Verwaltungsgericht Trier Urteil, 08. März 2017 - 7 K 76/17.TR

ECLI:ECLI:DE:VGTRIER:2017:0301.7K76.17.00
bei uns veröffentlicht am08.03.2017

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Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2016 wird in der Ziffer 2 aufgehoben.

Die Beklagte wird verpflichtet, über den Asylantrag der Kläger vom 15. März 2016 auf Zuerkennung internationalen Schutzes nach vorheriger persönlicher Anhörung der Klägerin zu 1) erneut zu entscheiden, soweit die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft abgelehnt wurde. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Parteien tragen die Kosten des Verfahrens jeweils zur Hälfte.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckungsfähigen Betrages abwenden, wenn nicht der andere Teil vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

2

Die 1987 geborene Klägerin sowie ihre 2009 und 2011 geborenen Kinder, die Kläger zu 2) und 3), sind syrische Staatsangehörige. Sie reisten eigenen Angaben zufolge am 5. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 15. März 2016 einen Asylantrag.

3

An diesem Tag führte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit der Klägerin zu 1) ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zur Durchführung des Asylverfahrens. Bei dieser Gelegenheit händigte das Bundesamt ihr auch einen Fragebogen aus, um bei einer Beschränkung des Antrags auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz die Möglichkeit einzuräumen, „ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren den Flüchtlingsstatus erhalten zu können“. In diesem Fragebogen wurde unter diesem Punkt weiter ausgeführt, dass – bei entsprechender Antragsbeschränkung – die Prüfung eines Anspruchs auf Asylanerkennung, die mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, entfalle, wobei hierdurch keine Nachteile entstünden, da die Rechtsfolgen einer Asylanerkennung und einer Flüchtlingsanerkennung gleich seien; die Dauer des Verfahrens und der Prüfung seien jedoch unterschiedlich.

4

Die Klägerin zu 1) beantwortete vor Ort unter Zuhilfenahme des anwesenden Dolmetschers die Formularfragen schriftlich im Ankreuzverfahren. Unter anderem erklärte sie hierbei ihr Einverständnis mit einer Beschränkung des Antrags auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz, den sie der Formulierung des Fragebogens zufolge ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren erhalten könne. Bei den weiteren Formularfragen, ob in Syrien wegen der Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Verfolgung befürchtet und ob „deswegen“ die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz beantragt werde, befindet sich jeweils ein Kreuz in dem Nein-Kästchen.

5

Ohne die Kläger zuvor persönlich anzuhören, erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ihnen mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte die Asylanträge im Übrigen jedoch ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass von einer persönlichen Anhörung nach § 24 Abs. 1 S. 5 AsylG abgesehen wurde, da die Klägerin zu 1) in dem Fragebogen vom 15. März 2016 angegeben hätte, keiner Verfolgung ausgesetzt gewesen zu sein. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen somit nicht vor.

6

Mit der am 3. Januar 2017 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft weiter. Zur Begründung führen sie zunächst aus, dass der Fragebogen vom 15. März 2016 nicht von der Klägerin zu 1) sondern eigenmächtig von dem Dolmetscher ausgefüllt worden sei, ohne auf die Ausführungen der Klägerin zu 1) einzugehen. Sie stammten aus ... bei ..., einem Gebiet, welches der Kontrolle des Regimes entzogen gewesen und daher besonders stark bekämpft worden sei. So seien insgesamt drei Bomben in ihr Haus eingeschlagen. Den Menschen aus diesem Gebiet werde ausnahmslos eine regimekritische Haltung unterstellt, so dass auch die Menschen aus diesem Ort besonders intensiv verfolgt worden seien. Ihr – der Klägerin zu 1) – sei nichts anderes übrig geblieben, als unterzutauchen und Checkpoints des Regimes zu vermeiden. Einer ihrer Brüder sei vor fünf Jahren an einem Checkpoint entführt worden und seitdem fehle jede Spur von ihm. Zudem sei sie als Frau, die mit zwei Kindern geflohen sei, besonders schützenswert. Es sei davon auszugehen, dass der syrische Staat gegenüber Handlungen wie der illegalen Ausreise, der Asylantragstellung oder dem längeren Auslandsaufenthalt in hohem Maße unduldsam sei, diese als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe und mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nehme.

7

Die Kläger beantragen,

8

die Beklagte unter entsprechender Teilaufhebung des Bescheids vom 19. Dezember 2016 zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen.

11

Die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes ergeben sich aus der Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgängen des Bundesamtes sowie der bei Gericht vorhandenen Asyldokumentation über die asyl- und abschiebungsrelevanten Verhältnisse in Syrien, die jeweils Gegenstand der Urteilsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

12

(1.) Die Klage, über die mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 87a Abs. 2 und 3 VwGO durch den Berichterstatter und gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte, ist zulässig (a), jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet (b).

13

(a) Die Klage ist als Verpflichtungsklage auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zulässig. Der Verpflichtungsantrag enthält als rechtliches „Minus“ regelmäßig – und so auch hier – den vorliegend im Ergebnis nur erfolgreichen Antrag auf Verpflichtung zur Neubescheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1996 – 4 C 15/95 – juris).

14

Die Verpflichtungsklage in der Form der Bescheidungsklage ist gegenüber einer isolierten Anfechtungsklage vorliegend auch vorrangig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts – insbesondere zu Asylverfahren – ist grundsätzlich von einem Vorrang der Verpflichtungsklage auszugehen, mit der Folge, dass Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes grundsätzlich (nur) durch eine Verpflichtungsklage („Versagungsgegenklage“) zu erstreiten ist, welche die Aufhebung des Versagungsbescheids umfasst, soweit er entgegensteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. November 2006 – 1 C 10.06 – juris Rn. 16). Die Statthaftigkeit einer isolierten Anfechtungsklage wird nur in eng umgrenzten Fällen angenommen, wenn eine mit dem Bescheid verbundene Beschwer nur so oder besser abgewendet werden kann, so dass allein die Aufhebung des Versagungsbescheids ausnahmsweise ein zulässiges – gegenüber der Verpflichtungsklage für den Kläger vorteilhafteres – Rechtsschutzziel sein kann. Die in diesem Zusammenhang ergangenen Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts im Asylrecht beziehen sich regelmäßig auf die Fälle, in denen zuvor keine Sachentscheidung der Ausgangsbehörde ergangen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 – 1 C 4/16 – juris Rn. 14 ff. für einen abgelehnten Zweit- / Folgeantrag; BVerwG, Urteile vom 7. März 1995 – 9 C 264.94 – juris Rn. 14 ff. und vom 5. September 2013 – 10 C. 1.13 – juris Rn. 14 für rechtsirrige Verfahrenseinstellungen wegen Nichtbetreibens; BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 2015 – 1 C 32/14 – juris Rn. 14 für „Dublin-Fälle“).

15

In Anbetracht dessen, der hier vorliegenden Sachentscheidung und der eindeutigen gesetzgeberischen Gestaltung, eine isolierte Aufhebung nach § 113 Abs. 3 VwGO nur für Anfechtungsklagen zuzulassen, verbietet sich nach Ansicht der Kammer eine entsprechende Anwendung des § 113 Abs. 3 VwGO auf die vorliegende Verpflichtungssituation (vgl. zur Unanwendbarkeit des § 113 Abs. 3 VwGO auf Verpflichtungssituationen: BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1998 – 9 C 45/97; VwGO, Kopp/Schenke, 22. Auflage 2016, § 113 Rn. 166; a. A. VG Meiningen, Urteil vom 3. April 1998 – 8 K 20107/96.ME – juris Rn. 18. m.w.N. zur Rspr., die eine isolierte Anfechtungsklage als statthaft erachtet.

16

(b) Die auch im Übrigen zulässige Klage ist jedoch nur zum Teil begründet. Mangels Spruchreife kann im Ergebnis nur die Verpflichtung zur Neubescheidung und nicht der Erlass des begehrten Verwaltungsaktes erreicht werden.

17

(aa) Das Gericht ist zunächst aufgrund der kraft Gesetzes festgelegten erheblichen Bedeutung der persönlichen Anhörung des Asylbewerbers im Verwaltungsverfahren und der Besonderheiten des vorliegenden Falles daran gehindert, die Klage spruchreif zu machen, obwohl es sich um eine gebundene Entscheidung handelt.

18

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung vom 21. November 1983 – 9 B 10044.82 – das Rechtsschutzinteresse für eine auf Mängel des Verwaltungsverfahrens gestützte Bescheidungsklage im Rahmen eines Asylverfahrens verneint und in dem Beschluss vom 9. März 1982 – 9 B 360.82 – auch im Falle einer unterbliebenen persönlichen Anhörung des Asylbewerbers die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltungsgerichte zum „Durchentscheiden“ angenommen hat, kann dies bereits deswegen nicht mehr fortgelten, da diese Entscheidungen noch zu dem früheren Asylverfahrensrecht ergangen sind. Die Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens hat sich jedoch gerade hinsichtlich der Anhörungspflicht bereits seit der Änderung des damaligen Asylverfahrensgesetzes durch das Asylverfahrensgesetz vom 26. Juni 1992 erheblich verändert. Insbesondere waren bis zu den Rechtsänderungen im Jahr 1992 grundsätzlich zwei Anhörungen vorgesehen, nämlich durch die Ausländerbehörde (§ 8 des Asylverfahrensgesetzes vom 16. Juli 1982 in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. April 1991 – AsylVfG 1982 –) und durch das Bundesamt (§ 12 AsylVfG 1982), während der Asylbewerber seit den Änderungen im Jahre 1992 und auch nunmehr nur noch eine rechtlich gesicherte Möglichkeit hat, seine Asylgründe persönlich darzulegen, nämlich im Rahmen der Anhörung durch das Bundesamt (§§ 24 Abs. 1 S. 3, 25 AsylG in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Juli 2016 – AsylG –). Der sich daraus ergebenden unterschiedlichen Bedeutung der Anhörung entspricht es, dass das Bundesamt – wovon das Bundesverwaltungsgericht in der zitierten Entscheidung ausdrücklich ausgeht – vormals bereits dann von einer Anhörung absehen konnte, wenn es den Sachverhalt als geklärt ansah (§ 12 Abs. 4 AsylVfG 1982), während es nunmehr nach § 24 Abs. 1 S. 4 bis S. 6 AsylG nur noch dann von vornherein auf die persönliche Anhörung verzichten darf, wenn es den Antragsteller als Asylberechtigten anerkennen will, er aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist, das Bundesamt einem nach § 13 Abs. 2 S. 2 AsylG auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkten Asylantrag stattgeben will oder ein Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt wird (vgl. hierzu insgesamt: VG Aachen, Urteil vom 9. Juli 1996 – 4 K 5334/94.A – juris bei in diesen Fällen jedoch angenommener Statthaftigkeit einer isolierten Anfechtungsklage).

19

In Anbetracht dessen wird in weiten Teilen der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung mittlerweile auch im Falle einer entgegen §§ 24, 25 AsylG fehlenden oder unzulänglichen Anhörung des Asylantragstellers durch das Bundesamt keine Verpflichtung zum „Durchentscheiden“ angenommen (vgl. hierzu nur VG Düsseldorf, Vergleich vom 28. November 2016 – 6 K 12579/16.A – juris Rn. 25 mit umfangreichen weiteren Rechtsprechungsnachweisen bei in diesen Fällen jedoch angenommener Statthaftigkeit einer isolierten Anfechtungsklage; a. A. OVG Münster, Beschluss vom 13. Januar 2017 – 4 A 3051/15.A – juris).

20

Im Falle eines „Durchentscheidens“ würden dem Asylbewerber die nach der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – Richtlinie 2013/32/EU – eingeräumten Rechte genommen. So kann eine Anhörung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung die in Art. 15 der Richtlinie 2013/32/EU vorgesehenen Anforderungen an die persönliche Anhörung nicht stets wahren, wonach eine solche ohne die Anwesenheit von Familienangehörigen stattfindet und auf entsprechendes Ersuchen des Asylantragstellers – soweit möglich – vorzusehen ist, dass die Anhörungen von Personen gleichen Geschlechts durchgeführt werden (vgl. insoweit auch für die nicht bestehende Verpflichtung zum „Durchentscheiden“ bei Untätigkeitsklagen: VG Osnabrück, Urteil vom 14. Oktober 2015 – 5 A 390/15 – juris Rn. 45 ff.). Auch § 25 Abs. 6 S. 1 AsylG legt ausdrücklich fest, dass die Anhörung nicht öffentlich ist.

21

Es kommt außerdem hinzu, dass die Möglichkeiten der Betroffenen, das Asylverfahren durchzusetzen, geschmälert werden, wenn dieser – zu Unrecht – vom Bundesamt nicht persönlich angehört wurde. Die besondere Bedeutung dieses Verfahrens vor dem Bundesamt als Tatsacheninstanz, die mit umfassenden Verfahrensgarantien ausgestattet ist, wird auch von dem Bundesverwaltungsgericht in zahlreichen Entscheidungen betont. So stellt das Bundesverwaltungsgericht sowohl die Verpflichtung der Behörde zur persönlichen Anhörung als auch zur umfassenden Sachaufklärung sowie der Erhebung der erforderlichen Beweise von Amts wegen ohne die einmonatige Präklusionsfrist, wie sie für das Gerichtsverfahren in § 74 Abs. 2 AsylG i.V.m. § 87b Abs. 3 VwGO vorgesehen ist, heraus (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 – 9 C 264/94 – juris Rn. 16 im Falle einer fehlenden Sachentscheidung durch das Bundesamt).

22

Das Bundesamt konnte im vorliegenden Fall in Anbetracht der gewählten Vorgehensweise – den beschränkten Platzkapazitäten auf dem ausgehändigten Fragebogen in Verbindung mit der unter Ziffer 3 des Fragebogens verwendeten irreführenden Formulierung – im Ergebnis nur der Form nach eine Sachentscheidung treffen, ohne jedoch die eigentlichen Verfolgungsgründe tatsächlich überhaupt umfassend zur Kenntnis nehmen zu können.

23

Der durch die gesetzlichen Regelungen zum Ausdruck gebrachte maßgebliche Stellenwert der persönlichen Anhörung im Verwaltungsverfahren sowie die zwingende Abhängigkeit der nachfolgenden Entscheidung des Bundesamtes von einer vorherigen ordnungsgemäßen Anhörung führen vorliegend daher dazu, dass eine Verurteilung der Verwaltung zur Vornahme des beantragten Verwaltungsaktes nicht möglich ist, obwohl es sich um eine rechtlich gebundene Verwaltungsentscheidung handelt (vgl. zur Statthaftigkeit der Bescheidungsklage in diesen Fällen: VwGO, Kopp/Schenke, § 113 Rn. 197 ff.).

24

Auch aus der bereits zu Beginn zitierten Entscheidung des OVG Münster vom 13. Januar 2017 – 4 A 3051/15.A – kann nicht geschlussfolgert werden, dass bei – fehlerhaft – unterbliebener Anhörung ausschließlich und ohne jegliche Ausnahme bei vorliegender Sachentscheidung des Bundesamtes die Spruchreife herzustellen ist. Vielmehr kann den Gründen dieses im Zusammenhang mit einer beantragten Berufungszulassung ergangenen Beschlusses entnommen werden, dass gegebenenfalls bei einer anderen als dem dortigen Verfahren zugrunde liegenden Sachlage bzw. umfassenderem Vortrag des dortigen Klägers unter Umständen auch eine abweichende Beurteilung in Frage kommen kann.

25

So hat im Ergebnis auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 8. Oktober 2012 – 21 ZB 21.30312 – anerkannt, dass im Einzelfall eine Ausnahme von der ansonsten grundsätzlich bestehenden Pflicht zum Durchentscheiden beim Vorliegen einer Sachentscheidung bestehen kann, wenn Sachaufklärungsmaßnahmen notwendig sind, die das normale Maß nicht unerheblich überschreiten, die mit der personellen und sachlichen Ausstattung des Bundesamtes besser zu bewältigen sind und die bei sorgfältiger Durchführung dort auch ohne Verzögerung eine endgültige Klärung des Falles erwarten lassen (vgl. BayVGH, Beschluss vom 8. Oktober 2012 – 21 ZB 21.30312 – juris Rn. 9).

26

(bb) Die Kläger haben jedoch einen Anspruch darauf, dass über ihre Asylanträge erneut nach persönlicher Anhörung entschieden wird. Die entgegen diesem Rechtanspruch von der Beklagen in Ziffer 2 des Bescheids vom 19. Dezember 2016 vorgenommene Antragsablehnung ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Denn die Antragsablehnung unter Verstoß gegen die persönliche Anhörungspflicht nach § 24 Abs. 1 S. 3 AsylG verletzt den Anspruch der Kläger auf Durchführung eines ordnungsgemäßen Asylverfahrens.

27

Nach § 24 Abs. 1 S. 1 AsylG hat das Bundesamt den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweise zu erheben. Dabei hat es nach § 24 Abs. 1 S. 3 AsylG den Ausländer persönlich anzuhören. In bestimmten Fällen ist eine persönliche Anhörung nach dem AsylG nicht erforderlich (§ 24 Abs. 1 S. 4 und S. 5, 25 Abs. 5 AsylG). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Insbesondere konnte nicht nach § 24 Abs. 1 S. 5 AsylG – wie von der Beklagten angenommen – von einer persönlichen Anhörung abgesehen werden. Die Klägerin zu 1) hat zwar in dem von ihr ausgefüllten Fragebogen formularmäßig bekundet, dass sie ein „beschleunigtes Verfahren“ wünschte; damit hat sie – wie von der Beklagten erstrebt – ihren Asylantrag nach § 13 Abs. 2 S. 2 AsylG auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkt. Auch in diesem Fall ist eine Anhörung jedoch nur entbehrlich, wenn das Bundesamt einem solchermaßen beschränkten Asylantrag stattgeben will (§ 24 Abs. 1 S. 5 AsylG). Hier hat das Bundesamt jedoch nur subsidiären Schutz gewährt und den weitergehenden Antrag in Ziffer 2 des Bescheidtenors abgelehnt. Dies steht zudem auch explizit nicht mit dem Inhalt der der Klägerin zu 1) nach § 13 Abs. 2 S. 3 AsylG zuvor erteilten Belehrung in Übereinstimmung. Unter Ziffer 3 des am 15. März 2016 ausgefüllten Fragebogens hieß es dazu einleitend, die Beschränkung des Asylantrags bedeute, „dass (die Kläger) ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren den Flüchtlingsstatus erhalten könnten“. Dadurch entstünden ihnen auch keine Nachteile, denn die Rechtsfolgen einer Asyl- und einer Flüchtlingsanerkennung seien gleich; die Prüfung eines Anspruchs auf Asylanerkennung nehme nur mehr Zeit in Anspruch. Die Kläger haben vor diesem Hintergrund mit ihrer Beschränkung in keiner Weise erklärt, dass sie auch mit der bloßen Gewährung subsidiären Schutzes ohne persönliche Anhörung einverstanden wären (vgl. hierzu: VG Sigmaringen, Urteil vom 23. November 2016 – A 5 K 1495/16 – juris Rn. 17).

28

Dieser Verfahrensfehler ist auch nicht deshalb von untergeordneter Bedeutung, weil er gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwVfG geheilt oder gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich sein könnte.

29

Eine Heilungsmöglichkeit nach § 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 3 VwVfG kommt vorliegend nicht in Betracht. Insbesondere kann eine Nachholung der Pflicht zur persönlichen Anhörung nicht in den regelmäßig allgemein gehaltenen Klageabweisungsanträgen des Bundesamtes gesehen werden. Unabhängig von einer insoweit nicht vorliegenden konkreten Stellungnahme kann eine zwingend vorgeschriebene persönliche Anhörung bereits dem Grunde nach nicht ohne weiteres in einem rein schriftlichen Verfahren nachgeholt werden.

30

Eine fehlende persönliche Anhörung kann auch nicht gemäß § 46 VwVfG unbeachtlich sein. § 46 VwVfG ist vorliegend schon grundsätzlich nicht anwendbar, da die asylrechtlichen Verfahrensrechte dem Betroffenen jedenfalls im Lichte des geltenden Unionsrechts eine vom materiellen Recht unabhängige, eigene und selbständig durchsetzbare Verfahrensposition gewährleisten, deren Verletzung ungeachtet einer möglichen Ergebniskausalität zu einem Aufhebungsanspruch führt (vgl. VG Düsseldorf, Vergleich vom 28. November 2016 – 6 K 12579/16.A – juris Rn. 62 ff.). In Anbetracht der maßgeblichen Bedeutung der persönlichen Anhörung im Asylverfahren spricht zunächst schon einiges dafür, dass diese im nationalen Recht als absolutes Verfahrensrecht ausgestaltet und damit ein Rückgriff auf das subsidiär geltende Verwaltungsverfahrensgesetz nicht zulässig ist. Jedenfalls ist die Anwendung des § 46 VwVfG bezüglich der Anhörung nach dem AsylG mit den bereichsspezifischen Vorgaben des Sekundärrechts – hier in Gestalt der Asylverfahrensrichtlinie (RL 2013/32EU) – unvereinbar, denn in Art. 14 ff. dieser Richtlinie sind explizite Vorgaben für die Durchführung der asylverfahrensrechtlichen Anhörung vorgesehen, die mit einer Anwendung des § 46 VwVfG umgangen würden. Schließlich verstieße eine entsprechende Anwendung von § 46 VwVfG auch bereits gegen Art. 41 Abs. 2 der EU-Grundrechtscharta. So hat der EuGH mit Blick auf den hohen Stellenwert des Anhörungsrechts in einer Entscheidung zu dem irischen Flüchtlingsrecht hinsichtlich der Ausgestaltung der asylverfahrensrechtlichen Anhörung von einer Berücksichtigung der Ergebniskausalität abgesehen (vgl. hierzu ausführlich, auch unter Bezugnahme auf die entsprechende Entscheidung des EuGH vom 22. November 2012 – C 277/11 –: VG Düsseldorf, Vergleich vom 28. November 2016 – 6 K 12579/16.A – juris Rn. 75 ff.).

31

Nach alledem haben die Kläger einen Anspruch auf erneute Entscheidung nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Verfahrens; damit einher geht die deklaratorische Aufhebung der in Ziffer 2 des Bescheids rechtswidrig getroffenen Ablehnungsentscheidung.

32

Der weitergehende Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kann dagegen wegen des zwingend vorgeschalteten Verwaltungsverfahrens keinen Erfolg haben.

33

(2.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).

34

(3.) Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Trier Urteil, 08. März 2017 - 7 K 76/17.TR

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1.
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2.
der Auffassung ist, dass der Ausländer aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall ist für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Umstände eine ärztliche Bestätigung erforderlich. Wird von einer Anhörung abgesehen, unternimmt das Bundesamt angemessene Bemühungen, damit der Ausländer weitere Informationen unterbreiten kann.
Von der Anhörung ist abzusehen, wenn der Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt und der Sachverhalt auf Grund des Inhalts der Verfahrensakten der Eltern oder eines Elternteils ausreichend geklärt ist. Die Tatsache, dass keine Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung nicht negativ beeinflussen. Die Entscheidung nach den Sätzen 4 und 7 ergeht nach Aktenlage.

(1a) Sucht eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig um Asyl nach und wird es dem Bundesamt dadurch unmöglich, die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung durchzuführen, so kann das Bundesamt die Anhörung vorübergehend von einer anderen Behörde, die Aufgaben nach diesem Gesetz oder dem Aufenthaltsgesetz wahrnimmt, durchführen lassen. Die Anhörung darf nur von einem dafür geschulten Bediensteten durchgeführt werden. Die Bediensteten dürfen bei der Anhörung keine Uniform tragen. § 5 Absatz 4 gilt entsprechend.

(2) Nach Stellung eines Asylantrags obliegt dem Bundesamt auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.

(3) Das Bundesamt unterrichtet die Ausländerbehörde unverzüglich über

1.
die getroffene Entscheidung und
2.
von dem Ausländer vorgetragene oder sonst erkennbare Gründe
a)
für eine Aussetzung der Abschiebung, insbesondere über die Notwendigkeit, die für eine Rückführung erforderlichen Dokumente zu beschaffen, oder
b)
die nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 des Aufenthaltsgesetzes der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen könnten.

(4) Eine Entscheidung über den Asylantrag ergeht innerhalb von sechs Monaten. Das Bundesamt kann die Frist auf höchstens 15 Monate verlängern, wenn

1.
sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben,
2.
eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig Anträge stellt, weshalb es in der Praxis besonders schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist nach Satz 1 abzuschließen oder
3.
die Verzögerung eindeutig darauf zurückzuführen ist, dass der Ausländer seinen Pflichten nach § 15 nicht nachgekommen ist.
Das Bundesamt kann die Frist von 15 Monaten ausnahmsweise um höchstens weitere drei Monate verlängern, wenn dies erforderlich ist, um eine angemessene und vollständige Prüfung des Antrags zu gewährleisten.

(5) Besteht aller Voraussicht nach im Herkunftsstaat eine vorübergehend ungewisse Lage, sodass eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, kann die Entscheidung abweichend von den in Absatz 4 genannten Fristen aufgeschoben werden. In diesen Fällen überprüft das Bundesamt mindestens alle sechs Monate die Lage in dem Herkunftsstaat. Das Bundesamt unterrichtet innerhalb einer angemessenen Frist die betroffenen Ausländer über die Gründe des Aufschubs der Entscheidung sowie die Europäische Kommission über den Aufschub der Entscheidungen.

(6) Die Frist nach Absatz 4 Satz 1 beginnt mit der Stellung des Asylantrags nach § 14 Absatz 1 und 2. Ist ein Antrag gemäß dem Verfahren nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) zu behandeln, so beginnt die Frist nach Absatz 4 Satz 1, wenn die Bundesrepublik Deutschland als für die Prüfung zuständiger Mitgliedstaat bestimmt ist. Hält sich der Ausländer zu diesem Zeitpunkt nicht im Bundesgebiet auf, so beginnt die Frist mit seiner Überstellung in das Bundesgebiet.

(7) Das Bundesamt entscheidet spätestens 21 Monate nach der Antragstellung nach § 14 Absatz 1 und 2.

(8) Das Bundesamt informiert den Ausländer für den Fall, dass innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung ergehen kann, über die Verzögerung und unterrichtet ihn auf sein Verlangen über die Gründe für die Verzögerung und den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist.

(1) Der Vorsitzende entscheidet, wenn die Entscheidung im vorbereitenden Verfahren ergeht,

1.
über die Aussetzung und das Ruhen des Verfahrens;
2.
bei Zurücknahme der Klage, Verzicht auf den geltend gemachten Anspruch oder Anerkenntnis des Anspruchs, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe;
3.
bei Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache, auch über einen Antrag auf Prozesskostenhilfe;
4.
über den Streitwert;
5.
über Kosten;
6.
über die Beiladung.

(2) Im Einverständnis der Beteiligten kann der Vorsitzende auch sonst anstelle der Kammer oder des Senats entscheiden.

(3) Ist ein Berichterstatter bestellt, so entscheidet dieser anstelle des Vorsitzenden.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

Tatbestand

1

Die Kläger, nach eigenen Angaben afghanische Staatsangehörige, wenden sich gegen die Ablehnung der Durchführung weiterer Asylverfahren.

2

Sie reisten im Juli 2012 in das Bundesgebiet ein und beantragten ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Aufgrund von Eurodac-Treffern stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) fest, dass die Kläger zuvor bereits in Ungarn Asyl beantragt hatten, und richtete ein Wiederaufnahmeersuchen an Ungarn. Mit Antwortschreiben vom 30. Juli 2012 bestätigten die ungarischen Behörden, dass der Kläger zu 1 zusammen mit seiner Familie im April 2012 dort Asyl beantragt habe. Wegen des Verschwindens der Familie sei das Asylverfahren beendet worden. Es werde zugestimmt, die Kläger wieder aufzunehmen, um über ihre Asylanträge zu entscheiden.

3

Nachdem eine Überstellung der Kläger nach Ungarn nicht erfolgt war, stellte das Bundesamt Ende Januar 2013 fest, dass wegen des Ablaufs der Überstellungsfrist im nationalen Verfahren zu entscheiden sei.

4

Mit Bescheiden vom 13. und 17. Juni 2014 lehnte das Bundesamt hinsichtlich aller Kläger die Durchführung von weiteren Asylverfahren ab (Nr. 1), stellte aber jeweils fest, dass das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegt (Nr. 2). Zur Begründung führte es aus, es handele sich bei dem Asylantrag nach der erfolglosen Durchführung eines Asylverfahrens in Ungarn jeweils um einen Zweitantrag. Ein weiteres Asylverfahren sei nicht durchzuführen, da Wiederaufgreifensgründe im Sinne von § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG nicht vorlägen. Die humanitären Bedingungen in Afghanistan führten jedoch zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG.

5

Mit ihrer zunächst erhobenen Verpflichtungsklage begehrten die Kläger die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutzes. Sie hätten glaubhaft geschildert, dass der Klägerin zu 3 in Afghanistan die Zwangsverheiratung drohe. Von einem Zweitantrag sei nicht auszugehen. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht nahmen die Kläger ihre Verpflichtungsanträge auf richterlichen Hinweis zurück und beantragten nur noch, jeweils die Nr. 1 der Bescheide vom 13. und 17. Juni 2014 aufzuheben.

6

Das Verwaltungsgericht gab dieser Klage statt. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Anfechtungsklage sei die statthafte Klageart, wenn - wie vorliegend - Streit darüber bestehe, ob ein Anwendungsfall des § 71a AsylG gegeben sei. Im Unterschied zum Folgeverfahren nach § 71 AsylG seien hier zwei Mitgliedstaaten beteiligt und müsse deshalb zunächst die Verfahrenssituation ermittelt, also festgestellt werden, ob überhaupt eine "Zweitantragssituation" vorliege. Insoweit sei den Klägern das Recht einzuräumen, zunächst isoliert die sie beschwerende Wertung als Zweitantrag zu beseitigen und damit den Weg freizumachen für ein vom Bundesamt durchzuführendes Asylverfahren.

7

Die Klage sei auch begründet. Die Ablehnung der Anträge auf Durchführung von weiteren Asylverfahren sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Ein "erfolgloser Abschluss" (§ 71a AsylG) des in Ungarn eingeleiteten Asylverfahrens liege nicht vor, weil das Erstverfahren in Ungarn noch nicht endgültig beendet sei. Ungarn habe sich damit einverstanden erklärt, die Kläger wieder aufzunehmen, um über deren Asylbegehren zu entscheiden. Dies entspreche den Auskünften des Auswärtigen Amtes zum ungarischen Asylverfahrensrecht. Danach sei ein endgültiger Verfahrensabschluss mit der Folge, dass ein neuerliches Asylbegehren als Folgeantrag gewertet werde, nur anzunehmen, wenn ein vorheriges Asylverfahren in der Sache unanfechtbar negativ abgeschlossen oder das Asylverfahren nach ausdrücklicher schriftlicher Rücknahme des Asylbegehrens unanfechtbar eingestellt worden sei. Sei ein Asylverfahren hingegen ohne Entscheidung in der Sache eingestellt worden, könne der Antragsteller seine im Erstverfahren dargelegten Fluchtgründe erneut vorbringen. Ausgehend davon liege auch in Deutschland keine "Zweitantragssituation" vor, sondern müsse über das Asylbegehren erstmals entschieden werden. Denn die Dublin II-VO enthalte keine Regelung, nach der der Zuständigkeitsübergang auch zu einem formellen oder materiellen Rechtsverlust führen könnte.

8

Die Beklagte macht mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe den Anwendungsbereich von § 71a AsylG fehlerhaft zu eng bestimmt. Im Unterschied zu der das Folgeantragsverfahren betreffenden Regelung des § 71 AsylG beziehe sich § 71a AsylG nicht nur auf die in jener Vorschrift angeführten Konstellationen der Rücknahme oder unanfechtbaren Ablehnung eines früheren Asylantrags, sondern richte sich mit der Formulierung vom "erfolglosen Abschluss eines Asylverfahrens" auf einen potentiell weitergehenden Kreis von Fallgestaltungen. Ein erfolgloser Abschluss eines Asylverfahrens liege immer auch dann vor, wenn ein in dem Mitgliedstaat vorausgegangenes behördliches Asylverfahren ohne inhaltliche Prüfung einen formellen Abschluss gefunden habe. Dabei sei unerheblich, ob und unter welchen Voraussetzungen im sicheren Drittstaat die Möglichkeit einer Wiedereröffnung oder einer anderweitigen Fortführung bzw. Prüfung der bis zum Verfahrensabschluss bestehenden Schutzgründe bestehe. Nicht zuletzt die aktuelle Entscheidung des EuGH vom 17. März 2016 (Rs. C-695/15) belege, dass Unionsrecht gerade nicht fordere, auf die zur Wiederaufnahme bzw. Verfahrensfortführung im sicheren Drittstaat bestehende Rechtslage abzustellen. Die Asylverfahrensrichtlinie a.F. stelle es den Mitgliedstaaten frei, ob sie die Wiedereröffnung eines eingestellten Verfahrens ermöglichten. Dieser dem innerstaatlichen Normgeber unionsrechtlich eröffnete Gestaltungsspielraum würde erheblich beeinträchtigt, wenn dem Berufungsgericht zu folgen wäre. Sei die Prüfung des Asylantrags in Deutschland durchzuführen, müssten auch die hier geltenden Gesetze Anwendung finden.

9

Die Kläger verteidigen die angegriffene Entscheidung.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Ablehnung der Durchführung weiterer Asylverfahren in Ziffer 1 der Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 13. und 17. Juni 2014 rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

12

Die von den Klägern erhobene Anfechtungsklage ist statthaft und auch im Übrigen zulässig (1.). Sie ist auch begründet, denn die Voraussetzungen, unter denen die Durchführung eines Asylverfahrens gemäß § 71a Abs. 1 AsylG wegen vorheriger erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat abgelehnt werden kann, liegen nicht vor (2.). Die Entscheidung kann nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben (3.) und verletzt die Kläger in ihren Rechten (4.).

13

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens ist das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), zuletzt geändert mit Wirkung vom 10. November 2016 durch das Fünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches - Verbesserung des Schutzes der sexuellen Selbstbestimmung vom 4. November 2016 (BGBl. I S. 2460). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, zu berücksichtigen, wenn das Berufungsgericht - entschiede es anstelle des Revisionsgerichts - sie seinerseits zu berücksichtigen hätte (BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es seiner Entscheidung, wenn es jetzt entschiede, die während des Revisionsverfahrens in Kraft getretenen Änderungen des Asylgesetzes zugrunde legen, soweit nicht hiervon eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

14

1. Zu Recht haben die Vorinstanzen die nach Rücknahme der Verpflichtungsanträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nur noch anhängige Anfechtungsklage in der vorliegenden prozessualen Konstellation als statthaft angesehen.

15

Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens gemäß § 71 Abs. 1 AsylG bzw. - hier - § 71a AsylG stellt sich nach Inkrafttreten des Integrationsgesetzes der Sache nach als Entscheidung über die Unzulässigkeit eines Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG dar. Mit dem Integrationsgesetz hat der Gesetzgeber zur besseren Übersichtlichkeit und Vereinfachung der Rechtsanwendung in § 29 Abs. 1 AsylG die möglichen Gründe für die Unzulässigkeit eines Asylantrags in einem Katalog zusammengefasst (BT-Drs. 18/8615 S. 51). Hierzu zählt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG nunmehr auch der - materiellrechtlich unverändert geregelte - Fall, dass im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG oder eines Zweitantrags nach § 71a AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

16

Jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Neuregelung ist die Entscheidung, kein weiteres Asylverfahren durchzuführen, mit der Anfechtungsklage anzugreifen. Eine Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG stellt, ebenso wie die hier noch ergangene - gleichbedeutende - Ablehnung der Durchführung eines weiteres Asylverfahrens, einen der Bestandskraft fähigen, anfechtbaren Verwaltungsakt dar (vgl. zur bisherigen Rechtslage Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, Stand Dezember 2016, § 71a Rn. 39). Sie verschlechtert die Rechtsstellung der Kläger, weil damit ohne inhaltliche Prüfung festgestellt wird, dass ihr Asylvorbringen nicht zur Schutzgewährung führt und darüber hinaus auch im Falle eines weiteren Asylantrags abgeschnitten wird, weil ein Folgeantrag, um den es sich gemäß § 71a Abs. 5 i.V.m. § 71 AsylG handeln würde, nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG zu einem weiteren Asylverfahren führen kann. Ferner erlischt mit der nach § 71a Abs. 4 i.V.m. §§ 34, 36 Abs. 1 und 3 AsylG regelmäßig zu erlassenden, sofort vollziehbaren Abschiebungsandrohung auch die Aufenthaltsgestattung (§ 67 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG). Der Asylsuchende muss die Aufhebung des Bescheids, mit dem die Durchführung eines weiteren Asylverfahrens abgelehnt wird, erreichen, wenn er eine Entscheidung über seinen Asylantrag erhalten will (siehe auch BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 12).

17

Die Anfechtungsklage ist nicht wegen des Vorrangs einer Verpflichtungsklage im Hinblick darauf unzulässig, dass für das von den Klägern endgültig verfolgte Ziel der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft die Verpflichtungsklage die richtige Klageart ist. Soweit in der bisherigen Rechtsprechung zum Folgeantrag eine Verpflichtung der Gerichte zum "Durchentscheiden" angenommen und dementsprechend die Verpflichtungsklage als allein zulässige Klageart betrachtet worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 - BVerwGE 106, 171 <172 ff.>), hält der Senat daran mit Blick auf die Weiterentwicklung des Asylverfahrensrechts nicht mehr fest.

18

Anknüpfend an die stärkere Betonung des behördlichen Asylverfahrens, der hierfür in der für die EU-Mitgliedstaaten verbindlichen Verfahrensrichtlinie enthaltenen, speziellen Verfahrensgarantien sowie der dort vorgesehenen eigenen Kategorie unzulässiger Asylanträge (vgl. Art. 25 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft - Asylverfahrensrichtlinie a.F. - bzw. Art. 33 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Asylverfahrensrichtlinie n.F. -) hat der Gesetzgeber mit der zusammenfassenden Regelung verschiedener Unzulässigkeitstatbestände in § 29 Abs. 1 AsylG das Verfahren strukturiert und dem Bundesamt nicht nur eine Entscheidungsform eröffnet, sondern eine mehrstufige Prüfung vorgegeben. Erweist sich ein Asylantrag schon als unzulässig, ist eine eigenständig geregelte Unzulässigkeitsentscheidung zu treffen. Zugleich hat das Bundesamt über das Bestehen nationaler Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG zu entscheiden (§ 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG). Diese Prüfungsstufe ist bei Anträgen, die das Bundesamt als Zweitantrag einstuft, auf die Fragen beschränkt, ob es sich tatsächlich um einen derartigen Antrag handelt und ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist, also die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 AsylG vorliegen (§ 29 Abs. 1 Nr. 5, § 71a Abs. 1 AsylG). Die weitere in § 71a Abs. 1 AsylG genannte Voraussetzung, dass die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, muss an dieser Stelle bereits feststehen. Andernfalls wäre eine - vorrangige - Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG zu treffen. Denn die Dublin-Verordnungen regeln abschließend die Zuständigkeit zur Prüfung eines in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags. Erst wenn ein Mitgliedstaat danach zuständig ist, kann er einen Asylantrag - wie hier - aus den Gründen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG als unzulässig ablehnen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. November 2015 - 1 C 4.15 - BVerwGE 153, 234 Rn. 20).

19

Diese klare Gliederung der Prüfung von Anträgen, für die die Bundesrepublik Deutschland zuständig ist, in eine Entscheidung, ob ein Zweitantrag nach § 71a AsylG vorliegt und ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist (Zulässigkeitsprüfung) und die weitere Entscheidung, ob die materiellrechtlichen Anerkennungsvoraussetzungen gegeben sind (Sachprüfung), hat auch in eigenständigen Verfahrensvorgaben für die erste Prüfungsstufe Ausdruck gefunden. In § 71a Abs. 2 AsylG wird das "Verfahren zur Feststellung, ob ein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist", besonders geregelt (vgl. zum Verfahren der Zulässigkeitsprüfung allgemein auch § 29 Abs. 2 bis 4 AsylG). Es liegt nahe, damit auch spezialgesetzliche, prozessuale Konsequenzen zu verbinden und den Streitgegenstand einer Klage nach einer derartigen Unzulässigkeitsentscheidung auf die vom Bundesamt bis dahin nur geprüfte Zulässigkeit des Asylantrags beschränkt zu sehen (siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. März 1993 - 2 BvR 1988/92 - InfAuslR 1993, 229 = juris Rn. 23; BVerwG, Urteil vom 23. Juni 1987 - 9 C 251.86 - BVerwGE 77, 323 ff., jeweils zur partiell vergleichbaren Rechtslage nach dem AsylVfG 1982). Dafür spricht schließlich auch § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG, wonach das Bundesamt bei einer stattgebenden gerichtlichen Entscheidung das Asylverfahren fortzuführen hat. Diese Regelung gilt zwar unmittelbar nur für den Fall eines erfolgreichen Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen Unzulässigkeitsentscheidungen nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG, dessen in § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG geregelte, besondere Rechtsfolgen nicht verallgemeinerungsfähig sind. Letzteres gilt jedoch nicht für den in § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken. Dieser ist auf den Fall der Aufhebung einer Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG übertragbar und lässt darauf schließen, dass die verweigerte sachliche Prüfung vorrangig von der mit besonderem Sachverstand ausgestatteten Fachbehörde nachzuholen ist (ähnlich bereits BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 13 und 17). Ausgehend davon kommt auch ein eingeschränkter, auf die Durchführung eines (gegebenenfalls weiteren) Asylverfahrens gerichteter Verpflichtungsantrag nicht in Betracht, weil das Bundesamt hierzu nach Aufhebung der Entscheidung über die Unzulässigkeit automatisch verpflichtet ist.

20

Die von der jüngeren Asylgesetzgebung verfolgten Beschleunigungsziele, auf die der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat, führen zu keiner abweichenden Beurteilung. Sie rechtfertigen es bei der derzeitigen Ausgestaltung des nationalen Asylverfahrensrechts und der unionsrechtlichen Vorgaben nicht, bei Folge- und (vermeintlichen) Zweitanträgen, welche entgegen der Einschätzung des Bundesamts zur Durchführung eines (weiteren) Asylverfahrens führen müssen, den nach dem Asylgesetz auf die Unzulässigkeitsentscheidung begrenzten Streitgegenstand auf die sachliche Verpflichtung zur Schutzgewähr zu erweitern und dann unter Rückgriff auf das allgemeine Verwaltungsprozessrecht (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) die erstmalige Sachentscheidung in das verwaltungsgerichtliche Verfahren zu verlagern. Für bestimmte Fallgestaltungen stehen dem Bundesamt im Übrigen selbst Beschleunigungsmöglichkeiten zur Verfügung, die eine eventuelle Verlängerung der Gesamtverfahrensdauer bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Berechtigung zu internationalem Schutz zumindest abmildern können. Hierzu zählt die Option, offensichtlich unbegründete Anträge nach § 30 AsylG abzulehnen und eine Abschiebungsandrohung mit verkürzter Ausreisefrist zu erlassen, sowie bei Folgeanträgen nunmehr auch die Möglichkeit, das Asylverfahren beschleunigt durchzuführen (§ 30a Abs. 1 Nr. 4 AsylG). Nicht zu entscheiden ist, ob und unter welchen Voraussetzungen das Bundesamt in Fällen des § 29 Abs. 1 AsylG neben einer Unzulässigkeitsentscheidung vorsorglich und in dem gehörigen Verfahren im Interesse einer Beschleunigung auch ausdrücklich (hilfsweise) eine Sachentscheidung treffen kann. Dass nach § 31 Abs. 3 AsylG in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen ist, "ob die Voraussetzungen des § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegen", und sich das Bundesamt zumindest insoweit sachlich mit einem Schutzbegehren zu befassen hat, ersetzt diese Prüfung nicht, weil sie nicht bezogen ist auf die - dem nationalen Abschiebungsschutz vorrangige Frage der - Anerkennung als Asylberechtigter bzw. Gewährung internationalen Schutzes (§ 1 Abs. 1 AsylG) und einen anderen Streitgegenstand betrifft. Dieser Streitgegenstand kann - in Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen - durch den Schutzsuchenden zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gerichteten Anfechtungsklage hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung gestellt werden.

21

Vor der Aufhebung einer rechtswidrigen Unzulässigkeitsentscheidung hat das Gericht zu prüfen, ob die Entscheidung auf der Grundlage eines anderen, auf gleicher Stufe stehenden Unzulässigkeitstatbestandes aufrechterhalten bleiben kann. Wird die Unzulässigkeitsentscheidung auf die Anfechtungsklage hin aufgehoben, ist auch eine gegebenenfalls ergangene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen, nebst Abschiebungsandrohung aufzuheben. Denn beide Entscheidungen sind dann jedenfalls verfrüht ergangen (vgl. entsprechend BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12 = juris Rn. 19).

22

2. Das Berufungsgericht hat ohne Verletzung von Bundesrecht angenommen, dass die Voraussetzungen, unter denen die Durchführung eines Asylverfahrens gemäß § 71a Abs. 1 AsylG wegen vorheriger erfolgloser Durchführung eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat abgelehnt werden kann, nicht vorliegen.

23

Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung ist § 29 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. § 71a Abs. 1 AsylG. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unter anderem dann unzulässig, wenn im Falle eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.

24

Ein Zweitantrag liegt nach § 71a Abs. 1 AsylG vor, wenn der Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG), für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag stellt. Er hat zur Folge, dass ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen ist, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes vorliegen; die Prüfung obliegt dem Bundesamt.

25

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber die in § 71 AsylG vorgesehene besondere Behandlung von Folgeanträgen auf den Fall erstreckt, dass dem Asylantrag des Antragstellers ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem anderen EU-Mitgliedstaat oder Vertragsstaat vorausgegangen ist.

26

Der Senat kann offenlassen, ob gegen die mitgliedstaatsübergreifende Anwendung des unionsrechtlich ermöglichten Folgeantragskonzepts (vgl. Art. 32 bis 34 Asylverfahrensrichtlinie a.F. bzw. Art. 40 bis 42 Asylverfahrensrichtlinie n.F.) grundsätzliche unionsrechtliche Bedenken bestehen (vgl. Marx, AsylG, 9. Aufl. 2016, § 71a Rn. 3 ff.). Keiner Entscheidung bedarf auch die Frage, ob die Aufnahme der Folge- und Zweitanträge, bei denen keine Gründe für ein Wiederaufgreifen vorliegen, in den Katalog der Unzulässigkeitstatbestände des § 29 Abs. 1 AsylG bereits mit der Asylverfahrensrichtlinie a.F. - ihre Anwendbarkeit unterstellt - vereinbar war und ob und in welcher Weise Art. 25 Abs. 2 Buchst. f i.V.m. Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie die Auslegung der Tatbestandsvoraussetzung "nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens" zusätzlich begrenzt.

27

Die Voraussetzungen für die Nichtdurchführung eines (weiteren) Asylverfahrens nach § 71a Abs. 1 AsylG liegen hier schon deshalb nicht vor, weil die Asylanträge der Kläger keine Zweitanträge im Sinne dieser Vorschrift sind. Ihren Anträgen ist kein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) vorausgegangen.

28

Zwar ist Ungarn als Mitgliedstaat der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG, für den Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten: Im vorliegenden Fall richtet sich die Beurteilung der internationalen Zuständigkeit nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist (ABl. L 50 S. 1) - Dublin II-VO, weil Asylantrag und Wiederaufnahmegesuch vor dem maßgeblichen Stichtag (1. Januar 2014) gestellt worden sind (vgl. die Übergangsregelung in Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags auf internationalen Schutz - Dublin III-VO).

29

Es fehlt indes an einem "erfolglosen Abschluss" der von den Klägern in Ungarn eingeleiteten Asylverfahren. Ein erfolgloser Abschluss des in einem anderen Mitgliedstaat betriebenen Asylverfahrens setzt voraus, dass der Asylantrag entweder unanfechtbar abgelehnt oder das Verfahren nach Rücknahme des Asylantrags bzw. dieser gleichgestellten Verhaltensweisen endgültig eingestellt worden ist. Eine Einstellung ist nicht in diesem Sinne endgültig, wenn das (Erst-)Verfahren noch wiedereröffnet werden kann (a). Ob eine solche Wiedereröffnung bzw. Wiederaufnahme möglich ist, ist nach der Rechtslage des Staates zu beurteilen, in dem das Asylverfahren durchgeführt worden ist (b). Nach diesen Maßstäben ist das von den Klägern in Ungarn betriebene und dort eingestellte Asylverfahren vorliegend nicht erfolglos abgeschlossen (c).

30

a) Dem Wortlaut nach umfasst die Tatbestandsvoraussetzung "nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens" jede Art des formellen Abschlusses eines Asylverfahrens ohne Zuerkennung eines Schutzstatus. Für die nähere Konkretisierung der möglichen Varianten und der Anforderungen an den Verfahrensabschluss kann auf die Parallelregelung zum Folgeantrag in § 71 Abs. 1 AsylG zurückgegriffen werden, wonach es sich um eine Rücknahme oder eine unanfechtbare Ablehnung des Antrags handeln kann. Entgegen der Auffassung der Beklagten spricht nichts dafür, dass der Gesetzgeber mit der abweichenden Formulierung in § 71a Abs. 1 AsylG inhaltlich weitere Tatbestände hätte erfassen wollen. Denn der Sinn und Zweck des § 71a AsylG ist darauf beschränkt, den Zweitantrag dem Folgeantrag und damit die asylrechtliche Entscheidung des Drittstaats einer asylrechtlichen Entscheidung der Bundesrepublik Deutschland gleichzustellen (BT-Drs. 12/4450 S. 27; siehe auch Hailbronner, in: Ausländerrecht, Ordner 4, Stand November 2016, § 71a AsylVfG Rn. 14 f.).

31

Der Begriff der Rücknahme in § 71 Abs. 1 AsylG erfasst nach der bis zum 16. März 2016 geltenden Rechtslage uneingeschränkt auch die Fälle, in denen der Asylantrag nach § 33 Abs. 1 AsylG wegen Nichtbetreibens des Verfahrens als zurückgenommen gilt. Dies macht nicht zuletzt § 32 Abs. 2 AsylG deutlich. Anders stellt sich dies nach der am 17. März 2016 in Kraft getretenen grundlegenden Neufassung des § 33 AsylG durch das Gesetz zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 390) dar: Nach § 33 Abs. 5 Satz 2 bis 6 AsylG kann nunmehr ein Ausländer, dessen Verfahren wegen Nichtbetreibens eingestellt worden ist, einmalig die Wiederaufnahme des Verfahrens beantragen. Ein neuer Asylantrag gilt als derartiger Wiederaufnahmeantrag und ist als Erstantrag zu behandeln, sofern seit der Einstellung des Asylverfahrens noch keine neun Monate vergangen sind und das Asylverfahren noch nicht nach dieser Vorschrift wieder aufgenommen worden war. Infolge dieser - erkennbar vorrangigen - Spezialregelung ist der Begriff der Rücknahme in § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG nunmehr bereits nach nationalem Recht dahin einschränkend auszulegen, dass er die Fälle der fiktiven Rücknahme nach § 33 Abs. 1 und 3 AsylG nur noch unter den Voraussetzungen des § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG umfasst, wenn also die Einstellung des Asylverfahrens zum Zeitpunkt der Antragstellung mindestens neun Monate zurückliegt oder das Asylverfahren bereits einmal wieder aufgenommen worden war.

32

Steht die bestehende Wiederaufnahmemöglichkeit somit nach den eindeutigen gesetzlichen Vorgaben (Umkehrschluss aus § 33 Abs. 5 Satz 6 AsylG) der Behandlung als Folgeantrag entgegen, muss dies - wegen der bezweckten Gleichstellung - auch für den Zweitantrag gelten. Hinzu kommt ein systematisches Argument innerhalb des § 71a AsylG: Liegt ein erfolglos abgeschlossenes Asylverfahren im Sinne des § 71a AsylG im Falle der Antragsablehnung erst vor, wenn diese Ablehnung unanfechtbar ist (vgl. dazu OLG Köln, Beschluss vom 20. Juli 2007 - 16 Wx 150/07 - juris Rn. 7; Hailbronner, Ausländerrecht, Ordner 4, Stand November 2016, § 71a AsylVfG Rn. 15), ist ein erfolgloser Abschluss auch im Falle der Verfahrenseinstellung nach (ausdrücklicher oder stillschweigender/fingierter) Rücknahme nur anzunehmen, wenn das konkrete Asyl(erst)verfahren endgültig - d.h. ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme auf Antrag des Asylbewerbers - beendet ist (zum unionsrechtlichen Begriff der "rechtskräftigen" bzw. "bestandskräftigen" Entscheidung s. Art. 2 Buchst. d Asylverfahrensrichtlinie a.F. bzw. Art. 2 Buchst. e Asylverfahrensrichtlinie n.F.). Denn es ist kein Grund ersichtlich, warum die beiden Varianten des erfolglosen Abschlusses eines Asylverfahrens, die jeweils dieselbe Rechtsfolge bewirken, insoweit unterschiedlichen Anforderungen unterliegen sollten.

33

b) Der Verwaltungsgerichtshof ist zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Frage, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat zuvor betriebenes Asylverfahren dort durch bestandskräftige Ablehnung oder endgültige Einstellung beendet worden ist, insgesamt nach dem betreffenden ausländischen Asylverfahrensrecht richtet. § 71a Abs. 1 AsylG knüpft an einen abgeschlossenen, im Ausland geschehenen Vorgang an, der insgesamt dem ausländischen Recht unterfällt. Der enge Zusammenhang des Verwaltungsakts und seiner Bestandskraft gebietet, die Frage, ob eine ausländische Verwaltungsentscheidung noch anfechtbar bzw. revidierbar ist, nach ausländischem und nicht deutschem Recht zu beantworten. Die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten lässt zwar Raum dafür, die Rechts- und Bestandskraft einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung als Tatbestandsvoraussetzung für die innerstaatliche Rechtsanwendung heranzuziehen; sie erlaubt aber keine Erstreckung des nationalen Verfahrensrechts auf die Beurteilung dieser Vorfrage.

34

Die hier noch anwendbare Dublin II-VO beschränkt sich auf die Regelung der internationalen Zuständigkeit; ihr lässt sich indes keine Grundlage für eine Handhabung entnehmen, nach der der Zuständigkeitsübergang auf einen anderen Mitgliedstaat mit einer Verschlechterung der verfahrensrechtlichen Rechtsstellung verbunden wäre. Sie berechtigt insbesondere nicht dazu, an einen Zuständigkeitsübergang nach Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO einen Verlust des Rechts auf eine unbeschränkte, nicht nach Folgeantragsgrundsätzen erfolgende Antragsprüfung zu knüpfen, wenn dieses Recht im zuvor zuständigen Staat nach dem dort geltenden Asylverfahrensrecht noch bestand (vgl. auch VGH Mannheim, Urteil vom 29. April 2015 - A 11 S 121/15 - NVwZ 2015, 1155 = juris Rn. 36).

35

Dem steht der Hinweis der Beklagten, bei Zuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags müsse diese Prüfung auch nach deutschen Gesetzen erfolgen, nicht entgegen. Er trifft zwar insoweit zu, als nicht jede rechtliche Schlechterstellung durch einen Zuständigkeitsübergang ausgeschlossen ist. So darf ein durch Ablauf der Überstellungsfrist zuständig gewordener Staat einen Asylantrag nach Art. 3 Abs. 3 Dublin III-VO (vergleichbar: Art. 3 Abs. 3 Dublin II-VO) auch dann ablehnen, wenn der ursprünglich zuständige Staat vom Drittstaatskonzept keinen Gebrauch macht (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/15 [ECLI:EU:C:2016:188], PPU - NVwZ 2016, 753). Von dieser Fallkonstellation unterscheidet sich die hier relevante Regelung zum Zweitantrag aber dadurch, dass der deutsche Gesetzgeber darin den Prüfungsumfang vom Abschluss eines in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführten Verwaltungsverfahrens abhängig macht. Damit knüpft die gesetzliche Regelung selbst an einen nach der ausländischen Rechtsordnung zu beurteilenden Tatbestand an.

36

Zu keinem anderen Ergebnis führt die weitere Aussage des EuGH in der vorgenannten Entscheidung, Art. 18 Abs. 2 Dublin III-VO verpflichte die zuständigen Behörden des zuständigen Mitgliedstaats bei Wiederaufnahme eines Asylbewerbers nicht, das Verfahren zur Prüfung seines Antrags in dem Stadium wiederaufzunehmen, in dem es von diesen Behörden eingestellt worden war. In diesem Zusammenhang weist der EuGH auch auf Art. 28 Abs. 2 letzter Unterabsatz Asylverfahrensrichtlinie n.F. hin, wonach die Mitgliedstaaten der Asylbehörde die Wiederaufnahme der Prüfung in dem Verfahrensabschnitt, in dem sie eingestellt wurde, gestatten können, aber nicht müssen (vgl. EuGH, Urteil vom 17. März 2016 - C-695/12 - Rn. 67; ebenso Art. 20 Abs. 2 Unterabs. 4 Asylverfahrensrichtlinie a.F.). Daraus kann etwa folgen, dass eine bereits erfolgte Anhörung nicht zwingend wiederholt werden muss. Ungeachtet der unterschiedlichen Verfahrenskonstellation rechtfertigen diese Bemerkungen aber nicht den Schluss, dass ein Verlust des Rechts auf eine unbeschränkte Antragsprüfung durch bloßen Zuständigkeitsübergang mit dem Unionsrecht vereinbar wäre. Die Begriffe "Verfahrensabschnitt" bzw. "Stadium" beziehen sich nach dem Verständnis des EuGH zweifelsfrei nicht auf die Frage, ob es sich um ein Erst- oder ein Folgeverfahren handelt. Denn der EuGH betont ausdrücklich, dass die Prüfung des Antrags den für Erstanträge vorgesehenen Anforderungen entsprechen muss.

37

Nach den vorstehenden Ausführungen kann auch der Einwand der Beklagten nicht durchgreifen, bei Anwendung ungarischen Rechts werde der dem innerstaatlichen Normgeber zustehende Gestaltungsspielraum beeinträchtigt, den die Asylverfahrensrichtlinie a.F. den Mitgliedstaaten im vorliegenden Kontext einräume. Es trifft zwar zu, dass Art. 20 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie a.F. - anders als Art. 28 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie n.F. - den Mitgliedstaaten noch nicht bindend vorgibt, eine Wiedereröffnung von Asylverfahren vorzusehen, die wegen stillschweigender Antragsrücknahme oder Nichtbetreiben des Verfahrens eingestellt worden sind, sondern wahlweise auch die Behandlung eines hiernach gestellten Antrags als Folgeantrag akzeptiert. Dieses Wahlrecht steht allerdings bei der hier in Rede stehenden mitgliedstaatsübergreifenden Anwendung des Folgeantragskonzepts - deren Vereinbarkeit mit Unionsrecht unterstellt - dem Staat zu, in dem das Verfahren durchgeführt worden ist, hier mithin Ungarn. Aus der Verwendung des Plurals in Art. 20 Abs. 2 Asylverfahrensrichtlinie a.F. ("Die Mitgliedstaaten stellen sicher ...") kann nichts anderes geschlossen werden. Wenn in dieser Regelung von einem Asylbewerber die Rede ist, "der sich nach Einstellung der Antragsprüfung gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels wieder bei der zuständigen Behörde meldet, so beschreibt dies einen Vorgang innerhalb ein und desselben Mitgliedstaates und keine länderübergreifende Situation.

38

c) Nach diesen Maßstäben ist die Entscheidung des Berufungsgerichts, das von den Klägern in Ungarn eingeleitete Asylverfahren als nicht erfolglos abgeschlossen im Sinne von § 71a AsylG anzusehen, revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass die Kläger im Falle einer Rückkehr nach Ungarn das dort eingeleitete Asylverfahren ohne inhaltliche Beschränkung ihres Vortrags wie ein Erstverfahren weiterbetreiben können. Nach Auskünften des Auswärtigen Amtes vom 12. März 2015 (an das VG Freiburg) und vom 19. November 2014 (an das VG Düsseldorf) zur Ausgestaltung des ungarischen Asylverfahrens werde in Fällen, in denen ein vorheriges Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt worden sei ("discontinuation"), ein erneutes Asylbegehren behandelt wie ein Erstverfahren, insbesondere könne der Antragsteller seine im Erstverfahren dargelegten Fluchtgründe erneut vorbringen. Dies werde bestätigt durch die Zustimmungserklärung der ungarischen Behörden, die sich damit einverstanden erklärt hätten, die Kläger wieder aufzunehmen und über das Asylbegehren zu entscheiden. Im Ergebnis würde somit das Verfahren fortgeführt bzw. wiederaufgenommen, wenn die Kläger nach Ungarn zurückkehren würden.

39

An diese nicht mit durchgreifenden Revisionsrügen angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts zum Inhalt des ungarischen Rechts ist der Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, weil sie nach § 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO zur Tatsachenfeststellung zählen (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 20. April 2004 - 1 C 13.03 - BVerwGE 120, 298 <302 f.>).

40

Keiner Entscheidung bedarf, auf welchen Zeitpunkt bei der Beurteilung der Frage abzustellen ist, ob ein in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführtes Asylverfahren im Sinne von § 71a Abs. 1 AsylG erfolglos abgeschlossen ist. Insoweit kommen in erster Linie der Zeitpunkt der Asylantragstellung in Deutschland oder der Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs in Betracht. Diese Frage kann hier dahinstehen, da die Kläger auch zu dem späteren Zeitpunkt des Zuständigkeitsübergangs noch die Möglichkeit hatten, die Asylverfahren in Ungarn weiter zu betreiben. Denn aus den Feststellungen des Berufungsgerichts zum ungarischen Asylverfahrensrecht ergibt sich nicht, dass das Recht, ein wegen Fortzugs eingestelltes Asylverfahren wieder aufzunehmen, nur befristet bestanden hätte (zur Möglichkeit einer Befristung auf mindestens neun Monate vgl. nunmehr Art. 28 Abs. 2 Unterabs. 2 Asylverfahrensrichtlinie n.F.). Hierfür liegen bezogen auf den hier relevanten Zeitraum bis Ende Januar 2013 auch keine Anhaltspunkte vor.

41

3. Die Entscheidung kann nicht auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten bleiben. Der insoweit allein in Betracht kommende Unzulässigkeitstatbestand des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG greift schon deshalb nicht ein, weil Deutschland für die Durchführung der hier in Rede stehenden Asylverfahren aufgrund des Ablaufs der Überstellungsfrist nach Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO zuständig ist. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a AsylG betrachtet wird. Gemäß § 26a Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 AsylG schließt die Einreise aus einem sicheren Drittstaat die Berufung auf Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes jedoch nicht aus, wenn die Bundesrepublik Deutschland - wie hier - aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies gilt nicht nur bei einer originären Zuständigkeit Deutschlands, sondern auch bei einem nachträglichen Zuständigkeitswechsel.

42

Diese Regelung nimmt § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG mit in Bezug: Mit der Aufnahme des § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG in den Katalog der Unzulässigkeitsgründe sollte die zuvor bestehende Möglichkeit, einen Asylantrag nach § 26a AsylG abzulehnen, inhaltlich nicht verändert werden. In § 31 Abs. 4 AsylG ist weiterhin von einer Ablehnung "nach § 26a" - jetzt - als unzulässig die Rede. Im Gesetzgebungsverfahren hat die Bundesregierung zudem betont, durch den expliziten Verweis im künftigen § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG auf § 26a AsylG komme zum Ausdruck, dass die dort geregelten Anforderungen auch weiterhin - im Rahmen der Entscheidung über die Zulässigkeit des Asylantrags - zu beachten sind. Wie im geltenden Recht setze der künftige § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG daher voraus, dass der Drittstaat die - unverändert gebliebenen - Voraussetzungen des § 26a AsylG erfülle und durch Aufnahme in Anlage I des Asylgesetzes als sicherer Drittstaat eingestuft worden sei (BT-Drs. 18/8883 S. 10). Ob § 29 Abs. 1 Nr. 3 AsylG mit Unionsrecht vereinbar ist, bedarf hier mithin keiner Entscheidung.

43

4. Die Ablehnung der Durchführung von (weiteren) Asylverfahren verletzt die Kläger auch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Ihr aus dem Unionsrecht folgender Anspruch auf Prüfung ihres Schutzbegehrens durch einen Mitgliedstaat der EU ist verletzt, wenn das Bundesamt - wie hier - als auch nach eigener Auffassung international zuständige Behörde es rechtswidrig ablehnt, ein Asylverfahren durchzuführen.

44

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG sind nicht gegeben.

Tatbestand

1

Die Kläger, eine Mutter und ihr Sohn, sind pakistanische Staatsangehörige und gehören der Glaubensgemeinschaft der Ahmadiyya an. Sie wenden sich gegen einen Bescheid der Beklagten, durch den ihre Asylanträge als unzulässig abgelehnt werden und ihre Abschiebung nach Spanien angeordnet wird.

2

Die Kläger reisten gemeinsam mit zwei weiteren Kindern der Klägerin zu 1 (BVerwG 1 C 33.14 und 1 C 34.14) Anfang Januar 2013 nach Deutschland ein und stellten hier am 14. Januar 2013 Asylanträge. Dabei gaben alle vier Familienmitglieder an, aus religiösen Gründen in Pakistan verfolgt zu werden. Ein noch im gleichen Monat durchgeführter Abgleich der Fingerabdrücke mit Daten aus Eurodac ergab, dass zwar nicht die Klägerin zu 1, wohl aber ihre drei Kinder bereits in Spanien Asylanträge gestellt hatten.

3

Im Mai 2013 wurde die Tochter (BVerwG 1 C 33.14) durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) persönlich angehört. Dabei gab sie - ohne ausdrücklich auch die Klägerin zu 1 einzubeziehen - an, bereits in Spanien einen Asylantrag gestellt zu haben. Sie alle hätten sich im November 2012 für drei oder vier Tage in Spanien aufgehalten und seien dort am Flughafen kontrolliert worden. Es sei kein Dolmetscher zugegen gewesen, und am Ende hätten sie etwas unterschreiben müssen. Sie wisse nicht, was sie unterschrieben habe, aber sie denke, es sei ein Asylantrag gewesen. Ihr eigentliches Ziel sei bereits damals Deutschland gewesen. Von Spanien aus seien sie zunächst nach Pakistan zurückgekehrt. Im Januar 2013 seien sie dann mit dem Flugzeug von Islamabad kommend nach Frankfurt a.M. geflogen. Ein Flugticket habe sie nicht mehr.

4

Am 4. Dezember 2013 richtete die Beklagte unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO hinsichtlich sämtlicher vier Familienmitglieder Wiederaufnahmeersuchen an Spanien. Dabei gab sie an, dass es für die Klägerin zu 1 keinen Eurodac-Treffer gebe, diese aber gemeinsam mit ihrem Sohn gereist sei, der nach den aus Eurodac gewonnenen Daten am 1. Dezember 2012 in Malaga einen Asylantrag gestellt habe. Die Tochter (BVerwG 1 C 33.14) habe ebenfalls am 1. Dezember 2012 in Malaga einen Asylantrag gestellt, der älteste Sohn (BVerwG 1 C 34.14) am 3. Dezember 2012. Das spanische Innenministerium teilte mit Schreiben vom 17. Dezember 2013 (BVerwG 1 C 33.14) und 19. Dezember 2013 (BVerwG 1 C 32.14 und 1 C 34.14), gleichfalls unter Bezugnahme auf Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO, mit, dass es die Wiederaufnahme sämtlicher vier Familienmitglieder akzeptiere.

5

Mit Bescheid vom 29. Januar 2014 stellte die Beklagte fest, dass die Asylanträge der Kläger unzulässig sind (Ziffer 1) und ordnete deren Abschiebung nach Spanien an (Ziffer 2). Die Asylanträge seien gemäß § 27a AsylVfG (jetzt: AsylG) unzulässig, da Spanien aufgrund der dort gestellten Asylanträge gemäß Art. 16 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Bundesrepublik Deutschland veranlassen könnten, ihr Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin II-VO auszuüben, seien nicht ersichtlich.

6

Mit Beschluss vom 7. März 2014 ordnete das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der erhobenen Klagen gegen die Abschiebungsanordnung an. Mit Urteil vom 22. April 2014 hat es den Bescheid der Beklagten aufgehoben. Die Ablehnung der Asylanträge als unzulässig und die Anordnung der Abschiebung der Kläger seien rechtswidrig. Denn Deutschland sei gemäß Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig, weil es die Wiederaufnahmegesuche an Spanien nicht innerhalb einer Frist von drei Monaten gestellt habe. Hier habe bereits am 16. Januar 2013 aufgrund des Datenabgleichs mit Eurodac ein Hinweis für die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates der EU vorgelegen. Darüber hinaus habe die Tochter bei ihrer Anhörung auf einen Aufenthalt in Spanien und einen dort wahrscheinlich gestellten Asylantrag hingewiesen. Trotz dieser eindeutigen Hinweise habe die Beklagte erst am 4. Dezember 2013 Wiederaufnahmegesuche an Spanien gerichtet. Die in Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO enthaltene Fristenregelung finde nicht nur in Verfahren auf Aufnahme eines Asylbewerbers Anwendung, sondern auch in Verfahren auf Wiederaufnahme.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss nach § 130a VwGO vom 25. August 2014 das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Deutschland sei nicht in analoger Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO für die Behandlung der Asylanträge zuständig geworden. Zur Anwendung komme allein das Verfahren zur Wiederaufnahme nach Art. 20 Dublin II-VO, weil die Kläger vor ihrer Einreise nach Deutschland in Spanien um Asyl nachgesucht hätten. Art. 20 der Dublin II-VO enthalte keine dem Art. 17 Abs. 1 Dublin II-VO entsprechende Fristbestimmung. Insoweit sei auch keine Regelungslücke zu erkennen, die durch eine analoge Heranziehung der Fristbestimmungen zur Aufnahme zu schließen wäre. Unabhängig davon könnten sich die Kläger auch nicht auf die Einhaltung der Zuständigkeits- und Fristenregelungen der Dublin II-VO berufen, denn sie dienten allein einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaates.

8

Die Kläger wenden sich mit ihrer Revision gegen die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs zur Unzuständigkeit Deutschlands wie zur Abschiebungsanordnung. Das Verwaltungsgericht habe mit Recht die Fristenregelung für die Aufnahme auf das Verfahren der Wiederaufnahme übertragen, weil insoweit eine Regelungslücke vorliege. Damit sei Deutschland für die Behandlung der Asylanträge zuständig geworden. Andernfalls würden die Mitgliedstaaten für das Wiederaufnahmeverfahren keiner Fristbestimmung unterliegen. Dies würde der generellen Zielsetzung des Dublin-Regelwerks zuwiderlaufen, eine Beschleunigung der Asylverfahren zu erreichen. Es spreche zudem vieles dafür, dass die Kläger auch in ihren Grundrechten aus Art. 41 der GRC und Art. 6 Abs. 1 EMRK verletzt seien. Insoweit sei zu klären, ob sich ein Asylantragsteller in einem solchen Fall auf die Fristbestimmungen des Dublin-Regelungswerks berufen könne. Des Weiteren habe das Berufungsgericht verkannt, dass die gesetzliche Regelung des § 34a AsylG gegen Unionsrecht verstoße. Die Dublin II-VO sehe bei Unzuständigkeit eines Mitgliedstaates eine "Überstellung" vor. Damit habe das Unionsrecht eine neue Form der Aufenthaltsbeendigung geschaffen, die hinter der Abschiebung im Sinne des deutschen Ausländer- und Asylrechts zurückbleibe. Sowohl die Dublin II-VO als auch das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verböten, eine Überstellung eines Asylbewerbers mit dem Zwangsmittel einer Abschiebung durchzuführen.

9

Die Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung.

10

Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren nicht beteiligt.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Kläger ist unbegründet. Der Beschluss des Berufungsgerichts steht im Einklang mit revisiblem Recht. Die erhobene Anfechtungsklage ist statthaft (1.). Die Entscheidung der Beklagten, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (2.). Die angefochtene Abschiebungsanordnung erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen des § 34a Abs. 1 AsylG (3.).

12

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), beide Gesetze zuletzt geändert durch das Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. September 2007 - 10 C 8.07 - BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen, soweit nicht hiervon - wie im vorliegenden Fall in Bezug auf die maßgebliche Dublin-Verordnung - eine Abweichung aus Gründen des materiellen Rechts geboten ist.

13

1. Die Vorinstanzen haben mit Recht die Anfechtungsklage als die allein statthafte Klageart angesehen, wenn es - wie hier - um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin II-Verordnung geht (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat gestellten Asylantrags zuständig ist - ABl. L 50 S. 1).

14

Der Erhebung einer auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO steht entgegen, dass die Dublin II-Verordnung - Dublin II-VO - ein von der materiellen Prüfung eines Asylantrags gesondertes behördliches Verfahren für die Bestimmung des hierfür zuständigen Staats vorsieht (Art. 2 Buchst. e). Die Trennung der Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung und zur materiellen Prüfung des Asylbegehrens darf nicht dadurch umgangen werden, dass das Verwaltungsgericht im Fall der Aufhebung der Zuständigkeitsentscheidung sogleich über die Begründetheit des Asylantrags entscheidet (so auch VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 - A 11 S 1721/13 - InfAuslR 2014, 293 - juris Rn. 18). Vielmehr fordert das Dublin-Regelungswerk, dass im Fall einer vom Gericht für fehlerhaft erachteten Verpflichtung eines anderen Staats die für das Dublin-Verfahren zuständige Behörde - hier das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) - die Möglichkeit erhält, einen anderen Mitglied- oder Vertragsstaat, der nachrangig zuständig ist, um die Aufnahme oder Wiederaufnahme des Asylantragstellers zu ersuchen (vgl. EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. [ECLI:EU:C:2011:865], N.S. u.a. - Rn. 96 und vom 14. November 2013 - C-4/11 [ECLI:EU:C:2013:740], Puid - Rn. 33). Die Stellung eines solchen Ersuchens, das den Lauf von zuständigkeitsbegründenden Fristen auslöst, ist eine dem Bundesamt zugewiesene Aufgabe, die das Gericht im Fall des Durchentscheidens nicht erfüllen könnte (zur Notwendigkeit der Sicherung der dem Bundesamt zugewiesenen Steuerungsfunktion im Fall der gerichtlichen Überprüfung einer Einstellungsentscheidung nach §§ 32, 33 AsylG vgl. schon BVerwG, Urteil vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 - Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12).

15

Das Bundesamt hat in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids auch eine rechtsgestaltende Regelung über die Zulässigkeit der beiden Asylanträge nach § 27a AsylG getroffen, deren Aufhebung mit der Anfechtungsklage begehrt werden kann. Ungeachtet der gewählten Formulierung des Bundesamts ("Die Asylanträge sind unzulässig") liegt nicht lediglich eine Feststellung vor, sondern eine rechtsgestaltende Entscheidung über die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig, wie das § 31 Abs. 6 AsylG verlangt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - juris Rn. 12). Auch für die Aufhebung der in Ziffer 2 des Bescheids getroffenen Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart.

16

2. Die Entscheidung der Beklagten, die Asylanträge als unzulässig abzulehnen, verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

17

Dabei kann offenbleiben, ob die Beklagte bei Stellung ihres Ersuchens an Spanien in Bezug auf die Klägerin zu 1 die Frist nach Art. 17 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO zu beachten hatte und im Falle einer durch Fristversäumnis begründeten Zuständigkeit Spaniens für die Prüfung des Asylantrags der Klägerin zu 1 sich diese Zuständigkeit auch auf den Kläger zu 2 als mit der Klägerin zu 1 eingereistes minderjähriges Kind erstreckte (Art. 4 Abs. 3 Dublin II-VO). Denn auf eine etwaige Nichtbeachtung von Fristen für die Aufnahme oder Wiederaufnahme können sich die Kläger nicht berufen, weil die Fristenregelung für sie keine subjektiven Rechte begründet.

18

a) Zwar ist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend davon ausgegangen, dass die Drei-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO nur für Aufnahmegesuche gilt, nicht hingegen für Gesuche auf Wiederaufnahme von Asylantragstellern. Der Senat hat bereits entschieden, dass das Fehlen einer Fristvorgabe für die Stellung eines Wiederaufnahmeersuchens in der Dublin II-VO keine Regelungslücke darstellt, die durch eine analoge Anwendung von Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO zu schließen wäre (BVerwG, Beschluss vom 15. April 2014 - 10 B 17.14 - juris Rn. 13; vgl. auch Beschluss vom 21. Mai 2014 - 10 B 31.14 - juris Rn. 5). Es fehlt aber an hinreichenden tatrichterlichen Feststellungen, dass auch die Klägerin zu 1 - wie ihre Kinder - in Spanien einen Asylantrag gestellt hat und deshalb auch auf sie das Verfahren der Wiederaufnahme nach Art. 20 Dublin II-VO Anwendung findet. Hätte die Klägerin zu 1 in Spanien keinen Asylantrag gestellt, fänden auf sie die Dublin-Regeln über die Aufnahme Anwendung und die Beklagte hätte mit der Unterbreitung des Gesuchs an Spanien mehr als zehn Monate nach der Asylantragstellung die Drei-Monats-Frist des Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO verstreichen lassen. Damit wäre Deutschland für die Prüfung des Asylantrags zuständig.

19

b) Die Frage, ob die Klägerin zu 1 in Spanien einen Asylantrag gestellt hat, erweist sich jedoch nicht als entscheidungserheblich. Denn auf eine etwaige Nichtbeachtung der in diesem Fall zu beachtenden Drei-Monats-Frist für die Aufnahme nach Art. 17 Abs. 1 Satz 2 Dublin II-VO können sich die Kläger nicht berufen, weil die Fristenregelung für sie keine subjektiven Rechte begründet.

20

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat in seinem Urteil in der Rechtssache "Abdullahi" entschieden, dass in einer Situation wie der vorliegenden, in der der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme des Asylbewerbers zugestimmt hat, der Betroffene der Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen und den Asylbewerber in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen, nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der GRC ausgesetzt zu werden (EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013 - C-394/12 [ECLI:EU:C:2013:813], Abdullahi - Rn. 60). Derartige systemische Mängel sind im vorliegenden Verfahren für Spanien weder gerichtlich festgestellt noch von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen worden. In diesem Fall kann sich ein Asylbewerber nicht auf einen Fristablauf berufen, weil die Fristbestimmungen des Dublin-Regimes für die (Wieder-)Aufnahme lediglich als zwischen den Mitgliedstaaten wirkende Organisationsvorschriften anzusehen sind. Sie dienen einer zeitnahen Feststellung des zuständigen Mitgliedstaats, ohne dem Antragsteller dadurch einen Anspruch auf Prüfung des Asylantrags durch einen bestimmten Mitgliedstaat zu gewährleisten (so auch Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: März 2015, § 27a AsylVfG Rn. 65; Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, Stand: November 2014, § 27a AsylVfG Rn. 196.1.; Bergmann, ZAR 2015, 81 <84>). Ein erneuter Klärungsbedarf dieser Frage ergibt sich insoweit auch nicht aus zwei anhängigen Vorlageverfahren beim Gerichtshof der Europäischen Union, da sich diese nicht auf die Auslegung der hier maßgeblichen Dublin II-VO beziehen, sondern auf die Frage, ob die Rechtslage bei Anwendung der Dublin III-VO anders zu beurteilen ist (Vorlage der Rechtbank Den Haag/Niederlande vom 12. Februar 2015 - C-63/15 - Ghezelbash und Vorlage des Kammarrätten i Stockholm/Schweden vom 1. April 2015 - C-155/15 - Karim).

21

Unter welchen Voraussetzungen im Fall einer überlangen Verfahrensdauer eine Pflicht zum Selbsteintritt des ersuchenden Mitgliedstaats nach Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO besteht (vgl. dazu EuGH, Urteile vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 u.a. - Rn. 108 und vom 14. November 2013 - C-4/11 - Rn. 35), braucht nicht entschieden werden. Denn eine Verfahrensdauer von etwas mehr als elf Monaten von der Asylantragstellung bis zur Erteilung der Zustimmung zur Wiederaufnahme weist jedenfalls keine solche Überlänge auf.

22

c) Die Kläger können auch aus dem Recht auf eine gute Verwaltung gemäß Art. 41 Abs. 1 der GRC keinen Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch Deutschland ableiten. Denn in der Rechtsprechung des EuGH ist geklärt, dass sich dieses Recht nach seinem eindeutigen Wortlaut ausschließlich an die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richtet und nicht an die Mitgliedstaaten, selbst wenn diese Unionsrecht anwenden (EuGH, Urteil vom 11. Dezember 2014 - C-249/13 [ECLI:EU:C:2014:2431], Boudjlida - Rn. 32 m.w.N.).

23

d) Schließlich ergibt sich für die Kläger im Fall einer etwaigen Fristverletzung bei der Stellung eines Aufnahmegesuchs an Spanien auch aus Art. 6 Abs. 1 EMRK kein Anspruch auf Behandlung ihrer Asylanträge durch die Bundesrepublik Deutschland. Art. 6 Abs. 1 EMRK bezieht sich schon seinem Schutzbereich nach nicht auf das Verwaltungsverfahren vor dem Bundesamt, sondern enthält lediglich Verfahrensgarantien für Gerichtsverfahren und im Übrigen auch nur für solche Gerichtsverfahren, die zivilrechtliche Ansprüche oder strafrechtliche Anklagen betreffen. Hierzu gehören Streitigkeiten über Einreise, Aufenthalt und Ausweisung von Ausländern nicht (EGMR, Urteil vom 17. Mai 2011 - Nr. 43408/08, Izevbekhai u.a./Irland - NVwZ 2012, 686 Rn. 83; Entscheidung vom 24. März 2015 - Nr. 37074/13, Kerkez/Deutschland - EuGRZ 2015, 464 Rn. 40).

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3. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Abschiebungsanordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids zutreffend als rechtmäßig angesehen. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 34a Abs. 1 AsylG. Diese Vorschrift ist mit den unionsrechtlichen Bestimmungen des Dublin-Regelungswerks vereinbar, wie der Senat in seinem Urteil vom 17. September 2015 - 1 C 26.14 - näher ausgeführt hat. Auf die Gründe dieses Urteils wird verwiesen.

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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG; Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Bundesamt klärt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. Das Bundesamt unterrichtet den Ausländer frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Verfahrens, über seine Rechte und Pflichten im Verfahren, insbesondere über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung, sowie über freiwillige Rückkehrmöglichkeiten. Der Ausländer ist persönlich anzuhören. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, wenn das Bundesamt

1.
dem Asylantrag vollständig stattgeben will oder
2.
der Auffassung ist, dass der Ausländer aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall ist für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Umstände eine ärztliche Bestätigung erforderlich. Wird von einer Anhörung abgesehen, unternimmt das Bundesamt angemessene Bemühungen, damit der Ausländer weitere Informationen unterbreiten kann.
Von der Anhörung ist abzusehen, wenn der Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt und der Sachverhalt auf Grund des Inhalts der Verfahrensakten der Eltern oder eines Elternteils ausreichend geklärt ist. Die Tatsache, dass keine Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung nicht negativ beeinflussen. Die Entscheidung nach den Sätzen 4 und 7 ergeht nach Aktenlage.

(1a) Sucht eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig um Asyl nach und wird es dem Bundesamt dadurch unmöglich, die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung durchzuführen, so kann das Bundesamt die Anhörung vorübergehend von einer anderen Behörde, die Aufgaben nach diesem Gesetz oder dem Aufenthaltsgesetz wahrnimmt, durchführen lassen. Die Anhörung darf nur von einem dafür geschulten Bediensteten durchgeführt werden. Die Bediensteten dürfen bei der Anhörung keine Uniform tragen. § 5 Absatz 4 gilt entsprechend.

(2) Nach Stellung eines Asylantrags obliegt dem Bundesamt auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.

(3) Das Bundesamt unterrichtet die Ausländerbehörde unverzüglich über

1.
die getroffene Entscheidung und
2.
von dem Ausländer vorgetragene oder sonst erkennbare Gründe
a)
für eine Aussetzung der Abschiebung, insbesondere über die Notwendigkeit, die für eine Rückführung erforderlichen Dokumente zu beschaffen, oder
b)
die nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 des Aufenthaltsgesetzes der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen könnten.

(4) Eine Entscheidung über den Asylantrag ergeht innerhalb von sechs Monaten. Das Bundesamt kann die Frist auf höchstens 15 Monate verlängern, wenn

1.
sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben,
2.
eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig Anträge stellt, weshalb es in der Praxis besonders schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist nach Satz 1 abzuschließen oder
3.
die Verzögerung eindeutig darauf zurückzuführen ist, dass der Ausländer seinen Pflichten nach § 15 nicht nachgekommen ist.
Das Bundesamt kann die Frist von 15 Monaten ausnahmsweise um höchstens weitere drei Monate verlängern, wenn dies erforderlich ist, um eine angemessene und vollständige Prüfung des Antrags zu gewährleisten.

(5) Besteht aller Voraussicht nach im Herkunftsstaat eine vorübergehend ungewisse Lage, sodass eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, kann die Entscheidung abweichend von den in Absatz 4 genannten Fristen aufgeschoben werden. In diesen Fällen überprüft das Bundesamt mindestens alle sechs Monate die Lage in dem Herkunftsstaat. Das Bundesamt unterrichtet innerhalb einer angemessenen Frist die betroffenen Ausländer über die Gründe des Aufschubs der Entscheidung sowie die Europäische Kommission über den Aufschub der Entscheidungen.

(6) Die Frist nach Absatz 4 Satz 1 beginnt mit der Stellung des Asylantrags nach § 14 Absatz 1 und 2. Ist ein Antrag gemäß dem Verfahren nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) zu behandeln, so beginnt die Frist nach Absatz 4 Satz 1, wenn die Bundesrepublik Deutschland als für die Prüfung zuständiger Mitgliedstaat bestimmt ist. Hält sich der Ausländer zu diesem Zeitpunkt nicht im Bundesgebiet auf, so beginnt die Frist mit seiner Überstellung in das Bundesgebiet.

(7) Das Bundesamt entscheidet spätestens 21 Monate nach der Antragstellung nach § 14 Absatz 1 und 2.

(8) Das Bundesamt informiert den Ausländer für den Fall, dass innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung ergehen kann, über die Verzögerung und unterrichtet ihn auf sein Verlangen über die Gründe für die Verzögerung und den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist.

(1) Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht.

(2) Mit jedem Asylantrag wird die Anerkennung als Asylberechtigter sowie internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 beantragt. Der Ausländer kann den Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränken. Er ist über die Folgen einer Beschränkung des Antrags zu belehren. § 24 Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, hat an der Grenze um Asyl nachzusuchen (§ 18). Im Falle der unerlaubten Einreise hat er sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden (§ 22) oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen (§ 19). Der nachfolgende Asylantrag ist unverzüglich zu stellen.

(1) Das Bundesamt klärt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. Das Bundesamt unterrichtet den Ausländer frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Verfahrens, über seine Rechte und Pflichten im Verfahren, insbesondere über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung, sowie über freiwillige Rückkehrmöglichkeiten. Der Ausländer ist persönlich anzuhören. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, wenn das Bundesamt

1.
dem Asylantrag vollständig stattgeben will oder
2.
der Auffassung ist, dass der Ausländer aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall ist für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Umstände eine ärztliche Bestätigung erforderlich. Wird von einer Anhörung abgesehen, unternimmt das Bundesamt angemessene Bemühungen, damit der Ausländer weitere Informationen unterbreiten kann.
Von der Anhörung ist abzusehen, wenn der Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt und der Sachverhalt auf Grund des Inhalts der Verfahrensakten der Eltern oder eines Elternteils ausreichend geklärt ist. Die Tatsache, dass keine Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung nicht negativ beeinflussen. Die Entscheidung nach den Sätzen 4 und 7 ergeht nach Aktenlage.

(1a) Sucht eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig um Asyl nach und wird es dem Bundesamt dadurch unmöglich, die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung durchzuführen, so kann das Bundesamt die Anhörung vorübergehend von einer anderen Behörde, die Aufgaben nach diesem Gesetz oder dem Aufenthaltsgesetz wahrnimmt, durchführen lassen. Die Anhörung darf nur von einem dafür geschulten Bediensteten durchgeführt werden. Die Bediensteten dürfen bei der Anhörung keine Uniform tragen. § 5 Absatz 4 gilt entsprechend.

(2) Nach Stellung eines Asylantrags obliegt dem Bundesamt auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.

(3) Das Bundesamt unterrichtet die Ausländerbehörde unverzüglich über

1.
die getroffene Entscheidung und
2.
von dem Ausländer vorgetragene oder sonst erkennbare Gründe
a)
für eine Aussetzung der Abschiebung, insbesondere über die Notwendigkeit, die für eine Rückführung erforderlichen Dokumente zu beschaffen, oder
b)
die nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 des Aufenthaltsgesetzes der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen könnten.

(4) Eine Entscheidung über den Asylantrag ergeht innerhalb von sechs Monaten. Das Bundesamt kann die Frist auf höchstens 15 Monate verlängern, wenn

1.
sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben,
2.
eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig Anträge stellt, weshalb es in der Praxis besonders schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist nach Satz 1 abzuschließen oder
3.
die Verzögerung eindeutig darauf zurückzuführen ist, dass der Ausländer seinen Pflichten nach § 15 nicht nachgekommen ist.
Das Bundesamt kann die Frist von 15 Monaten ausnahmsweise um höchstens weitere drei Monate verlängern, wenn dies erforderlich ist, um eine angemessene und vollständige Prüfung des Antrags zu gewährleisten.

(5) Besteht aller Voraussicht nach im Herkunftsstaat eine vorübergehend ungewisse Lage, sodass eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, kann die Entscheidung abweichend von den in Absatz 4 genannten Fristen aufgeschoben werden. In diesen Fällen überprüft das Bundesamt mindestens alle sechs Monate die Lage in dem Herkunftsstaat. Das Bundesamt unterrichtet innerhalb einer angemessenen Frist die betroffenen Ausländer über die Gründe des Aufschubs der Entscheidung sowie die Europäische Kommission über den Aufschub der Entscheidungen.

(6) Die Frist nach Absatz 4 Satz 1 beginnt mit der Stellung des Asylantrags nach § 14 Absatz 1 und 2. Ist ein Antrag gemäß dem Verfahren nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) zu behandeln, so beginnt die Frist nach Absatz 4 Satz 1, wenn die Bundesrepublik Deutschland als für die Prüfung zuständiger Mitgliedstaat bestimmt ist. Hält sich der Ausländer zu diesem Zeitpunkt nicht im Bundesgebiet auf, so beginnt die Frist mit seiner Überstellung in das Bundesgebiet.

(7) Das Bundesamt entscheidet spätestens 21 Monate nach der Antragstellung nach § 14 Absatz 1 und 2.

(8) Das Bundesamt informiert den Ausländer für den Fall, dass innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung ergehen kann, über die Verzögerung und unterrichtet ihn auf sein Verlangen über die Gründe für die Verzögerung und den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist.

(1) Der Ausländer muss selbst die Tatsachen vortragen, die seine Furcht vor Verfolgung oder die Gefahr eines ihm drohenden ernsthaften Schadens begründen, und die erforderlichen Angaben machen. Zu den erforderlichen Angaben gehören auch solche über Wohnsitze, Reisewege, Aufenthalte in anderen Staaten und darüber, ob bereits in anderen Staaten oder im Bundesgebiet ein Verfahren mit dem Ziel der Anerkennung als ausländischer Flüchtling, auf Zuerkennung internationalen Schutzes im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 oder ein Asylverfahren eingeleitet oder durchgeführt ist.

(2) Der Ausländer hat alle sonstigen Tatsachen und Umstände anzugeben, die einer Abschiebung oder einer Abschiebung in einen bestimmten Staat entgegenstehen.

(3) Ein späteres Vorbringen des Ausländers kann unberücksichtigt bleiben, wenn andernfalls die Entscheidung des Bundesamtes verzögert würde. Der Ausländer ist hierauf und auf § 36 Absatz 4 Satz 3 hinzuweisen.

(4) Bei einem Ausländer, der verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, soll die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Asylantragstellung erfolgen. Einer besonderen Ladung des Ausländers und seines Bevollmächtigten bedarf es nicht. Entsprechendes gilt, wenn dem Ausländer bei oder innerhalb einer Woche nach der Antragstellung der Termin für die Anhörung mitgeteilt wird. Kann die Anhörung nicht an demselben Tag stattfinden, sind der Ausländer und sein Bevollmächtigter von dem Anhörungstermin unverzüglich zu verständigen.

(5) Bei einem Ausländer, der nicht verpflichtet ist, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, kann von der persönlichen Anhörung abgesehen werden, wenn der Ausländer einer Ladung zur Anhörung ohne genügende Entschuldigung nicht folgt. In diesem Falle ist dem Ausländer Gelegenheit zur schriftlichen Stellungnahme innerhalb eines Monats zu geben.

(6) Die Anhörung ist nicht öffentlich. An ihr können Personen, die sich als Vertreter des Bundes, eines Landes oder des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen ausweisen, teilnehmen. Der Ausländer kann sich bei der Anhörung von einem Bevollmächtigten oder Beistand im Sinne des § 14 des Verwaltungsverfahrensgesetzes begleiten lassen. Das Bundesamt kann die Anhörung auch dann durchführen, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand trotz einer mit angemessener Frist erfolgten Ladung nicht an ihr teilnimmt. Satz 4 gilt nicht, wenn der Bevollmächtigte oder Beistand seine Nichtteilnahme vor Beginn der Anhörung genügend entschuldigt. Anderen Personen kann der Leiter des Bundesamtes oder die von ihm beauftragte Person die Anwesenheit gestatten.

(7) Die Anhörung kann in geeigneten Fällen ausnahmsweise im Wege der Bild- und Tonübertragung erfolgen.

(8) Über die Anhörung ist eine Niederschrift aufzunehmen, die die wesentlichen Angaben des Ausländers enthält. Dem Ausländer ist eine Kopie der Niederschrift auszuhändigen oder mit der Entscheidung des Bundesamtes zuzustellen.

(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit der Fristsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 2 verbunden werden.

(2) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen

1.
Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen,
2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.

(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn

1.
ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und
2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Der Entschuldigungsgrund ist auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen. Satz 1 gilt nicht, wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.

(4) Abweichend von Absatz 3 hat das Gericht in Verfahren nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 15 und § 50 Absatz 1 Nummer 6 Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückzuweisen und ohne weitere Ermittlungen zu entscheiden, wenn der Beteiligte

1.
die Verspätung nicht genügend entschuldigt und
2.
über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Bundesamt klärt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. Das Bundesamt unterrichtet den Ausländer frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Verfahrens, über seine Rechte und Pflichten im Verfahren, insbesondere über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung, sowie über freiwillige Rückkehrmöglichkeiten. Der Ausländer ist persönlich anzuhören. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, wenn das Bundesamt

1.
dem Asylantrag vollständig stattgeben will oder
2.
der Auffassung ist, dass der Ausländer aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall ist für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Umstände eine ärztliche Bestätigung erforderlich. Wird von einer Anhörung abgesehen, unternimmt das Bundesamt angemessene Bemühungen, damit der Ausländer weitere Informationen unterbreiten kann.
Von der Anhörung ist abzusehen, wenn der Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt und der Sachverhalt auf Grund des Inhalts der Verfahrensakten der Eltern oder eines Elternteils ausreichend geklärt ist. Die Tatsache, dass keine Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung nicht negativ beeinflussen. Die Entscheidung nach den Sätzen 4 und 7 ergeht nach Aktenlage.

(1a) Sucht eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig um Asyl nach und wird es dem Bundesamt dadurch unmöglich, die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung durchzuführen, so kann das Bundesamt die Anhörung vorübergehend von einer anderen Behörde, die Aufgaben nach diesem Gesetz oder dem Aufenthaltsgesetz wahrnimmt, durchführen lassen. Die Anhörung darf nur von einem dafür geschulten Bediensteten durchgeführt werden. Die Bediensteten dürfen bei der Anhörung keine Uniform tragen. § 5 Absatz 4 gilt entsprechend.

(2) Nach Stellung eines Asylantrags obliegt dem Bundesamt auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.

(3) Das Bundesamt unterrichtet die Ausländerbehörde unverzüglich über

1.
die getroffene Entscheidung und
2.
von dem Ausländer vorgetragene oder sonst erkennbare Gründe
a)
für eine Aussetzung der Abschiebung, insbesondere über die Notwendigkeit, die für eine Rückführung erforderlichen Dokumente zu beschaffen, oder
b)
die nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 des Aufenthaltsgesetzes der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen könnten.

(4) Eine Entscheidung über den Asylantrag ergeht innerhalb von sechs Monaten. Das Bundesamt kann die Frist auf höchstens 15 Monate verlängern, wenn

1.
sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben,
2.
eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig Anträge stellt, weshalb es in der Praxis besonders schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist nach Satz 1 abzuschließen oder
3.
die Verzögerung eindeutig darauf zurückzuführen ist, dass der Ausländer seinen Pflichten nach § 15 nicht nachgekommen ist.
Das Bundesamt kann die Frist von 15 Monaten ausnahmsweise um höchstens weitere drei Monate verlängern, wenn dies erforderlich ist, um eine angemessene und vollständige Prüfung des Antrags zu gewährleisten.

(5) Besteht aller Voraussicht nach im Herkunftsstaat eine vorübergehend ungewisse Lage, sodass eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, kann die Entscheidung abweichend von den in Absatz 4 genannten Fristen aufgeschoben werden. In diesen Fällen überprüft das Bundesamt mindestens alle sechs Monate die Lage in dem Herkunftsstaat. Das Bundesamt unterrichtet innerhalb einer angemessenen Frist die betroffenen Ausländer über die Gründe des Aufschubs der Entscheidung sowie die Europäische Kommission über den Aufschub der Entscheidungen.

(6) Die Frist nach Absatz 4 Satz 1 beginnt mit der Stellung des Asylantrags nach § 14 Absatz 1 und 2. Ist ein Antrag gemäß dem Verfahren nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) zu behandeln, so beginnt die Frist nach Absatz 4 Satz 1, wenn die Bundesrepublik Deutschland als für die Prüfung zuständiger Mitgliedstaat bestimmt ist. Hält sich der Ausländer zu diesem Zeitpunkt nicht im Bundesgebiet auf, so beginnt die Frist mit seiner Überstellung in das Bundesgebiet.

(7) Das Bundesamt entscheidet spätestens 21 Monate nach der Antragstellung nach § 14 Absatz 1 und 2.

(8) Das Bundesamt informiert den Ausländer für den Fall, dass innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung ergehen kann, über die Verzögerung und unterrichtet ihn auf sein Verlangen über die Gründe für die Verzögerung und den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist.

(1) Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht.

(2) Mit jedem Asylantrag wird die Anerkennung als Asylberechtigter sowie internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 beantragt. Der Ausländer kann den Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränken. Er ist über die Folgen einer Beschränkung des Antrags zu belehren. § 24 Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, hat an der Grenze um Asyl nachzusuchen (§ 18). Im Falle der unerlaubten Einreise hat er sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden (§ 22) oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen (§ 19). Der nachfolgende Asylantrag ist unverzüglich zu stellen.

(1) Das Bundesamt klärt den Sachverhalt und erhebt die erforderlichen Beweise. Das Bundesamt unterrichtet den Ausländer frühzeitig in einer Sprache, deren Kenntnis vernünftigerweise vorausgesetzt werden kann, über den Ablauf des Verfahrens, über seine Rechte und Pflichten im Verfahren, insbesondere über Fristen und die Folgen einer Fristversäumung, sowie über freiwillige Rückkehrmöglichkeiten. Der Ausländer ist persönlich anzuhören. Von einer Anhörung kann abgesehen werden, wenn das Bundesamt

1.
dem Asylantrag vollständig stattgeben will oder
2.
der Auffassung ist, dass der Ausländer aufgrund dauerhafter Umstände, die sich seinem Einfluss entziehen, nicht zu einer Anhörung in der Lage ist. Im Zweifelsfall ist für die Feststellung der Dauerhaftigkeit der Umstände eine ärztliche Bestätigung erforderlich. Wird von einer Anhörung abgesehen, unternimmt das Bundesamt angemessene Bemühungen, damit der Ausländer weitere Informationen unterbreiten kann.
Von der Anhörung ist abzusehen, wenn der Asylantrag für ein im Bundesgebiet geborenes Kind unter sechs Jahren gestellt und der Sachverhalt auf Grund des Inhalts der Verfahrensakten der Eltern oder eines Elternteils ausreichend geklärt ist. Die Tatsache, dass keine Anhörung stattgefunden hat, darf die Entscheidung nicht negativ beeinflussen. Die Entscheidung nach den Sätzen 4 und 7 ergeht nach Aktenlage.

(1a) Sucht eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig um Asyl nach und wird es dem Bundesamt dadurch unmöglich, die Anhörung in zeitlichem Zusammenhang mit der Antragstellung durchzuführen, so kann das Bundesamt die Anhörung vorübergehend von einer anderen Behörde, die Aufgaben nach diesem Gesetz oder dem Aufenthaltsgesetz wahrnimmt, durchführen lassen. Die Anhörung darf nur von einem dafür geschulten Bediensteten durchgeführt werden. Die Bediensteten dürfen bei der Anhörung keine Uniform tragen. § 5 Absatz 4 gilt entsprechend.

(2) Nach Stellung eines Asylantrags obliegt dem Bundesamt auch die Entscheidung, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 des Aufenthaltsgesetzes vorliegt.

(3) Das Bundesamt unterrichtet die Ausländerbehörde unverzüglich über

1.
die getroffene Entscheidung und
2.
von dem Ausländer vorgetragene oder sonst erkennbare Gründe
a)
für eine Aussetzung der Abschiebung, insbesondere über die Notwendigkeit, die für eine Rückführung erforderlichen Dokumente zu beschaffen, oder
b)
die nach § 25 Abs. 3 Satz 2 Nummer 1 bis 4 des Aufenthaltsgesetzes der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegenstehen könnten.

(4) Eine Entscheidung über den Asylantrag ergeht innerhalb von sechs Monaten. Das Bundesamt kann die Frist auf höchstens 15 Monate verlängern, wenn

1.
sich in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht komplexe Fragen ergeben,
2.
eine große Zahl von Ausländern gleichzeitig Anträge stellt, weshalb es in der Praxis besonders schwierig ist, das Verfahren innerhalb der Frist nach Satz 1 abzuschließen oder
3.
die Verzögerung eindeutig darauf zurückzuführen ist, dass der Ausländer seinen Pflichten nach § 15 nicht nachgekommen ist.
Das Bundesamt kann die Frist von 15 Monaten ausnahmsweise um höchstens weitere drei Monate verlängern, wenn dies erforderlich ist, um eine angemessene und vollständige Prüfung des Antrags zu gewährleisten.

(5) Besteht aller Voraussicht nach im Herkunftsstaat eine vorübergehend ungewisse Lage, sodass eine Entscheidung vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, kann die Entscheidung abweichend von den in Absatz 4 genannten Fristen aufgeschoben werden. In diesen Fällen überprüft das Bundesamt mindestens alle sechs Monate die Lage in dem Herkunftsstaat. Das Bundesamt unterrichtet innerhalb einer angemessenen Frist die betroffenen Ausländer über die Gründe des Aufschubs der Entscheidung sowie die Europäische Kommission über den Aufschub der Entscheidungen.

(6) Die Frist nach Absatz 4 Satz 1 beginnt mit der Stellung des Asylantrags nach § 14 Absatz 1 und 2. Ist ein Antrag gemäß dem Verfahren nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31) zu behandeln, so beginnt die Frist nach Absatz 4 Satz 1, wenn die Bundesrepublik Deutschland als für die Prüfung zuständiger Mitgliedstaat bestimmt ist. Hält sich der Ausländer zu diesem Zeitpunkt nicht im Bundesgebiet auf, so beginnt die Frist mit seiner Überstellung in das Bundesgebiet.

(7) Das Bundesamt entscheidet spätestens 21 Monate nach der Antragstellung nach § 14 Absatz 1 und 2.

(8) Das Bundesamt informiert den Ausländer für den Fall, dass innerhalb von sechs Monaten keine Entscheidung ergehen kann, über die Verzögerung und unterrichtet ihn auf sein Verlangen über die Gründe für die Verzögerung und den zeitlichen Rahmen, innerhalb dessen mit einer Entscheidung zu rechnen ist.

(1) Ein Asylantrag liegt vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder einer sonstigen Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinne des § 3 Absatz 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Absatz 1 droht.

(2) Mit jedem Asylantrag wird die Anerkennung als Asylberechtigter sowie internationaler Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 beantragt. Der Ausländer kann den Asylantrag auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränken. Er ist über die Folgen einer Beschränkung des Antrags zu belehren. § 24 Absatz 2 bleibt unberührt.

(3) Ein Ausländer, der nicht im Besitz der erforderlichen Einreisepapiere ist, hat an der Grenze um Asyl nachzusuchen (§ 18). Im Falle der unerlaubten Einreise hat er sich unverzüglich bei einer Aufnahmeeinrichtung zu melden (§ 22) oder bei der Ausländerbehörde oder der Polizei um Asyl nachzusuchen (§ 19). Der nachfolgende Asylantrag ist unverzüglich zu stellen.

Tenor

Die Beklagte wird verpflichtet, den Klägern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.04.2016 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Tatbestand

 
Die Kläger begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
Die Kläger sind - bestätigt durch einen vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge untersuchten Zivilregisterauszug und eine ID-Card - syrische Staatsangehörige aus Ain Larouz. Die 1968 bzw. 1972 geborenen Kläger zu 1) und 2) sind die Eltern der 1998, 2000, 2004 und 2011 geborenen Kläger zu 3) bis 6). Eigenen Angaben zufolge verließen sie am 11.10.2015 ihr Heimatland und reisten über den Landweg kommend am 24.10.2015 in das Bundesgebiet ein, wo ihr Asylantrag am 01.02.2016 erfasst wurde. An diesem Tag führte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit den Klägern zu 1) und 2) ein persönliches Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats zur Durchführung des Asylverfahrens. Bei dieser Gelegenheit händigte das Bundesamt ihnen auch einen Fragebogen aus, um die Möglichkeit einzuräumen, „in einem beschleunigten, schriftlichen Verfahren die Gründe für [ihr] Schutzersuchen im Bundesgebiet darzulegen“. Das Ausfüllen des Fragebogens sei freiwillig, es bestehe aber die Möglichkeit einer „deutlichen zeitlichen Verkürzung“ des Asylverfahrens, wenn sich aus der schriftlichen Erklärung und den vorgelegten Unterlagen ergebe, dass dem Schutzersuchen stattgegeben werden könne; das Bundesamt habe in nahezu allen Fällen, in denen die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig sei, syrischen Staatsangehörigen Schutz gewährt. Der Kläger zu 1) beantwortete vor Ort unter Zuhilfenahme des anwesenden Dolmetschers die Formularfragen schriftlich im Ankreuzverfahren. U.a. erklärte er dabei sein Einverständnis mit einer Beschränkung seines Antrags auf die Feststellung von Flüchtlingsschutz, den er der Formulierung des Fragebogens zufolge ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren erhalten könne. Die Frage, ob er Dokumente zu Gefahren vorlegen könne, die ihm in Syrien drohten, verneinte er, gab aber in diesem Zusammenhang an, sie seien „in die Mitte“ zwischen Regime und Regimegegner geraten. Er sei weder Berufssoldat noch Angehöriger von Sicherheitsbehörden oder Polizei noch Mitglied einer nichtstaatlichen bewaffneten Gruppe gewesen; von Beruf sei er selbstständiger Fahrer. Er sei nicht Augenzeuge von Kriegsverbrechen oder Übergriffen von kämpfenden Einheiten auf die Zivilbevölkerung geworden. Die Klägerin zu 2) machte im Wesentlichen gleiche (schriftliche) Angaben. Beide äußerten ihre Befürchtung, wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe Verfolgung zu gewärtigen.
Ohne die Kläger zuvor persönlich anzuhören, erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Entscheidungszentrum West, Bonn - ihnen mit Bescheid vom 06.04.2016, zugestellt am 11.04.2016, den subsidiären Schutzstatus zu, lehnte die Asylanträge im Übrigen jedoch ab. Zur Begründung hieß es zunächst einleitend, die „Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaften“ erfolge auf der Grundlage eines schriftlichen Verfahrens. Aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 und 3 AsylG drohe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft lägen jedoch nicht vor. Eine individuelle Begründung für die letztgenannte Annahme enthielt der Bescheid nicht.
Mit Bescheid vom 08.04.2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg einer weiteren, am 07.09.1996 geborenen Tochter der Kläger zu 1) und 2) (A.) unter dem Gesch.-Z. 6517620-475 die Flüchtlingseigenschaft zu, obwohl sie auch im Rubrum des Bescheids vom 06.04.2016 mit aufgeführt war. Diese Tochter war mit den Klägern eingereist und hatte mit diesen gleichfalls am 01.02.2016 identische (schriftliche) Angaben gemacht. Im Anerkennungsbescheid vom 08.04.2016 hieß es zur Begründung lediglich, aufgrund des ermittelten Sachverhalts sei davon auszugehen, dass die Furcht der Tochter vor Verfolgung begründet sei. In einem begleitenden Aktenvermerk des Bundesamts zu den Gründen für die positive Entscheidung zu § 3 AsylG hieß es, in allen Landesteilen Syriens könne Verfolgung im Sinne von § 3 AsylG in hohem Maße stattfinden. Die syrische Regierung könne in den von ihr kontrollierten Gebieten als Akteur zielgerichteter Verfolgung in Betracht kommen. Gleiches gelte für den Islamischen Staat, die Partei der Demokratischen Union (PYD) bzw. die Volksverteidigungseinheiten (YPG) und andere Oppositionsgruppierungen, die in den von ihnen verwalteten Gebieten als Verfolgungsakteure in Betracht kämen. Verfolgungshandlungen oder Übergriffe durch Dritte, z.B. Islamisten, Aufständische, Terroristen, hätten typischerweise zum Ziel, die Situation im Land weiter zu destabilisieren und Mängel der Ordnungs- und Sicherungsmacht der bestehenden Regierung bloßzustellen.
Die Kläger haben am 12.04.2016 beim Verwaltungsgericht Sigmaringen Klage gegen den Bescheid vom 06.04.2016 erhoben. Zu deren Begründung tragen sie im Wesentlichen vor, der angefochtene Bescheid sei bereits widersprüchlich, wenn einerseits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in einem schriftlichen Verfahren erfolgen solle, diese aber zugleich abgelehnt werde. Ferner seien die Kläger - obwohl erforderlich - nicht persönlich angehört worden. Es liege im Übrigen ein objektiver Nachfluchtgrund vor. Die Kläger hätten Syrien unerlaubt verlassen. Das syrische Regime unterstelle jedem syrischen Staatsangehörigen, der die Regierung im Kampf gegen die Rebellen nicht unterstütze, ein Regimegegner zu sein.
Die Kläger beantragen schriftsätzlich,
die Beklagte zu verpflichten, ihnen die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen und den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.04.2016 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
10 
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung. Ergänzend trägt sie zuletzt vor, schwerwiegende Gründe sprächen gegen die Annahme, Flüchtlingen aus Syrien drohe - ohne Hinzutreten individueller Gründe - im Fall einer Rückkehr allein aufgrund ihrer illegalen Ausreise, der Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung. Hierzu bezieht sie sich auf obergerichtliche Entscheidungen zur Zulassung von Berufungen.
11 
Mit Beschluss vom 04.08.2016 hat die Kammer den Rechtsstreit zunächst dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, der sodann mit Beschlüssen vom gleichen Tag sowie vom 22.08.2016 das Verfahren hinsichtlich der damals noch im Rubrum geführten Tochter A. abgetrennt und eingestellt hat, nachdem die Beteiligten diesen Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt hatten. Mit Beschluss vom 26.10.2016 wurde den Klägern Prozesskostenhilfe bewilligt. Mit Beschluss vom 11.11.2016 hat der Einzelrichter den Rechtsstreit nach § 76 Abs. 3 AsylG auf die Kammer zurückübertragen, nachdem zwischenzeitlich Obergerichte im Bundesgebiet Berufungen in vergleichbaren Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen hatten.
12 
Der Kammer liegen die Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge - auch zur Tochter A. - vor (zwei Bände), ebenso die Gerichtsakte des abgetrennten Verfahrens A 5 K 3023/16. Darauf, wie auch auf den Inhalt der Gerichtsakte wird wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
13 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens der Kläger individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
14 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkten Klagen sind zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.04.2016 ist bereits formell rechtswidrig (dazu A.). Die Kläger haben darüber hinaus aber ohnehin zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch einen materiellen Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, dazu B.). Soweit der Bescheid vom 06.04.2016 dem entgegensteht und zum Gegenstand des Klageantrags gemacht wurde, verletzt er die Kläger in ihren Rechten und ist daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
A.
15 
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Antrag der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in verfahrensfehlerhafter Weise abgelehnt. Die Kläger wurden in formell rechtswidriger Weise vor der Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über ihren Asylantrag entgegen § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG nicht persönlich angehört.
16 
§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG verpflichtet die Beklagte, die Kläger vor der Entscheidung über ihren Asylantrag persönlich anzuhören. Mit dieser Pflicht korrespondiert nicht nur ein subjektives Recht eines Asylbewerbers auf eine persönliche Anhörung (Fränkel, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 24 AsylG, Rn. 14); diese bildet mit Rücksicht auf die das Asylverfahren typischerweise prägenden besonderen Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsfeststellung vielmehr das Kernstück der Ermittlungen und des gesamten behördlichen Verfahrens (Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 24 AsylVfG, Rn. 8; VG München, Urteil vom 17.02.2016 - M 2 K 15.31625 -, Juris).
17 
Hier konnte auch nicht in Anwendung von § 24 Abs. 1 Satz 5 AsylG von einer Anhörung abgesehen werden. Die Kläger zu 1) und 2) haben zwar in dem von ihnen ausgefüllten Fragebögen formularmäßig bekundet, dass sie ein „beschleunigtes Verfahren“ wünschten; damit haben sie - wie von der Beklagten erstrebt - ihren Asylantrag nach § 13 Abs. 2 Satz 2 AsylG auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkt. Auch in diesem Fall ist eine Anhörung jedoch nur entbehrlich, wenn das Bundesamt einem solchermaßen beschränkten Asylantrag stattgeben will (§ 24 Abs. 1 Satz 5 AsylG). Hier hat das Bundesamt jedoch nur subsidiären Schutz gewährt und den weiter gehenden Antrag in Nr. 2 des Bescheidtenors (im Übrigen umfänglich und - trotz der erklärten Beschränkung - auch bezogen auf Art. 16a GG) abgelehnt. Dies steht zudem auch explizit nicht mit dem Inhalt der den Klägern nach § 13 Abs. 1 Satz 3 AsylG zuvor erteilten Belehrung in Übereinstimmung. Unter Nr. 3 des am 01.02.2016 ausgefüllten Fragebogens hieß es dazu einleitend, die Beschränkung des Asylantrags bedeute, „dass [die Kläger] ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren den Flüchtlingsstatus erhalten könnten.“ Dadurch entstünden ihnen auch keine Nachteile, denn die Rechtsfolgen einer Asyl- und einer Flüchtlingsanerkennung seien gleich; die Prüfung eines Anspruchs auf Asylanerkennung nehme nur mehr Zeit in Anspruch. Die Kläger haben vor diesem Hintergrund mit ihrer Beschränkung in keiner Weise erklärt, dass sie auch mit der „bloßen“ Gewährung subsidiären Schutzes ohne persönliche Anhörung einverstanden wären. Noch dazu in der Zusammenschau mit dem (im Tatbestand bereits wiedergegebenen) Inhalt des dem Fragebogen beigefügten Anschreibens vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen, aus welchen rechtlich anerkennenswerten Gründen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hier von einer persönlichen Anhörung der Kläger hätte absehen können.
18 
Gleichwohl sieht die Kammer von einer Zurückverweisung der Sache an das Bundesamt durch bloße Aufhebung des Bescheids vom 06.04.2016 in Anwendung von § 113 Abs. 3 VwGO ab. Das Verwaltungsgericht hat in Asylverfahren grundsätzlich alle für die Entscheidung maßgebenden tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs in eigener Verantwortung festzustellen und ist gehalten, die Streitsache im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO in vollem Umfang spruchreif zu machen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 - 9 C 28.97 -, Juris; Beschluss vom 14.05.1982 - 9 B 179.82 -, DVBl. 1983, 33). Im Asylverfahren, das im Wesentlichen nur gebundene Entscheidungen kennt, kann allein eine fehlende Anhörung die Aufhebung eines Bescheids nicht ohne Weiteres rechtfertigen (vgl. § 46 VwVfG), weshalb von der Ausnahmeregelung in § 113 Abs. 3 VwGO „zurückhaltend Gebrauch zu machen ist“ (BayVGH, Beschluss vom 08.10.2012 - 21 ZB 12.30312 -, Juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.04.1997 - 23 A 2412/96.A -, Juris; HessVGH, Beschluss vom 26.03.1991 - 12 TG 2541/90 -, Juris). Hier kann der Rechtsstreit in erster Instanz auf der Grundlage der Rechtsauffassung der Kammer auch ohne persönliche Anhörung der Kläger und ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung - für die Kläger positiv - „durchentschieden“ werden, sodass für eine Zurückverweisung im dargelegten Sinn keine Veranlassung besteht.
B.
19 
Die Kläger haben jeweils einen eigenständigen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
I.
20 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
21 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
22 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
23 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
24 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
25 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
26 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
27 
Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor. Ob insbesondere - aber nicht nur - die Kläger zu 1) und 2) sowie der im Laufe des gerichtlichen Verfahrens volljährig gewordene Kläger zu 3) auch ein individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen können, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte, kann dabei offen bleiben. Das Bundesamt hat sie hierzu - obwohl geboten - nicht angehört. Zur Herstellung der erforderlichen Spruchreife bedarf es auf der Grundlage der nachfolgend entwickelten Rechtsauffassung der Kammer aber auch keiner Anhörung der Kläger in einer mündlichen Verhandlung; ihnen würden nämlich schon unabhängig von einem ggf. noch festzustellenden Vorverfolgungsgeschehen im (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die ihre diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen und die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihnen aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens ihrer Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
28 
1. Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
29 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
30 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
31 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
32 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
33 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
34 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
35 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
36 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
37 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
38 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
39 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
40 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
41 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
42 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
43 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
44 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
45 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
46 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
47 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
48 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
49 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
50 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
51 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
52 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
53 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
54 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
55 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
56 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
57 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
58 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
59 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
60 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
61 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
62 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
63 
2. Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie die Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
64 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
65 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
66 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
67 
a) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
68 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
69 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
70 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
71 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
72 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
73 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
74 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
75 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
76 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
77 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
78 
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
79 
Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
80 
In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
81 
In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
82 
Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
83 
http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
84 
Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
85 
b) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu aa)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu bb)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu cc)).
86 
aa) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
87 
Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
88 
bb) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
89 
Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
90 
Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
91 
cc) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
92 
Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
93 
„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
94 
Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
95 
Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
96 
In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
97 
Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
98 
Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
99 
Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für die Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
100 
Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
101 
Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
102 
Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
103 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
104 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
105 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
106 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
107 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
108 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
109 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
110 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
111 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
112 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
113 
c) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
114 
d) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG können die Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom ihnen vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
115 
3. In gleicher Weise ist auch die Verfolgungsfurcht der noch minderjährigen Kläger zu 4), 5) und 6) eigenständig begründet. Sie müssen sich nicht auf die Inanspruchnahme von Familienasyl nach einer etwaigen Bestandskraft der Anerkennung ihrer Eltern (vgl. dazu nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.06.1995 - A 14 S 1686/94 -, VGHBW-Ls 1995, Beilage 10, B5; anders: VG München, Urteil vom 17.03.2016 - M 22 K 15.30256 -, Juris) verweisen lassen.
116 
Zur Überzeugung der Kammer sind mit ihren Eltern in das westeuropäische Ausland ausgereiste Kinder im (hypothetischen) Fall einer Rückkehr gleichermaßen gefährdet. Dem U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria) zufolge ist auch weiterhin eine beträchtliche Anzahl von Berichten über außerordentlich brutale Fälle des Missbrauchs von Kindern seitens der syrischen Regierung zu verzeichnen (S. 8, 47); regelmäßig würden Ingewahrsamnahmen und Folterungen von Kindern unter 13 Jahren - in einigen Fällen bei Elfjährigen - geschildert. Dabei würden sie gezielt wegen ihrer tatsächlichen oder nur vermuteten familiären Beziehungen zu Dissidenten, Mitgliedern der Freien Syrischen Armee oder Aktivistengruppen gefoltert. Ihnen gegenüber würden die gleichen Methoden wie bei Erwachsenen angewendet. Über sie sollte z.T. Druck auf ihre Eltern ausgeübt werden. Auch das Immigration and Refugee Board of Canada (Bericht vom 19.01.2016, a.a.O.) berichtet beispielsweise davon, dass bei Einreisen über Grenzkontrollpunkte überprüft werde, ob Familienangehörige des Einreisenden gesucht seien; für diesen Fall komme es zu Ingewahrsamnahmen und „Verschwindens“-Fällen, um Druck auf die Gesuchten auszuüben, was die sippenhaftähnlichen Verhältnisse vor Ort illustriert. Auch die Schnellrecherche der SFH vom 10.09.2015 mit dem Titel „Reflexverfolgung“ fasst Erkenntnisse zusammen, denen zufolge Personen vielfach aufgrund ihrer familiären Zugehörigkeit Opfer zielgerichteter Verfolgung wurden; Familienangehörige würden verhaftet und gefoltert, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen. Auch Kinder sollen von derartigen Maßnahmen betroffen gewesen sein, Frauen würden auch zur gezielten Demütigung ihrer männlichen Verwandten gefangen genommen. Das so umrissene Vorgehen werde weiterhin systematisch angewandt. Der UNHCR stellt in seinen bereits zitierten Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01, S. 12, 15), heraus, dass eine Besonderheit des Konflikts in Syrien gerade in dem Umstand bestehe, dass oftmals größeren Personengruppen eine politische Meinung schlicht undifferenziert unterstellt werde; Kinder seien nicht nur massiv von den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land betroffen, sondern würden auch vielfach festgenommen, entführt, gefoltert oder Opfer sexueller Gewalt (S. 15). Mit Blick auf die bereits mehrfach betonte Rücksichtslosigkeit des Vorgehens des syrischen Regimes, das selbst Kliniken unter Beschuss nimmt, hält es die Kammer vor diesem Hintergrund auch für beachtlich wahrscheinlich, dass Kinder bei einer Rückkehr nach Syrien am Flughafen oder an anderen Grenzkontrollpunkten entweder selbst einer mit Verfolgungshandlungen verbundenen Befragung unterzogen werden oder aber bei der Befragung ihrer Eltern in menschenrechtswidriger Weise instrumentalisiert und ggf. gefoltert werden, um Druck auf ihre Verwandten auszuüben.
117 
Die vorstehenden Erwägungen gelten gleichermaßen für den derzeit 16-jährigen männlichen Kläger zu 4), der bereits ein Alter erreicht hat, das womöglich sogar die Mobilisierung für Kampfhandlungen erwarten ließe. In diesem Alter kann ihm seitens des syrischen Regimes auch bereits die Bildung einer politischen Überzeugung zugeschrieben werden, sodass ihm persönlich die illegale Ausreise und der längere Aufenthalt in Deutschland als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung angelastet werden kann.
118 
Auch für den derzeit 12-jährigen männlichen Kläger zu 5) hält die Kammer eine individuelle Verfolgungsfurcht nach den vorstehenden Ausführungen für begründet, auch wenn er selbst noch nicht mit dem Begehren der Teilnahme an Kampfhandlungen oder Militärdiensten konfrontiert werden dürfte. Immerhin befindet auch er sich in einem Alter, in dem Jugendliche schon eine gewisse eigenständige geistige Reife aufweisen können; sein männliches Geschlecht dürfte ihn dabei in gesteigertem Maße vulnerabel für Verfolgungshandlungen der syrischen Sicherheitskräfte machen.
119 
Letztlich ist die Kammer ebenso der Überzeugung, dass auch der fünfjährigen Klägerin zu 6) mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die in ihrem Fall - wie im Übrigen auch ohnehin bei ihren Geschwistern - daran ansetzen würden, über Misshandlungen ihrer Person Druck auf ihre Eltern ausüben zu können. Dabei ist in ihrem Fall nicht maßgeblich, dass sie wegen ihres Alters noch nicht in der Lage ist, sich eine politische Überzeugung zu bilden (so aber beispielhaft etwa VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -, Juris; VG Magdeburg, Urteil vom 18.10.2016 - 9 A 464/16 MD -, Juris).
120 
All diese Verfolgungshandlungen gegenüber den Klägern zu 4) bis 6) würden wegen des Bezugsrahmens zu ihren Eltern nämlich auch die erforderliche Asylrelevanz aufweisen. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge (vgl. Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) kann eine politische Verfolgung bereits dann zu bejahen sein, wenn der Betroffene nicht einmal nach der Überzeugung des Verfolgers Träger oder Inhaber des asylerheblichen Merkmals ist, er aber etwa als Mittel zur Verfolgung dritter Personen eingesetzt wird. Es reicht, wenn er lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dies wäre hier der Fall.
121 
4. Ob den Klägern zu 1) und 3), die sich zwar nicht unmittelbar im Altersspektrum der allgemeinen Wehrpflicht befinden, wohl aber im dienstfähigen Alter sind, darüber hinaus eine Zwangsrekrutierung durch die syrische Armee droht, kann offen bleiben (vgl. dazu das Urteil der Kammer vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -). Jedenfalls wirkt sich dieser Umstand bei ihnen - ohne dass es darauf noch ankäme - Risiko erhöhend aus.
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO, § 83b AsylG.

Gründe

 
13 
Nach entsprechendem Einverständnis der Beteiligten - seitens der Kläger individuell, seitens der Beklagten durch allgemeine Prozesserklärung vom 24.03.2016 übermittelt - entscheidet die Kammer ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
14 
Die auf die Verpflichtung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft beschränkten Klagen sind zulässig und begründet. Der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 06.04.2016 ist bereits formell rechtswidrig (dazu A.). Die Kläger haben darüber hinaus aber ohnehin zu dem gemäß § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch einen materiellen Anspruch nach § 3 Abs. 1 AsylG113 Abs. 5 Satz 1 VwGO, dazu B.). Soweit der Bescheid vom 06.04.2016 dem entgegensteht und zum Gegenstand des Klageantrags gemacht wurde, verletzt er die Kläger in ihren Rechten und ist daher aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
A.
15 
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den Antrag der Kläger auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft in verfahrensfehlerhafter Weise abgelehnt. Die Kläger wurden in formell rechtswidriger Weise vor der Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über ihren Asylantrag entgegen § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG nicht persönlich angehört.
16 
§ 24 Abs. 1 Satz 3 AsylG verpflichtet die Beklagte, die Kläger vor der Entscheidung über ihren Asylantrag persönlich anzuhören. Mit dieser Pflicht korrespondiert nicht nur ein subjektives Recht eines Asylbewerbers auf eine persönliche Anhörung (Fränkel, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Aufl. 2016, § 24 AsylG, Rn. 14); diese bildet mit Rücksicht auf die das Asylverfahren typischerweise prägenden besonderen Schwierigkeiten bei der Sachverhaltsfeststellung vielmehr das Kernstück der Ermittlungen und des gesamten behördlichen Verfahrens (Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Aufl. 2016, § 24 AsylVfG, Rn. 8; VG München, Urteil vom 17.02.2016 - M 2 K 15.31625 -, Juris).
17 
Hier konnte auch nicht in Anwendung von § 24 Abs. 1 Satz 5 AsylG von einer Anhörung abgesehen werden. Die Kläger zu 1) und 2) haben zwar in dem von ihnen ausgefüllten Fragebögen formularmäßig bekundet, dass sie ein „beschleunigtes Verfahren“ wünschten; damit haben sie - wie von der Beklagten erstrebt - ihren Asylantrag nach § 13 Abs. 2 Satz 2 AsylG auf die Zuerkennung internationalen Schutzes beschränkt. Auch in diesem Fall ist eine Anhörung jedoch nur entbehrlich, wenn das Bundesamt einem solchermaßen beschränkten Asylantrag stattgeben will (§ 24 Abs. 1 Satz 5 AsylG). Hier hat das Bundesamt jedoch nur subsidiären Schutz gewährt und den weiter gehenden Antrag in Nr. 2 des Bescheidtenors (im Übrigen umfänglich und - trotz der erklärten Beschränkung - auch bezogen auf Art. 16a GG) abgelehnt. Dies steht zudem auch explizit nicht mit dem Inhalt der den Klägern nach § 13 Abs. 1 Satz 3 AsylG zuvor erteilten Belehrung in Übereinstimmung. Unter Nr. 3 des am 01.02.2016 ausgefüllten Fragebogens hieß es dazu einleitend, die Beschränkung des Asylantrags bedeute, „dass [die Kläger] ohne eine persönliche Anhörung in einem beschleunigten Verfahren den Flüchtlingsstatus erhalten könnten.“ Dadurch entstünden ihnen auch keine Nachteile, denn die Rechtsfolgen einer Asyl- und einer Flüchtlingsanerkennung seien gleich; die Prüfung eines Anspruchs auf Asylanerkennung nehme nur mehr Zeit in Anspruch. Die Kläger haben vor diesem Hintergrund mit ihrer Beschränkung in keiner Weise erklärt, dass sie auch mit der „bloßen“ Gewährung subsidiären Schutzes ohne persönliche Anhörung einverstanden wären. Noch dazu in der Zusammenschau mit dem (im Tatbestand bereits wiedergegebenen) Inhalt des dem Fragebogen beigefügten Anschreibens vermag die Kammer nicht nachzuvollziehen, aus welchen rechtlich anerkennenswerten Gründen das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hier von einer persönlichen Anhörung der Kläger hätte absehen können.
18 
Gleichwohl sieht die Kammer von einer Zurückverweisung der Sache an das Bundesamt durch bloße Aufhebung des Bescheids vom 06.04.2016 in Anwendung von § 113 Abs. 3 VwGO ab. Das Verwaltungsgericht hat in Asylverfahren grundsätzlich alle für die Entscheidung maßgebenden tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs in eigener Verantwortung festzustellen und ist gehalten, die Streitsache im Sinne des § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO in vollem Umfang spruchreif zu machen (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 10.02.1998 - 9 C 28.97 -, Juris; Beschluss vom 14.05.1982 - 9 B 179.82 -, DVBl. 1983, 33). Im Asylverfahren, das im Wesentlichen nur gebundene Entscheidungen kennt, kann allein eine fehlende Anhörung die Aufhebung eines Bescheids nicht ohne Weiteres rechtfertigen (vgl. § 46 VwVfG), weshalb von der Ausnahmeregelung in § 113 Abs. 3 VwGO „zurückhaltend Gebrauch zu machen ist“ (BayVGH, Beschluss vom 08.10.2012 - 21 ZB 12.30312 -, Juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.04.1997 - 23 A 2412/96.A -, Juris; HessVGH, Beschluss vom 26.03.1991 - 12 TG 2541/90 -, Juris). Hier kann der Rechtsstreit in erster Instanz auf der Grundlage der Rechtsauffassung der Kammer auch ohne persönliche Anhörung der Kläger und ohne die Durchführung einer mündlichen Verhandlung - für die Kläger positiv - „durchentschieden“ werden, sodass für eine Zurückverweisung im dargelegten Sinn keine Veranlassung besteht.
B.
19 
Die Kläger haben jeweils einen eigenständigen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.
I.
20 
Die Flüchtlingseigenschaft ist einem Ausländer zuzuerkennen, der Flüchtling ist (§ 3 Abs. 1 AsylG, § 60 Abs. 1 AufenthG), sofern er nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG erfüllt (§ 3 Abs. 4 AsylG). Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) - Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) - ist der Ausländer gemäß § 3 Abs. 1 AsylG, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Dabei sind die in § 3 Abs. 2 und 3 AsylG aufgeführten Ausschlussgründe zu beachten.
21 
Als Verfolgungshandlung gelten nach § 3a Abs. 1 AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen nach Art. 15 Abs. 2 der Konvention vom 04. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685, 953) - EMRK - keine Abweichung zulässig ist (Nr. 1), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der in Nummer 1 beschriebenen Weise betroffen ist (Nr. 2).
22 
Zwischen den in § 3 Abs. 1 i.V.m. § 3b AsylG genannten Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Die Verfolgung kann vom Staat sowie den weiteren in § 3c AsylG im Einzelnen aufgezählten Akteuren ausgehen. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt.
23 
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 19.09.2013 - A 11 S 689/13 -, Juris). Dieser aus dem Tatbestandsmerkmal „... aus der begründeten Furcht vor Verfolgung ...“ des Art. 2 lit. d) der Richtlinie 2011/95/EU vom 13.12.2011 - QRL - abzuleitende Maßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr abstellt („real risk“); dieser Maßstab ist kein anderer als der der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Er setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des gesamten zur Prüfung gestellten und relevanten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende bzw. bewertende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Entscheidend ist, ob aus der Sicht eines vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen gerade in der Lage des konkreten Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände eine Rückkehr in den Heimatstaat als unzumutbar einzuschätzen ist.
24 
Nach Art. 4 Abs. 4 QRL ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, in diesem Zusammenhang ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird. Diese Regelung ist bei der gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des Merkmals „begründete Furcht“ weiterhin zu beachten, auch wenn auf sie - anders als nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG in der bis zum 30.11.2013 gültigen Fassung - in §§ 3 ff. AsylG oder § 60 AufenthG nicht ausdrücklich Bezug genommen wird (Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 01.04.2016, § 3 AsylG, zu Abs. 1 Nr. 3.2).
25 
Dabei kann eine Bedrohung i.S.d. § 3 AsylG nach § 28 Abs. 1a AsylG gleichermaßen auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Ausländer das Herkunftsland verlassen hat, insbesondere auch auf einem Verhalten des Ausländers, das Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung ist. Art. 5 Abs. 2 der RL 2004/83/EG bzw. RL 2011/95/EU, der mit § 28 Abs. 1a AsylG in deutsches Recht umgesetzt wird, besagt, dass die begründete Furcht vor Verfolgung oder die tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, auf Aktivitäten des Antragstellers seit Verlassen des Herkunftslandes beruhen kann, insbesondere wenn die Aktivitäten, auf die er sich stützt, nachweislich Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsland bestehenden Überzeugung oder Ausrichtung sind. Für subjektive Nachfluchttatbestände, die bereits während des Erstverfahrens verwirklicht worden sind, greift damit kein Filter. Für die Flüchtlingsanerkennung müssen diese - anders als bei der Asylanerkennung gemäß § 28 Abs. 1 AsylG - nicht einmal auf einer festen, bereits im Herkunftsland erkennbar betätigten Überzeugung beruhen. Erst in dem (erfolglosen) Abschluss des Erstverfahrens liegt eine entscheidende zeitliche Zäsur; für nach diesem Zeitpunkt selbst geschaffene Nachfluchtgründe wird ein Missbrauch der Inanspruchnahme des Flüchtlingsschutzes in der Regel vermutet (BVerwG, Urteil vom 18.12.2008 - 10 C 27.07 -, BVerwGE 133, 31). Im flüchtlingsrechtlichen Erstverfahren - wie hier - ist die Anerkennung subjektiver Nachfluchtgründe dagegen nicht begrenzt (BVerwG, Urteil vom 05.03.2009 - 10 C 51.07 -, BVerwGE 133, 221; Urteil vom 24.09.2009 - 10 C 25.08 -, BVerwGE 135, 49; vgl. zu alledem nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 03.11.2011 - A 8 S 1116/11 -, EzAR-NF 62, Nr. 26)
26 
Wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich der Asylbewerber vielfach befindet, genügt es bei alledem, dass er die Gefahr politischer Verfolgung glaubhaft macht (BVerwG, Urteil vom 16.04.1985 - 9 C 109.84 -, NVwZ 1985, 658, 660). Dem Asylbewerber obliegt es dabei, unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern (BVerwG, Urteil vom 24.03.1987 - 9 C 321.85 -, NVwZ 1987, 701 und Beschluss vom 26.10.1989 - 9 B 405.89 -, InfAuslR 1990, 38, 39). Das Gericht muss auch in Asylstreitigkeiten die volle Überzeugung von der Wahrheit des von einem Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus der er seine Furcht vor politischer Verfolgung herleitet (BVerwG, Beschluss vom 21.07.1989 - 9 B 239.89 -, Juris).
II.
27 
Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vor. Ob insbesondere - aber nicht nur - die Kläger zu 1) und 2) sowie der im Laufe des gerichtlichen Verfahrens volljährig gewordene Kläger zu 3) auch ein individuelles Vorverfolgungsschicksal geltend machen können, das Beweiserleichterungen nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen tragen könnte, kann dabei offen bleiben. Das Bundesamt hat sie hierzu - obwohl geboten - nicht angehört. Zur Herstellung der erforderlichen Spruchreife bedarf es auf der Grundlage der nachfolgend entwickelten Rechtsauffassung der Kammer aber auch keiner Anhörung der Kläger in einer mündlichen Verhandlung; ihnen würden nämlich schon unabhängig von einem ggf. noch festzustellenden Vorverfolgungsgeschehen im (hypothetischen) Fall einer - derzeit allenfalls freiwilligen - Rückkehr nach Syrien mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die ihre diesbezügliche Verfolgungsfurcht begründet erscheinen lassen und die an eine - wenn auch womöglich objektiv nicht vorliegende, ihnen aber jedenfalls i.S.d. § 3 Abs. 2 AsylG seitens ihrer Verfolger zugeschriebene - politische Überzeugung (oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe) anknüpfen würden.
28 
1. Die Kammer ist in ihrer Spruchpraxis bislang davon ausgegangen, dass syrischen Staatsangehörigen bei und wegen illegaler Ausreise, Asylantragstellung und längerem Auslandsaufenthalt im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 AufenthG bzw. § 3 AsylG droht (vgl. statt vieler: VG Sigmaringen, Urteil vom 19.08.2014 - A 5 K 1631/14 -, n.v.; ebenso VG Karlsruhe, Urteil vom 13.08.2013 - A 8 K 2987/10 -, abrufbar unter www.asyl.net; VG Freiburg, Urteil vom 12.09.2013 - A 5 K 529/12 -, n.v.). Sie hatte sich dabei im Wesentlichen die tatsächlichen Feststellungen etwa des Verwaltungsgerichts Stuttgart (Urteil vom 15.03.2013 - A 7 K 2987/12 -; Urteil vom 20.03.2013 - A 7 K 1754/12 -, jeweils Juris) zu eigen gemacht, nachdem seitens der Beklagten gestellte Anträge auf Zulassung der Berufung vom Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg abgelehnt worden waren (vgl. Beschlüsse vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13 - und vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris; Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 11.11.2013 - A 11 S 2143/13 -, n.v.).
29 
Der Verwaltungsgerichtshof hatte damals seinerseits die auch in der Entscheidungspraxis der Beklagten herangezogenen Sachverhaltsfeststellungen des OVG Nordrhein-Westfalen zugrunde gelegt (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris), wo es - wenn auch ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft - u.a. hieß:
30 
„(…) Zwar war es - wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid zutreffend ausführt - schon vor Ausbruch der Unruhen ständige Praxis, nach einem längeren Auslandsaufenthalt Zurückkehrende einem eingehenden Verhör durch syrische Sicherheitskräfte zu unterziehen, das sich über mehrere Stunden hinziehen konnte. Richtig ist auch - wie der Bescheid ebenfalls zutreffend ausführt -, dass bei einer Verbringung der Person in ein Haft- oder Verhörzentrum der Geheimdienste die Gefahr von Folter und menschenrechtswidriger Behandlung drohte, wobei diese Verhöre unter Folter auch zur Erpressung von Informationen über syrische Oppositionelle im Ausland und zur Erzwingung von "Geständnissen" der inhaftierten Person dienten. Auch das Auswärtige Amt bestätigte schon für die Zeit vor Ausbruch der Unruhen, dass Polizei, Justizvollzugsorgane und Sicherheitsdienste systematisch Gewalt anwendeten, wobei die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlungen in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als besonders hoch einzustufen sei.
31 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 16.
32 
Es lagen jedoch bis zum Ausbruch der gegenwärtigen Unruhen keine Erkenntnisse vor, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit für jedweden rückkehrenden Asylbewerber die Gefahr der Überstellung in ein derartiges geheimdienstliches Haft- oder Verhörzentrum verbunden war. In ständiger Rechtsprechung hat der erkennende Senat entschieden, dass unpolitischen Rückkehrern keine solche Gefahr drohte, weil den syrischen Behörden bekannt war, dass die illegale Ausreise und das Stellen eines Asylantrags regelmäßig kein Ausdruck politischer Opposition zum syrischen Regime war, sondern aus wirtschaftlichen Gründen zur Erlangung eines gesicherten Aufenthaltsstatus erfolgten.
33 
Zuletzt noch zu Beginn der gewaltsamen Unterdrückungsmaßnahmen Beschluss vom 24. Mai 2011 - 14 A 1186/11.A -, NRWE Rn. 9 f., für die Gefahr politischer Verfolgung.
34 
Für die Zeit nach Ausbruch der Unruhen berichtet Amnesty International, dass Folter und andere Misshandlung verbreitet und straflos in Polizeistationen und geheimdienstlichen Haftzentren angewandt würden.
35 
Amnesty International: End human rights violations in Syria, Amnesty International Submission to the UN Universal Periodic Review, October 2011, Juli 2011, S. 6.
36 
Seit Ausbruch der Unruhen sind Tausende verhaftet worden. Es liegen Erkenntnisse vor, dass Verhaftete gefoltert oder sonst misshandelt wurden, um "Geständnisse" zu erlangen, insbesondere dass man im Sold ausländischer Agenten stehe, oder um Namen von Teilnehmern an Protesten zu gewinnen. Verbreitet wird geohrfeigt, geschlagen und getreten, oft wiederholt und über lange Zeiträume, teils mit Händen und Füßen, teils mit Holzknüppeln, Kabeln oder Gewehrkolben. Angewandt werden auch Elektroschocks, oder es werden Zigaretten auf dem Körper des Verhafteten ausgedrückt.
37 
Amnesty International, Deadly Detention. Deaths in custody amid popular protest in Syria, August 2011, S. 9 f., auch zu weiteren Foltermethoden wie Aufhängen an Handgelenken oder Fußknöcheln, zum sogenannten Deutschen Stuhl zur Überdehnung des Rückgrats und Zusammenpressung von Hals und Gliedmaßen und zur Autoreifenmethode.
38 
Zur Überzeugung des Senats droht gegenwärtig nicht nur politisch Verdächtigen, sondern auch rückkehrenden Asylbewerbern mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit ein Verhör unter Anwendung der vorbeschriebenen Foltermethoden. Dies ergibt sich aus der gegenwärtigen allgemeinkundigen Situation in Syrien. Diese zeichnet sich dadurch aus, dass das syrische Regime seit Ausbruch der Unruhen im März 2011 mit massiver Waffengewalt gegen tatsächliche und vermeintliche Oppositionelle vorgeht und dabei inzwischen über siebentausend Tote und mehrere zehntausend Verhaftungen in Kauf genommen hat. Das Regime kämpft um sein politisches - und seine Träger auch um ihr physisches - Überleben.
39 
Die abschiebungsrelevante Besonderheit der gegenwärtigen Unruhen besteht darin, dass sich das Ausland - bis auf Russland und China - gegen das syrische Regime gestellt hat, die Abdankung des Staatspräsidenten Assad und einen Systemwandel weg von der Einparteienherrschaft der Baath-Partei fordert. Die besondere Gefahr dieser ausländischen Parteinahme in dem innersyrischen Konflikt besteht darin, dass auch die Arabische Liga diese Haltung eingenommen hat. Deutschland teilt diese Haltung, hat - wie viele andere Staaten auch - seinen Botschafter zurückgerufen, beteiligt sich an ständig verschärften Sanktionen der Europäischen Union und betreibt gegenwärtig die Schaffung einer Kontaktgruppe "der Freunde eines demokratischen Syriens". Auf dieser außenpolitischen Lage klarer Parteinahme im innersyrischen Konflikt beruht die vom syrischen Regime vielfach - auch von Präsident Assad - geäußerte Auffassung, die Unruhen seien Teil einer internationalen Verschwörung gegen Syrien,
40 
Vgl. zuletzt die Reden Präsident Assads am 10. und 11. Januar 2012, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2012, S. 1 f., und vom 12. Januar 2012, S. 6.
41 
Bekannt ist weiter, dass Syrien an der hiesigen syrischen Exilopposition ein Interesse hat, da sie sie geheimdienstlich ausspäht.
42 
Vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 357 f.; s, auch die kürzlich erfolgte Ausweisung vierer syrischer Diplomaten wegen der Festnahme zweier syrischer Agenten, die den Auftrag hatten, syrische Oppositionelle in Deutschland zu beobachten, vgl. die Meldung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 10. Februar 2012, S. 2.
43 
Das ist nunmehr angesichts des Überlebenskampfs des syrischen Regimes und der Intervention aus dem Ausland in diesem Kampf mit erhöhter Wahrscheinlichkeit zu erwarten. Wie oben ausgeführt, gibt es Erkenntnisse, dass zur Zeit Personen unter Anwendung der Folter verhört werden, um Erkenntnisse über die innersyrische Opposition zu gewinnen. Deshalb ist es naheliegend, dass auch rückkehrende Asylbewerber verstärkt unter diesem Gesichtspunkt möglicher Kenntnis von Aktivitäten der Exilszene verhört werden würden. Je nach den den syrischen Behörden auf Grund geheimdienstlicher Erkenntnisse bereits vorliegenden Informationen über die Exilszene und den sich daraus ergebenden Möglichkeiten des Verhörten, relevante Kenntnis erlangt zu haben, wird bei diesen Verhören auch die Folter eingesetzt werden, um ein restloses Auspressen aller vorhandenen Informationen zu erreichen. Das ergibt sich aus der bekannten Rücksichtslosigkeit der syrischen Sicherheitskräfte und der besonderen Situation des Überlebenskampfs des Regimes vor dem Hintergrund der Intervention aus dem Ausland. Denn schon vor dem Ausbruch der Unruhen richtete sich das Ausmaß staatlicher Repression am Umfang der Gefährdung für die Stabilität des Regimes aus.
44 
Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27. September 2010, S. 7.
45 
Angesichts dieser quantitativ nicht genau abschätzbaren, aber bei der hiesigen großen syrischen Exilgemeinde,
46 
vgl. Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2010, S. 358,
47 
realen und ernst zu nehmenden Gefahr, selbst ohne Kenntnisse von der hiesigen Exilszene auf die bloße Möglichkeit von Kenntnissen hin einem Verhör unter Folter unterzogen zu werden, ist einem besonnenen und vernünftig denkenden Menschen nicht zuzumuten, jetzt als Asylbewerber nach Syrien zurückzukehren.
(…)
48 
Dem Verhör unterliegt jeder rückkehrende Asylbewerber, ebenso dem Verdacht, Kenntnis über die syrische Exilszene zu haben. Diesem Verdacht wird nunmehr mit hoher Wahrscheinlichkeit bei jedwedem Anhalt, der sich aus den bereits vorliegenden Erkenntnissen über die Exilszene und den Aussagen des Verhafteten ergibt, bis zur vollständigen Abschöpfung des Verhafteten unter der Folter nachgegangen werden. Daher befindet sich zur Zeit jeder rückkehrende Asylbewerber in der aktuellen Gefahr eigener Betroffenheit. (…)“
49 
Darauf aufbauend hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg - in Abgrenzung zur Sichtweise des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, a.a.O.; ebenso aktuell zuletzt Beschluss vom 06.10.2016 - 14 A 1852/16.A -, NRWE und Beschluss vom 05.09.2016 - 14 A 1802/16.A -, NRWE, m.w.N.; vgl. dazu auch BVerfG, BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 14.11.2016 - 2 BvR 31/14 -, Juris) unter Bezugnahme auf die diesbezüglichen Maßgaben aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) auch die Auffassung vertreten, die geschilderten bzw. zu befürchtenden Maßnahmen der syrischen Behörden würden an asyl- bzw. flüchtlingsrelevante Merkmale anknüpfen und dazu ausgeführt (Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris):
50 
„(…) Geht man von den oben zitierten tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen (wie auch denen des Verwaltungsgerichts, das sich auch auf ein Urteil des OVG Sachsen-Anhalt vom 18.07.2012 stützt) aus, so ist nach der vorgenannten Rechtsprechung die Annahme einer fehlenden Gerichtetheit nicht nachzuvollziehen. Wenn die syrischen Behörden Rückkehrer "bis zur vollständigen Abschöpfung" verhören, um Informationen von Aktivitäten der Exilszene zu gewinnen, so wäre es völlig lebensfremd anzunehmen, dass sie nicht zunächst davon ausgehen, die Betroffenen hätten im Ausland Kontakte zur Exilszene und deren Akteuren gehabt. Denn ohne derartige Kontakte ist nicht vorstellbar, dass sie über wichtige Informationen verfügen können. Völlig allgemein gehaltene Informationen hingegen, die jedermann auch ohne näheren Kontakt zur Exilszene gewinnen konnte, können für die syrischen Behörden nicht von Interesse sein und wären völlig belanglos, wenn, wie das Oberverwaltungsgericht ebenfalls festgestellt hat, der syrische Geheimdienst die Exilszene ohnehin ausspäht, da diese dann dem Geheimdienst auch ohne Befragung von Rückkehrern bekannt sein werden. (…) Die auf der Grundlage der Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wie aber auch des Verwaltungsgerichts (im angegriffenen Urteil) vorzunehmende wertende Gesamtbetrachtung des Vorgehens, die - worauf die Beklagte zutreffend hinweist - rein objektiv zu sein hat und gerade nicht auf die Motive des Verfolgers abstellen darf (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 01.07.1987 - 2 BvR 478/86 u.a. - BVerfGE 76, 143 <157, 166 f.> und vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE 80, 315 <334 f.>), ist eindeutig. (…)
51 
Die schließlich in rechtlicher Hinsicht aufgeworfene Frage, "ob für die Feststellung der zur Anerkennung von Asylrecht bzw. Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nötigen Anknüpfung bei einer drohenden Gefährdung genügt, dass hinter der drohenden Vorgehensweise das Aufklärungsinteresse steht, ob es sich um einen zu bekämpfenden Opponenten handelt", ist nach der oben genannten Rechtsprechung geklärt und zu bejahen (vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772). Im Übrigen würde sich diese nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts, wonach der syrische Staat die hier infrage stehenden Handlungen der Rückkehrer - wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und der längere Auslandsaufenthalt - als Ausdruck einer von der Ideologie abweichenden Gesinnung ansehe, auch nicht stellen. (…)“
52 
In seinem Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - hatte sich der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg auch bereits vertieft mit - z.T. noch heute vorgebrachten - Einwänden gegen diese Sichtweise auseinandergesetzt und insbesondere etwa zu den Verfolgungsressourcen der syrischen Sicherheitskräfte ausgeführt:
53 
„(…) Wenn demgegenüber eingewandt wird, mittlerweile habe eine so hohe Zahl von Flüchtlingen das Land verlassen, die überwiegend in Flüchtlingslagern lebten und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition blieben, so mag dieses so sein, hat jedoch ersichtlich nichts mit der Situation der in Deutschland und Europa lebenden Flüchtlinge zu tun. Denn der von der Beklagten ins Auge gefasste Personenkreis, für den deren Annahme möglicherweise zutreffen könnte, hält sich vor Ort in der Region, wie etwa in der Türkei, im Libanon oder in Jordanien, in Flüchtlingslagern auf. Von einer vergleichbaren Situation kann, schon unter dem Aspekt der hohen Zahl und des möglichen Hintergrundwissens, bei den in Europa sich aufhaltenden Flüchtlingen keine Rede sein. Jedenfalls lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass deren Lage überhaupt im Wesentlichen vergleichbar sein könnte. Für die syrischen Sicherheitsorgane ist aber in aller Regel aufgrund der mitgeführten Reisedokumente bei der Einreise ohne weiteres erkennbar, aus welchem Land bzw. welcher Region der Welt die Einreise erfolgt. Vor diesem Hintergrund ist auch der weitere Einwand, die syrischen Sicherheitskräfte würden angesichts der hohen Zahl von Flüchtlingen gar nicht mehr über die erforderlichen Ressourcen verfügen und könnten auch gar kein "Abschöpfungsinteresse" mehr haben, nicht schlüssig, da diese ohne weiteres nach der Herkunftsregion differenzieren können und im Übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür bestehen, die in Europa lebenden Flüchtlinge würden etwa massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen durchlaufen. Die Zunahme der Zahl der Flüchtlinge spricht daher nicht im Ansatz dafür, dass die freiwillige oder zwangsweise Rückkehr nach längerem Auslandsaufenthalt - insbesondere auch im westlichen Ausland - ehemals illegal ausgereister Syrer aus Sicht der syrischen Sicherheitskräfte hinsichtlich einer möglichen Unterstützung von oder Kontakten mit Regimegegnern, die derzeit auch aus Europa Verstärkung erhalten (vgl. zu Reisebewegungen und Radikalisierung syrischer Kämpfer auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage vom 17.07.2013, BT-Drucks. 17/14391), nunmehr kein oder jedenfalls ein signifikant geringeres Ausforschungsinteresse hervorrufen könnte.
54 
Das Vorbringen ist aber auch aus einem anderen Grund unschlüssig und widersprüchlich. Wenn die Beklagte nach wie vor daran festhält, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2 AufenthG vorliegen und demgemäß vom Bestehen einer konkreten Gefahr (eines "real risk"), bei der Einreise Opfer einer Misshandlung oder Folter zu werden, ausgeht, so widerspricht dieses der Annahme, dass den Sicherheitsbehörden für eine intensive Einreisekontrolle die nötigen Ressourcen fehlen müssen. Etwas anderes wäre nur dann anzunehmen, wenn als Grundlage der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ein grundlegend anderer - schärferer - Prognosemaßstab anzuwenden wäre, was aber nicht der Fall ist (vgl. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 41 Rn. 110 ff., 129).
55 
Was die - jedenfalls sinngemäß - in diesem Zusammenhang erhobenen Einwände der Beklagten gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Maßnahmen der Sicherheitskräfte knüpften an ein asyl- bzw. flüchtlingsrelevantes Merkmal an, betrifft, ist auch nach den Ausführungen im Zulassungsantrag für den Senat nach wie vor (vgl. Senatsbeschluss vom 29.05.2013 - A 11 S 930/13) nicht ansatzweise ersichtlich, dass es ein realistisches anderes Erklärungsmuster geben könnte, zumal die besondere Intensität der Eingriffe, von der die Beklagte selbst ausgeht, wenn sie sogar drohende Folter festgestellt hat, die bestehende Gerichtetheit indizieren kann (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 29.04.2009 - 2 BvR 78/08 - NVwZ 2009, 1035). Eine abweichende Einordnung wäre gegebenenfalls dann gerechtfertigt, wenn die Eingriffe nur die Funktion hätten, der Befriedigung sadistischer Machtphantasien der Sicherheitsorgane zu dienen oder Gelder von Einreisenden zu erpressen, was aber in dem aktuellen Kontext eines diktatorischen Systems, das mit allen Mitteln um seine Existenz kämpft, einer besonderen Begründung bedürfte. Wenn die Beklagte einräumt, die erforderliche Gerichtetheit von staatlichen Maßnahmen sei zwar im Grundsatz durchaus zu bejahen, wenn es auch nur um die Aufklärung des Verdachts einer abweichenden politischen Gesinnung gehe, aber darauf abstellt, dass in der vorliegenden Konstellation nur eine Vorstufe der Ermittlungen vorliege und es lediglich um Vorfeldmaßnahmen gehe, so ist eine derartige Differenzierung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht angelegt (vgl. Beschlüsse vom 10.07.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315 <340>, und vom 20.12.1989 - 2 BvR 958/86 - BVerfGE 81, 142 <151>, Kammerbeschlüsse vom 08.11.1990 - 2 BvR 933/90 - NVwZ 1991, 772, vom 28.02.1992 - 2 BvR 1608/90 - InfAuslR 1992, 215 <218>, vom 28.01.1993 - 2 BvR 1803/92 - InfAuslR 1993, 142 <144>, m.w.N., und vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 - AuAS 1997, 6) und auch in der Sache für den Senat nicht nachzuvollziehen, von der mangelnden Praktikabilität einmal ganz abgesehen. Gerade im Falle eines totalitären Regimes, das sich rücksichtslos über die Integrität und Freiheit seiner Bürger um jeden Preis und mit jedem Mittel hinwegsetzt und sich in einem existentiellen Überlebenskampf befindet, liegt es vielmehr nahe, dass dieses gewissermaßen bis zum Beweis des Gegenteils von einer potentiellen Gegnerschaft bei den misshandelten und sogar gefolterten Rückkehrern ausgeht. Wenn es nach dem tatsächlichen Ausgangspunkt der Beklagten jeden treffen kann, bei der Einreise Opfer von Misshandlungen bis zur Folter zu werden, so bestätigt dies gerade, dass die Sicherheitsorgane - wenn auch sicherlich völlig undifferenziert - pauschal eine Nähe, wenn nicht gar eine Verbundenheit mit der Exilszene zunächst unterstellen und die Maßnahmen objektiv auf eine regimefeindliche Haltung gerichtet sind. Andernfalls würden sie in einer Weise selektiv vorgehen, die es nicht rechtfertigen würde, von einem bei jedem Einreisenden bestehenden realen Risiko von Misshandlung oder Folter auszugehen, sondern nur dann, wenn bei den Einreisewilligen zusätzliche signifikante gefahrerhöhende Merkmal festgestellt werden könnten. Vor diesem Hintergrund bedarf es keiner weiteren grundsätzlichen Klärung in rechtlicher Hinsicht. Bei dieser Ausgangslage stellt sich auch die Frage nach einem möglichen Politmalus nicht mehr.
(…)
56 
Soweit die Beklagte unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschluss vom 21.02.2006 - 1 B 107.05 - juris) danach differenzieren will, ob die Ausreise freiwillig oder im Wege der Abschiebung erfolgt, und sie die Betroffenen auf die freiwillige Ausreise verweisen will, weil hierdurch im Falle dieser Art der Rückkehr eine Verfolgung vermieden werden könne, so lässt der Senat offen, ob dieser Verweis mit den Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie vereinbar ist. (…) … die Argumentation der Beklagten [ist] in tatsächlicher Hinsicht auch nicht nachzuvollziehen; sie entbehrt ausreichend dargelegter tatsächlicher Grundlagen. Denn allein der Umstand, dass im Falle der freiwilligen Ausreise die Betroffenen sich gegebenenfalls erst bei der Auslandsvertretung die erforderlichen Papiere besorgen müssen und dabei die staatlichen Stellen Syriens Kenntnis über den bisherigen Auslandsaufenthalt erlangen werden, lässt nicht die Schlussfolgerung zu, es bestehe dann später bei der Einreise kein Abschöpfungsinteresse mehr. Die Beklagte geht von der nicht zutreffenden Annahme aus, dieses Interesse bestehe nur in Bezug auf die Tatsache eines Auslandsaufenthalts in einem bestimmten ausländischen Staat an sich. Dieses Erkenntnisinteresse können die Sicherheitsbehörden aber ohne weiteres bei der Einreise durch die Kontrolle der Papiere ohne intensive Befragung befriedigen. Hierzu bedurfte und bedarf es keiner "peinlichen" Verhöre. Außerdem kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Auslandsvertretungen aus diplomatischen Gründen in ihren Räumlichkeiten derartige Befragungsmethoden anwenden könnten und anwenden würden, weshalb auch insoweit weiterreichende Erkenntnisse nur im Zuge der Einreise zu gewinnen sind. Sollte die Auslandsvertretung bei einer allgemeinen Befragung keine Erkenntnisse zu Kontakten mit der Exilszene gewinnen, so ist auch aus ihrer Sicht nichts darüber ausgesagt, ob solche nicht doch bestanden und - naheliegend - verschwiegen werden, weshalb dann durchaus gute Gründe für weitere Befragungen bei der Einreise - dann aber mit anderen Methoden - bestehen können. Bei dieser Ausgangslage könnte die Vorsprache auf der Auslandsvertretung sogar ein gefahrerhöhendes Moment darstellen, da die Sicherheitskräfte dadurch erst auf die Betreffenden und ihren Aufenthaltsort aufmerksam gemacht werden.
57 
Ungeachtet dessen setzt die Argumentation der Beklagten ein Maß an rationalem Verhalten und abgestimmter Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden voraus, das im Falle Syriens gerade nicht ohne weiteres vorausgesetzt werden kann. Die Annahme der Beklagten, die freiwillige Einreise sei - im Gegensatz zu einer Abschiebung - mit keinem beachtlichen Verfolgungsrisiko verbunden, erweist sich hiernach als Spekulation. (…)“
58 
Und auch im Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 - hieß es in diesem Zusammenhang:
59 
„(…) Die rechtliche Relevanz des Einwandes, das Verwaltungsgericht hätte nicht außer Betracht lassen dürfen, dass den Klägern bereits ein unionsrechtliches Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 2 AufenthG zuerkannt worden sei und sie daher ohnehin auf nicht absehbare Zeit nicht zwangsweise zurückgeführt werden könnten, vermag der Senat nicht nachzuvollziehen. Abgesehen davon, dass nicht ersichtlich ist, dass freiwillige Rückkehrer eine günstigere Behandlung erfahren werden (vgl. hierzu ausdrücklich OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A - juris, Rdn. 56), liefe der Einwand der Beklagten darauf hinaus, dass der Flüchtlingsschutz dem subsidiären Schutz selbst nachgeordnet wäre, was die Rechtslage auf den Kopf stellen würde. Der Flüchtlingsschutz ist dem Betroffenen im Falle einer drohenden Verfolgung unmittelbar versprochen und ist nicht davon abhängig, dass dieser im Ausland nicht anderweitig (minderen) Schutz finden kann. (…).
60 
Lediglich ergänzend verweist der Senat darauf, dass die Angriffe der Beklagten dagegen, dass das Verwaltungsgericht bei der Verfolgungsprognose unter anderem auf den "längeren" Auslandaufenthalt abstellt, ebenfalls nicht durchgreifen. Es handelt sich dabei entgegen der Auffassung der Beklagten um ein taugliches Abgrenzungskriterium - etwa zu Auslandsaufenthalten zu Besuchszwecken von nur wenigen Tagen. Wo die Grenze liegt, musste vom Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht entschieden werden. (…)“
61 
Diese Sichtweise mit der daran anknüpfenden Rechtsfolge der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unabhängig von einem individuellen Vorverfolgungsschicksal teilten u.a. auch die Oberverwaltungsgerichte anderer Bundesländer (vgl. z.B. nur HessVGH, Beschluss vom 27.01.2014 - 3 A 917/13.Z.A -, AuAS 2014, 80; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.01.2014 - OVG 3 N 91.13 -, AuAS 2014, 82; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 24.04.2014 - 2 L 16/13 -, abrufbar unter www.asyl.net). Insbesondere das OVG Sachsen-Anhalt (Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris) war unter umfänglicher Auswertung aller verfügbarer Erkenntnismittel in einer wohl begründeten Gesamtschau zu dem Ergebnis gelangt, dass der syrische Staat infolge einer sämtliche Lebensbereiche umfassenden autoritären Struktur und seiner totalitären Ausrichtung in so hohem Maße unduldsam ist, dass er schon im Grunde belanglose Handlungen wie die illegale Ausreise, die Asylantragstellung und den langjährigen Aufenthalt im Ausland als Ausdruck einer von seiner Ideologie abweichenden illoyalen Gesinnung ansieht und zum Anlass von Verfolgungsmaßnahmen nimmt. Grundlage dieser Gesamtschau war dabei eine genaue Analyse der Behandlung von Personen, die bis zum Erlass des generellen Abschiebungstopps im April 2011 aus der Bundesrepublik Deutschland und anderen europäischen Staaten nach Syrien abgeschoben wurden, eine Betrachtung der umfassenden Beobachtung von syrischen Staatsangehörigen im Ausland durch die verschiedenen syrischen Geheimdienste sowie die Berücksichtigung der Eskalation der innenpolitischen Situation in Syrien seit März 2011 und des Umgangs der syrischen Behörden in Syrien (insbesondere seit Beginn des Jahres 2012) mit Personen, die aus Sicht der syrischen Behörden verdächtig sind, die Opposition zu unterstützen.
62 
Dem entsprach bis zum Frühjahr 2016 auch die - gerichtsbekannte - Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (vgl. exemplarisch nur die bei SächsOVG, Beschluss vom 28.04.2015 - 5 A 498/13.A -, Juris, dokumentierte Abhilfe), die sich u.a. auf den zuletzt am 17.02.2012 in Gestalt eines „Ad hoc-Berichts“ über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien aktualisierten Lagebericht des Auswärtigen Amtes stützte. Dort hieß es u.a., die Gefahr körperlicher und seelischer Misshandlung sei in den Verhörzentralen der Sicherheitsdienste als „besonders hoch“ einzustufen; vieles deute darauf hin, dass im Zuge der Bekämpfung der Oppositionsbewegung die Sicherheitsdienste und die Shabbiha-Miliz vom Regime eine Art „carte blanche“ erhalten hätten, und es komme regelmäßig und systematisch zu willkürlichen Verhaftungen (S. 10 f.).
63 
2. Zur Überzeugung der Kammer hat sich an der Verfolgungsgefahr bzw. an den tatsächlichen Grundlagen für eine diesbezügliche Prognose für syrische Staatsangehörige, die wie die Kläger illegal ausgereist sind, um Asyl nachgesucht haben und sich für längere Zeit (hier: seit mehr als einem Jahr) im - westeuropäischen - Ausland, insbesondere in der Bundesrepublik Deutschland, aufgehalten haben, nichts Wesentliches (zum Besseren) geändert. Zum nach § 77 Abs. 1 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist noch immer davon auszugehen, dass ihnen im Fall der Wiedereinreise nach Syrien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine an ein asylerhebliches Merkmal anknüpfende Verfolgung im Sinne des § 3 AsylG droht.
64 
Maßgeblich für die diesbezügliche Überzeugungsbildung der Kammer ist in erster Linie eine Gesamtschau der hierzu verfügbaren Erkenntnismittel unter Berücksichtigung der unvermeidlichen Unwägbarkeiten bei Prognoseentscheidungen auf schmaler bzw. nicht vollends aufklärbarer Erkenntnisgrundlage.
65 
Nicht gänzlich außer Acht gelassen werden können bei alledem aber auch zunächst die rechtlich nicht unmittelbar relevanten, aber zumindest indiziell - ähnlich wie im Rahmen einer Entscheidung nach § 73 AsylG - bedeutsamen Hintergründe für den Wandel in der Entscheidungspraxis des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, der sich - soweit ersichtlich - nicht auf neue Erkenntnismittel stützt, die ggf. Anlass zu einer Neubeurteilung des Sachlage hätten geben können. Augenfällig ist vielmehr, dass die politische Neuausrichtung der zugrunde liegenden Weisungslage beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zeitlich mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Einführung beschleunigter Asylverfahren vom 11.03.2016 (BGBl. I S. 390) am 17.03.2016 zusammenfällt, das den Familiennachzug für (nur) subsidiär Schutzberechtigte in § 104 Abs. 13 AufenthG n.F. für zwei Jahre ausgesetzt hat. Wie der Kammer aus anderen Asylverfahren syrischer Staatsangehöriger - und auch aus sonstigen öffentlich zugänglichen Quellen (vgl. http://frsh.de/fileadmin/pdf/termine/2016/UmF-Fachtag/BAMF-Kiep.pdf; https://www.akweb.de/ak_s/ak619/05.htm) - bekannt ist, soll der 17.03.2016 der Stichtag sein, ab dem nicht mehr vermutet wird, dass bei Rückkehr nach Syrien Verfolgung in Anknüpfung an ein flüchtlingsrelevantes Merkmal droht. Von der Möglichkeit, sich zuvor durch Anfragen etwa beim Auswärtigen Amt über den aktuellen Stand der Gefährdungslage zu vergewissern - wozu mit Blick auf die fehlende Aktualität des Lageberichts durchaus Veranlassung hätte gesehen werden können -, hat das Bundesamt keinen Gebrauch gemacht.
66 
Unabhängig davon tragen aber die dem Gericht derzeit zur Verfügung stehenden - auch aktuellen - Erkenntnismittel aber ohnehin weiter die Annahme einer begründeten Verfolgungsfurcht:
67 
a) Das UK Home Office (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 und 8) knüpft auch aktuell weiter an die Country Guidance-Leitentscheidung des Upper Tribunal vom 20.12.2012 (UKUT 00426 (IAC), abrufbar unter: https://tribunalsdecisions.service.gov.uk/utiac/2012-ukut-426; zur Bedeutung derartiger länderspezifischer Leitentscheidungen im britischen Asylrecht vgl. allgemein Dörig, ZAR 2006, 272, 274, noch zur Rechtlage vor Inkrafttreten des Tribunals, Courts and Enforcement Acts 2007) an, in der es das Gericht unter Auswertung von 642 Erkenntnismitteln für beachtlich wahrscheinlich („real risk“) erachtet hat, dass ein abgelehnter Asylbewerber oder zwangsweise Zurückgeführter - sofern er nicht zu den Unterstützern des Assad-Regimes zu rechnen sei - grundsätzlich bei seiner Ankunft wegen einer ihm zugeschriebenen politischen Überzeugung Verhaftung, Gewahrsam und dabei ernsthafte körperliche Misshandlung zu befürchten hat, weshalb die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sei. Ausweislich der Pending country guideline cases list des Courts and Tribunals Judiciary (abrufbar unter https://www.judiciary.gov.uk/about-the-judiciary/who-are-the-judiciary/judicial-roles/tribunals/tribunal-decisions/immigration-asylum-chamber/) sind derzeit beim Upper Tribunal keine Verfahren anhängig, die zu einer weiteren Leitentscheidung führen könnten. Das UK Home Office betont in diesem Zusammenhang auch die weitere (negative) Entwicklung in Syrien seit Ergehen der Leitentscheidung des Upper Tribunal und hält an den dortigen Feststellungen fest; Umfang und Verbreitung von Menschenrechtsverstößen in Syrien hätten zugenommen. Zwischenzeitlich sei sogar davon auszugehen, dass selbst tatsächliche oder vermeintliche Assad-Unterstützer in Abhängigkeit von ihrem Aufenthaltsort begründete Verfolgungsfurcht geltend machen könnten. Die sich weiter zuspitzende humanitäre Krise habe zur Folge, dass eine Rückführung für die meisten Rückkehrer eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde.
68 
Der UNHCR, dessen Berichten besonderes Gewicht zukommt, da er gemäß Art. 35 Nr. 1 GFK und Art. 2 Nr. 1 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 31. Januar 1967 (BGBl. 1969 II S. 1293) zur Überwachung der Durchführung der Genfer Flüchtlingskonvention berufen ist (vgl. zu Auslegungsrichtlinien bei Rechtsfragen auch BVerfG, Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05 -, InfAuslR 2008, 263), hält es in seinen Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01; 4. aktualisierte Fassung, November 2015, dort insbes. S. 24 f.), für „wahrscheinlich, dass die meisten asylsuchenden Syrer die Kriterien für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft erfüllen, da sie eine begründete Furcht vor Verfolgung wegen eines oder mehrerer Gründe der GFK haben“. Für viele aus Syrien geflohene Zivilisten bestehe der kausale Zusammenhang mit einem Konventionsgrund in der direkten oder indirekten, tatsächlichen oder vermeintlichen Verbindung mit einer der Konfliktparteien. Für die Erfüllung der Kriterien der Flüchtlingsdefinition sei es nicht erforderlich, dass eine tatsächliche oder drohende Verfolgung auf sie persönlich, im Sinne eines „persönlichen Ausgewähltseins“ abziele. Syrischen Staatsangehörigen und Personen mit gewöhnlichem Aufenthaltsort in Syrien, die aus dem Land geflohen seien, könne beispielsweise Verfolgung aufgrund einer politischen Überzeugung drohen, die ihnen gemäß einer vermeintlichen Verbindung mit einer Konfliktpartei unterstellt werde, oder aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Identität oder abhängig davon, welche Konfliktpartei die Nachbarschaft oder das Dorf kontrolliere, aus dem die Betroffenen stammten. In diesem Zusammenhang begrüßt der UNHCR in den Erwägungen die zunehmende Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft zugunsten von Asylsuchenden aus Syrien durch die Mitgliedstaaten der EU in den Jahren 2014 und 2015, insbesondere im Vergleich zu 2013, als die meisten EU-Staaten Syrern überwiegend subsidiären Schutz gewährt hätten. Der UNHCR betont bei alledem insbesondere auch wie folgt die Auswirkungen des in Syrien herrschenden Konflikts und der dortigen Gewalt auf die Zivilbevölkerung (a.a.O., S. 12 ff., hier ohne Nachweise, Hervorhebung im Original):
69 
„(…) Eine sich verstärkende Besonderheit des Konflikts ist der Umstand, dass die verschiedenen Konfliktparteien oftmals größeren Personengruppen, einschließlich Familien, Stämmen, religiösen bzw. ethnischen Gruppen sowie ganzen Städten, Dörfern und Wohngebieten, eine politische Meinung unterstellen. So sind die Mitglieder größerer Einheiten, ohne dass sie individuell ausgewählt werden, aufgrund ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Unterstützung einer gegnerischen Konfliktpartei zum Ziel von Gegenschlägen verschiedener Akteure geworden, einschließlich Streitkräften der Regierung, ISIS und bewaffneter oppositioneller Gruppen. Laut übereinstimmenden Berichten sind ganze Gemeinden, denen eine bestimmte politische Meinung oder die Unterstützung einer bestimmten Konfliktpartei unterstellt wird, von Luftangriffen, Beschießungen, Belagerungen, Selbstmordattentaten und Autobomben, willkürlichen Verhaftungen, Geiselnahmen, Folterungen, Vergewaltigungen und sonstigen Formen sexueller Gewalt und extralegalen Hinrichtungen betroffen. Die Annahme, dass eine Person eine bestimmte politische Meinung hat, oder eine bestimmte Konfliktpartei unterstützt, basiert oft nur auf wenig mehr als der physischen Anwesenheit dieser Person in einem bestimmten Gebiet oder ihrer Abstammung aus diesem Gebiet oder auf ihrem ethnischen oder religiösen Hintergrund oder ihrer Stammeszugehörigkeit. Es besteht die große und reale Gefahr eines Schadens und diese ist keineswegs durch den Umstand gemindert, dass ein Verletzungsvorsatz nicht speziell auf die betreffende Person gerichtet ist. (…)“
70 
Für den Fall, dass Asylanträge von Asylsuchenden aus Syrien auf Einzelfallbasis geprüft würden, konturiert der UNHCR bestimmte, nicht unbedingt abschließende Risikoprofile (S. 25 f.; z.B. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich Konfliktparteien unterstützen oder opponieren, Angehörige bestimmter Berufsgruppen, religiöser oder ethnischer Minderheiten, schutzlose Frauen und risikobehaftete Kinder, palästinensische Flüchtlinge). Auch z.B. das UK Home Office betont aber hierauf bezogen, dass seine Grundannahmen zur Gefährdungslage von Rückkehrern nicht auf diese Personengruppen beschränkt seien (Country Information and Guidance; Syria: the Syrian Civil War, 19.08.2016, S. 5 unter Nr. 2.3.2).
71 
Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic bei der Generalversammlung der Vereinten Nationen führt in ihrem Bericht vom 11.08.2016 (A/HRC/33/55, abrufbar unter http://www.refworld.org/docid/57d015fd4.html) u.a. aus (hier wiedergegeben in der sinngemäßen Übersetzung des VG Trier aus seinem Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, Asylmagazin 2016, 383):
72 
„75. Zivilisten, vor allem Männer im wehrfähigen Alter, verschwinden nach wie vor von den Straßen Syriens. Zehntausende Syrer werden vermisst, viele sind unter solchen Umständen verschwunden, die eine Gewaltanwendung nahe legen. (…)
73 
77. Nach einem Muster, das im März 2011 erstmals auftauchte und bis heute anhält, werden Syrer durch Staatsorgane verhaftet oder entführt und verschwinden dann aus der öffentlichen Wahrnehmung. Angehörige berichten regelmäßig über 'verschwundene' Verwandte zwischen 2011 und 2015. Zu den Orten, an denen Verhaftungen oder Entführungen für gewöhnlich stattfinden, gehören Checkpoints, Krankenhäuser, Arbeitsstätten und Wohnungen.
74 
78. Während des gesamten Bestehens der Kommission haben Syrer über ihre panische Angst davor erzählt, mitgenommen zu werden und zu 'verschwinden', wenn sie Checkpoints der Regierung passieren müssen. Einige Frauen wiesen darauf hin, dass der entscheidende Auslöser für ihre Flucht darin lag, dass ihre erwachsenen Söhne zunehmend dem Risiko ausgesetzt waren, an den Checkpoints festgehalten zu werden. Diese Furcht ist wohlbegründet: Viele Syrer beklagen verschwundene Familienangehörige, nachdem diese von Regierungskräften verhaftet oder entführt wurden. (…)
75 
79. Andere Opfer verschwanden während ihrer Inhaftierung, als sie von einem bekannten Gefängnis zu einem unbekannten Ort verbracht wurden.“
76 
Amnesty international beschreibt im Jahresbericht 2016 (amnesty report 2016, abrufbar unter www.amnesty.de/jahresbericht/2016/syrien) die Intensität des weiter andauernden internen bewaffneten Konflikts in Syrien. Die Regierungskräfte führten u.a. wahllose Angriffe durch und wählten bewusst auch Zivilpersonen als Ziele, indem sie Wohngebiete und Gesundheitseinrichtungen mit Artillerie, Mörsern, Fassbomben und mutmaßlich chemischen Kampfmitteln bombardierten und rechtswidrig Menschen töteten. Zu Fällen des Verschwindenlassens, Folter, Misshandlungen, willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen führt der Bericht unter Anführung von Beispielsfällen aus:
77 
„(…) Die staatlichen Sicherheitskräfte hielten nach wie vor Tausende Menschen ohne Anklageerhebung über lange Zeit in Untersuchungshaft. Viele von ihnen waren unter Bedingungen inhaftiert, die den Tatbestand des Verschwindenlassens erfüllten. Zehntausende Menschen, die seit Ausbruch des Konflikts im Jahr 2011 inhaftiert worden waren, blieben "verschwunden". Unter ihnen befanden sich friedliche Regierungskritiker und -gegner sowie Familienangehörige, die anstelle ihrer von den Behörden gesuchten Angehörigen inhaftiert worden waren. (…)
78 
Folter und andere Misshandlungen von Inhaftierten in Gefängnissen sowie durch den staatlichen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste waren auch 2015 weit verbreitet und wurden systematisch angewendet, was erneut zu vielen Todesfällen in Gewahrsam führte. (…)
79 
Zehntausende Zivilpersonen, darunter auch friedliche Aktivisten, wurden von Sicherheitskräften der Regierung festgenommen. Viele von ihnen verbrachten lange Zeiträume in Untersuchungshaft, wo sie gefoltert und anderweitig misshandelt wurden. Andere erhielten unfaire Prozesse vor dem Antiterror-Gericht oder militärischen Feldgerichten. (…)“
80 
In einem weiteren Bericht vom 18.08.2016 (‘It breaks the human - torture, disease and death in Syria´s prison, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/4508/2016/en/) beschreibt amnesty international auf der Grundlage von Interviews mit 65 Betroffenen die Verhältnisse in syrischen Gefängnissen, insbesondere die erniedrigenden Verhörpraktiken der syrischen Behörden. Amnesty international schätzt, dass im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 17.723 Menschen getötet worden seien, wobei die tatsächlichen Zahlen unter Berücksichtigung entsprechender Dunkelziffern wohl noch höher seien (die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, deren Angaben womöglich nicht immer unbesehen übernommen werden können, beziffert die Zahl der in den Gefängnissen der syrischen Regierung seit Ausbruch der Kampfhandlungen im Jahr 2011 getöteten auf mindestens 60.000, vgl. Süddeutsche Zeitung vom 23.05.2016). Die meisten der 65 interviewten Inhaftierten hätten zumindest einen Todesfall während des Gewahrsams miterlebt; alle seien gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.
81 
In ähnlicher Weise dokumentiert auch Human Rights Watch (If the Dead Could Speak - Mass Deaths and Torture in Syria’s Detention Facilities, 16.12.2016, abrufbar unter https://www.hrw.org/de/news/2015/12/16/syrien-die-geschichten-hinter-den-fotos-getoeteter-gefangener) unter Mitwirkung forensischer Pathologen exemplarisch Fälle von Verhaftungen durch die syrischen Geheimdienste und die Misshandlungen und Foltermaßnahmen in der Haft. Der Bericht untersucht mehr als 28.000 von etwa 53.000 Fotos, die ein Überläufer mit dem Decknamen „Caesar“ aus Syrien herausgeschmuggelt haben soll und die im Januar 2014 an die Öffentlichkeit gelangten. Auf diesen Bildern seien allen verfügbaren Informationen zufolge mindestens 6.786 Gefangene abgebildet, die in Haft oder nach ihrer Überstellung aus einem Gefängnis in ein Militärkrankenhaus verstorben seien. Die meisten davon seien in fünf Zweigstellen des Geheimdienstes in Damaskus inhaftiert gewesen. Ihre Leichen seien in mindestens zwei Militärkrankenhäuser in Damaskus überstellt worden. Pathologen hätten bei einzelnen Bildern etwa eindeutige Zeichen gefunden für verschiedene Formen von Folter, Hungertod, Ersticken, stumpfe Gewalteinwirkung und in einem Fall eine Kopfwunde, aus der ersichtlich sei, dass das Opfer aus kurzer Entfernung erschossen worden sei. In diesen Einrichtungen Festgehaltene hätten auf Befragen z.B. berichtet, dass sie in stark überbelegten Zellen gesessen, kaum Luft bekommen und so wenig Nahrung erhalten hätten, dass sie deutlich geschwächt worden seien; oftmals hätten sie sich nicht waschen dürfen, sodass sich Haut- und andere ansteckende Krankheiten verbreitet hätten, die nicht angemessen behandelt worden seien. In den Augen von Human Rights Watch besteht kein Zweifel daran, dass die Menschen auf den ‚Caesar‘-Fotos systematisch und in großem Umfang ausgehungert, geschlagen und gefoltert worden sind.
82 
Auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, passim, abrufbar unter:
83 
http://www.state.gov/j/drl/rls/hrrpt/humanrightsreport/index.htm?year=2015&dlid=252947) berichtet über die von Human Rights Watch analysierten ‚Caesar‘-Fotos und beschreibt eindrücklich die Art und den - zugenommenen - Umfang der in Syrien verbreiteten Menschenrechtsverstöße (vgl. insbes. S. 2, 5, 8, 14, 22 des Reports in der pdf-Version). Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, Foltermaßnahmen und das Verschwindenlassen von Personen (auch von Familienangehörigen) sind danach weit verbreitet. Regierungskräfte würden einschlägigen Berichten zufolge in tausenden von glaubhaft geschilderten Fällen weiterhin Folter und Vergewaltigungen - auch bei Kindern - einsetzen, v.a. in Gewahrsamszentren, an Kontrollpunkten oder aber etwa in Einrichtungen der Luftwaffe, etwa im Militärflughafen Mezzeh in Damaskus.
84 
Bei der gebotenen Gesamtschau der vorstehend exemplarisch referierten und sonst verfügbaren Erkenntnismittel gelangt die Kammer zu der Überzeugung, dass tatsächlichen oder vermeintlichen Anhängern der syrischen Oppositionsbewegung sowie ihren Angehörigen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit auch weiterhin konkret willkürliche Inhaftierungen zu menschenunwürdigen Bedingungen, Misshandlungen, Folter und auch willkürliche Tötungen und damit relevante Verfolgungshandlungen i.S.d. § 3a AsylG in extremer Ausprägung drohen. Diese richten sich gegen all diejenigen, die seitens der syrischen Sicherheitskräfte - und sei es auch zu Unrecht - verdächtigt werden, sich dem Regime gegenüber nicht loyal und treu zu verhalten oder gar oppositionellen Kräften in irgendeiner Weise nahe zu stehen. Das syrische Regime hegt offenkundig ein beachtliches Verfolgungsinteresse selbst gegenüber Personen, die sich im Zusammenhang mit den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land nicht positionieren (wollen) oder schlicht passiv verhalten. Das illustrieren in eindrücklicher Weise beispielsweise Aussagen von Präsident Assad selbst, der in einer Rede im Juli 2015 deutlich zum Ausdruck gebracht hat, dass das Land denen vorbehalten sein solle, die es beschützten (wiedergegeben im Fact-Finding Report des Finnish Immigration Service vom 23.08.2016, Syria: Military Service, National Defense Forces, Armed Groups Supporting Syrian Regime and Armed Opposition, S. 7, abrufbar unter http://www.migri.fi/download/69645_Report_Military_Service_Final.pdf?a92be5b59febd388; den Schlussfolgerungen im Bericht zufolge besteht deshalb - ggf. selbst nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen - für diejenigen, die das Land verlassen hätten, das Risiko, nicht mehr zurückkehren zu können).
85 
b) Die Kammer ist auf der Grundlage der verfügbaren Erkenntnismittel auch der Überzeugung, dass nicht nur solchen Syrern seitens des syrischen Regimes im Falle einer Rückkehr Verfolgungshandlungen der vorstehend beschriebenen Art und Intensität drohen, bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine individuelle oppositionelle Haltung erkennbar sind (oder die bereits vorverfolgt waren), sondern dass - von Einzelfällen offensichtlicher Unterstützer des Assad-Regimes abgesehen - nach wie vor alle Syrer, die illegal aus Syrien ausgereist sind und (jedenfalls) in Deutschland um Schutz nachgesucht - und diesen schließlich in Gestalt von subsidiärem Schutz auch zugesprochen bekommen - sowie sich dort länger aufgehalten haben, bei Rückkehr grundsätzlich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit derartige Verfolgungshandlungen in Gestalt einer Einzelverfolgung wegen Gruppenzugehörigkeit zu gewärtigen haben. Dieser Einschätzung liegt die auf die nachfolgenden Erkenntnisse gestützte Prämisse zugrunde, dass die syrische Regierung weiterhin ein ausgeprägtes Interesse an Aktivitäten der Exilopposition im Ausland hegt und diese ausforscht und überwacht (dazu aa)), dass eine Rückkehr nach Syrien ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden für die rechtliche Würdigung nicht unterstellt werden kann (dazu bb)) und dass es bei einer solchen Rückkehr verdachtsunabhängig zu Befragungen zur Abschöpfung von Informationen u.a. über die Exilszene mit der beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bis hin zur Folter sowie zu willkürlichen und rechtsstaatswidrigen exekutiven Strafmaßnahmen kommen wird (dazu cc)).
86 
aa) Noch immer - z.T. sogar verstärkt - ist davon auszugehen, dass die syrischen Nachrichtendienste syrische Oppositionelle im Ausland als Bedrohung ansehen und nach ihren Möglichkeiten beobachten. Das hat das Verwaltungsgericht Trier in seinem den Beteiligten bekannten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR - (Asylmagazin 2016, 383), auf dessen Begründung insoweit ergänzend verwiesen wird, unter Auswertung der hierzu verfügbaren Erkenntnisse aus den aktuellen Verfassungsschutzberichten des Bundes und einzelner Länder umfänglich dargestellt. Danach verfügen die syrischen Nachrichtendienste ungeachtet des Bürgerkriegs und damit einhergehender Auflösungserscheinungen in Teilen des Machtapparates unverändert über leistungsfähige Strukturen; ihr Aufgabenschwerpunkt ist die Ausforschung von Gegnern des syrischen Regimes, zu denen auch die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen (vgl. Bundesministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 263 f.). Sie haben augenscheinlich ein starkes Interesse am Verbleib bekannter Oppositioneller und an deren Rolle im syrischen Bürgerkrieg. Die Ausforschung persönlicher Umstände kann dann zur Repression gegen spätere Rückkehrer oder gegen in der Heimat verbliebene Verwandte genutzt werden (vgl. Sächsisches Staatsministerium des Innern, Verfassungsschutzbericht 2015, S. 236). Dabei können der Einschätzung der hessischen Behörden zufolge (Hessisches Ministerium des Innern und für Sport, Verfassungsschutz in Hessen, Bericht 2015, S. 162) insbesondere Flüchtlinge und deren Familie in der Heimat ausgespäht werden, gegebenenfalls versuchen fremde Nachrichtendienste, sie als menschliche Quelle zu gewinnen; darüber hinaus sei nicht auszuschließen, dass ausländische Nachrichtendienste daran interessiert seien, Informationen über bestimmte Flüchtlingsgruppen und das Agieren der in den Herkunftsländern verbliebenen Opposition zu erhalten.
87 
Auch der vom Ministerium für Inneres, Digitalisierung und Migration herausgegebene Verfassungsschutzbericht 2015 des Landes Baden-Württemberg (dort S. 268 und 271) betont, dass u.a. Syrien im Jahr 2015 insbesondere durch die geheimdienstliche Überwachung (ehemaliger) Landsleute, die im deutschen Exil leben, in Erscheinung getreten sei; die syrischen Dienste seien gezielt auch zur Überwachung tatsächlicher oder vermuteter regimekritischer Bestrebungen im Ausland eingesetzt worden.
88 
bb) Bei der anzustellenden Prognose einer Verfolgungsgefahr für den Fall einer Rückkehr sind Szenarien zugrunde zu legen, die - sofern man davon im hier zu diskutierenden Zusammenhang überhaupt sprechen kann - von „zumutbaren“ Heimreiserouten ausgehen (vgl. in ähnlichem Zusammenhang bei der Frage internen Schutzes § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wo vorausgesetzt wird, dass der Ausländer sicher und legal in einen sicheren Teil seines Herkunftslandes reisen kann). Solche (legale) Rückkehrmöglichkeiten existieren faktisch nur über von der Regierung kontrollierte Flughäfen oder offizielle Grenzstationen (ebenso etwa das österreichische Bundesverwaltungsgericht, statt vieler: BVwG, Erkenntnis vom 16.04.2015 - W170 2013874-1/5E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at), sodass eine Einreise nach Syrien für Rückkehrer aus Westeuropa ohne Kenntniserlangung der syrischen Behörden nicht möglich ist. Dabei ist für die Grenzbeamten aus den mitzuführenden Dokumenten in jedem Fall ersichtlich, dass sich die Betroffenen zuvor im westlichen Ausland, insbes. in der Bundesrepublik Deutschland aufgehalten haben (so schon VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris).
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Keinesfalls können Geflüchtete darauf verwiesen werden, womöglich wie schon bei ihrer Flucht abermals ggf. über unwegsame Regionen im Grenzgebiet zu den Nachbarstaaten Syriens möglichst unbemerkt - und ggf. illegal - in Landesteile zurückzukehren, über die die syrische Regierung (derzeit) keine Kontrolle ausübt, auch wenn dort die Wahrscheinlichkeit von Befragungen und die daran anknüpfende Gefährdungslage geringer ausgeprägt sein mag (vgl. hierzu die nicht näher datierte Auskunft des Deutschen Orient-Instituts vom November 2016 an das OVG Schleswig zum Verfahren 3 LB 17/16). Ungeachtet des Umstands, dass dies schon die (legale) Einreisemöglichkeit in einen entsprechenden ausländischen Nachbarstaat Syriens voraussetzen würde (vgl. - negativ - zu Jordanien diesbezüglich etwa die Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 25.07.2016 - Gz. 508-516.80/48834), könnten auch dazu ggf. erforderliche Reisedokumente von den die Kontrolle über diese Landesteile ausübenden Organisationen nicht anerkannt oder ausgestellt werden (vgl. dazu etwa VG Oldenburg, Urteil vom 18.11.2016 - 2 A 5162/16 -, Juris).
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Mithin ist (wegen des seitens des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge landesweit zugesprochenen subsidiären Schutzes: hypothetisch) näher zu betrachten, wie sich eine Ankunft und die Einreisekontrollen primär auf einem internationalen Flughafen Syriens - in Betracht kommt mit Blick auf die derzeitigen Verhältnisse in Aleppo derzeit wohl allenfalls Damaskus, ohne dass dies allerdings zu unterschiedlichen Ergebnissen führen würde - oder aber an einem sonstigen offiziellen Grenzübertrittspunkt näher gestalten würden.
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cc) Für den Fall einer solchen Rückkehr etwa über den Flughafen Damaskus ist mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass es verdachtsunabhängig zu obligatorischen Befragungen kommen wird. Diese Annahme stützt sich auf den Befund, dass eine Gemengelage ganz unterschiedlicher Motive ein Informationsinteresse der syrischen Sicherheitskräfte begründet, das sich bei einer Rückkehr aus Westeuropa, insbesondere Deutschland, realisieren wird. U.a. mit Blick auf die derartigen Rückkehrern jeweils vorzuhaltende illegale Ausreise, den längeren Aufenthalt in einem Exilstaat für Oppositionelle und auch vor dem Hintergrund der weiteren extremen Eskalation des Konflikts in Syrien und dem damit einhergehenden „Freibrief“ zu einer - straflosen - skrupellosen Behandlung auch nur potenziell Verdächtiger, ist davon auszugehen, dass Rückkehrern sehr pauschal eine ggf. nur vermeintliche Untreue zum Regime oder gar eine Regimegegnerschaft bzw. die Nähe zu einer solchen unterstellt wird.
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Die Art und Weise, wie die syrischen Regierungskräfte die militärischen Auseinandersetzungen im Land führen, wie sie dabei wahllos, willkürlich und großteils völkerrechtswidrig insbesondere Zivilpersonen - z.T. unter Einsatz geächteter Kriegswaffen - töten (vgl. dazu zusammenfassend etwa nur VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, InfAuslR 2016, 402) und welche Ziele sie dabei auswählen (vgl. dazu nur die Berichterstattung über gezielte Angriffe auch auf Kliniken, exemplarisch statt vieler nur die tageszeitung vom 21.11.2016, „Kliniken von Aleppo im Visier“, S. 10; Nr. IV der Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 zum - teilweise gezielten - Einsatz von Fassbomben gegenüber Zivilisten), zeigt eine Haltung der syrischen Machthaber auf, die auch Rückschlüsse auf die Behandlung von Rückkehrern zulässt. Offenkundiges Ziel aller Bemühungen ist es danach, jede Gegnerschaft zum Regime bereits von vorneherein und ohne nähere Differenzierung unerbittlich im Keim zu ersticken. Das VG Meiningen (a.a.O.; im Erg. ebenso z.B. VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -, Juris) führt in diesem Zusammenhang aus:
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„(…) Dass gerade Rückkehrern eine Regimegegnerschaft bzw. eine Nähe zu einer solchen höchst wahrscheinlich unterstellt werden wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Aufgrund der Einstellung des syrischen Regimes gegenüber dem westlichen Ausland, welches sich deutlich in der Staatengemeinschaft gegen das Regime Assad ausgesprochen hat und daher als zutiefst feindlich empfunden wird, wird dieses aller Voraussicht nach Syrern, die in dieses feindliche Ausland geflüchtet sind, per se eine feindliche Gesinnung unterstellen. Die Tatsache, dass syrische Flüchtende diese Reise ins westliche Ausland auf sich nehmen, dürfte der syrischen Staatsspitze zeigen, dass diese zum syrischen Staat und seinem Einfluss deutlichen Abstand gewinnen wollen, was für diesen gleichbedeutend mit Regimegegnerschaft sein dürfte. Nachdem viele oppositionelle Gruppierungen sich zunächst im Ausland formiert haben, so vor allem der Syrische Nationalkongress (SNC - vgl. hierzu Kristin Hellberg, "Brennpunkt Syrien: Einblicke in ein verschlossenes Land", Herder 2012, S. 96 ff.) und vom Ausland gesteuert erscheinen oder der syrische Staat zumindest diesen Verdacht hegen muss und ihn auch auf das westliche Ausland erstreckt, ist es nur sehr wahrscheinlich und aus Sicht der syrischen Machthaber konsequent, die mit der Flucht ins westliche Ausland gezeigte zumindest regimekritische, jedenfalls aus Sicht des syrischen Regimes nicht staats-treue Haltung zu ahnden und gleichzeitig das abzuschöpfen, was von der rückkehrenden Person abgeschöpft werden kann, nämlich Informationsgewinnung über Syrer mit regimegegnerischem Auftreten oder Unterstützungshandlungen im westlichen Ausland. Zudem erzeugt der syrische Staat mit solcher Machtdemonstration auch abschreckende Wirkung und verhindert den vermuteten Informationsfluss von westlichen Unterstützern des Aufstandes zu den im Inland Verbliebenen. (…)
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Für eine erhöhte Gefährdung der Rückkehrer spricht auch die Tatsache, dass das syrische Regime gerade das westliche Ausland für die Unruhen im Land verantwortlich macht bzw. dies offiziell so darstellt (Spiegel online - 05.02.2013, Interview mit Syriens Vize-Außenminister). Ein Aufenthalt im westlichen Ausland wird in den Augen der syrischen Sicherheitskräfte bereits auch wegen des Erlebens westlicher bzw. unabhängigerer Medienberichterstattung über das Geschehen in Syrien und der Gefahr des Kontaktes mit regimegegnerischen Bestrebungen und Ansichten zudem ein Sicherheitsrisiko darstellen, das ein Eingreifen erfordert. Denn erkennbar beharrt der syrische Machtapparat auf dem Meinungsmonopol und steuert entsprechend die Berichterstattung über die Ereignisse im Land. Rückkehrer stellen bereits aus diesem Grund ein Risiko der Unterwanderung der Absichten des syrischen Regimes im Hinblick auf ein gesteuertes Bild von der Lage im Land und in der Welt dar.“
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Das hält auch die Kammer insgesamt - bei allen Unwägbarkeiten der zugrunde zu legenden Hypothesen und anzustellenden Prognosen - für nahe liegend, plausibel und überzeugend. Die bereits geschilderte nachrichtendienstliche Aktivität bestätigt diese Annahme und das unvermindert anhaltende bzw. gestiegene Interesse an der Abschöpfung von Informationen über jegliche oppositionelle Betätigung. Ausführlich beschäftigt sich auch das Research Directorate des Immigration and Refugee Board of Canada in einem auf die Jahre 2014 und 2015 bezogenen Bericht vom 19.01.2016 mit der diesbezüglichen Gefährdungslage für Rückkehrer nach Syrien („Treatment of returnees upon arrival at Damascus International Airport and international land border crossing points, including failed refugee claimants, people who exited the country illegally, and people who have not completed military service; factors affecting treatment, including age, ethnicity and religion“, abrufbar unter http://www.ecoi.net/local_link/320204/459448_de.html). Darin werden die - wenigen - Fälle zwangsweiser Rückführungen wie auch die Umstände von „freiwillig“ (aus Nachbarstaaten und der dort z.T. prekären Situation) z.T. nur vorübergehend zurückkehrenden Syrern unter Auswertung dazu vorliegender Berichte betrachtet. Demzufolge scheint es eine sehr sorgfältig durchgeführte Standardprozedur am Flughafen (gleichermaßen aber auch bei anderen Grenzübertrittspunkten) zu geben, die eine Analyse sowie einen Abgleich der Identitätsdokumente mit Computerdatenbanken - auch bezüglich der Daten von Familienangehörigen - vorsieht, um herauszufinden, ob es sich um gesuchte Personen - sei es wegen begangener Straftaten, sei es wegen Beziehungen zur Opposition oder Nichtregierungsorganisationen - handelt. Vielfach sei Personen, v.a. Ausländern, dabei die Einreise auch verweigert worden. Bei den Einreisekontrollen, für deren Ablauf keine festen Regeln feststellbar seien, könnten etwa auch Handys oder andere persönliche Gegenstände auf irgendwie geartete Hinweise zu Kontakten oder dissidenten Einstellungen näher untersucht werden. Weiter wird betont, dass die Sicherheitskräfte am Flughafen und an Grenzübertrittspunkten nach wie vor eine „carte blanche“ hätten, um mit Verdächtigen anlasslos zu tun, was auch immer sie wollten, und dass in diesem Zusammenhang alles passieren könne, Schutzmechanismen gebe es nicht. Wenn eine Person von einem Sicherheitsbeamten verdächtigt werde, könne sie sofort in Gewahrsam genommen werden, verschwinden und gefoltert werden; ebenso könne die Erlaubnis der Einreise mit der Verpflichtung verbunden werden, zu einem späteren Zeitpunkt erneut zu erscheinen, um Auskünfte zu geben; auch dabei könne es zu Fällen von „Verschwinden“ kommen. Die Quellen des IRB betonen explizit, dass nicht nur bei behördlich gesuchten Personen schon die bloße Abneigung gegenüber Rückkehrern ohne jeglichen sachlichen Grund zu Misshandlungen führen kann, das System sei insoweit in hohem Maße unvorhersehbar. Auch Einreisende, die nichts mit der Revolution zu tun hätten, würden zuweilen festgehalten und verhaftet. Bei alledem würden auch bewusst Familienangehörige instrumentalisiert. Mehrere sachverständige Quellen des IRB äußerten die Einschätzung, dass ein abgelehnter Asylbewerber mit Sicherheit verhaftet und festgehalten würde; die Person würde mit dem Vorwurf konfrontiert werden, im Ausland falsche Informationen über das Land verbreitet und sich in die Nähe der Opposition begeben zu haben. Es würde zu Foltermaßnahmen und ggf. lang andauernden Gefängnisaufenthalten kommen, auch um die Gründe für die Ausreise zu hinterfragen und Informationen über andere Flüchtlinge oder die Opposition zu erlangen.
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In gleicher Weise geht auch das U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria, S. 34) davon aus, dass Personen, die (erfolglos) um Asyl in anderen Ländern nachgesucht hätten, bei Rückkehr Verfolgungsmaßnahmen zu gewärtigen hätten. Das sehe bereits - aus strafrechtlicher Perspektive - das innerstaatliche Recht vor. Die Regierung habe routineartig Dissidenten und frühere Staatsbürger mit keiner bestimmten politischen Zugehörigkeit bei Rückkehrversuchen verhaftet, selbst nach Jahren oder sogar Jahrzehnten des selbstgewählten Exils.
97 
Auch die - wenigen und kaum aussagekräftigen - Berichte über (nur vereinzelt stattfindende) zwangsweise Rückführungen nach Syrien bestätigen die vorstehenden Einschätzungen eher. Menschenrechtsorganisationen haben solche Fälle, die sich allerdings auf Rückführungen oder Zurückweisungen aus Nachbarstaaten (Libanon, Jordanien, Ägypten) beschränken und z.T. auch schon längere Zeit zurückliegen, sowie dabei z.T. auch Festnahmen am Flughafen dokumentiert und von Menschenrechtsverletzungen bis hin zur Tötung Einzelner berichtet (Human Rights Watch, Lebanon: Stop Forcible Returns to Syria, 11.01.2016, https://www.hrw.org/news/2016/01/11/lebanon-stop-forcible-returns-syria; Lebanon: Syrian Forcibly Returned to Syria, 07.11.2014, https://www.hrw.org/news/2014/11/07/lebanon-syrian-forcibly-returned-syria; Letter to Lebanese Officials Regarding Deportation of Syrians, 04.08.2012, https://www.hrw.org/news/2012/08/04/letter-lebanese-officials-regarding-deportation-syrians; Lebanon: Palestinians Barred, Sent to Syria, 05.05.2014, https://www.hrw.org/news/2014/05/05/lebanon-palestinians-barred-sent-syria; Jordan: Obama Should Press King on Asylum Seeker Pushbacks, 21.03.2013, https://www.hrw.org/news/2013/03/21/jordan-obama-should-press-king-asylum-seeker-pushbacks; Egypt: Syria Refugees Detained, Coerced to Return, 10.11.2013, https://www.hrw.org/news/2013/11/10/egypt-syria-refugees-detained-coerced-return; vgl. auch amnesty international, Syria: 'Between prison and the grave': Enforced disappearances in Syria, 05.11.2015, abrufbar unter https://www.amnesty.org/en/documents/mde24/2579/2015/en/; vgl. ebenso die Berichterstattung über die Abschiebung von 36 Personen - hauptsächlich Palästinensern - von Ägypten nach Syrien, die nunmehr zu einem Großteil in der gefürchteten „Palästina-Abteilung“ des syrischen Militärnachrichtendienstes festgehalten werden sollen, wiedergegeben in: österr. BVwG, Erkenntnis vom 29.07.2015 - W224 2102645-1/14E -, abrufbar unter www.ris.bka.gv.at).
98 
Ein weiteres - wenn auch nicht tragendes - Indiz für die Annahme einer beachtlichen Gefahr menschenrechtswidriger Behandlung bei Rückkehr mit der erforderlichen Gefahrdichte für Angehörige der hier untersuchten Personengruppe sieht die Kammer in der subjektiven Sichtweise der im Bundesgebiet aufhältigen syrischen Flüchtlinge selbst, die zwar als solche rechtlich keinesfalls maßgeblich ist, aber mit Blick auf die in § 3 Abs. 1 AsylG in Bezug genommene „Furcht“ vor Verfolgung immerhin einen (zu objektivierenden) Anhaltspunkt bietet. Schließlich ist aus der Sicht des Schutzsuchenden zu prüfen, ob seine Furcht vor Verfolgung nach der objektiven Zielgerichtetheit der Verfolgungsmaßnahme unter Berücksichtigung seiner individuellen Lage und seiner persönlichen Verhältnisse begründet ist; das Merkmal der „begründeten Furcht“ enthält damit ein subjektives, an den persönlichen Hintergrund des Betroffenen einschließlich seiner Selbsteinschätzung der Lage anknüpfendes und ein objektives, auf die gefahrbegründenden Verhältnisse im Herkunftsland bezogenes Element (vgl. nur Zeitler, HTK-AuslR / § 3 AsylG - zu Abs. 1, Rn. 8 ff.). Trotz aller Vorbehalte hinsichtlich der Repräsentativität von Stichproben und der Validität entsprechender Erhebungen sind in diesem Zusammenhang etwa die Ergebnisse einer Befragung syrischer Flüchtlinge zu ihren Fluchtgründen und etwaigen Rückkehrhindernissen jedenfalls in Ansätzen durchaus aufschlussreich. So hat die Kampagne adopt a revolution unter wissenschaftlicher Begleitung des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Herbst 2015 Angaben von insgesamt 889 Flüchtlingen in Deutschland mit standardisierten Fragebögen erhoben (Perabo / Haid / Giebler, Fluchtgründe und Zukunftsperspektiven - Rückkehr nach Syrien?, 07.10.2015, abrufbar unter https://www.adoptrevolution.org/wp-content/uploads/2015/10/pm-adopt-a-revolution-fluchtumfrage.pdf). Bemerkenswerterweise haben dabei 86 % der Befragten als zweiten zentralen Fluchtgrund (neben den in Syrien herrschenden bewaffneten Auseinandersetzungen) die Angst vor Verhaftungen bzw. Entführungen genannt, ein Anteil von 77 % hiervon explizit bezogen auf eine Festnahme seitens des Assad-Regimes. Vor dem Hintergrund der - in anderem Zusammenhang auch vom Bundesamt argumentativ bemühten - beträchtlichen Zahlen von Geflohenen kann nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei überwiegend um aktive Oppositionelle oder sonst exponierte Personen mit erhöhtem Risikoprofil oder gar individuellem Vorverfolgungsschicksal handelt; vielmehr dürfte sich auch die befragte Personengruppe zu einem Großteil aus Bürgerkriegsflüchtlingen zusammensetzen, die (aus subjektiver Sicht) jedermann drohende Gefahren fürchtet. Vor dem Hintergrund, dass diese Befürchtungen - wie dargelegt - auch auf objektiven tatsächlichen Feststellungen beruhen, sieht sich die Kammer berechtigt, derartige subjektive Einschätzungen - bestätigend - für die Analyse der Gefahrendichte für eine Personengruppe und die Einzelgefährdung von Gruppenangehörigen heranzuziehen, ohne damit die Rechtsfindung gleichsam demoskopisch ausgestalten zu wollen. Hinzu kommt, dass etwa auch die Erkenntnisse des Immigration and Refugee Board of Canada (a.a.O.) ähnliche Schlüsse zulassen, wenn es dort unter Heranziehung sachverständiger Quellen heißt, Flüchtlinge aus Syrien würden mit Blick auf die daraus folgenden Gefahren bei einer Rückkehr z.T. nur zögerlich um Flüchtlingsschutz nachsuchen.
99 
Auf der Grundlage und unter Ausschöpfung all dieser Erkenntnisse und Einschätzungen erscheint der Kammer eine Rückkehr in den Heimatstaat für Angehörige der vorstehend näher umrissenen Personengruppe - und damit auch für die Kläger - aus der Sicht eines besonnenen und vernünftig denkenden Menschen in der Lage des Asylsuchenden nach Abwägung aller bekannten Umstände unzumutbar. Es drohen mit überwiegender und damit beachtlicher Wahrscheinlichkeit im dargelegten Sinn nicht nur vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder eine Vielzahl einzelner Übergriffe. Vielmehr stellt sich die Gefahrenlage mit Blick auf die in quantitativer Hinsicht zu erwartenden Eingriffshandlungen so dar, dass für jeden aus Deutschland nach Syrien zurückkehrenden Asylbewerber mit den genannten Eigenschaften nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres auch die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit besteht.
100 
Selbst wenn man - entgegen der vorstehenden Bewertung - die Wahrscheinlichkeit von Verfolgungsmaßnahmen mathematisch ausgedrückt bei weniger als 50 % verorten wollte (und könnte), wäre nach Auffassung der Kammer noch immer von einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit im erforderlichen Maße auszugehen. Schließlich sind bei der Anwendung der einschlägigen Wahrscheinlichkeitsmaßstäbe nach den eingangs dargelegten Grundsätzen auch Umfang und Ausmaß ggf. drohender Rechtsgutsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen. Dabei kann eine Rückkehr in den Heimatstaat auch dann unzumutbar sein, wenn ein mathematischer Wahrscheinlichkeitsgrad von weniger als 50 % für eine politische Verfolgung gegeben ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34). In einem solchen Fall reicht zwar die bloße theoretische Möglichkeit einer Verfolgung nicht aus. Ein vernünftig denkender Mensch wird sie außer Betracht lassen. Ergeben jedoch die Gesamtumstände des Falles die „reale Möglichkeit“ einer flüchtlingsrechtlich relevanten Verfolgung, wird auch ein verständiger Mensch das Risiko einer Rückkehr in den Heimatstaat nicht auf sich nehmen. Ein verständiger Betrachter wird bei der Abwägung aller Umstände daneben auch die besondere Schwere des befürchteten Eingriffs in einem gewissen Umfang in seine Betrachtung einbeziehen. Wenn nämlich bei quantitativer Betrachtungsweise nur eine eher geringere mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung besteht, kann es auch aus der Sicht eines besonnen Menschen bei der Überlegung, ob er in seinen Heimatstaat zurückkehren kann, einen ganz erheblichen Unterschied bedeuten, ob er z.B. lediglich eine Gefängnisstrafe von einem Monat oder aber Folter oder gar die Todesstrafe riskiert (so BVerwG, Urteile vom 05.11.1991 - 9 C 118.90 -, NVwZ 1992, 582, und vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936). Auch gilt: Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar vor der Tür steht. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Die allgemeinen Begleitumstände, z. B. eine Willkürpraxis, die Repressionsmethoden gegen bestimmte oppositionelle oder verwundbare Gruppen, sind allgemeine Prognosetatsachen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.11.1990 - 9 C 72.90 -, NVwZ 1991, 384 sowie zusammenfassend VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.08.2014 - A 11 S 1128/14 -, EzAR-NF 62 Nr. 34).
101 
Mit Blick auf die mit Todesgefahren verbundene menschenverachtende Behandlung, die missliebigen Rückkehrern ohne jegliche Differenzierung droht, hielte es die Kammer vor diesem Hintergrund für angezeigt und geboten, bei der Subsumtion des „real risk“ jedenfalls auch eine bei allen Unwägbarkeiten nur schwer zu prognostizierende und womöglich geringer ausgeprägte mathematische Wahrscheinlichkeit für eine Verfolgung ausreichen zu lassen; dies muss jedenfalls dann gelten, wenn - wie hier - feststeht, dass das die Staatsgewalt ausübende Regime in der Vergangenheit Rückkehrer in skrupelloser Weise und mit größter Brutalität Verfolgungshandlungen unterworfen hat und nunmehr - einer Widerrufssituation vergleichbar - die Frage zu beantworten ist, ob sich daran Entscheidungserhebliches geändert haben könnte, obwohl valide Erkenntnisse hierfür in Ermangelung von Referenzfällen nicht zu gewinnen sind (vgl. dazu OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2012 - 14 A 2708/10.A -, Juris).
102 
Demgegenüber vermag die Kammer bei alledem keine validen Rückschlüsse für die hier zu beurteilende Gefährdungslage aus dem Umstand zu ziehen, dass tatsächlich „freiwillige“ und z.T. wohl unkontrollierte Rückkehrbewegungen zu verzeichnen sind. Nicht zu verkennen ist zwar, dass syrische Staatsangehörige in substanzieller Zahl täglich die Grenze passieren. Aus Jordanien kehrten etwa im Juli 2015 offenbar knapp 2.000 Syrer in ihre Heimatland zurück, im August 2015 dürften es sogar mehr als 3.800 gewesen sein (so die Angaben des UNHCR, Operational Update zu Jordanien, August 2015, abrufbar unter http://www.unhcr.org/news/updates/2015/8/54d87b279/jordan-operational-update.html, wo allerdings zugleich mitgeteilt wird, dass sich in Jordanien knapp 630.000 Syrer aufhalten und täglich etwa 40 bis 50 Syrer nach Jordanien fliehen); für den Oktober 2015 wird eine tägliche Rückkehrrate von 160 Personen angegeben (Koehler-Schindler / Oehring, Syrische Flüchtlinge in Jordanien, Länderbericht der Konrad-Adenauer-Stiftung, Oktober 2015, abrufbar unter www.kas.de/amman). Auch aus den kurdischen Regionen des Irak kehrten im Jahr 2015 tausende Syrer zurück (UNHCR, Despite war at home, more Syrian refugees return from Iraq, 08.02.2016, http://www.unhcr.org/news/latest/2016/2/56b85b3d6/despite-war-home-syrian-refugees-return-iraq.html). Vergleichbare Erkenntnisse lagen auch dem Immigration and Refugee Board of Canada in seinem Bericht vom 19.01.2016 (a.a.O.) vor.
103 
Diese Rückkehrfälle sind jedoch nicht mit dem der rechtlichen Beurteilung zugrunde zu legenden Szenario einer offenen Heimreise (primär) über einen internationalen Flughafen zu vergleichen. Vielmehr sind insoweit nahezu ausschließlich Fälle von Grenzübertritten aus angrenzenden Nachbarstaaten dokumentiert, ohne dass durchgehend ersichtlich ist, ob es sich dabei jeweils um registrierte Einreisen handelt (UNHCR, Despite war at home…, a.a.O., beschreibt z.B. eine Rückkehr auf einem Boot über den Tigris). Überdies betonen die zitierten Quellen das mit der Rückkehr verbundene klare Risiko, das lediglich wegen der düsteren, prekären und perspektivlosen Verhältnisse in den Flüchtlingslagern der benachbarten Aufnahmestaaten in Kauf genommen werde. Auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat in seinem insoweit bereits auszugsweise wiedergegebenen Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 - (a.a.O.) auf die fehlende Vergleichbarkeit von überwiegend in Flüchtlingslagern und somit wohl ganz überwiegend ohne relevante Kontakte zur inländischen Opposition oder zur Exilopposition lebenden Flüchtlingen einerseits und solchen, die in Deutschland und Europa um Schutz nachgesucht haben, verwiesen und dabei insbesondere auch herausgestellt, dass hinsichtlich letzterer ohnehin nicht von einer massenhaften gleichzeitigen Rückkehr ausgegangen werden könne. Das Gefährdungsprofil der beiden Vergleichsgruppen unterscheidet sich wesentlich bereits dadurch, dass das Risiko, einer Befragung zur Regimetreue und zur Abschöpfung von Informationen unterworfen zu werden, für Rückkehrer aus dem seitens des Regime verhassten westlichen Auslands ungleich höher einzustufen ist; insoweit ist es nahe liegend und plausibel, dass bei Rückkehrern aus Flüchtlingscamps in den Nachbarstaaten beim Passieren der Grenze auf dem Landweg von den syrischen Sicherheitskräften noch eher eine allein bürgerkriegsbedingte Motivation ohne damit verbundene Parteinahme für eine Seite unterstellt wird.
104 
Auch der Umstand, dass die syrische Regierung seit April 2015 wieder vermehrt Pässe ausstellt und damit Ausreisen erleichtert, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung und insbesondere nicht den (spekulativen) Schluss, deshalb sei zugleich das Maß einer etwaigen Rückkehrgefährdung entscheidend relativiert.
105 
Die Auskunft der Deutschen Botschaft in Beirut an das Bundesamt vom 03.02.2016 gibt hierzu über Nachrichtenagenturen verbreitete Mitteilung der syrischen Botschaft in Jordanien wieder, wonach allein dort jeden Monat 10.000 syrische Pässe neu ausgestellt oder verlängert würden; einen solchen Pass erhalte bei Bezahlung grundsätzlich jeder Syrer. Die syrische Botschaft in Berlin habe dem Auswärtigen Amt mitgeteilt, im Jahr 2015 insgesamt 6.314 Pässe verlängert und knapp 2.000 neu ausgestellt zu haben (Vergleichszahl für 2010: 1.894 neue Pässe und 1.365 Verlängerungen). Ergänzend und „unbestätigt zu möglichen Motiven“ heißt es in der Auskunft der Botschaft Beirut weiter:
106 
„Die wirtschaftliche Lage des syrischen Regimes hatte sich im ersten Quartal 2015 vermutlich weiter verschlechtert, worauf damalige intensive Verhandlungen über neue Kreditlinien mit RUS und IRN, steigende Inflation, Verfall von Infrastruktur, Verluste von Wirtschaftsräumen (Grenzübergangs Nassib, Ölfelder) hindeuten. Letztlich liegen der Botschaft Beirut aber keine konkreten Erkenntnisse zur Verwendung syrischer, staatlicher Einnahmen vor. Es ist zu vermuten, dass speziell Einnahmen aus Passgebühren dem allgemeinen, syrischen Staatshaushalt zu Gute kommen.“
107 
Auch entsprechenden Presseberichten lassen sich Informationen zur Passausstellungspraxis der syrische Behörden entnehmen (zusammengefasst wiedergegeben in einem im Verfahren 3 K 368/16 an das Verwaltungsgericht des Saarlandes gerichteten Schriftsatz des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.09.2016, abrufbar über die Datenbank MILO). Dem Tagesspiegel vom 26.10.2015 und vom 05.11.2015 zufolge würden etwa 3.000 Pässe täglich ausgestellt, 829.000 seit Jahresbeginn 2015. Die gleichzeitig stark gestiegenen Passgebühren für Syrer im Ausland hätten der Staatskasse in Damaskus seither mehr als eine halbe Milliarde Dollar eingebracht; die syrische Regierung nutze die Ausstellung der Pässe als wichtige Einnahmequelle. Ein in diesem Bericht zitierter türkischer Migrationsforscher ordnete die neue Praxis als „politischen Schritt“ ein, um die Flüchtlingskrise in Europa weiter anzuheizen.
108 
Wenn aber sämtliche Schlussfolgerungen aus der Passausstellungspraxis der syrischen Behörden zwangsläufig spekulativ bleiben müssen und wenn selbst die Botschaft in Beirut hierbei primär - plausible und nachvollziehbare - fiskalische Erwägungen und Motive als möglich ansieht oder gar vermutet, kann diesen Umständen keine valide Aussagekraft für eine abweichende Beurteilung der Rückkehrgefährdung beigemessen werden (ebenso etwa VG Köln, Urteil vom 25.10.2016 - 20 K 2890/16.A -; VG Münster, Urteil vom 13.10.2016 - 8 K 2127/16.A -; VG Düsseldorf, Urteil vom 22.11.2016 - 3 K 7501/16.A -; VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -; VG Regensburg, Urteil vom 29.06.2016 - RN 11 K 16.30666 -, jeweils Juris). Bemerkenswerterweise hat das Auswärtige Amt auch in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) noch die Auffassung vertreten, u.a. wegen fehlender Erfahrungswerte in Bezug auf aktuelle - bereits damals ausgesetzte - Rückführungen sei es derzeit nicht möglich zu beurteilen, ob die Ausstellung eines Reisepasses ein Indiz für oder gegen ein Verfolgungsinteresse sei.
109 
Die Kammer sieht auch keine Anhaltspunkte im Tatsächlichen für die - gleichfalls spekulative - Annahme, dem syrischen Staat ermangele es zwischenzeitlich an den erforderlichen Ressourcen und Kapazitäten für (systematische) Verfolgungsmaßnahmen gegenüber Rückkehrern. Zum Einen deuten schon die derzeitigen militärischen Erfolge der von Russland unterstützten und z.T. „entlasteten“ Regierungskräfte darauf nicht hin (vgl. hierzu die ausführlichen Darlegungen des VG Trier in seinem bereits mehrfach zitierten Urteil vom 07.10.2016 - 1 K 5093/16.TR -, a.a.O., die sich die Kammer insoweit zu eigen macht), wobei hinzu kommt, dass es für Befragungen der hier in Rede stehenden Art keiner großen Ressourcen bedarf (VG Saarland, Urteil vom 11.11.2016 - 3 K 583/16 -, Juris; vgl. im Übrigen auch VG Meiningen, Urteil vom 01.07.2016 - 1 K 20205/16 Me -, a.a.O.). Zum Anderen würde eine solche Annahme in unzulässiger Weise auf der Hypothese aufbauen (müssen), die nach Europa geflüchteten Syrer würden massenhaft gleichzeitig zurückkehren und die Einreisekontrollen (ggf. am Flughafen) durchlaufen (vgl. hierzu abermals bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, a.a.O.).
110 
Auch soweit ansatzweise Einschätzungen des Auswärtigen Amtes zur Rückkehrgefährdung Asylsuchender bzw. subsidiär Schutzberechtigter verfügbar sind, fehlt diesen die Aussagekraft, um darauf gestützt „vernünftig denkenden und nicht übertrieben furchtsamen Menschen“ einen Heimreiseversuch (hypothetisch) anzusinnen. Die hierzu vorliegenden Äußerungen des Auswärtigen Amtes sind bloße Negativ-Auskünfte ohne verlässlichen und weiterführenden Gehalt. Dem Auswärtigen Amt war es wegen der Lage in Syrien nicht mehr möglich, seine Lageberichte - wie sonst üblich - in regelmäßigen Zeitabständen zu aktualisieren; der letzte reguläre Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Arabischen Republik Syrien vom 27.09.2010 datiert aus der Zeit vor den im Frühjahr 2011 aufgeflammten Unruhen, seither hat das Auswärtige Amt nur einen einzigen „Ad hoc-Bericht“ (vom 17.02.2012) veröffentlicht. Die Deutsche Botschaft Damaskus hat den operativen Dienstbetrieb auf unbestimmte Zeit eingestellt (vgl. Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vom 08.03.2012). In der Auskunft der Botschaft in Beirut vom 03.02.2016 heißt es, dem Auswärtigen Amt lägen keine Erkenntnisse dazu vor, dass Rückkehrer ausschließlich aufgrund des vorausgegangenen Auslandsaufenthalts Übergriffe bzw. Sanktionen zu erleiden hätten. Abgesehen von dem Umstand, dass hierbei allein auf den Auslandsaufenthalt abgestellt und nicht - wie geboten - weiter differenziert wird, ergibt sich daraus nur, dass Erkenntnisse - sei es mangels Referenzfällen, sei es wegen der lagebedingten Einschränkungen Tätigkeit der diplomatischen Vertretung vor Ort - schlicht nicht zu erlangen sind. Ergänzend heißt es nur, es seien Fälle bekannt, bei denen Rückkehrer nach Syrien befragt worden, zeitweilig inhaftiert worden oder dauerhaft verschwunden seien, was „überwiegend“ in einem Zusammenhang mit oppositionsnahen Aktivitäten (beispielsweise Journalisten oder Menschenrechtsverteidigern) oder in Zusammenhang mit einem nicht abgeleisteten Militärdienst stehe. Die aktuelle Auskunft des Auswärtigen Amts an das Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein vom 07.11.2016 verhält sich hierzu noch knapper, wenn es dort nur noch heißt, das Auswärtige Amt habe „keine Kenntnisse zu systematischen Befragungen von unverfolgt ausgereisten Asylbewerbern nach Rückkehr nach Syrien“, und wenn dort wiederholt wird, dass keine Erkenntnisse dazu vorlägen, dass „ausschließlich aufgrund eines vorausgegangenen Auslandsaufenthalts“ Rückkehrer nach Syrien Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt seien.
111 
Die vorstehend konturierte Auskunftslage des Auswärtigen Amtes entspricht im Wesentlichen noch immer seinen Einschätzungen zu Beginn der Unruhen in Syrien und stellt mithin keine tragfähige Grundlage für eine nunmehr abweichende Lagebeurteilung dar. Schon in seiner Auskunft an das VG Augsburg vom 02.11.2011 (Gz. 508-516.80/47062) hatte es mitgeteilt, eine Asylantragstellung oder der längerfristige Auslandsaufenthalt seien nach den Erkenntnissen des Auswärtigen Amtes bislang [Hervorhebung im Original] für sich allein genommen kein Grund für Verhaftung oder Repressalien gewesen; es werde aber darauf hingewiesen, dass wegen fehlender Rückführungen keine aktuellen Erfahrungswerte bezüglich eines etwaigen Verhaltens der syrischen Sicherheitsbehörden gegenüber zurückgeführten abgelehnten Asylbewerbern vorlägen (vgl. dazu bereits OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18.07.2012 - 3 L 147/12 -, Juris).
112 
Die Kammer hält die Grundlagen im Tatsächlichen für die anzustellende Gefährdungsprognose nach den gesamten vorstehenden Darlegungen derzeit auch für hinreichend aufgeklärt bzw. nicht zielführend weiter aufklärbar und sieht daher von einer eigenen Beweisaufnahme ab. Auch sieht sie keine Veranlassung, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis Antworten auf die Auskunftsersuchen vorliegen, die das VG Düsseldorf am 23.06.2016 bzw. 18.07.2016 in den Verfahren 5 K 7480/16.A bzw. 5 K 7221/16.A an den UNHCR und das Auswärtige Amt gerichtet hat (vgl. ebenso das zusätzlich auch an EASO gerichtete Auskunftsersuchen des VG Halle vom 21.07.2016 im Verfahren 2 A 205/16 HAL). Hier sind zwar womöglich wertvolle und in der Sache zu würdigende Einschätzungen und Bewertungen von (weiteren) relevanten Quellen (vgl. § 3e Abs. 2 Satz 2 AsylG) zu erwarten, nicht aber neue Erkenntnisse zur Sachlage selbst. Zudem ist in diesem Zusammenhang in Erinnerung zu rufen, dass es dem Bundesamt selbst offen stand - und es ggf. auch gehalten gewesen wäre -, zur Begründung seiner geänderten Entscheidungspraxis bei der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zuvor oder begleitend entsprechende Anfragen an relevante Quellen zu richten, zumal das Auswärtige Amt - wie dargelegt - seit längerer Zeit hierzu keine Erkenntnisse mitzuteilen vermag.
113 
c) Die nach dem Vorstehenden zu befürchtenden Verfolgungsmaßnahmen bei Rückkehr knüpfen auch an in § 3 Abs. 1 Nr. 1, § 3b AsylG aufgezählte asylerhebliche Merkmale an, sodass die nach § 3a Abs. 3 AsylG erforderliche Verknüpfung besteht; jedenfalls würden die syrischen Sicherheitskräfte bei den im Fall einer Rückkehr anstehenden Befragungen den Betroffenen - wie dargelegt - eine Nähe zur Oppositionsbewegung unterstellen oder darauf zumindest aufbauen und diesen damit entsprechende Merkmale zuschreiben (§ 3b Abs. 2 AsylG); dies legt schon die extreme Intensität der zu befürchtenden Eingriffe nahe, ein anderes realistisches Erklärungsmuster ist für die Kammer nicht ersichtlich. Es besteht keinerlei Veranlassung, von der diesbezüglichen (oben bereits wiedergegebenen) Sichtweise des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Beschluss vom 29.10.2013 - A 11 S 2046/13 -, Juris; Beschluss vom 19.06.2013 - A 11 S 927/13 -, Juris) abzuweichen. Nach wie vor gilt, dass zum Komplex der erforderlichen Gerichtetheit keine weiteren Erfolg versprechenden Ermittlungsmöglichkeiten bestehen, vielmehr keine nahe liegenden Deutungsmöglichkeiten vorhanden sind, die auf das Fehlen dieser Gerichtetheit führen würden.
114 
d) Internen Schutz im Sinne von § 3e AsylG können die Kläger nicht erlangen. Bereits aus der Gewährung subsidiären Schutzes durch die Beklagte folgt mit Blick auf § 4 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 3e Abs. 1 Nr. 2 AsylG, dass vom ihnen vernünftigerweise nicht erwartet werden kann, sich in irgendeinem Landesteil Syriens aufzuhalten. Dies stimmt auch mit der aktuellen Erkenntnislage weiterhin überein (vgl. nur die Auskunft der Botschaft Beirut vom 03.02.2016 an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge). Ohnehin droht die vorstehend bezeichnete Verfolgungsgefahr aber auch bereits bei der Einreise.
115 
3. In gleicher Weise ist auch die Verfolgungsfurcht der noch minderjährigen Kläger zu 4), 5) und 6) eigenständig begründet. Sie müssen sich nicht auf die Inanspruchnahme von Familienasyl nach einer etwaigen Bestandskraft der Anerkennung ihrer Eltern (vgl. dazu nur VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27.06.1995 - A 14 S 1686/94 -, VGHBW-Ls 1995, Beilage 10, B5; anders: VG München, Urteil vom 17.03.2016 - M 22 K 15.30256 -, Juris) verweisen lassen.
116 
Zur Überzeugung der Kammer sind mit ihren Eltern in das westeuropäische Ausland ausgereiste Kinder im (hypothetischen) Fall einer Rückkehr gleichermaßen gefährdet. Dem U.S. State Department (Country Report on Human Rights Practices for 2015, Syria) zufolge ist auch weiterhin eine beträchtliche Anzahl von Berichten über außerordentlich brutale Fälle des Missbrauchs von Kindern seitens der syrischen Regierung zu verzeichnen (S. 8, 47); regelmäßig würden Ingewahrsamnahmen und Folterungen von Kindern unter 13 Jahren - in einigen Fällen bei Elfjährigen - geschildert. Dabei würden sie gezielt wegen ihrer tatsächlichen oder nur vermuteten familiären Beziehungen zu Dissidenten, Mitgliedern der Freien Syrischen Armee oder Aktivistengruppen gefoltert. Ihnen gegenüber würden die gleichen Methoden wie bei Erwachsenen angewendet. Über sie sollte z.T. Druck auf ihre Eltern ausgeübt werden. Auch das Immigration and Refugee Board of Canada (Bericht vom 19.01.2016, a.a.O.) berichtet beispielsweise davon, dass bei Einreisen über Grenzkontrollpunkte überprüft werde, ob Familienangehörige des Einreisenden gesucht seien; für diesen Fall komme es zu Ingewahrsamnahmen und „Verschwindens“-Fällen, um Druck auf die Gesuchten auszuüben, was die sippenhaftähnlichen Verhältnisse vor Ort illustriert. Auch die Schnellrecherche der SFH vom 10.09.2015 mit dem Titel „Reflexverfolgung“ fasst Erkenntnisse zusammen, denen zufolge Personen vielfach aufgrund ihrer familiären Zugehörigkeit Opfer zielgerichteter Verfolgung wurden; Familienangehörige würden verhaftet und gefoltert, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen. Auch Kinder sollen von derartigen Maßnahmen betroffen gewesen sein, Frauen würden auch zur gezielten Demütigung ihrer männlichen Verwandten gefangen genommen. Das so umrissene Vorgehen werde weiterhin systematisch angewandt. Der UNHCR stellt in seinen bereits zitierten Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen (HCR/PC/SYR/01, S. 12, 15), heraus, dass eine Besonderheit des Konflikts in Syrien gerade in dem Umstand bestehe, dass oftmals größeren Personengruppen eine politische Meinung schlicht undifferenziert unterstellt werde; Kinder seien nicht nur massiv von den bewaffneten Auseinandersetzungen im Land betroffen, sondern würden auch vielfach festgenommen, entführt, gefoltert oder Opfer sexueller Gewalt (S. 15). Mit Blick auf die bereits mehrfach betonte Rücksichtslosigkeit des Vorgehens des syrischen Regimes, das selbst Kliniken unter Beschuss nimmt, hält es die Kammer vor diesem Hintergrund auch für beachtlich wahrscheinlich, dass Kinder bei einer Rückkehr nach Syrien am Flughafen oder an anderen Grenzkontrollpunkten entweder selbst einer mit Verfolgungshandlungen verbundenen Befragung unterzogen werden oder aber bei der Befragung ihrer Eltern in menschenrechtswidriger Weise instrumentalisiert und ggf. gefoltert werden, um Druck auf ihre Verwandten auszuüben.
117 
Die vorstehenden Erwägungen gelten gleichermaßen für den derzeit 16-jährigen männlichen Kläger zu 4), der bereits ein Alter erreicht hat, das womöglich sogar die Mobilisierung für Kampfhandlungen erwarten ließe. In diesem Alter kann ihm seitens des syrischen Regimes auch bereits die Bildung einer politischen Überzeugung zugeschrieben werden, sodass ihm persönlich die illegale Ausreise und der längere Aufenthalt in Deutschland als Ausdruck regimefeindlicher Gesinnung angelastet werden kann.
118 
Auch für den derzeit 12-jährigen männlichen Kläger zu 5) hält die Kammer eine individuelle Verfolgungsfurcht nach den vorstehenden Ausführungen für begründet, auch wenn er selbst noch nicht mit dem Begehren der Teilnahme an Kampfhandlungen oder Militärdiensten konfrontiert werden dürfte. Immerhin befindet auch er sich in einem Alter, in dem Jugendliche schon eine gewisse eigenständige geistige Reife aufweisen können; sein männliches Geschlecht dürfte ihn dabei in gesteigertem Maße vulnerabel für Verfolgungshandlungen der syrischen Sicherheitskräfte machen.
119 
Letztlich ist die Kammer ebenso der Überzeugung, dass auch der fünfjährigen Klägerin zu 6) mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen drohen, die in ihrem Fall - wie im Übrigen auch ohnehin bei ihren Geschwistern - daran ansetzen würden, über Misshandlungen ihrer Person Druck auf ihre Eltern ausüben zu können. Dabei ist in ihrem Fall nicht maßgeblich, dass sie wegen ihres Alters noch nicht in der Lage ist, sich eine politische Überzeugung zu bilden (so aber beispielhaft etwa VG Schleswig, Urteil vom 06.10.2016 - 12 A 651/16 -, Juris; VG Magdeburg, Urteil vom 18.10.2016 - 9 A 464/16 MD -, Juris).
120 
All diese Verfolgungshandlungen gegenüber den Klägern zu 4) bis 6) würden wegen des Bezugsrahmens zu ihren Eltern nämlich auch die erforderliche Asylrelevanz aufweisen. Der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zufolge (vgl. Beschluss vom 22.11.1996 - 2 BvR 1753/96 -, AuAS 1997, 6) kann eine politische Verfolgung bereits dann zu bejahen sein, wenn der Betroffene nicht einmal nach der Überzeugung des Verfolgers Träger oder Inhaber des asylerheblichen Merkmals ist, er aber etwa als Mittel zur Verfolgung dritter Personen eingesetzt wird. Es reicht, wenn er lediglich der Gegenseite oder dem persönlichen Umfeld einer Person zugerechnet wird, die ihrerseits Objekt politischer Verfolgung ist. Dies wäre hier der Fall.
121 
4. Ob den Klägern zu 1) und 3), die sich zwar nicht unmittelbar im Altersspektrum der allgemeinen Wehrpflicht befinden, wohl aber im dienstfähigen Alter sind, darüber hinaus eine Zwangsrekrutierung durch die syrische Armee droht, kann offen bleiben (vgl. dazu das Urteil der Kammer vom 23.11.2016 - A 5 K 1372/16 -). Jedenfalls wirkt sich dieser Umstand bei ihnen - ohne dass es darauf noch ankäme - Risiko erhöhend aus.
122 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 VwGO, § 83b AsylG.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn

1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird;
2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird;
3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird;
4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird;
5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.

(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.

Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

(1) Eine Verletzung von Verfahrens- oder Formvorschriften, die nicht den Verwaltungsakt nach § 44 nichtig macht, ist unbeachtlich, wenn

1.
der für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderliche Antrag nachträglich gestellt wird;
2.
die erforderliche Begründung nachträglich gegeben wird;
3.
die erforderliche Anhörung eines Beteiligten nachgeholt wird;
4.
der Beschluss eines Ausschusses, dessen Mitwirkung für den Erlass des Verwaltungsaktes erforderlich ist, nachträglich gefasst wird;
5.
die erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde nachgeholt wird.

(2) Handlungen nach Absatz 1 können bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nachgeholt werden.

(3) Fehlt einem Verwaltungsakt die erforderliche Begründung oder ist die erforderliche Anhörung eines Beteiligten vor Erlass des Verwaltungsaktes unterblieben und ist dadurch die rechtzeitige Anfechtung des Verwaltungsaktes versäumt worden, so gilt die Versäumung der Rechtsbehelfsfrist als nicht verschuldet. Das für die Wiedereinsetzungsfrist nach § 32 Abs. 2 maßgebende Ereignis tritt im Zeitpunkt der Nachholung der unterlassenen Verfahrenshandlung ein.

Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.