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| Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er verfügt in Deutschland über ein Daueraufenthaltsrecht (§ 4a FreizügG/EU i.V.m. Art. 16 ff. Richtlinie 2004/38/EG). Er klagt gegen die mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 25. November 2014 auf der Grundlage des § 6 FreizügG/EU verfügte Feststellung des Verlusts seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Verlustfeststellung). Diese Maßnahme stellt die Ausweisung im Sinne des Art. 28 der Richtlinie 2004/38 vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl EU Nr. L 158 vom 30. April 2004 S. 77, Berichtigung ABl EU vom 29. Juni 2004 Nr. L 229 S. 35), dar. |
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| Der Kläger ist im Oktober 1989 in Griechenland geboren. Nach der Trennung seiner Eltern reiste er im Jahre 1993 im Alter von drei Jahren gemeinsam mit seiner Mutter nach Deutschland. Hier lebten bereits seit 1989 seine Großeltern mütterlicherseits als Arbeitnehmer. Sie sind mittlerweile Rentner. Die Mutter des Klägers arbeitet seit 1993 im Bundesgebiet. Sie bezog zu keinem Zeitpunkt für sich oder den Kläger Sozialhilfe. Sie besitzt neben der griechischen inzwischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Tante des Kläger legte in Deutschland das Abitur ab. Nach Studium und Arbeitsaufenthalt in Griechenland zwischen den Jahren 1997 bis 2010 kehrte sie nach Deutschland zurück und ist hier erwerbstätig. |
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| Der Kläger wurde von seinem Vater im Alter von acht Jahren gegen den Willen seiner Mutter absprachewidrig für zwei Monate nach Griechenland geholt und konnte erst nach Einschaltung der zuständigen staatlichen Stellen wieder nach Deutschland kommen. Abgesehen von dieser Zeit und kurzfristigen Urlaubsreisen innerhalb Deutschlands und in das Ausland während der Schulferien hält sich der Kläger seit dem Jahre 1993 bis heute ununterbrochen in xxx und Umgebung auf. Dies gilt auch für seine Mutter und die weiteren Familienangehörigen. |
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| Der Kläger besuchte den Kindergarten und die Schule. Er erreichte 2006 den Hauptschulabschluss, der in der Bundesrepublik Deutschland eine wesentliche Grundlage jeder weiteren schulischen oder beruflichen Ausbildung ist. Er beherrscht dementsprechend die deutsche Sprache. Seine Fähigkeiten in Griechisch beschränken sich darauf, sich in gebrochener Sprache mündlich zu verständigen. Trotz Förder- und Berufsbildungsmaßnahmen gelang es ihm in der Folgezeit nicht, eine Ausbildung zu absolvieren. Grund sind Verhaltensauffälligkeiten. Beim Kläger liegt eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor. Außerdem leidet er seit seiner Kindheit an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS). Er nimmt nach wie vor das Medikament „Ritalin“ (Arzneistoff: Methylphenidat). Während seiner Schulzeit erhielt er therapeutische Maßnahmen wie Ergotherapie, Verhaltenstherapie und Gespräche bei einem Psychologen. Auch nach seiner Schulzeit wurde er immer wieder therapeutisch behandelt, unter anderem im April 2011 mehrere Wochen in einer psychiatrischen Tagesklinik. |
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| Der Kläger spielte Keyboard in einer Schulband, war ab dem Jahre 2000 bei den Pfadfindern und bis zum 17. Lebensjahr bei der Freiwilligen Feuerwehr (Jugendfeuerwehr). Ferner spielte er Fußball in einem Sportverein. Mitglieder des Vereins waren vorwiegend türkischstämmige Migranten. Während seiner Schulzeit war der Kläger aufgrund der Berufstätigkeit seiner Mutter nach Ende des Unterrichts nachmittags und während der Ferien in einer Betreuungseinrichtung. Als Kind und Jugendlicher unternahm er gemeinsam mit anderen jungen Menschen dieser Gruppe unter pädagogischer Leitung auch Ausflüge und Fahrten. Aktivitäten, an denen der Kläger teilnahm, waren etwa Zelten, Wildwassersurfen, Snowboardfahren in Bayern oder Kanufahren am Lago Maggiore. |
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| Der Kläger lebte bis Juni 2012 gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Stiefvater in häuslicher Gemeinschaft. Der Stiefvater des Klägers ist in Deutschland geboren und hat die griechische und die deutsche Staatsangehörigkeit. Die beiden Stiefbrüder des Klägers studieren in Deutschland. Der Kläger bezog im Juni/Juli 2012 ein kleines Appartement. Mahlzeiten nahm er jedoch auch danach teilweise bei seiner Mutter, seiner Tante oder den Großeltern ein. Seine Mutter sorgte bei Bedarf auch für seinen Lebensunterhalt, indem sie etwa die Miete oder Lebensmittel für ihn bezahlte. Der Kläger arbeitete zuletzt im November und Dezember 2012 bei einem Online-Versandhändler. Danach war er arbeitslos. |
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| Ende August 2012 nahm der Kläger ein Handy, das im nicht gehörte, in seinen Besitz. Als die Eigentümerin des Handys die Rückgabe des Mobiltelefons von ihm verlangte, bedrohte er sie. Einige Tage später forderte er von ihr die Zahlung von 300 Euro, sonst würde er die Nacktbilder von ihr, die sich auf dem Handy befanden, im Internet veröffentlichen. Zur Zahlung des Geldes kam es nicht. Wegen dieser Straftaten und des Besitzes eines Schlagrings erließ das Amtsgericht Pforzheim am 7. November 2012 einen Strafbefehl und verhängte eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen wegen Unterschlagung, Nötigung, versuchter Erpressung und vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer verbotenen Waffe. Der Kläger akzeptierte diesen Strafbefehl und hatte deswegen einschließlich der Verfahrenskosten einen Betrag in Höhe von etwa 3.000 Euro zu zahlen. |
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| Da der Kläger finanzielle Probleme hatte und insbesondere das Geld nicht besaß, um die Geldstrafe zu bezahlen, beschloss er, sich durch den Überfall einer Spielhalle Geld zu verschaffen. Am 10. April 2013 betrat er am späten Abend in Motorradkleidung eine Spielhalle. Er hatte das dunkle Visier des Motorradhelms heruntergeklappt. Er führte eine voll funktionsfähige und mit Gummischrot geladene Pistole mit sich. Die Waffe hatte er sich illegal durch einen Bekannten beschafft. Zu diesem Zeitpunkt waren keine anderen Gäste mehr anwesend, sondern nur noch eine weibliche Angestellte. Dies wusste der Kläger. Er bedrohte die junge Frau, in dem er ihr die Waffe im Abstand von etwa 10 bis 20 cm an den Kopf hielt. Er veranlasste sie auf diese Weise, ihm insgesamt 4.200 Euro zu übergeben. Die Angestellte war durch die Tat geschockt, konnte aber nach drei Tagen jedenfalls wieder tagsüber arbeiten. Die Verhaftung des Klägers erfolgte bereits zwei Tage nach der Tat. Er hatte in der Spielhalle eine mitgebrachte Pizzaschachtel zurückgelassen. Die darauf befindlichen Fingerabrücke führten zu seiner Identifizierung. |
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| Das Landgericht Karlsruhe verurteilte den Kläger am 9. Dezember 2013 wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten. Das Landgericht hatte einen Facharzt für Psychiatrie als Gutachter hinzugezogen und aufgrund dessen Begutachtung festgestellt, dass der Kläger bei der Tat voll schuldfähig gewesen war. Die Rechtskraft des Strafurteils trat am 1. Mai 2014 ein, nachdem der Bundesgerichtshof die vom Kläger gegen das Urteil des Landgerichts eingelegte Revision als unbegründet verworfen hatte. |
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| Der Kläger befindet sich seit 12. April 2013 bis heute ununterbrochen in Haft, zunächst in Untersuchungshaft und seit 1. Mai 2014 in Strafhaft. Die Untersuchungshaft war von 15. Mai 2013 bis 12. August 2013 unterbrochen, weil der Kläger in dieser Zeit die mit Strafbefehl vom November 2012 verhängte Geldstrafe im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe verbüßte. |
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| Die Justizvollzugsanstalt erstellte unter Einbeziehung von fachärztlichen und psychologischen Äußerungen mehrere Berichte über den Kläger, unter anderem am 31. August 2015 und 17. März 2016. In den Berichten heißt es insbesondere: Der Kläger sei nach wie vor unreif. Die bei ihm seit seiner Kindheit bestehenden Verhaltensauffälligkeiten setzten sich während des bisherigen Strafvollzugsverlaufs ohne Besserungen fort. Er habe sich bislang mit seiner Straftat nicht hinreichend auseinandergesetzt. Er zeichne sich auch gegenwärtig unter anderem durch Rechthaberei, Uneinsichtigkeit, geringe Akzeptanz der Regeln und Grenzen, langsames Arbeitstempo und provokantes Verhalten aus. Er suche bei Problemen keine Ursache bei sich, sondern immer nur bei anderen. Mehrere diagnostische und therapeutische Maßnahmen seien in der Vergangenheit an der fehlenden Mitwirkung des Klägers gescheitert. Ohne eine umfassende sozialtherapeutische Behandlung bestehe nach fachärztlicher Prognose die Gefahr, dass er nach Entlassung aus der Haft neue erhebliche Straftaten begehe. |
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| Der Kläger wird in der Haftanstalt von seiner Mutter, seinen Großeltern, seinem Stiefvater und seiner Tante so oft, wie dies nach den geltenden Regeln möglich ist, besucht. Zusätzlich unterhält er mit diesen regelmäßige briefliche und telefonische Kontakte. |
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| Nach vorheriger Anhörung des Klägers stellte die zuständige Ausländerbehörde, das Regierungspräsidium Karlsruhe, mit Bescheid vom 25. November 2014 den Verlust des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland fest. Es befristete die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sieben Jahre nach Verlassen des Bundesgebietes. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach Rechtskraft der Verlustfeststellung zu verlassen. Für den Fall der Nichtausreise wurde ihm die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Die Behörde begründete im Einzelnen, weshalb die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU i.V.m. Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG vorliegen und weshalb sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die auch verhältnismäßige Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet im Wege einer Ermessensentscheidung verfügt hat. |
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| Auf die Klage des Klägers hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 10. September 2015 die Verlustfeststellung auf und ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung zu. Das beklagte Land Baden-Württemberg verteidigt in seiner fristgerecht eingelegten und auch im Übrigen zulässigen Berufung die Rechtmäßigkeit der Verlustfeststellung. |
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| Der Kläger macht im gerichtlichen Verfahren geltend, dass die von ihm begangene Straftat aufgrund ihrer konkreten Merkmale nicht der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU i.V.m. Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG unterfalle. Auf die materielle Schutznorm des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG könne er sich berufen. Er halte sich seitdem er drei Jahre alt sei ununterbrochen in Deutschland auf. Er sei hier von Kindheit an vollständig sozialisiert worden und integriert. Mit Griechenland verbinde ihn nur seine Staatsangehörigkeit. Er könne weder Griechisch schreiben noch lesen und seine mündlichen Fähigkeiten seien schlecht. Mit seinem Vater telefoniere er zwei Mal im Jahr. Ansonsten habe er keine Kontakte nach Griechenland. Im Fall eines schon als kleines Kind eingereisten Unionsbürgers, der erstmals als (junger) Erwachsener - wie er im Alter von 23 Jahren - eine Straftat begehe, dürfe eine Haftstrafe von vornherein nicht dazu führen, dass ihm nunmehr der Schutz der Zehn-Jahres-Frist nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG abgesprochen werden könnte. Außerdem habe er jetzt begonnen an seinem Verhalten zu arbeiten. Er nehme seit kurzem die Möglichkeiten zu einer Berufsausbildung in der Justizvollzugsanstalt wahr. Die theoretische Prüfung für den Gabelstaplerführerschein habe er schon bestanden. Er habe auch ab Ende April 2016 erneut einen Platz zur Diagnostik in der Sozialtherapeutischen Abteilung einer hierauf spezialisierten Justizvollzugsanstalt bekommen. |
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| Der Senat setzt den Rechtsstreit aus, um eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) zu den im Tenor formulierten Fragen einzuholen. Die Fragen betreffen die Auslegung von Unionsrecht, insbesondere Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG. |
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| 1. Für die gerichtliche Überprüfung der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalts eines Unionsbürger aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ist nach nationalem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend. Die Entscheidungserheblichkeit dieses Zeitpunktes folgt aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2005 (1 C 30.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:030804U1C30.02.0] - BVerwGE 121, 297 ff.), das sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 (C-482/01 und C-493/01 - [ECLI:EU:C:2004:262] -) stützt. Mit der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts weg von dem der letzten Behördenentscheidung hin zu derjenigen der zeitlich späteren Gerichtsentscheidung ist insbesondere sichergestellt, dass für die Prognose einer vom Unionsbürger ausgehenden Gefahr und für die an den Grund- und Menschenrechten zu orientierenden Abwägung im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme eine aktuelle Tatsachengrundlage berücksichtigt wird. Damit wird etwa einer nachträglichen Verminderung der Gefährdung durch den Unionsbürger zu Gunsten seiner Freizügigkeit Rechnung getragen (EuGH, Urteil vom 29. April 2004, a.a.O., Rn. 77 ff.). |
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| Die Verlustfeststellung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit richtet sich nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722). Die hier einschlägigen Regelungen sind seit 28. August 2007 in Kraft (BGBl. I S. 1970). Auf spätere Änderungen des nationalen Rechts kommt es hier nicht an. |
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| Folgende nationale Regelungen bilden den rechtlichen Rahmen dieses Rechtsstreits: |
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| § 6 Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt |
(1) Der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 kann unbeschadet des § 2 Absatz 7 und des § 5 Absatz 4 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 45 Absatz 3, Artikel 52 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden. Aus den in Satz 1 genannten Gründen kann auch die Einreise verweigert werden. Die Feststellung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit kann nur erfolgen, wenn es sich um Krankheiten mit epidemischem Potenzial im Sinne der einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation und sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten handelt, sofern gegen diese Krankheiten Maßnahmen im Bundesgebiet getroffen werden, und wenn die Krankheit innerhalb der ersten drei Monate nach Einreise auftritt. |
(2) Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. |
(3) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen. |
(4) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. |
(5) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Für Minderjährige gilt dies nicht, wenn der Verlust des Aufenthaltsrechts zum Wohl des Kindes notwendig ist. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht. |
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| Die Regelungen in § 6 FreizügG/EU dienen unter anderem der Umsetzung von Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG (vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, Bundestagsdrucksache 16/5065 vom 13. April 2007, S. 211). Dieser lautet wie folgt: |
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| Art. 28 Schutz vor Ausweisung |
(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat. |
(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen. |
(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie |
a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder |
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| 2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof. Nach den Feststellungen des Senats liegen die für eine Verlustfeststellung § 6 Abs. 5 FreizügG/EU i.V.m. Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 nach zehnjährigem Aufenthalt erforderlichen zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit nicht vor. |
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| Gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU ist die rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren eine Fallgruppe, bei der eine Verlustfeststellung aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit in Betracht kommt. Die vorliegende Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu fünf Jahren und acht Monaten ist damit über der Mindesthöhe der strafrechtlichen Verurteilung, ab der nach dem nationalen Recht die Prüfung einer Verlustfeststellung insoweit überhaupt erst in Frage kommt. |
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| Diese Fallgruppe stellt nur auf die tatsächlich verhängte Freiheitsstrafe wegen einer Vorsatztat ab. Sie nimmt keine Verknüpfung mit einem bestimmten Delikt oder einer bestimmten Gruppe von Straftaten vor. Um den unionsrechtlichen Anforderungen der Bestimmung und Auslegung der öffentlichen Sicherheit zu genügen und gleichzeitig auch eine hinreichende Abgrenzung zur öffentlichen Ordnung sicher zu stellen, bedarf es im nationalen Recht stets noch einer Einzelfallwürdigung, ob aus der Straftat selbst zu schließen ist, dass der Betroffene in Zukunft eine Gefahr für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. April 2009 - 13 S 342/09 -, juris Rn. 21 ; OVG Saarland, Urteil vom 30. April 2015 - 2 A 265/14 -, UA S. 23 ff.; Hoppe, in: HTK AuslR, § 6 Abs. 5 FreizügG/EU 03/2016 Nr. 3.2. und 3.3.; Cziersky-Reis, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl., 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 42 ff.; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 63). Dies ist im Fall des Klägers zu verneinen. |
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| Der EuGH hat entschieden, dass die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen die öffentliche Sicherheit berühren können (Urteil vom 23. November 2010 - C-145/09 [ECLI:EU:C:2010:708] - Rn. 45 m.w.N.; im Folgenden: Tsakouridis). Die Tat des Klägers hat offensichtlich keinen Bezug hierzu. |
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| Zwar können nach Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Rechtssachen Tsakouridis (im Einzelnen Rn. 46 ff.) und P.I. (näher Urteil vom 22. Mai 2012 - C-348/09 [ECLI:EU:C:2012:300] - Rn. 21 ff.; im Folgenden: P.I.) auch Straftaten im Bereich besonders schwerer Kriminalität (wie etwa die in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV genannten Delikte Terrorismus, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität) eine Bedrohung für die Sicherheit des Mitgliedstaats sein. Zudem dürfte es nicht ausgeschlossen sein, jenseits potentiell grenzüberschreitender oder in irgendeiner Form organisierter Straftaten auch Delikte, die den von elementaren menschenrechtlichen Wertvorstellungen geprägten Kernbestand des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes betreffen (so OVG Saarland, Urteil vom 30. April 2015 - 2 A 265/14 -, UA S. 25 bzgl. Mord), im Einzelfall als besonders schwerwiegende Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 fallen können, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. |
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| Keine dieser Voraussetzungen ist im Fall des Klägers erfüllt. Es handelte sich vielmehr um eine singuläre Tat, die ihren Ursprung in einer diffusen Lebenslage einer Einzelperson hat. Sie war nicht Teil einer komplexen Kriminalität und auch nicht in einen Organisationszusammenhang krimineller Machenschaften und Milieus eingebettet. Sie führte zu einem Vermögensschaden von etwa 4.200 Euro, wobei diese Beute aber zum größten Teil schon kurze Zeit später wieder aufgefunden werden konnte. Die Tat war in ihren Wirkungen begrenzt. Ein Gefährdungspotential für die Allgemeinheit bestand zu keinem Zeitpunkt. Ort und Zeit des Überfalls waren im Voraus so bestimmt, dass keine weiteren unbeteiligten Personen außer der Angestellten der Spielhalle am Tatort anwesend waren. Diese war auch nicht unmittelbar physisch zu Schaden gekommen. |
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| Sofern der Kläger über den besonderen Ausweisungsschutz wegen eines mindestens zehnjährigen Aufenthalts verfügt, müsste die Verlustfeststellung aufgehoben werden. Hätte der Kläger nicht mehr den höchsten Ausweisungsschutz für einen Unionsbürger, könnte die Verlustfeststellung nach dem vorliegenden Sachverhalt allerdings wegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Ordnung auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 und 4 FreizügG/EU i.V.m. Art. 28 Abs. 2 Richtlinie 2004/38 aufrechterhalten werden. |
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| 3. Zur ersten Vorlagefrage |
Nach der Konzeption des Ausweisungsschutzes des Art. 28 der Richtlinie 2004/38 besteht ein dreistufiges System aufeinander aufbauender Schutzstufen, die Ausfluss der fortschreitenden Integration des Unionsbürgers sind. Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte (vgl. auch den ursprünglichen Kommissionsentwurf KOM/2001/0257 endg. - COD 2001/0111, ABl Nr. 270 E vom 25.09.2001, S. 0150 -0160) dieser Regelung und die Erwägungsgründe 23 und 24 verdeutlichen, dass eine Ausweisung ab Eintritt der dritten Stufe des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) nur noch in ganz engen Grenzen erfolgen darf (siehe hierzu ausführlich Guild/Peers/Tomkin, The EU Citizenship Directive, A Commentary, 2014, S. 267 ff., 276 ff.). |
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| Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die mit der Richtlinie 2004/38 geschaffene Regelung zum Schutz vor Ausweisungsmaßnahmen auf das Maß der Integration der betroffenen Person im Aufnahmemitgliedstaat gestützt, so dass dieser Schutz umso stärker ist, je besser der Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat integriert ist (Tsakouridis, Rn. 24 f.; Urteil vom 16. Januar 2014 - C-400/12 [ECLI:EU:C:2014:9] - Rn. 30 f.; im Folgenden: M.G.). |
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| Im Verfahren P.I. hat der Generalanwalt ausgeführt, Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 enthalte eine nach zehnjährigem Aufenthalt vermutete Integration, die im konkreten Fall aufgrund der während dieses Zeitraums begangenen schwerwiegenden Straftat zu verneinen sei (Schlussanträge des Generalanwalts Bot [ECLI:EU:C:2012:123] vom 6. März 2012, Rn. 55 ff.). Der EuGH hat in seinem Urteil vom 22. Mai 2012 diese Argumentation nicht aufgegriffen (vgl. auch Guild/Peers/ Tomkin, a.a.O, S. 268). Er hat vielmehr angenommen, auch Straftaten im Bereich besonders schwerer Kriminalität - wie die in Artikel 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV genannten - könnten zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit begründen. |
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| Im Verfahren M.G. hat der EuGH nunmehr festgestellt, dass Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe grundsätzlich die Kontinuität des für die Gewährung des verstärkten Schutzes erforderlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 unterbrechen (M.G., Rn. 30 ff. - auch unter Anknüpfung an Überlegungen aus dem Urteil vom 16. Januar 2014 - C-378/12 [E-CLI:EU:C:2014:13] - Rn. 25 f.; vgl. zu den Konsequenzen dieser Rechtsprechung Hoppe, HTK AuslR, § 6 Abs. 5 FreizügG/EU 03/2016 Nr. 2.1). |
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| Im Fall M.G. war die von der Ausweisung Betroffene erst als Erwachsene in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist. Auch im Fall Tsakouridis hatte der Betreffende als Erwachsener nach wie vor Bindungen an den Herkunftsstaat (Aufenthalt und Erwerbstätigkeit dort). |
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| Der vorliegende Fall und insbesondere die persönliche Entwicklung und Situation des Klägers (siehe oben unter I.) unterscheiden sich jedoch grundlegend von den Sachverhalten, die den vorgenannten Entscheidungen zugrunde liegen. Der Kläger lebt seit seiner Einreise in frühester Kindheit bis heute im Aufnahmemitgliedstaat. Seine kurzzeitigen Urlaubsreisen lassen seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet unberührt. Seine komplette Sozialisation ist ausschließlich in Deutschland erfolgt. Hier hat er sich vollständig in das gesellschaftliche Leben integriert. Ferner hat er keinerlei tragfähige Anknüpfungspunkte mehr an seinen Herkunftsstaat. Die Straftat ist zudem nicht Ausdruck einer zunehmend die Rechtsordnung missachtenden und sich von der deutschen Gesellschaft und ihren grundlegenden Werten entfernenden Haltung. Letzteres wäre zum Beispiel der Fall, wenn sich der Kläger unter Abwendung von der Gesellschaft und typischerweise auch der Familie radikalisiert hätte. Der nach etwa 20jährigem Aufenthalt begangene Überfall im April 2013 und die dem als Anlass vorausgehende Verurteilung unter anderem wegen der Aneignung eines Handys einige Monate zuvor sind auch im Zusammenhang mit der dissozialen Persönlichkeit und der Unreife des Klägers zu sehen. So hält die Dokumentation der Justizvollzugsanstalt zu den psychologischen Daten des Klägers am 5. August 2014 (Band III der Gefangenenpersonalakten) unter anderem fest: „Im Gesamtbild wirkt er völlig unreif, keinesfalls einem 25jährigen entsprechend, sondern eher einem 17-jährigen….Er ist mit großer Wahrscheinlichkeit kein Schlägertyp, sondern vielmehr ein Angeber und eher ein Angsthase und träumt vielleicht davon ein „großer Starker“ zu sein.“ |
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| Nach Auffassung des Senats ist der personelle Anwendungsbereich des besonderen Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 in einem Fall wie dem des Klägers, der im Aufnahmemitgliedstaat fest „verwurzelt“ ist, von vornherein keiner restriktiven Bestimmung zugänglich. Dass starke Bindungen an den Aufnahmemitgliedstaat durch Strafhaft nicht reduziert werden, findet sich auch in der Rechtsprechung des Europäisches Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Beschluss vom 19. März 2013 - Nr. 45971/08 - Rn. 26, FamRZ 2014, 367). Im Übrigen ist durch den EuGH - wenn auch in anderem Kontext - entschieden, dass aufgrund fortgeschrittener Integration in den Aufnahmemitgliedstaat bereits erworbene (Aufenthalts-)rechte durch den Vollzug einer Freiheitsstrafe nicht verloren gehen (EuGH, Urteil vom 16. Februar 2006 - C-502/04 [ECLI:EU:C:2006:112] - Rn. 18 ff., insb. Rn. 26 zu Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates; vgl. ferner Urteil vom 7. Juli 2005 - C-373/03 [ECLI:EU:C:2005:434] -Rn. 28 zu Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates). |
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| Davon ausgehend ist der Senat der Überzeugung, dass im Fall einer festen Verwurzelung im Aufnahmemitgliedstaat bei gleichzeitig fehlendem tatsächlichen Bezug zum Heimatstaat die Verbüßung von Strafhaft die Integrationsverbindung nicht abreißen lassen kann. Die gegenteilige Auffassung führte dazu, dass es Unionsbürger geben könnte, denen die Integrationsverbindungen zum Aufnahmemitgliedstaat aus rechtlichen Gründen abgesprochen werden, während sie zu ihrem Heimatmitgliedstaat tatsächlich keine Integrationsverbindungen aufgebaut haben. |
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| 4. Zur zweiten Vorlagefrage |
Der Senat ist der Ansicht, dass diese Frage zu bejahen wäre. Der hohe Ausweisungsschutz auf der letzten Stufe des Art. 28 der Richtlinie 2004/38 würde seine intendierte Wirksamkeit verlieren, wenn bei einem zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalt die Verhängung und der Vollzug einer nach diesem Zeitraum begangenen Straftat, die Anlass für die Ausweisung ist, gleichzeitig als Beleg für die Unterbrechung der Kontinuität des Aufenthalts durch ein Abreißen der Integrationsverbindungen anzusehen wäre. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie in Deutschland - nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats die Verlustfeststellung nur aufgrund einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung der Ausländerbehörde ergehen kann, die ihrerseits die rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe voraussetzt und die Strafhöhe mit fünf Jahren Freiheitsstrafe nach nationalem Recht bedingt, dass sich der Betreffende in Strafhaft befindet. Nach dem deutschen Recht kann die Vollstreckung nur bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 56 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs). Der Unionsbürger befindet sich also zu dem Zeitpunkt, zu dem die Verlustfeststellung verfügt wird, grundsätzlich in Strafhaft. |
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| Bei einer derartigen Ausgestaltung des nationalen Rechts, die unionsrechtlich zulässig ist, käme der Betroffene nie in den Genuss des erhöhten Ausweisungsschutzes, obwohl Ausweisungsschutz ja gerade für eine Person konzipiert ist, die sich nicht rechtstreu verhält und - von der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 als typisch vorausgesetzt - in ganz besonderem Maße straffällig geworden ist (vgl. hierzu auch Guild/Peers/Tomkin, a.a.O., S. 278; Azoulai, The (Mis)Construction of the European Individual, EUI Working Papers LAW 2014/14, insb. S. 15 ff.). |
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| Die Möglichkeit, den erhöhten Ausweisungsschutz nur dann zu bejahen, wenn im Einzelfall eine Integrationsprüfung im Verwaltungsverfahren für seinen Fortbestand streitet, erachtet der Senat nicht für zielführend. Dies trägt dem Schutzgedanken des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 nicht in dem gebotenen Maße Rechnung. |
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| Zu einem wohnt einer solchen Prüfung zwangsläufig eine Rechtsunsicherheit inne, weil Integration etwas Tatsächliches ist, das nicht rechtlich einheitlich determiniert ist (vgl. insbesondere Azoulai, a.a.O., S. 4 ff.). Zum anderen sind die Bindungen des Betroffenen, die unter anderem seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat einschließen, nach Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 unabhängig von der erreichten Stufe des Ausweisungsschutzes vor jeder Verfügung einer Ausweisung zu prüfen. Eine doppelte Integrationsprüfung im Rahmen einer einzigen Ausweisungsentscheidung entspricht nicht der Intention der Richtlinie. |
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| Im Übrigen würde die Notwendigkeit der Prüfung des Fortbestands der Integration im Rahmen des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 dazu führen, dass Unionsbürger, deren Ausweisung aufgrund einer - der schon andauernden Strafvollstreckung nachfolgenden -Verwaltungsentscheidung verfügt wird, ohne sachlichen Grund gegenüber Unionsbürgern benachteiligt werden, die in einem Mitgliedstaat leben, der die Ausweisung im Wege der Strafe oder Nebenstrafe erlässt (vgl. Art. 33 der Richtlinie 2004/38 sowie auch unten zur vierten Vorlagefrage). Im Zeitpunkt der Verhängung der (Neben-) Strafe der Ausweisung dürfte es regelmäßig an einem Vollzug einer Freiheitsstrafe fehlen, so dass der Ausweisungsschutz schon im Ansatz keiner entsprechenden Relativierung zugänglich ist. Da die Richtlinie 2004/38 aber beide Verfahrensmöglichkeiten für eine Ausweisung gleichermaßen zulässt, steht Unionsrecht insoweit der Geltung unterschiedlicher materieller Schutzstandards entgegen. |
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| Schließlich kann es Gründe für eine Ausweisung geben, die von einer Freiheitsstrafe und deren Vollzug unabhängig sind und solches nicht voraussetzen, etwa wenn der Betreffende gegen gewichtige außenpolitische Interessen des Mitgliedstaats agiert. Eine Relativierung der Zehnjahresfrist je nach Art des Ausweisungsanlasses ist im Schutzkonzept des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 aber nicht angelegt. |
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| 5. Zur dritten Vorlagefrage |
Aus dem Urteil Tsakouridis (Rn. 32 bis 34) ergibt sich, dass das ausschlaggebende Kriterium für die Gewährung des verstärkten Schutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) Richtlinie 2004/38, nämlich ob sich ein Unionsbürger in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, zu verneinen ist, wenn die zuvor mit diesem geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind. Dies setzt dem Urteil zufolge eine umfassende Beurteilung unter Einbeziehung aller in jedem Einzelfall relevanten Umstände voraus, insbesondere die Dauer jeder einzelnen Abwesenheit des Betroffenen vom Aufnahmemitgliedstaat, die Gesamtdauer und die Häufigkeit der Abwesenheiten sowie die Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, diesen Mitgliedstaat zu verlassen. Zu prüfen ist nämlich, ob die fraglichen Abwesenheiten bedeuten, dass sich der Mittelpunkt der persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen des Betroffenen in einen anderen Mitgliedstaat verlagert hat. Auch nennt der EuGH als einen zu berücksichtigenden Umstand noch „die im Gefängnis verbrachte Zeit“ (a.a.O., Rn. 34). |
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| Der Gerichtshof bezieht sich im Urteil M.G. (Rn. 36) für die gebotene umfassende Beurteilung, ob die Integrationsverbindungen mit dem Aufnahmemitgliedstaat abgerissen sind, auf die vorstehenden Ausführungen unter Randnummer 34 des Urteils Tsakouridis. Die dort genannten Umstände sind jedoch auf einen Fall bezogen, indem der Betreffende mehrfach den Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich verlassen hatte und in dem Land seiner Staatsangehörigkeit auch selbstständig berufstätig gewesen war, weshalb sich dann auch die vom Gerichtshof erörterte Frage einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes in einen anderen Mitgliedstaat stellte. Sie passen nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht, auch nicht entsprechend, für die Prüfung, ob trotz Verbüßung einer Freiheitsstrafe der Betreffende noch in den Genuss des besonderen Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) Richtlinie 2004/38 kommen kann. |
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| Während das Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) des Vereinten Königreiches bei der Prüfung, ob auch in Ansehung der Haft die Integrationsverbindungen dennoch in einer Weise bestehen, dass der Betroffene in den Genuss des verstärkten Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie kommt, eine Abwägungsentscheidung unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betreffenden sprechenden Gesichtspunkte aus seinem bisherigen Leben vornimmt und sich dabei wohl methodisch an Art. 8 EMRK bzw. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 anlehnt (vgl. MG(prison-Article 28(3) (a) of Citizens Directive) Portugal [2014] UKUT 00392 (IAC); Entscheidung vom 18. September 2015 - Appeal Number DA/00115/2015), ist der Senat der Auffassung, dass es - sofern man eine Unterbrechung durch Haft überhaupt für relevant erachtet - der Feststellung von Kriterien bedarf, die auf die Strafhaft bezogen sind, um feststellen zu können, ob ausnahmsweise keine Unterbrechung der Integrationsverbindungen eintritt. Denn nach den Ausführungen des EuGH im Urteil M.G. ist nicht die Straftat als solche der Grund für die Diskontinuität, sondern die Strafhaft. |
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| Strafhaft umfasst nicht die Untersuchungshaft per se und auch nicht die Ersatzfreiheitsstrafe, die verhängt wird, weil eine Geldstrafe nicht bezahlt wird. Nach dem ab 1. Januar 1977 geltenden Strafvollzugsgesetz des Bundes - StVollzG - (BGBl I S. 581) und dem Justizvollzugsgesetzbuch für Baden-Württemberg - JVollzGB - vom 10. November 2009 (GBl. S. 545) bedeutet Strafhaft in Deutschland nicht, dass der Betreffende „weggesperrt“ wird und außerhalb der Gesellschaft steht. Ungeachtet dessen, dass Strafhaft aus Gründen des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit und der Generalprävention erfolgt, sind wesentliche Grundsätze des nationalen Strafvollzugs aber auch, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen wird und im Vollzug der Freiheitsstrafe der Gefangene fähig werden soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (vgl. §§ 1, 2 JVollzGB Buch 3; ebenso §§ 2, 3 StVollzG). |
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| Diese Prinzipien und die konkrete Gestaltung des Strafvollzugs sind durch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und die Grundrechte, insbesondere die Achtung der Menschenwürde und die Wahrung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, determiniert (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 18. März 2015 - 2 BvR 1111/13 -, juris Rn. 30 ff.). |
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| Das Strafvollzugsrecht geht auch davon aus, dass der Gefangene an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels mitwirkt (§ 3 JVollzGB Buch 3; § 4 StVollzG). Für den Ablauf des Vollzugs wird ein Vollzugsplan erstellt, der mit dem Gefangenen zu erörtern ist, und der in regelmäßigen Abständen zu überprüfen ist (§ 5 JVollzGB Buch 3; § 7 StVollzG). Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung, Ausbildung und Weiterbildung einschließlich der Möglichkeit, anerkannte Schulabschlüsse zu erreichen, dienen insbesondere dem Ziel, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern (im Einzelnen §§ 42 ff. JVollzGB Buch 3; §§ 37 ff. StVollzG). Der deutsche Strafvollzug kennt ferner die Möglichkeit einer Unterbringung im offenen Vollzug, Lockerungen im Strafvollzug wie insbesondere die Berufstätigkeit außerhalb der Strafanstalt mit oder ohne Aufsicht, Ausgang oder Urlaub aus der Haft; sozialtherapeutische Einrichtungen sind auf Gefangene ausgerichtet, die zur Resozialisierung besonderer therapeutischer Mittel und sozialer Hilfen bedürfen (vgl. §§ 7 ff. JVollzGB Buch 3; §§ 10 ff. StVollzG). Besuch, Telekommunikation und Schriftwechsel dienen der Pflege der sozialen Beziehungen des Gefangenen (§§ 19 ff. JVollzGB Buch 3; §§ 23 ff. StVollzG). |
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| Ausgehend hiervon kommen nach Auffassung des Senats neben der Dauer der Strafhaft vor allem folgende Kriterien in Betracht: Art des Vollzugs, Auseinandersetzung mit und Aufarbeitung der Straftat, allgemeines Verhalten im Vollzug, Annahme und Durchführung von therapeutischen Angeboten, die seitens der Justizvollzugsanstalt befürwortet werden, Arbeitseinsatz, Teilnahme an Maßnahmen der schulischen Bildung und der beruflichen Aus- und Weiterbildung, Mitwirkung beim Vollzugsplan und der Erreichung der Ziele nach dem Vollzugsplan sowie Aufrechterhaltung von persönlichen und familiären Bindungen im Aufnahmemitgliedstaat. |
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| 6. Zur vierten Vorlagefrage |
Der EuGH erachtet im Urteil M.G. (Rn. 35) für die Frage, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung des Betroffenen diesen daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen jeweils zu dem „genauen Zeitpunkt, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt“ für maßgeblich. |
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| Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergeben sich weder aus dem nationalen Recht noch aus Unionsrecht Vorgaben für den Zeitpunkt, zu dem die Behörde die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausspricht (BVerwG, Beschluss vom 11. September 2015 - 1 B 39/15 [ECLI:DE:BVerwG:2015:110915B1B39.15.0] - Rn. 21, InfAuslR 2016, 1). Das BVerwG weist unter Bezugnahme auf M.G. (Rn. 35) und Tsakouridis (Rn. 32) darauf hin, dass dem EuGH zufolge eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen sei, zu dem sich die Frage der Ausweisung stelle und dass sich aus dieser Rechtsprechung (Tsakouridis Rn. 12 f.; ähnlich P.I. Rn. 10 f.) zudem ergebe, dass der EuGH keine Einwände gegen eine Verlustfeststellung nach Verbüßung von weniger als zwei Jahren einer auf insgesamt sechs Jahre und sechs Monate festgesetzten Haftstrafe erhoben habe. Legt man dies zugrunde, so kann dies zu folgenden Konsequenzen führen: |
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| Erlässt die Ausländerbehörde sehr zeitnah die Verlustfeststellung, ist die Dauer der Strafhaft möglicherweise noch relativ kurz. Wartet sie hingegen zunächst die Entwicklung des Unionsbürgers im Strafvollzug ab, z. B. weil er dort eine Therapie aufgenommen hat, kann dies einerseits zu seinen Gunsten wirken, weil ggfs. eine Verminderung der von ihm ausgehenden Gefahr eintritt. Ein vorläufiges Abwarten der Ausländerbehörde kann sich aber auch zum Nachteil des Unionsbürgers auswirken, weil dann die Dauer der in Strafhaft verbrachten Zeit, die der EuGH als ein Kriterium im Rahmen der Prüfung des Abreißens der mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen ansieht, zunimmt. |
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| Denkbar wäre ferner in Anknüpfung an die Entscheidung Orfanopoulos und Oliveri (Rn. 77 ff.), sogar stets als maßgebenden Zeitpunkt auch für die Frage, ob sich ein Unionsbürger auf den Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 berufen kann, denjenigen der mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Tatsachengerichts anzusehen (so OVG Saarland, Urteil vom 30. April 2015 - 2 A 265/14 -, UA S. 21 ff.). |
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| Da der Betroffene die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens nicht in der Hand hat, kann ein längerer Zeitraum zwischen dem Erlass der Ausweisungsverfügung und der Beurteilung dieser Verfügung durch das zuständige Gericht zur Folge haben, dass mit zunehmender Dauer der Haft die Diskontinuität des Aufenthalts zunimmt und dies - gemeinsam mit weiteren Faktoren wie etwa dem Verhalten in der Haft - dazu führen kann, dass das Gericht zu einer (nunmehr vorliegenden) Desintegration gelangt. |
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| In Mitgliedstaaten, in denen die Ausweisung als Strafe oder als Nebenstrafe zu einer Freiheitsstrafe erfolgen kann, müssen nach Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 die Voraussetzungen der Artikel 27, 28 und 29 eingehalten werden, womit sich die Frage des entscheidungserheblichen Zeitpunkts für das Vorliegen des besonderen Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 ebenfalls stellt. So kennt beispielsweise das französische Recht neben der Ausweisung durch Verwaltungsentscheidung auch für Unionsbürger die sog. l’interdiction judiciare du territoire français (ITF), allgemein als Nebenstrafe, eventuell auch als Hauptstrafe, die durch den Strafrichter verhängt wird (vgl. Article 131-30 ff. code pénal sowie Gisti, Les cahiers juridiques, Les droits des citoyens et des citoyennes, Octobre 2014, p. 36 ff., 40; Gisti, Les cahiers juridiques, La double peine judiciaire, L’interdiction du territoire français, 2008, p. 8 ff.). |
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| Auch mit Blick auf die unterschiedlichen Entscheidungssysteme bedarf es der Klärung, welches der für die Sach- und Rechtslage maßgebende Zeitpunkt ist, um festzustellen, ob dem Betroffenen der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 zusteht. Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei der Frage der Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt, nicht nur um eine Ausgestaltung des innerstaatlichen Gerichtsverfahrensrechts, die allein an den Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz zu messen wäre (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - C-430/93 und C-431/93 [ECLI: EU:C:1995:441] - mit weiteren Nachweisen). Vielmehr wird mit der Bestimmung dieses maßgeblichen Zeitpunkts das materielle Schutzniveau, das dem Unionsbürger zugutekommen soll, festgelegt. Dieses Schutzniveau darf nach der Überzeugung des Senats nicht von der Ausgestaltung des Prozessrechts des jeweiligen Mitgliedstaats abhängen (siehe auch oben Rn. 42 zu Frage 2). Ungeachtet der aufgezeigten Schwäche (siehe oben Rn. 55) erachtet der Senat für die Prüfung, ob die Integrationsverbindungen trotz der Verbüßung von Strafhaft nicht unterbrochen sind, den Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung als am ehesten geeignet, um eine unionsweit gleichmäßige Handhabung des Art. 28 der Richtlinie 2004/38 sicherzustellen. |
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| Dieser Beschluss ist unanfechtbar. |
Der Senat ersucht den Gerichtshof nach Artikel 95 Absatz 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union den Namen des Klägers des Ausgangsverfahrens sowie dessen Aufenthaltsort vor der Inhaftierung zu anonymisieren. |
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