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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die im Bescheid vom 30.11.2004 verfügte Ausweisung und die Abschiebungsandrohung sind zum maßgeblichen gegenwärtigen Zeitpunkt rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).
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Die Ausweisung ist formell rechtmäßig ergangen. Insbesondere war das Regierungspräsidium T. - entgegen der Auffassung des Klägers - für deren Erlass sachlich zuständig, da sich der Kläger zum Zeitpunkt der Einleitung des Ausweisungsverfahrens im Juni 2002 in Strafhaft befand und diese Zuständigkeit mit seiner Haftentlassung im April 2003 nicht (wieder) beendet wurde. Sachlich zuständige Behörde war nach dem AuslG (§ 63 Abs. 1 AuslG) und ist heute nach dem AufenthG (§ 71 Abs. 1 AufenthG) die Ausländerbehörde. Nach § 63 Abs. 1 Satz 2 AuslG i. V. m. § 9 Abs. 1 Satz 1 AAZuVO 1995 (GBl. v. 19.08.1995, S. 589) und nach § 71 Abs. 1 Satz 2 AufenthG i. V. m. § 10 Abs. 1 Satz 1 AAZuVO 2005 (GBl. v. 14.01.2005, S. 95) ist das Regierungspräsidium als höhere Ausländerbehörde für die Ausweisung straffälliger Ausländer, wenn sich diese - wie hier - auf richterliche Anordnung in Strafhaft oder länger als eine Woche in Untersuchungshaft befinden, durchgängig zuständig. Diese Zuständigkeit bleibt nach der inhaltsgleichen Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 2 AAZuVO 1995 und in § 10 Abs. 1 Satz 2 AAZuVO 2005 bis zur Entscheidung über die Ausweisung bestehen, auch wenn der Ausländer aus der Haft entlassen wird. Hieraus geht gerade nicht hervor, dass die Ausweisungsentscheidung noch während der Haft oder unmittelbar nach der Haftentlassung getroffen werden muss. Vielmehr bleibt die besondere Zuständigkeit des Regierungspräsidiums bis zum Entscheidungszeitpunkt über die Ausweisung durch Erlass einer entsprechenden Verfügung oder die Einstellung des Ausweisungsverfahrens bestehen. Ersichtlich dient diese Regelung der Vermeidung eventueller ineffektiver Zuständigkeitswechsel durch Haftentlassungen, Haftunterbrechungen oder durch wiederholte kurzfristige Inhaftierungen. Das Regierungspräsidium ist zudem gemäß § 9 Abs. 2 AAZuVO 1995 und § 10 Abs. 3 AAZuVO 2005 bis zur Unanfechtbarkeit der Entscheidung über die Ausweisung auch für die Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels sowie zum Erlass der Abschiebungsandrohung oder -anordnung sachlich zuständig. Für „Haftfälle“ - wie hier - ist daher bis zum Abschluss des Ausweisungsverfahrens die gesamte ausländerrechtliche Zuständigkeit beim Regierungspräsidium konzentriert. Vor Erlass der angefochtenen Verfügung ist der Kläger entsprechend § 28 LVwVfG auch angehört worden.
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Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger und kann sich auf ein gesetzliches Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 berufen, mit dem ihm ein besonderer Ausweisungsschutz zukommt. Unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des Art. 6 ARB 1/80 vorliegen, begründet Art. 7 ARB 1/80 einen besonderen Ausweisungsschutz für den Kläger und die Möglichkeit der Berufung auf die Regelungen und Wirkungen des ARB 1/80. Der Kläger hat als Familienangehöriger eines dem regulären Arbeitsmarkt der BRD angehörenden türkischen Arbeitnehmers die Genehmigung erhalten zu ihm zu ziehen. Hierbei ist es zunächst unbeachtlich, ob der Kläger bereits seit seiner Geburt 1979 oder erst 1984 in die BRD eingereist ist. Zwar ist in Art. 7 ARB 1/80 die Rede von „Genehmigung erhalten“, dies lässt jedoch nicht den Schluss zu, dass die Verfasser des Beschlusses diejenigen Familienangehörigen ausschließen wollten, die im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats geboren wurden. Art. 7 ARB 1/80 verfolgt den Zweck, günstige Voraussetzungen für die Familienzusammenführung im Aufnahmemitgliedstaat zu schaffen, indem den Familienangehörigen zunächst gestattet wird, bei den Wanderarbeitnehmern zu leben, und ihre Stellung nach einer gewissen Zeit durch die Verleihung des Rechts gestärkt wird, in diesem Staat eine Beschäftigung aufzunehmen (EuGH, Urteil vom 17. April 1997, C-351/95, Kadiman; EuGH, Urteil vom 16.03.2000, C-329/97, Ergat). Die Genehmigung hierfür ist erforderlich, da die erstmalige Zulassung der Einreise solcher Staatsangehöriger in einen Mitgliedsstaat im Grundsatz ausschließlich dem Recht dieses Staates unterliegt und die Einreisebestimmungen durch den ARB nicht berührt werden. Die Genehmigung bezweckt daher ausschließlich, diejenigen Familienangehörigen von Art. 7 ARB 1/80 auszunehmen, die unter Verstoß der Einreisebestimmungen in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist sind und dort wohnen. Daher kann sich der Kläger als Kind eines in Art. 7 S. 1 ARB 1/80 bezeichneten türkischen Arbeitnehmers darauf berufen, dass diese Vorschrift zu seinen Gunsten gilt, auch wenn er im Aufnahmemitgliedsstaat geboren ist und dort stets gelebt hat. Sowohl der Vater des Klägers hat seit den siebziger Jahren in der BRD gearbeitet, ebenso war seine Mutter von September 1982 bis September 1990 versicherungspflichtig in der BRD beschäftigt. Sein Vater ist zwischenzeitlich (1999) verstorben.
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Das Recht aus Art. 7 ARB 1/80 wird jedoch auch dadurch nicht verloren, dass der betreffende Arbeitnehmer zu irgendeinem Zeitpunkt nicht mehr dem regulären Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedsstaates angehört. Gem. Art 7 S. 1, 2. Gedankenstrich ARB 1/80 hat der Familienangehörige eines dem regulären Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaats angehörenden türkischen Arbeitnehmers nach fünfjährigem ordnungsgemäßen Wohnsitz bei diesem ein Recht auf freien Zugang zur Beschäftigung im Aufnahmemitgliedsstaat erworben. Daraus folgt nicht nur, dass die Betroffenen hinsichtlich der Beschäftigung ein individuelles Recht aus dem ARB 1/80 herleiten können, sondern die praktische Wirksamkeit dieses Rechts setzt außerdem zwangsläufig die Existenz eines entsprechenden Aufenthaltsrechts voraus, das ebenfalls auf dem Gemeinschaftsrecht beruht und vom Fortbestehen der Voraussetzungen für den Zugang zu diesen Rechten unabhängig ist. Art 7 ARB 1/80 gewährt dem Familienangehörigen somit ein unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht abgeleitetes und der Disposition des jeweiligen Mitgliedstaates weitgehend entzogenes Aufenthaltsrecht. Daher kann der Kläger, nachdem er mehr als fünf Jahre ordnungsgemäß mit seinen Eltern zusammengelebt hat, diese Rechte ausüben, auch wenn der Arbeitnehmer nicht mehr dem Arbeitsmarkt des Mitgliedsstaates angehört. Dementsprechend kann der Kläger seine Rechte aus Art. 7 ARB 1/80 auch dann ausüben, wenn er volljährig ist (vgl. zusammenfassend: EuGH, Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya).
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Der Kläger kann sich somit als türkischer Staatsangehöriger auf ein Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 berufen. Dies hat zur Folge, dass zu seinen Gunsten von veränderten gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen (vgl. hierzu: EuGH, Urteil vom 29.04.2004, C-482/01, Orfanopoulos, DVBl 2004, 876 ff.) an eine Ausweisung auszugehen ist. Zwar bezieht sich diese Entscheidung des EuGH auf freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger, sie ist jedoch hinsichtlich ihrer materiellen Grundsätze auf türkische Staatsangehörige zu übertragen, die ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht nach dem ARB 1/80 besitzen. Der Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 beruht auf dem „Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der EWG und der Türkei“ aus dem Jahr 1963, das der EuGH als integrierenden Bestandteil der Gemeinschaftsordnung ansieht. Die Gleichstellung türkischer Staatsangehöriger mit EU-Angehörigen ergibt sich zum einen aus dem Zweck des ARB 1/80 sowie aus der Tatsache, dass der Vorbehalt in Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80 der Regelung in Art. 39 Abs. 3 EG entspricht. Daher ist abzuleiten, dass die im Rahmen der Art. 39 ff EG geltenden Grundsätze so weit wie möglich auf die türkischen Arbeitnehmer, welche die im ARB 1/80 eingeräumten Rechte besitzen, übertragen werden sollen (EuGH, Urteil vom 10.02.2000, C-340/97, Nazli, und Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya). Aus dieser Gleichstellung kombiniert mit der Entscheidung des EuGH vom 29.04.2004 (Orfanopoulos) ergeben sich für türkische Staatsangehörige, die die Rechte aus dem ARB 1/80 besitzen, mehrere rechtliche Folgerungen (vgl. auch: BVerwG, Urteile vom 03.08.2004 - BVerwG 1 C 30.02 - und - BVerwG 1 C 29.02 -):
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1. Dies bedeutet zunächst, dass privilegierte türkische Staatsangehörige nur nach einer individuellen Entscheidung der zuständigen Behörde ausgewiesen werden dürfen, was zur Folge hat, dass die Tatbestände der zwingenden Ausweisung und einer Regelausweisung als Rechtsgrundlagen ausscheiden und der durch den ARB 1/80 privilegierte türkische Staatsangehörige nach den einschlägigen gemeinschaftlichen Grundsätzen nur aufgrund einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung ausgewiesen werden kann.
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2. Erforderlich für eine solche Ausweisung ist eine einzelfallbezogene Prüfung, die vom persönlichen Verhalten des privilegierten türkischen Staatsangehörigen ausgeht. Die dabei anzustellende Gefahrenprognose hat sich auf spezialpräventive Gesichtspunkte zu beschränken und darf sich nicht allein an einer strafgerichtlichen Verurteilung orientieren. Darüber hinaus hängt die Rechtmäßigkeit der Ausweisung eines durch den ARB 1/80 privilegierten türkischen Staatsangehörigen davon ab, ob das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Ordnung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 ARB 1/80, der im Sinne des Art. 39 Abs. 3 EG auszulegen ist, das private Interesse des türkischen Staatsangehörigen an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Dem gemeinschaftlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit kommt hierbei besondere Bedeutung zu.
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3. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Ausweisungsverfügung ist nicht - wie bisher - grundsätzlich der Erlass des Widerspruchbescheids. Vielmehr sind für türkische Staatsangehörige, die durch das Assoziationsrecht privilegiert sind, tatsächliche und rechtliche Änderungen bis zur letzten mündlichen Verhandlung vor Gericht zu berücksichtigen, da das Gericht nach den europarechtlichen Vorgaben eine aktuelle Gefahrenprognose anstellen muss (EuGH, Urteil vom 11.11.2004, C-467/02, Cetinkaya; BVerwG, Urteil vom 03.08.2004, - BVerwG 1 C 29.02 -). In allen bis zum 31.01.2005 anhängig gewordenen Verwaltungsstreitverfahren von nach dem ARB 1/80 aufenthaltsberechtigten türkischen Staatsangehörigen, die im Wege einer Ist- oder Regelausweisung ausgewiesen worden sind, ist der Ausländerbehörde mit Rücksicht auf die Rechtsprechungsänderung auch Gelegenheit zu geben, eine danach erforderliche Ermessensentscheidung nachzuholen oder die Ermessensentscheidung unter Berücksichtigung neuer Tatsachen in gemeinschaftskonformer Anwendung von § 114 Satz 2 VwGO zu aktualisieren.
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Diesen Grundsätzen wird die hier streitige Ausweisungsentscheidung gerecht.
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Das Regierungspräsidium hat die Ausweisung im Bescheid vom 31.11.2004 zwar primär auf die Rechtsgrundlage des § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG und somit auf einen Ist - Ausweisungstatbestand gestützt, der aufgrund der gemeinschaftlichen Grundsätze bei einem privilegierten türkischen Staatsangehörigen nicht angewendet werden kann. Hilfsweise wurde jedoch auch eine Ermessensentscheidung nach §§ 45, 46 AuslG getroffen, die unter Berücksichtigung der im Klageverfahren ergänzten Ermessenserwägungen den dargelegten, erhöhten Anforderungen bei der Ausweisung eines durch den ARB 1/80 privilegierten türkischen Staatsangehörigen entspricht.
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Allerdings ist aufgrund des maßgebenden Beurteilungszeitpunkts der mündlichen Verhandlung hier nicht mehr das der Ausweisungsentscheidung zugrunde gelegte AuslG, sondern das am 1.1.2005 in Kraft getretene AufenthG anzuwenden. Die Rechtmäßigkeit der Ausweisung ist somit nur noch auf der Grundlage einer ausländerrechtlichen Ermessensentscheidung gemäß § 55 AufenthG und nicht nach §§ 45, 46 AuslG zu beurteilen. Die genannten Normen des Aufenthaltsgesetzes und des Ausländergesetzes sind jedoch nahezu identisch. Nur einzelne Ausweisungsgründe, namentlich die Nr. 8a und b des § 55 AufenthG, sind durch die Reform hinzugekommen. Diesen kommt jedoch im vorliegenden Rechtsstreit keine Bedeutung zu. Die Auswechslung der Ermächtigungsgrundlage der Ausweisung ist daher zulässig und begegnet keinen Bedenken.
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Der Ermessensentscheidung des Beklagten liegen keine Ermessensfehler zugrunde. Vielmehr hat der Beklagte entgegen der Auffassung des Klägers sein Ermessen entsprechend § 55 AufentG i. V. m. Art. 14 ARB 1/80 rechtmäßig ausgeübt. Dass er seine Entscheidung primär auf eine Ist - Ausweisung gestützt und die Ermessensentscheidung nur hilfsweise begründet hat und diese Begründung erst durch die Ausführungen im Klageverfahren auf den besonderen Ausweisungsschutz konkretisiert wurde, ändert nichts an der Tatsache, dass die dort angegebenen Argumente eine Ausweisung rechtfertigen. Die Ergänzung der Ermessensbegründung erst im Klageverfahren ist gem. § 114 VwGO ebenso zulässig, wie die mit Schriftsatz vom 10.06.2005 nachgeholte Würdigung der Umstände, die sich nach dem Ergehen des Ausweisungsbescheids bis zur mündlichen Verhandlung ergeben haben. Hierbei handelt es sich gerade nicht um eine komplette Auswechslung der Begründung oder um die Einbeziehung völlig neuer, vorher übersehener Gesichtspunkte. Das Gericht kann lediglich die Rechtmäßigkeit der zuletzt begründeten Ermessensentscheidung überprüfen. Hiernach hat der Beklagte eine einzelfallbezogene Prüfung vorgenommen, die vom persönlichen Verhalten des privilegierten türkischen Staatsangehörigen ausgeht und hieraus eine Gefahrenprognose getroffen, die sich auf spezialpräventive Gesichtspunkte beschränkt. Lediglich zur deren Untermauerung wurden die zahlreichen Verurteilungen in der Vergangenheit und jene vom 18.01.2005 herangezogen. Der Beklagte hat hinreichend dargelegt, dass er aufgrund der schweren Drogenabhängigkeit des Klägers sowie der abgebrochen Therapien von einer gesteigerten, konkreten Wiederholungsgefahr ausgeht. Auch hat er diesbezüglich zutreffend ausgeführt, dass weder die zwei ausländerrechtlichen Verwarnungen noch die Einleitung des Ausweisungsverfahrens im Juni 2002 beim Kläger eine Verhaltensänderung bewirkt haben. Vielmehr ist er danach trotzdem erneut straffällig geworden und dies sogar während eines Strafvollzugs in der Haftanstalt, was auf seine schwere, unbewältigte Drogenabhängigkeit zurückzuführen ist. Nur so lässt sich auch der in der Haft begangene Heroinhandel, der zur Verurteilung durch das Amtsgerichts R. vom 17.10.2003 führte, erklären. Der Rückschluss, dass die Delikte wegen der Drogenabhängigkeit begangen wurden, wird im Übrigen vom Kläger in seinem Schreiben an das Gericht vom 19.01.2005, zugegangen am 22.01.2005, durchweg bestätigt; zudem hat der Kläger dies auch in der mündlichen Verhandlung eingeräumt. Insgesamt begründet daher die noch vorhandene, unbewältigte Drogenabhängigkeit des Klägers die vom Beklagten zu Recht angenommene, gesteigerte Wiederholungsgefahr.
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Der Kläger hält die Annahme, dass von ihm eine gesteigerte Wiederholungsgefahr ausgehe, zwar für unzutreffend. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zur Begründung seiner Auffassung verweist der Kläger in erster Linie auf ein Schreiben der Caritas B.-O. vom 15.12.2004, aus dem hervorgeht, dass er sich einer Methadonbehandlung unterzogen habe und dass diese Substitution die körperliche und psychosoziale Stabilisierung bezwecke, um baldmöglichst eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme mit vor gelagerter körperlichen Entzugsbehandlung beginnen zu können. Aufgrund der fortgeschrittenen Opiatabhängigkeit des Klägers sei danach eine Therapie indiziert, für die eine Kostenzusage des Landeswohlfahrtsverbandes Baden-Württemberg vorliege. Zudem weist der Kläger auf den mit dem Antritt der Strafhaft im Dezember 2004 verbundenen, kalten Drogenentzug hin. Diese Tatsachen erlauben jedoch nach Auffassung des Gerichts keine positive Änderung der bisherigen Gefahrenprognose. Dies wäre allenfalls dann der Fall, wenn der Kläger die Therapie bereits erfolgreich beendet hätte. Die bloße Möglichkeit der Aufnahme einer Drogentherapie begründet ebenso wenig wie die Methadonbehandlung oder der kalte Entzug eine die Prognose positiv beeinflussende Tatsachenlage, da der Kläger nach wie vor drogenabhängig ist; gerade deshalb bedarf es ja der Durchführung einer Therapie. Insbesondere die Therapieabbrüche in der Vergangenheit und die erfolglosen Substitutionsversuche mit Methadon, die beim Kläger nach seinen eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung mit einem ständigen Beikonsum - auch von Heroin - einhergingen, zeigen deutlich, dass allein das Innehaben eines Therapieplatzes oder die zeitweilige (erzwungene) Drogenfreiheit keine ausschlaggebenden Kriterien für die Gefahrenprognose bei einem langjährig Drogenabhängigen, wie dem Kläger, sein können. Darüber hinaus wurde der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts T. vom 18.01.2005, rechtskräftig seit dem 26.01.2005, wegen eines im November 2004, unmittelbar nach dem Abbruch der letzten Therapie begangenen Diebstahls zu einer neuerlichen Freiheitsstrafe von 2 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Dies belegt anschaulich, dass der Kläger ohne erfolgreich durchgeführte Therapie weder von seiner Drogenabhängigkeit noch von der damit verbundenen Beschaffungskriminalität weg kommt. Hierzu ist des weiteren auch die gegenwärtige Inhaftierung nicht geeignet, da die vom Kläger von Juni 2002 bis April 2003 bereits verbüßte Haft insoweit keinen Erfolg zeitigte. Die Gefahrenprognose des Regierungspräsidiums ist daher auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt zutreffend und nicht zu beanstanden.
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Auch hat der Beklagte dargelegt, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des Art. 14 ARB 1/80, das private Interesse des türkischen Staatsangehörigen an seinem Verbleib im Bundesgebiet deutlich überwiegt. Diesbezüglich wurde vor allem auf jene vom Kläger begangene Straftaten hingewiesen, die zeitlich nach den ausländerrechtlichen Verwarnungen liegen. Zu Recht hat der Beklagte in den vielfältigen Straftaten, die vom Diebstahl, versuchter Nötigung, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bis hin zur gefährlichen Körperverletzung reichen, eine mittlere bis schwerere Kriminalität gesehen. Er ging auch zu Recht davon aus, dass die Ausweisung für den Schutz der öffentlichen Ordnung erforderlich ist, da keine der zahlreichen bisherigen, milderen Maßnahmen den Kläger von diesem Weg haben abbringen können. Auch übte der Beklagte sein Ermessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit rechtsfehlerfrei aus. So legte er dar, dass er sich über die nicht unerheblichen Konsequenzen für den Kläger durchaus bewusst sei. Auch berücksichtigte er, dass der Kläger seit seiner Geburt in der BRD lebte. Dass der Beklagte davon ausging, dass der Kläger die türkische Sprache spreche, was im Übrigen seitens des Klägers auch nicht verneint wird, begründet ebenfalls keinen Ermessensfehler, solange nichts Gegenteiliges belegt ist. Weiter hat der Beklagte den Umstand berücksichtigt, dass die Mutter des Klägers seiner Unterstützung bedürfe, indem er in sein Ermessen mit einbezogen hat, dass der Kläger noch andere in der BRD lebende Geschwister habe, die sich um die Mutter kümmern könnten. Auch hat der Beklagte zu Recht den Umstand herangezogen, dass der Kläger durch seinen Bruder eine Anlaufstelle in der Türkei hat. Letztlich ist die Entscheidung, dass das öffentliche Interesse am Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung dem privaten Interesse des Klägers an dem Verbleib in der BRD deutlich überwiegt, insgesamt ermessensfehlerfrei. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wurde hierbei ausreichend berücksichtigt.
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Die Ausweisung verstößt auch nicht gegen höherrangiges Recht. Ein Verstoß gegen Art. 8 EMRK liegt nicht vor. Die betroffenen Interessen wurden ausreichend ermittelt und mit ihrem jeweiligen Gewicht berücksichtigt. Dem volljährigen Kläger fehlt nicht jedweder Bezug zu seinem Heimatland und es ist ihm zumutbar, sich in den dortigen Lebensverhältnissen zurecht zu finden. Er beherrscht in ausreichendem Maße die türkische Sprache und hat in seinem seit 1999 wieder in der Türkei lebenden Bruder dort einen Anlaufpunkt. Besondere familiäre Bindungen in der BRD besitzt er nicht. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang lediglich dargelegt, er müsse seine hier lebende Mutter unterstützen. Diesbezüglich aber hat der Beklagte zutreffend ausgeführt, dass weder eine besondere Hilfsbedürftigkeit der Mutter ersichtlich sei noch hierfür gerade der Kläger benötigt werde. Vielmehr könnten die anderen in der BRD lebenden Geschwister des Klägers ihrer Mutter bei Bedarf helfend zur Seite stehen. Außerdem sei die familiäre Beziehung des Klägers wohl nicht mehr allzu eng, da er sich bei der Stadt Friedrichshafen zeitweise obdachlos gemeldet habe. Diese Ausführungen tragen den maßgeblichen Umständen hinreichend Rechnung und sind nicht zu beanstanden; sie wurden vom Kläger auch nicht substantiiert bestritten oder gar widerlegt. Die noch nicht sehr gefestigte Beziehung zu seiner Freundin fällt nicht unter den Schutzbereich des Art. 8 EMRK, da keine konkreten Heiratspläne vorhanden sind.
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Auch liegt ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 ENA nicht vor. Danach dürfen Staatsangehörige eines Vertragsstaates, die, wie der Kläger, seit mehr als zehn Jahren ihren ordnungsgemäßen Aufenthalt im Gebiet eines Vertragsstaates haben, nur aus Gründen der Sicherheit des Staates, oder wenn die übrigen in Absatz 1 aufgeführten Gründe besonders schwerwiegend sind, ausgewiesen werden. Im Hinblick auf den für die Ausweisung des Klägers danach erforderlichen besonders schwerwiegenden Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kann auf die gesetzgeberische Wertung in § 56 Abs. 1 Satz 2 und 3 AufenthG verwiesen werden. Denn die Voraussetzungen im Sinne von Art. 3 Abs. 3 ENA entsprechen jenen der schwerwiegenden Gründe im Sinne des § 56 Abs. 1 AufenthG (vgl. zum inhaltsgleichen § 48 Abs. 1 AuslG: BVerwG, Urteil vom 07.12.1999 - 1 C 13.99 -, BVerwGE 110, 140; Urteil vom 26.02.2002 - 1 C 21.00 -, InfAuslR 2002, 338). Nach § 56 Abs. 1 Satz 3 AufenthG (§ 48 Abs. 1 Satz 2 AuslG) liegen solche schwerwiegenden Gründe in der Regel in den Fällen der Ist - Ausweisung nach § 53 AufenthG (§ 47 Abs. 1 AuslG) vor. Mit der Verurteilung durch das Amtsgericht R. vom 17.10.2003 wegen vorsätzlichen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 100 Fällen, des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie des Diebstahls in 2 besonders schweren Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten ohne Bewährung hat der Kläger den zwingenden Ausweisungstatbestand des § 53 Nr. 2 AufenthG (§ 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG) erfüllt. Die Begründung der Strafzumessung in diesem Urteil und im zugehörigen Berufungsurteil nebst den angeführten Einsatzstrafen belegt auch, dass gerade wegen der festgestellten, erheblichen Betäubungsmittelstraftaten eine Freiheitsstrafe ohne Bewährung ausgesprochen wurde.
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Art. 7 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Türkischen Republik vom 12. Januar 1927 (RGBl II S. 76), das im Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei angewendet wird (BGBl II 1952 S. 608), begründet ebenfalls keinen besonderen Ausweisungsschutz. Denn nach dieser Vertragsvorschrift sind Ausweisungen als Einzelmaßnahmen gemäß den Gesetzen der Vertragsstaaten zulässig (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.09.1998 - 1 C 8.96 - InfAuslR 1999, 54, 58 m.w.N.).
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Die Ausweisung ist auch nicht wegen eines Verstoßes gegen Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG, die auch für türkische Staatsangehörige mit einer Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 ARB 1/80 gilt (vgl. EuGH, Urteil vom 02.06.2005, C-136/03, Dörr/Ünal), rechtswidrig. Hiernach trifft, sofern keine Rechtsmittel gegeben sind oder die Rechtsmittel nur die Gesetzmäßigkeit der Entscheidung betreffen oder keine aufschiebende Wirkung haben, die Verwaltungsbehörde die Entscheidung über die Entfernung eines Inhabers einer Aufenthaltserlaubnis aus dem Hoheitsgebiet außer in dringenden Fällen erst nach Erhalt der Stellungnahme einer zuständigen Stelle des Aufnahmelandes, vor der sich der Betroffene entsprechend den innerstaatlichen Rechtsvorschriften verteidigen, unterstützen oder vertreten lassen kann. Diese Stelle muss eine andere sein als diejenige, welche für die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet zuständig ist. Eine dem entsprechende Stellungnahme einer nicht für die Ausweisung zuständigen Stelle ist vorliegend nicht ergangen, zumal hier aufgrund von § 6 a AGVwGO auch kein Vorverfahren durchgeführt wurde. Ob die Verfahrensgarantien des Art 9 der Richtlinie 64/221/EWG generell durch den Rechtsschutz erfüllt werden, den die Verwaltungsgerichte in Deutschland gewähren (so VGH B.-W., Urteil vom 21.07.2004, - 11 S 535/04 -), kann offen bleiben. Denn die - vorherige - Einschaltung einer „zuständigen Stelle“ kann jedenfalls „in dringenden Fällen“ unterbleiben; diese Ausnahme ist in Art 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG für alle drei Fallgestaltungen ausdrücklich vorgesehen (vgl. VGH B.-W., Beschluss vom 22.03.2004, - 13 S 585/04 -, InfAuslR 2004, 284 ff). Vom Vorliegen eines „dringenden Falles“ in diesem Sinne ist das Regierungspräsidium beim Erlass der gegen den Kläger ergangenen Ausweisungsverfügung vom 30.11.2004 ausgegangen; denn es hat die Ausweisung des Klägers wegen der von ihm ausgehenden schweren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung - auch - aus spezialpräventiven Gründen für erforderlich gehalten und hat diese in der Annahme für sofort vollziehbar erklärt, dass die begründete Besorgnis bestehe, dass sich die vom Kläger ausgehende, mit seiner Ausweisung bekämpfte Gefahr schon vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens realisieren werde. Diese Bewertung hält das Gericht zum Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsentscheidung (der Kläger wurde damals nach dem Therapieabbruch per Haftbefehl gesucht) wie auch gegenwärtig für zutreffend; dementsprechend hat die Kammer unter Anwendung des gleichen Prüfungsmaßstabs im am Tag der mündlichen Verhandlung entschiedenen Eilverfahren (4 K 18/05) das Vorliegen eines gegenwärtigen, besonderen Sofortvollzugsinteresses bejaht. Die Annahme des Bestehens eines gegenwärtigen, besonderen Sofortvollzugsinteresses an der Ausweisung rechtfertigt grundsätzlich die gleichzeitige Annahme des Bestehens eines „dringenden Falls“. Lag im Fall des Klägers aber ein „dringender Fall“ vor, so folgt hieraus, dass das in Art. 9 der Richtlinie 64/221/EWG vorgesehene Rechtsbehelfsverfahren vor einer „zuständigen Stelle“ der Entscheidung über seine Entfernung aus dem Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht vorauszugehen hatte und dass sein Unterbleiben mithin nicht gegen die in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG festgelegten Rechtsschutzgarantien verstößt.
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Die Ausweisung bedarf darüber hinaus auch keiner Befristung. Der Hinweis auf die Möglichkeit eines Befristungsantrages ist ausreichend. Es liegen hier keine besonderen Umstände vor, die eine Verknüpfung der Ausweisungsentscheidung mit einer Befristung erforderlich machen würden. In dem von dem Kläger genannten Urteil liegen – wie vom Beklagten zu Recht geltend gemacht – andere Voraussetzungen vor, namentlich eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und ein minderjähriges Kind.
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Die Ausweisung ist daher gegenwärtig insgesamt materiell rechtmäßig.
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Die Abschiebungsandrohung findet ihre Rechtsgrundlage in § 59 AufenthG (§ 50 AuslG). Da mit der Vollziehbarkeit der Ausweisung zugleich die Ausreisepflicht vollziehbar ist (vgl. §§ 50 Abs. 1, 51 Abs. 1 Nr. 5, 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG; §§ 42 Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, 44 Abs. 1 Nr. 1 AuslG), ist die Abschiebungsandrohung, die eine ausreichend bemessene Ausreisefrist und die Bezeichnung des Zielstaates der Abschiebung enthält, ebenfalls rechtmäßig.
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