaligen Besichtigung einer Wohnung durch den neuen Eigentümer kann die fehlende Bezahlung von Geldansprüchen nicht geltend gemacht werden. Es steht dem Beklagten frei, gegenüber dem Mietzahlungsanspruch mit den vermeintlichen Ansprüchen aufzurechnen, so dass er hinsichtlich der Wahrung seiner Rechte nicht schutzlos gestellt ist. Die fehlende Bezahlung von Geldansprüchen ist jedoch nicht geeignet, das ureigenste Recht des Eigentümers, seine Wohnung erstmals zu besichtigen, zu Fall zu bringen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Der Streitwert wurde gem. §§ 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO geschätzt.
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Rechtsanwältin
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(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Hat der Schuldner aus demselben rechtlichen Verhältnis, auf dem seine Verpflichtung beruht, einen fälligen Anspruch gegen den Gläubiger, so kann er, sofern nicht aus dem Schuldverhältnis sich ein anderes ergibt, die geschuldete Leistung verweigern, bis die ihm gebührende Leistung bewirkt wird (Zurückbehaltungsrecht).
(2) Wer zur Herausgabe eines Gegenstands verpflichtet ist, hat das gleiche Recht, wenn ihm ein fälliger Anspruch wegen Verwendungen auf den Gegenstand oder wegen eines ihm durch diesen verursachten Schadens zusteht, es sei denn, dass er den Gegenstand durch eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung erlangt hat.
(3) Der Gläubiger kann die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts durch Sicherheitsleistung abwenden. Die Sicherheitsleistung durch Bürgen ist ausgeschlossen.
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.
(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.
(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.
(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.
(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.
Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.
(1) In bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten richten sich die Gebühren nach den für die Zuständigkeit des Prozessgerichts oder die Zulässigkeit des Rechtsmittels geltenden Vorschriften über den Wert des Streitgegenstands, soweit nichts anderes bestimmt ist. In Musterfeststellungsklagen nach Buch 6 der Zivilprozessordnung und in Rechtsstreitigkeiten aufgrund des Unterlassungsklagengesetzes darf der Streitwert 250 000 Euro nicht übersteigen.
(2) In nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten ist der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere des Umfangs und der Bedeutung der Sache und der Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien, nach Ermessen zu bestimmen. Der Wert darf nicht über eine Million Euro angenommen werden.
(3) Ist mit einem nichtvermögensrechtlichen Anspruch ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Anspruch, und zwar der höhere, maßgebend.