Verwaltungsgericht Würzburg Beschluss, 05. Aug. 2015 - W 4 S 15.50252
Gericht
Tenor
I.
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
II.
Die Antragsgegnerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein irakischer Staatsangehöriger, reiste am
Da nach den Erkenntnissen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) Anhaltspunkte für die Zuständigkeit eines anderen Staates gemäß der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) vorlagen, stellte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 5. Juni 2015 ein Übernahmeersuchen an Ungarn. Die ungarischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 16. Juni 2015 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags unter Bezugnahme auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b der Dublin III-VO.
Mit Bescheid vom
Gegen den vorgenannten Bescheid ließ der Antragsteller mit Schriftsatz vom
beantragen,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
Die Antragsgegnerin äußerte sich nicht.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet. Das Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin, weil ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheids bestehen.
Der erkennende Einzelrichter folgte bisher dem Teil der Rechtsprechung, der systemische Mängel im ungarischen Asylsystem auch unter Berücksichtigung der Inhaftierungspraxis der ungarischen Behörden verneint (vgl. VG Würzburg, B.v. 18.2.2015 - W 4 S 15.50023 m. w. N.). Aufgrund der nunmehr zum 1. August 2015 in Kraft getretenen Neuregelungen im ungarischen Asylsystem bestehen derzeit jedoch ernstliche Zweifel, ob diese rechtliche Beurteilung weiter Bestand haben kann. Denn nach diesen gesetzlichen Neuregelungen können aktuellen Presseberichten zufolge u. a. über Serbien eingereiste Asylsuchende - und damit ca. 99 Prozent der illegal nach Ungarn Einreisenden - fortan im Eilverfahren in das zum „sicheren Drittland“ erklärte Nachbarland abgeschoben werden (http://www.t-online.de/n...html; http://www.f...de/p....html, Abruf jeweils 4.8.2015). Unter Bezugnahme auf diese Neuregelungen haben jüngst mehrere Verwaltungsgerichte - zum Teil unter Änderung ihrer bisherigen Rechtsprechung - Eilanträgen gegen Überstellungen nach Ungarn stattgegeben (VG Kassel, B.v. 24.7.2015 - 6 L 1147/15.KS.A; VG Potsdam, B.v. 20.7.2015 - VG 6 L 915/15.A - beide Beck-Online; VG Münster, B.v. 7.7.2015 - 2 L 858/15.A). Rechtliche Bedenken bestehen insbesondere vor dem Hintergrund, dass es nach den gesetzlichen Neuregelungen im ungarischen Asylsystem offenbar zulässig ist, Asylanträge von über „sichere Drittländer“ nach Ungarn eingereisten Asylsuchenden ohne inhaltliche Prüfung abzulehnen. Dies gilt offenbar unabhängig von deren Herkunft, d. h. auch wenn diese aus Bürgerkriegsländern wie dem Irak oder Syrien stammen (VG Kassel, a. a. O.). Dies wirft die Frage einer Verletzung des Non-Refoulement-Gebots der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention auf (VG Kassel, a. a. O.). In einer Stellungnahme vom 3. Juli 2015 zu den gesetzlichen Neuregelungen zeigt sich der UNHCR, dessen Stellungnahmen im Asylrecht anerkanntermaßen besonderes Gewicht zukommt, „tief besorgt“ (http://www.u...org/5...).
Es bedarf daher der eingehenden Prüfung im Hauptsacheverfahren, ob die neuen gesetzlichen Regelungen im ungarischen Asylrecht europäischem und sonstigem internationalen Recht genügen und ob sie geeignet sind, systemische Mängel des Asylverfahrens zu begründen. Da somit im Rahmen der im vorliegenden Verfahren vorzunehmenden summarischen Prüfung nicht abschließend beurteilt werden kann, ob nunmehr systemische Mängel des ungarischen Asylsystems bestehen, überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragstellers das Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylVfG).
Annotations
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.