Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 19. Feb. 2014 - 12 K 2075/11

published on 19/02/2014 00:00
Verwaltungsgericht Stuttgart Urteil, 19. Feb. 2014 - 12 K 2075/11
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Gericht

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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

 
Der am …1943 geborene Kläger, seit 01.02.2006 als Gymnasiallehrer im Ruhestand und beihilfeberechtigt zu 70%, begehrt von dem beklagten Land weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 20.691,52 EUR aufgrund einer stationären Behandlung in der Zeit von 4. bis 25.10.2010 in Zürich.
Der Kläger leidet seit vielen Jahren an einer rheumatischen Erkrankung, die neben erheblichen Schmerzen eine fortschreitende Schädigung verschiedener Gelenke mit sich brachte. 1998 wurde ihm mit Zustimmung des Gesundheitsamts Friedrichshafen in Paris ein künstliches Sprunggelenk eingesetzt, das 2002, wiederum in Paris, erneuert werden musste. 2009 war das erneuerte Sprunggelenk im linken Fuß unter Zertrümmerung der umliegenden Knochensubstanz ausgebrochen und wurde am 21.07.2009 erstmals in Tettnang untersucht. Dr. L. diagnostizierte eine sehr schwere Destruktion und warnte vor erheblicher Entzündungsgefahr. Nach Abklärungen bei Kliniken in Paris und München wandte sich der Kläger insbesondere aufgrund des rheuma-orthopädisch guten Rufes an die fußchirurgische Abteilung der Schulthessklinik in Zürich. Bei der Vorstellung am 24.09.2009 schlug Dr. R. die Entfernung des künstlichen Gelenks vor sowie die Kompensation der fehlenden Knochensubstanz durch fremde Knochenteile und die Verschraubung aller Knochenteile zu einem steifen Sprunggelenk. Dr. R. referierte hierüber im April 2010 auch auf einer Fachtagung. Der Kläger vereinbarte mit Dr. R. einen OP-Termin für den 10.12.2009 und bemühte sich um Kostenanerkennung. Mit Schreiben vom 18.12.2009 anerkannte die private Krankenversicherung auf den Antrag des Klägers vom 12.11.2009 grundsätzlich die Kostenübernahme für die Behandlung in Zürich. Mit Schreiben vom 17.11.2009 wies das Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) den Kläger auf die eventuell vorzunehmende Vergleichsberechnung am Maßstab des Stuttgarter Katharinenhospitals hin und teilte mit, dass Aufwendungen als beihilfefähig anerkannt werden können, wenn ein amtsärztliches Gutachten vor Beginn der Behandlung vorgelegt wird. Das Gutachten des Gesundheitsamts Friedrichshafen vom 30.11.2009 stellte nicht fest, dass die Behandlung des Klägers in Zürich wegen wesentlich größerer Erfolgsaussichten zwingend notwendig sei. Vielmehr könne diese OP „sicherlich in mehreren spezialisierten Zentren in Deutschland durchgeführt werden“. Nach Durchführung der OP am 10.12.2009 entstand deshalb ein Beihilfestreit. Nachdem der Beklagte von den angefallenen 24.474,85 EUR (nur) einen Teilbetrag von 19.879,30 EUR anerkannte, erklärten die Beteiligten diesen Rechtsstreit für erledigt (vgl. VG Stuttgart, Einstellungsbeschluss vom 13.08.2010 - 12 K 864/10 -; VGH Bad.-Württ., Streitwertbeschwerdebeschluss vom 20.09.2010 - 2 S 2125/10 -).
Bei der OP vom 10.12.2009 in Zürich wurde das Sprunggelenk des Klägers u.a. mit insgesamt drei Schrauben versteift; eine davon befand sich im Fersenbereich. Mehrere Monate danach begann dieser Schraubenkopf beim Gehen Schmerzen hervorzurufen. Am 20.09.2010 ließ sich der Kläger deshalb wiederum in Zürich im Rahmen einer ambulanten Behandlung diese Schraube entfernen. Etwa zwei Wochen später bekam er hohes Fieber und Schüttelfrost. Der herbeigerufene Notarzt, zu dem das Züricher Krankenhaus fernmündlich geraten hatte, diagnostizierte am Samstag, den 02.10.2010 eine Wundinfektion, gab Antibiotika und riet aufgrund des Zusammenhangs mit der Schraubenentfernung zur Vorstellung in Zürich. In den frühen Morgenstunden des Montags, 04.10.2010, ließ sich der Kläger von seiner Frau nach Zürich fahren und wurde dort erneut stationär aufgenommen. Laut Arztbericht vom 05.10.2010 war bei der „Notfall-Konsultation“ am 04.10.2010 das Fieber wieder verschwunden und es bestanden „lokal praktisch keine Beschwerden mehr. Nach wie vor jedoch deutliche Eitersekretion“. Die Ärzte entschlossen sich „zur Wundspülung“ sowie „anschließend Weiterführen der Antibiotikatherapie“. Laut Arztbericht vom 25.10.2010 wurde bei dem Kläger am 04.10.2010 operativ vorgenommen: „Débridement und Spülung des Schrauben-Bohrkanals“ bezüglich der am 20.09.2010 entfernten Fersenschraube. Am 13.10.2010 wurden sodann insbesondere die weiteren zwei „ACE-Schrauben“ in einer OP entfernt. Der Kläger ist insbesondere der Auffassung, dass diese Eingriffe, die er als Notoperationen bezeichnet, aufgrund der Vorgeschichte und Spezialkenntnisse von Dr. R. wegen wesentlich größerer Erfolgsaussichten zwingend in Zürich notwendig gewesen seien und deshalb von der Beihilfe auch voll erstattet werden müssten.
Mit Antrag vom 10.12.2010 beantragte der Kläger bei dem Landesamt für Besoldung und Versorgung (LBV) Beihilfe in Höhe von insgesamt 54.554,61 EUR; umgerechnet 46.808,01 EUR entfielen auf die Züricher Rechnung. Mit Bescheid vom 22.12.2010 anerkannte das LBV hiervon lediglich einen Gesamtbetrag von 15.342,69 EUR (Vergleichskosten Klinikum Stuttgart: 5.426,41 EUR + gesondert berechnete ärztliche Leistungen: 9.916,28 EUR). Der Widerspruch des Klägers vom 18.01.2011 wurde vom LBV mit Widerspruchsbescheid vom 10.05.2011 zurückgewiesen.
Hiergegen hat der Kläger am 08.06.2011 beim Verwaltungsgericht Stuttgart Klage erhoben. Er ist weiterhin der Auffassung, dass die Behandlung in Zürich insbesondere aufgrund der Vorgeschichte und Spezialkenntnisse von Dr. R. wegen wesentlich größerer Erfolgsaussichten zwingend in Zürich notwendig gewesen seien und deshalb von der Beihilfe auch voll erstattet werden müssten. Im Übrigen sei der Beklagte ohnehin zur Übernahme der vollständigen Kosten ohne die vorgenommene Beschränkung durch die Vergleichsberechnung verpflichtet, weil die Vorschrift des § 13 Abs. 1 BVO gegen das Abkommen über die Personenfreizügigkeit EG-Schweiz bzw. die hier verbriefte Dienstleistungsfreiheit verstoße. Schließlich ergebe sich ein voller Erstattungsanspruch auch aus § 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BVO, weil sich der Kläger aus akutem Anlass bei Aufenthalt in der Nähe der Grenze in das nächstgelegene Krankenhaus begeben habe. Der Notarzt habe die Vorstellung in der Züricher Klinik für dringend notwendig erachtet. Die Züricher Klinik befinde sich nur 38,9 km von der deutschen Grenze entfernt. Um einen Verlust der Beinlänge zu vermeiden, habe sich der Kläger auch in die Züricher Spezialklinik begeben dürfen, ein Behandlungserfolg, der etwa in der Münchener Klinik nicht vergleichbar sichergestellt gewesen sei.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten zu verpflichten, ihm weitere Beihilfeleistungen in Höhe von 20.691,52 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.12.2010 zu gewähren und die entgegenstehenden Bescheide des LBV vom 22.12.2010 und 10.05.2011 insoweit aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
10 
Das beklagte Land verweist auf die zutreffenden Bescheide und hält das Vorbringen des Klägers rechtlich nicht für zutreffend.
11 
Das Gericht hat im Einvernehmen mit den Beteiligten ein Sachverständigengutachten bei dem Chefarzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Prof. Dr. R., Frankfurt a.M., eingeholt. Im Gutachten vom 16.10.2013 kommen Prof. R. und Dr. K. im Wesentlichen zu dem Ergebnis, eine primäre operative Behandlung sei in Zürich nicht zwingend notwendig gewesen. Aus den Unterlagen sei eine dringliche operative Versorgung ersichtlich; eine medizinische Notfallsituation habe hingegen nicht vorgelegen. Eine entsprechende operative Versorgung hätte ebenso in Deutschland, etwa in Frankfurt a.M., Magdeburg oder Sendenhorst, durchgeführt werden können. Prof. R. und Dr. K. hielten an dieser Bewertung in der ergänzenden Stellungnahme vom 07.02.2014 ausdrücklich fest.
12 
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten sowie die dem Gericht vorliegenden Akten des LBV verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
13 
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung der weiter begehrten Beihilfeleistungen für die Behandlungen in der Zeit von 4. bis 25.10.2010 in Zürich.
I.
14 
Die Gewährung von Beihilfe zu Aufwendungen in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen sowie zur Gesundheitsvorsorge richtet sich nach der Beihilfeverordnung des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 28.07.1995 (GBl. S. 561; vor den Züricher Behandlungen zuletzt geändert durch Verordnung des Finanzministeriums vom 30.10.2008, GBl. 407 - BVO -). Gemäß § 5 Abs. 1 BVO sind Aufwendungen nach den nachfolgenden Vorschriften beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Über die Notwendigkeit und die Angemessenheit entscheidet die Beihilfestelle. Sie kann hierzu begründete medizinische Gutachten einholen, in Ausnahmefällen auch ohne Einverständnis des Betroffenen. Bezüglich der Höhe der Aufwendungen sind die Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder über Preise und Gebühren sowie die Anlage anzuwenden. Zu den Aufwendungen gemäß §§ 6 bis 13 BVO kann Beihilfe nur gewährt werden, wenn diese in medizinischer, vertraglicher und beamtenfürsorglicher Hinsicht jeweils notwendig und angemessen sind.
15 
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BVO sind außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstandene Aufwendungen nur insoweit und bis zu der Höhe beihilfefähig, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland am Sitz der Beihilfestelle oder in deren nächster Umgebung entstanden und beihilfefähig entstanden gewesen wären. Außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstandenen Aufwendungen sind nur dann ohne Beschränkung auf inländische Kosten nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BVO beihilfefähig, wenn und soweit die Beihilfefähigkeit vor Antritt der Reise anerkannt worden ist. Nach Satz 2 der Norm kommt die Anerkennung der Beihilfefähigkeit ausnahmsweise in Betracht, wenn durch ein begründetes medizinisches Gutachten nachgewiesen ist, dass die Behandlung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zwingend notwendig ist, weil hierdurch eine wesentlich größere Erfolgsaussicht zu erwarten ist. Nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BVO sind Aufwendungen ohne Beschränkung auf die Kosten in der Bundesrepublik Deutschland beihilfefähig, jedoch unter Beachtung der beihilferechtlichen Ausschlüsse und Höchstbeträge, wenn bei Aufenthalt in der Nähe der Grenze aus akutem Anlass das nächstgelegene Krankenhaus aufgesucht werden muss.
II.
16 
Im Falle des Klägers sind keine der besonderen Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 BVO erfüllt. Er hat deshalb hinsichtlich der streitigen Behandlungen in Zürich nur Anspruch auf die bereits gewährte Beihilfe.
17 
1. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BVO liegen nicht vor. Die Behandlung des Klägers in Zürich war nicht zwingend notwendig, weil hierdurch eine wesentlich größere Erfolgsaussicht als bei einer Behandlung in Deutschland zu erwarten war. Das Gericht ist hiervon aufgrund der Gesamtumstände sowie insbesondere der nachvollziehbaren und gut begründeten Aussagen des gerichtlichen Sachverständigengutachtens vom 16.10.2013 überzeugt, wie in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erläutert wurde. Prof. R. und Dr. K. haben schlüssig und überzeugend dargelegt, dass sich der Kläger auch in einer entsprechend spezialisierten Klinik in Deutschland hätte behandelt lassen können. Seine Einwendungen gegen diese medizinische Bewertung haben die gerichtlichen Sachverständigen in der ergänzenden Stellungnahme vom 07.02.2014 überzeugend entkräftet. Entgegen der persönlichen Einschätzung des Klägers lag nach den medizinischen Befundberichten der Züricher Klinik am 04.10.2010, die bis auf die Eitersekretion im Wesentlichen Fieber- und Beschwerdefreiheit attestieren, gerade kein akuter Notfall mehr vor, weswegen an diesem Tag zunächst auch „nur“ eine sog. Wundtoilette vorgenommen wurde. Die (besonders kostspieligen, vor allem streitbegründenden) Operationen wurden dann sogar erst ab 13.10.2010, d.h. rund neun Tage später durchgeführt. Es gibt für das Gericht vor diesem Hintergrund deshalb keine hinreichenden Anhaltspunkte, warum diese Behandlungen im Sinne des Gesetzes „zwingend notwendig außerhalb der Bundesrepublik Deutschland“ durchgeführt werden mussten. Der gesetzlich geforderte diesbezügliche Nachweis durch „ein begründetes medizinisches Gutachten“ jedenfalls wurde eindeutig nicht erbracht.
18 
2. Im Falle des Klägers lag des Weiteren - entgegen seiner eigenen Einschätzung - auch kein Notfall im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BVO vor, d.h. es musste nicht „bei Aufenthalt in der Nähe der Grenze aus akutem Anlass das nächstgelegene Krankenhaus“ in Zürich „aufgesucht werden“. Zum einen ist festzuhalten, dass der Kläger am Samstag, den 02.10.2010, den Notarzt gerufen, sich aber erst am Montag darauf nach Zürich begeben hatte. Damit kann offenkundig schon insoweit nicht mehr von einem „akuten Anlass“ im Sinne der Norm ausgegangen werden. Weiter fehlt es an einem solchen „akuten Anlass“ eben auch insoweit, als am Montag, den 04.10.2010 ausweislich der Züricher Unterlagen zunächst „nur“ vorgenommen wurde: „Débridement und Spülung des Schrauben-Bohrkanals“ bezüglich der am 20.09.2010 entfernten Fersenschraube. Erst neun Tage später, d.h. ab 13.10.2010 wurden sodann insbesondere die weiteren zwei „ACE-Schrauben“ in einer größeren Operation entfernt. Hinsichtlich der (besonders kostspieligen) Operation am 13.10.2010 kann deshalb in keinem Fall mehr, bezogen auf den Notarzteinsatz am 02.10.2010, von einem „akuten Anlass“ im Sinne des Gesetzes ausgegangen werden, selbst wenn man den akuten Anlass erweiternd im Sinne des Klägervortrags „etwa auf eine Woche“ festlegen wollte. Wie das gerichtliche Sachverständigengutachten auch insoweit überzeugend ausführt, hätte sich der Kläger ab 04.10.2010 mit einem vergleichbaren medizinischen Standard auch in einer deutschen Klinik behandeln lassen können. Zudem war die Züricher Klinik vom Wohnort des Klägers aus ganz sicher nicht „das nächstgelegene Krankenhaus“. Die Züricher Klinik ist laut Google-maps auf der kürzesten Autoroute ca. 144 km oder 1 Std. 47 Min vom Wohnort des Klägers entfernt. Die Lindauer Asklepios-Klinik, die damit wirbt, die Akutversorgung der Stadt Lindau und Umgebung „mit höchster Qualität“ sicherzustellen (vgl. http://www.asklepios.com/klinik/default.aspx?name=Asklepios_Klinik_Lindau), liegt hingegen nur 3,5 km oder 7 Autominuten vom Wohnort des Klägers entfernt. Der Begriff des „nächstgelegenen Krankenhauses“ kann nach Sinn und Zweck des § 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BVO hinsichtlich eines akuten Notfalls grundsätzlich nicht auf eine Spezialfachklinik bezogen sein, sondern nur auf ein „normales“ Krankenhaus, in dem die für die Krankheit erforderliche Akutversorgung des Notfallpatienten sichergestellt ist. Das Abstellen auf eine (nächstgeeigneten) Spezialklinik könnte allenfalls bei Weiterverlegung aus einem inländischen Allgemeinkrankenhaus wegen akutem Anlass in Betracht kommen (in diesem Sinne auch Nr. 3.1 zu § 13 der VV vom 17.04.2012 - Az. 1-0320.2-20/74, GABl. v. 29.05.2012, S. 383 <399>). Diese Situation ist hier nicht gegeben. Auch der Kläger hat nicht bestritten, dass die am 04.10.2010 vorgenommene Wundtoilette nicht auch in der nahegelegenen Lindauer Asklepios-Klinik hätte vorgenommen werden können.
III.
19 
Schließlich folgt auch aus Europarecht kein Anspruch des Klägers auf die weiter geltend gemachte Beihilfe. Die Berufung auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19.01.2010 - 4 S 1070/08 - und die diesbezügliche Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.10.2011 - 2 C 14.10 - (beide juris) scheitert schon daran, dass es sich im dort entschiedenen Fall um einen echten Notfall (Skiunfall im Skigebiet Jakobshorn/Davos und Behandlung im nächstgelegenen Spital Davos) handelte, d.h. um eine rechtlich wesentlich andere Fallkonstellation. Zudem wurde von dem Beklagten die vom Bundesverwaltungsgericht hier geforderte Beihilfeberechnung anhand der höchsten Kosten einer vergleichbaren Inlandsbehandlung ohnehin schon befolgt, wie im Schriftsatz vom 31.01.2014 dargelegt. Im Übrigen entscheidet der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass - wenn kein Notfall gegeben ist - auch im Lichte der passiven Dienstleistungsfreiheit (vgl. Art. 56 und 62 i.V.m. 52 Abs. 1 AEUV) bei fehlender vorheriger Genehmigung eine Beschränkung der Erstattung von Kosten medizinischer Auslandsdienstleistungen auf die im Inland geltenden Tarife zur „Sicherung des finanziellen Gleichgewichts der mitgliedstaatlichen Sozialsysteme“ grundsätzlich gerechtfertigt ist (vgl. nur EuGH, Urteile vom 28.04.1998 - Rs. C-158/96 , vom 18.03.2004 - Rs. C-8/02 , vom 16.05.2006 - Rs. C-372/04 ). Diese gefestigte Rechtsprechung gilt auch im Rahmen des am 01.06.2002 in Kraft getretenen („gemischten“) Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der EG (seit 01.12.2009: EU) sowie ihren Mitgliedstaaten über die Freizügigkeit (APF; hierzu: Bergmann in Schaffhauser/Schürer, Rechtsschutz der Versicherten und der Versicherer gemäß APF im Bereich der sozialen Sicherheit, Univ. St. Gallen, 2002, S. 36 ff., m.w.N.).
20 
Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
21 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.

Gründe

 
13 
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Gewährung der weiter begehrten Beihilfeleistungen für die Behandlungen in der Zeit von 4. bis 25.10.2010 in Zürich.
I.
14 
Die Gewährung von Beihilfe zu Aufwendungen in Geburts-, Krankheits-, Pflege- und Todesfällen sowie zur Gesundheitsvorsorge richtet sich nach der Beihilfeverordnung des Finanzministeriums Baden-Württemberg vom 28.07.1995 (GBl. S. 561; vor den Züricher Behandlungen zuletzt geändert durch Verordnung des Finanzministeriums vom 30.10.2008, GBl. 407 - BVO -). Gemäß § 5 Abs. 1 BVO sind Aufwendungen nach den nachfolgenden Vorschriften beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach notwendig und soweit sie der Höhe nach angemessen sind. Über die Notwendigkeit und die Angemessenheit entscheidet die Beihilfestelle. Sie kann hierzu begründete medizinische Gutachten einholen, in Ausnahmefällen auch ohne Einverständnis des Betroffenen. Bezüglich der Höhe der Aufwendungen sind die Rechtsvorschriften des Bundes und der Länder über Preise und Gebühren sowie die Anlage anzuwenden. Zu den Aufwendungen gemäß §§ 6 bis 13 BVO kann Beihilfe nur gewährt werden, wenn diese in medizinischer, vertraglicher und beamtenfürsorglicher Hinsicht jeweils notwendig und angemessen sind.
15 
Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BVO sind außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstandene Aufwendungen nur insoweit und bis zu der Höhe beihilfefähig, wie sie in der Bundesrepublik Deutschland am Sitz der Beihilfestelle oder in deren nächster Umgebung entstanden und beihilfefähig entstanden gewesen wären. Außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entstandenen Aufwendungen sind nur dann ohne Beschränkung auf inländische Kosten nach § 13 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BVO beihilfefähig, wenn und soweit die Beihilfefähigkeit vor Antritt der Reise anerkannt worden ist. Nach Satz 2 der Norm kommt die Anerkennung der Beihilfefähigkeit ausnahmsweise in Betracht, wenn durch ein begründetes medizinisches Gutachten nachgewiesen ist, dass die Behandlung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zwingend notwendig ist, weil hierdurch eine wesentlich größere Erfolgsaussicht zu erwarten ist. Nach § 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BVO sind Aufwendungen ohne Beschränkung auf die Kosten in der Bundesrepublik Deutschland beihilfefähig, jedoch unter Beachtung der beihilferechtlichen Ausschlüsse und Höchstbeträge, wenn bei Aufenthalt in der Nähe der Grenze aus akutem Anlass das nächstgelegene Krankenhaus aufgesucht werden muss.
II.
16 
Im Falle des Klägers sind keine der besonderen Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 BVO erfüllt. Er hat deshalb hinsichtlich der streitigen Behandlungen in Zürich nur Anspruch auf die bereits gewährte Beihilfe.
17 
1. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 BVO liegen nicht vor. Die Behandlung des Klägers in Zürich war nicht zwingend notwendig, weil hierdurch eine wesentlich größere Erfolgsaussicht als bei einer Behandlung in Deutschland zu erwarten war. Das Gericht ist hiervon aufgrund der Gesamtumstände sowie insbesondere der nachvollziehbaren und gut begründeten Aussagen des gerichtlichen Sachverständigengutachtens vom 16.10.2013 überzeugt, wie in der mündlichen Verhandlung im Einzelnen erläutert wurde. Prof. R. und Dr. K. haben schlüssig und überzeugend dargelegt, dass sich der Kläger auch in einer entsprechend spezialisierten Klinik in Deutschland hätte behandelt lassen können. Seine Einwendungen gegen diese medizinische Bewertung haben die gerichtlichen Sachverständigen in der ergänzenden Stellungnahme vom 07.02.2014 überzeugend entkräftet. Entgegen der persönlichen Einschätzung des Klägers lag nach den medizinischen Befundberichten der Züricher Klinik am 04.10.2010, die bis auf die Eitersekretion im Wesentlichen Fieber- und Beschwerdefreiheit attestieren, gerade kein akuter Notfall mehr vor, weswegen an diesem Tag zunächst auch „nur“ eine sog. Wundtoilette vorgenommen wurde. Die (besonders kostspieligen, vor allem streitbegründenden) Operationen wurden dann sogar erst ab 13.10.2010, d.h. rund neun Tage später durchgeführt. Es gibt für das Gericht vor diesem Hintergrund deshalb keine hinreichenden Anhaltspunkte, warum diese Behandlungen im Sinne des Gesetzes „zwingend notwendig außerhalb der Bundesrepublik Deutschland“ durchgeführt werden mussten. Der gesetzlich geforderte diesbezügliche Nachweis durch „ein begründetes medizinisches Gutachten“ jedenfalls wurde eindeutig nicht erbracht.
18 
2. Im Falle des Klägers lag des Weiteren - entgegen seiner eigenen Einschätzung - auch kein Notfall im Sinne von § 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BVO vor, d.h. es musste nicht „bei Aufenthalt in der Nähe der Grenze aus akutem Anlass das nächstgelegene Krankenhaus“ in Zürich „aufgesucht werden“. Zum einen ist festzuhalten, dass der Kläger am Samstag, den 02.10.2010, den Notarzt gerufen, sich aber erst am Montag darauf nach Zürich begeben hatte. Damit kann offenkundig schon insoweit nicht mehr von einem „akuten Anlass“ im Sinne der Norm ausgegangen werden. Weiter fehlt es an einem solchen „akuten Anlass“ eben auch insoweit, als am Montag, den 04.10.2010 ausweislich der Züricher Unterlagen zunächst „nur“ vorgenommen wurde: „Débridement und Spülung des Schrauben-Bohrkanals“ bezüglich der am 20.09.2010 entfernten Fersenschraube. Erst neun Tage später, d.h. ab 13.10.2010 wurden sodann insbesondere die weiteren zwei „ACE-Schrauben“ in einer größeren Operation entfernt. Hinsichtlich der (besonders kostspieligen) Operation am 13.10.2010 kann deshalb in keinem Fall mehr, bezogen auf den Notarzteinsatz am 02.10.2010, von einem „akuten Anlass“ im Sinne des Gesetzes ausgegangen werden, selbst wenn man den akuten Anlass erweiternd im Sinne des Klägervortrags „etwa auf eine Woche“ festlegen wollte. Wie das gerichtliche Sachverständigengutachten auch insoweit überzeugend ausführt, hätte sich der Kläger ab 04.10.2010 mit einem vergleichbaren medizinischen Standard auch in einer deutschen Klinik behandeln lassen können. Zudem war die Züricher Klinik vom Wohnort des Klägers aus ganz sicher nicht „das nächstgelegene Krankenhaus“. Die Züricher Klinik ist laut Google-maps auf der kürzesten Autoroute ca. 144 km oder 1 Std. 47 Min vom Wohnort des Klägers entfernt. Die Lindauer Asklepios-Klinik, die damit wirbt, die Akutversorgung der Stadt Lindau und Umgebung „mit höchster Qualität“ sicherzustellen (vgl. http://www.asklepios.com/klinik/default.aspx?name=Asklepios_Klinik_Lindau), liegt hingegen nur 3,5 km oder 7 Autominuten vom Wohnort des Klägers entfernt. Der Begriff des „nächstgelegenen Krankenhauses“ kann nach Sinn und Zweck des § 13 Abs. 2 Nr. 3 Hs. 2 BVO hinsichtlich eines akuten Notfalls grundsätzlich nicht auf eine Spezialfachklinik bezogen sein, sondern nur auf ein „normales“ Krankenhaus, in dem die für die Krankheit erforderliche Akutversorgung des Notfallpatienten sichergestellt ist. Das Abstellen auf eine (nächstgeeigneten) Spezialklinik könnte allenfalls bei Weiterverlegung aus einem inländischen Allgemeinkrankenhaus wegen akutem Anlass in Betracht kommen (in diesem Sinne auch Nr. 3.1 zu § 13 der VV vom 17.04.2012 - Az. 1-0320.2-20/74, GABl. v. 29.05.2012, S. 383 <399>). Diese Situation ist hier nicht gegeben. Auch der Kläger hat nicht bestritten, dass die am 04.10.2010 vorgenommene Wundtoilette nicht auch in der nahegelegenen Lindauer Asklepios-Klinik hätte vorgenommen werden können.
III.
19 
Schließlich folgt auch aus Europarecht kein Anspruch des Klägers auf die weiter geltend gemachte Beihilfe. Die Berufung auf das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19.01.2010 - 4 S 1070/08 - und die diesbezügliche Revisionsentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17.10.2011 - 2 C 14.10 - (beide juris) scheitert schon daran, dass es sich im dort entschiedenen Fall um einen echten Notfall (Skiunfall im Skigebiet Jakobshorn/Davos und Behandlung im nächstgelegenen Spital Davos) handelte, d.h. um eine rechtlich wesentlich andere Fallkonstellation. Zudem wurde von dem Beklagten die vom Bundesverwaltungsgericht hier geforderte Beihilfeberechnung anhand der höchsten Kosten einer vergleichbaren Inlandsbehandlung ohnehin schon befolgt, wie im Schriftsatz vom 31.01.2014 dargelegt. Im Übrigen entscheidet der Europäische Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass - wenn kein Notfall gegeben ist - auch im Lichte der passiven Dienstleistungsfreiheit (vgl. Art. 56 und 62 i.V.m. 52 Abs. 1 AEUV) bei fehlender vorheriger Genehmigung eine Beschränkung der Erstattung von Kosten medizinischer Auslandsdienstleistungen auf die im Inland geltenden Tarife zur „Sicherung des finanziellen Gleichgewichts der mitgliedstaatlichen Sozialsysteme“ grundsätzlich gerechtfertigt ist (vgl. nur EuGH, Urteile vom 28.04.1998 - Rs. C-158/96 , vom 18.03.2004 - Rs. C-8/02 , vom 16.05.2006 - Rs. C-372/04 ). Diese gefestigte Rechtsprechung gilt auch im Rahmen des am 01.06.2002 in Kraft getretenen („gemischten“) Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der EG (seit 01.12.2009: EU) sowie ihren Mitgliedstaaten über die Freizügigkeit (APF; hierzu: Bergmann in Schaffhauser/Schürer, Rechtsschutz der Versicherten und der Versicherer gemäß APF im Bereich der sozialen Sicherheit, Univ. St. Gallen, 2002, S. 36 ff., m.w.N.).
20 
Nach alledem ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
21 
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Berufung durch das Verwaltungsgericht gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO liegen nicht vor.
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Lastenausgleichsgesetz - LAG
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Lastenausgleichsgesetz - LAG
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published on 19/01/2010 00:00

Tenor Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. März 2008 - 6 K 1409/07 - geändert. Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin eine weitere Beihilfe in Höhe von 5.578,44 EUR zuzüglich Prozess
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Annotations

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.