Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Urteil, 29. März 2007 - 12 A 181/05
Gericht
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens werden dem Kläger auferlegt.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der am 19.12.1981 in ………. geborene Kläger ist russischer Staatsangehöriger tschetschenischer Volkszugehörigkeit. Er verließ nach seinen Angaben am 11.05.2004 zusammen mit seiner Mutter seinen Wohnort in Tschetschenien und reiste zunächst nach ………. Von dort aus reiste er am 16.05.2004 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 19.05.2004 einen Antrag auf Gewährung politischen Asyls, den er im Wesentlichen wie folgt begründete:
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Er habe seine Heimat verlassen, da er dort mehrfach von russischen Militärangehörigen festgenommen und inhaftiert worden sei, letztmalig von März bis Mai des Ausreisejahres.
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Er sei ledig und habe bis zu seiner Flucht in einem Dorf in unmittelbarer Nähe zu …….. zusammen mit seiner Mutter gelebt. Bei einer der regelmäßig in seinem Heimatland stattfindenden Razzien russischer Soldaten habe man bei ihm zu Hause eine große Anzahl von Medikamenten entdeckt. Dies sei am 02.03.2004 gewesen. Die Razzia sei so abgelaufen wie immer, sie seien mit mindestens vier Mann in das Haus hineingekommen und hätten alles durchsucht. Die Durchsuchung habe nicht nur bei ihm, sondern auch in anderen Häusern des Ortes stattgefunden. Man habe ihn dann nach …….-……… gebracht, wo er in ein ehemaliges Internat verbracht worden sei. Man habe auch seine Mutter verhaftet, sie jedoch nicht so lange festgehalten wie ihn. Man habe ihn täglich mehrfach zu Verhören abgeholt und dabei auch verprügelt. Bei den Verhören habe man wissen wollen, wofür er die Medikamente gebraucht habe und wo sich sein Onkel und sein Vater befänden. In diesem Internat habe es sehr viele inhaftierte Personen gegeben. Er sei meist von drei Personen - einem Vorgesetzten und zwei weiteren - verhört worden. Der Mann seiner Tante arbeite mit den Föderalen zusammen, dieser habe sich dann um seine Freilassung gekümmert. Vor diesem Ereignis sei er schon ca. dreimal verhaftet und festgehalten worden, meistens für eine Woche. Dabei habe man ihn in seinem Dorf in eine ehemalige Fabrik gebracht, die zu einem Militärstützpunkt umgebaut worden sei. Es sei so, dass keiner mit einer Begründung verhaftet werde, die Menschen würden einfach so festgenommen. Er habe sich im letzten Tschetschenienkrieg nicht als Kämpfer beteiligt. Die Schwester seiner Mutter sei Ärztin, mit dieser habe er zusammen Medikamente in Dagestan eingekauft, diese seien dann nachts von tschetschenischen Kämpfern abgeholt worden. Er habe nicht innerhalb seines Heimatlandes, der Russischen Föderation, eine Zuflucht suchen können, da er nirgendwo als Tschetschene eine Registrierung erhalte.
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Mit Bescheid vom 08.04.2005 lehnte die Beklagte den Asylantrag ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen von § 60 Abs. 1 AufenthG sowie Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorlägen. Gleichzeitig setzte es eine Ausreisefrist und drohte die Abschiebung an. Hiergegen ist rechtzeitig Klage erhoben worden.
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Zur weiteren Begründung seiner Klage hat der Kläger ergänzend zu seinem bisherigen Vorbringen angegeben, seine Tante heiße …….. …….., diese sei Ärztin und arbeite in der Poliklinik in seinem Heimatdorf …….. Des Weiteren führe die Tante eine Apotheke, welche sich in der gleichen Straße wie die Klinik befinde. Der Ehemann der Tante sei ebenfalls tschetschenischer Volkszugehöriger und im Dorf als Vermittler zwischen Föderalen und Dorfbewohnern tätig, sein Name sei ……. ………. Der Tante sei nicht bekannt gewesen, dass der Kläger und seine Mutter die Medikamente an tschetschenische Kämpfer weitergeleitet hätten. Letztere hätten die Medikamente nachts im Hause des Klägers und seiner Mutter abgeholt. Der Großvater sei nachts in seinem Haus vermutlich von Föderalen umgebracht worden. Ein weiterer Onkel namens ……. ………. sei im Jahre 2002 verhaftet worden.
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Des Weiteren sei anzumerken, dass es zwei verschiedene Arten von „Verhaftungen“ gebe. Zum einen seien wiederkehrend alle, insbesondere jugendliche Männer des Dorfes, für mehrere Tage bis eine Woche mitgenommen und im Militärstützpunkt des Dorfes festgehalten worden. Diese Aktionen würden wörtlich übersetzt aus dem Russischen „Putzen“ genannt. Darüber hinaus habe es jedoch auch länger andauernde Inhaftierungen in dem ehemaligen Internatsgebäude in ……-……. gegeben.
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Der Kläger beantragt,
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unter Aufhebung des Bescheides vom 08. April 2005 die Beklagte zu verpflichten, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG festzustellen, sowie festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie verweist zur Begründung auf den angefochtenen Bescheid.
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Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung informatorisch angehört worden. Er hat ergänzend ausgeführt, dass er sowohl über einen russischen Inlandspass als auch über einen Reisepass verfügt habe, beide seien ihm während der letzten Säuberung abgenommen worden. Er wisse nicht, wann diese Pässe ausgestellt worden seien. Er sei zu keiner Zeit in Grosny gewesen, um den Pass umzutauschen. Das Geld für die Ausreise - je 2000 $ pro Person- hätten seine Mutter und er durch den Verkauf des Hauses erhalten. Er habe in Tschetschenien nicht gearbeitet, die Familie habe sich von eigener Viehhaltung ernährt. Seinem Wissen nach lebten seine Tante und sein Onkel noch in Tschetschenien, seine Mutter habe noch gelegentlich über eine Freundin in Moskau mit diesen Kontakt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der angefochtene Bescheid der Beklagten ist, auch soweit er noch hinsichtlich der Ziff. 2-4 im Streit befindlich ist, rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Er hat keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG. Auch Abschiebeverbote nach § 60 Abs. 2-7 AufenthG liegen nicht vor.
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Bei der Anwendung und Auslegung des § 60 AufenthG sind die Bestimmungen der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29.04.2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatenangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder Personen, die anderweitigen internationalen Schutz benötigen und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - Qualifikationsrichtlinie (QRL)- zu berücksichtigen. Diese Vorschriften sind infolge des Ablaufes der Umsetzungsfrist am 10.10.2006 unmittelbar anwendbar (BVerwG, Urteil vom 01.Februar 2007 - 1 C 24.06).
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Hinsichtlich der nachfolgenden Grundsätze geht die Kammer von einer Vereinbarkeit nationaler Regelung und Anwendung des Flüchtlingsschutzes mit den Anforderungen der QRL aus.
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Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG darf ein Ausländer in Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl 1953 II S. 559, Genfer Flüchtlingskonvention - GK -) nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Eine Verfolgungen wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe kann auch dann vorliegen, wenn die Bedrohung des Lebens, der körperliche Unversehrtheit oder der Freiheit allein an das Geschlecht anknüpft (§ 60 Abs. 1 Satz 3 AufenthG). Eine Verfolgung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG kann nach Satz 4 ausgehen von
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a) dem Staat
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b) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebietes beherrschen oder
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c) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, es sei denn, es besteht eine innerstaatliche Fluchtalternative.
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Das Flüchtlingsrecht bietet Schutz vor Verfolgung, die dem Einzelnen in Anknüpfung an die oben genannten unveränderlichen Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit ausgrenzen. Dies kann im Sinne des Flüchtlingsrechts auch dann der Fall sein, wenn eine solche staatliche Einheit nicht besteht. Eine gezielte Rechtsverletzung in diesem Sinne liegt nicht vor bei Nachteilen, die jemand aufgrund der allgemeinen Zustände in seinem Heimatort zu erleiden hat wie Hunger, Naturkatastrophen, aber auch bei allgemeinen Auswirkungen von Unruhen, Revolutionen und Kriegen. Relevant im Sinne des Flüchtlingsrechts ist eine Verfolgung nur dann, wenn sie an ein geschütztes Merkmal anknüpft. Dies ist anhand der erkennbaren Gerichtetheit der Maßnahme selbst, nicht subjektiv anhand der Motive des Verfolgers zu beurteilen. Die in diesem Sinne gezielt zugefügte Rechtsverletzung muss von einer Intensität sein, die sich nicht nur als Beeinträchtigung, sondern als - ausgrenzende - Verfolgung darstellt. Das somit erforderliche Maß der Intensität ist nicht abstrakt vorgegeben, es muss vielmehr der humanitären Intention entnommen werden, die das Asylrecht prägt, nämlich demjenigen Aufnahme und Schutz zu gewähren, der sich in einer für ihn ausweglosen Lage befindet (BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989, - 2 BvR 502/86, 2 BvR 1000/86, 2 BvR 961/86 -, BVerfGE 80, 315, 335).
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Stellt eine Person, die bereits einmal Verfolgung im oben genannten Sinn erlitten hat, einen Asylantrag, so hängt die Schutzgewährung davon ab, dass nach dem gewonnen Erkenntnisstand an einer Sicherheit vor erneut einsetzender Verfolgung auch nur ernsthafte Zweifel bestehen (diese Auslegung entspricht den Anforderungen des Art. 4 Abs. 4 QRL).
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Hat der Asylbewerber zuvor noch keine Verfolgung erlitten, so ist darauf abzustellen, ob ihm im Fall der Rückkehr Verfolgung mit beachtlicher, d.h. überwiegender Wahrscheinlichkeit droht (BVerfG, Urteil vom 10.7.1989 - 2 BvR 502/86 - BVerfGE 80, 315; BVerwG, Urteil vom 25.9.1984 - 9 C 17/84 - BVerwGE 70, 169; Urteil vom 23.2.1988 - 9 C 85/87 - InfAuslR 1988, 194).
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Als vorverfolgt gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts, wer seinen Heimatstaat entweder nach eingetretener oder vor unmittelbar drohender Verfolgung verlassen hat (BVerfG, Urteil vom 10. Juli 1989, BVerfGE 80, 315; BVerwG, Urteil vom 30.10.1990, BVerwGE 87, 52). Unter einer eine Vorverfolgung begründenden unmittelbar drohenden Verfolgung ist eine bei Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende Verfolgung zu verstehen (BVerwG, Urteil vom 14.12.1993, DVBl. 1994,524). Als vorverfolgt gilt danach auch derjenige, dem bei der Ausreise mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung droht, was stets dann anzunehmen ist, wenn bei qualifizierter Betrachtungsweise die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Die bei Anwendung dieses Maßstabs gebotene qualifizierende Betrachtungsweise bezieht sich dabei nicht nur auf das Element der Eintrittswahrscheinlichkeit, sondern auch auf das Element der zeitlichen Nähe des befürchteten Ereignisses. Je unabwendbarer eine drohende Verfolgung erscheint, desto unmittelbarer steht sie bevor. Je schwerer der befürchtete Verfolgungseingriff ist, desto weniger kann es dem Gefährdeten zugemutet werden, mit der Flucht zuzuwarten, bis der Verfolger unmittelbar zugreift. Das gilt auch dann, wenn der Eintritt der befürchteten Verfolgung von reiner Willkür abhängt, das befürchtete Ereignis somit im Grunde jederzeit eintreten kann, ohne dass allerdings im Einzelfall immer gesagt werden könnte, dass dessen Eintritt zeitlich in nächster Nähe bevorsteht. Auch diese aus der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind mit Art. 4 Abs. 4 QRL vereinbar.
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Vorliegend kann indes dahingestellt bleiben, ob der Kläger individuell vorverfolgt aus seinem Heimatland ausgereist ist. Ebenso braucht hier nicht entschieden zu werden, ob tschetschenische Volkszugehörige in Tschetschenien einer regionalen oder örtlich begrenzten Gruppenverfolgung zum Ausreisezeitpunkt unterlagen oder eine solche zum heutigen Zeitpunkt anzunehmen ist, denn in allen genannten Konstellationen wird ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch eine zum jetzigen Zeitpunkt für den Kläger als gegeben anzusehende interne Schutzalternative ausgeschlossen.
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Gemäß Art. 8 Abs. 1 QRL können die Mitgliedsstaaten bei der Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz feststellen, dass ein Antragsteller keinen internationalen Schutz benötigt, sofern in einem Teil des Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung bzw. keine tatsächliche Gefahr, einen ernsthaften Schaden zu erleiden, besteht und vom Antragsteller vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich in diesem Landesteil aufhält. Bei dieser Prüfung, ob ein Teil des Herkunftslandes diese Voraussetzungen erfüllt, berücksichtigten die Mitgliedstaaten die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Antragstellers zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag. Abs. 1 kann auch dann angewandt werden, wenn praktische Hindernisse für eine Rückkehr in das Herkunftsland bestehen (Art. 8 Abs. 3 QRL). Gemäß Art. 4 Abs. 3 Buchstabe c der QRL sind bei der Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz - so der Titel von Kapitel II der QRL - die individuelle Lage und die persönlichen Umstände des Antragstellers, einschließlich solcher Faktoren wie familiärer und sozialer Hintergrund, Geschlecht und Alter zu berücksichtigen.
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Nach Art. 8 Abs. 1 QRL ist die Frage einer in einem Teil des Hoheitsgebietes des Herkunftslandes bestehenden Schutzalternative im Rahmen der abschließenden Verfolgungsprognose zu prüfen. Somit soll es nach der Richtlinie nicht mehr in erster Linie um die Prüfung gehen, ob im Zeitpunkt der Flucht innerhalb des Herkunftsstaates interne Schutzzonen als Alternative zur Flucht bestanden, sondern darum, ob im Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. Art. 4 Abs. 3 Buchstabe a RL) derartige Zonen als Alternative zum internationalen Schutz zur Verfügung stehen. Nach der Auffassung des Gerichts bedarf es deshalb im Rahmen der Entscheidung über den Flüchtlingsstatus keiner rückschauenden Prognose als Vorfrage für die Anwendung des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes mehr; war der Antragsteller vor seiner Ausreise in einem Teil seines Herkunftslandes von Verfolgung betroffen, ist er unbeschadet bestehender interner Fluchtalternativen im Sinne der bisherigen deutschen Rechtsprechung als vorverfolgt anzusehen (Marx, Handbuch zur Flüchtlingsanerkennung - Erläuterungen zur Richtlinie 2004/83/EG, § 14 Rn. 10).
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Die Prüfung des Vorhandenseins einer internen Schutzalternative setzt die nach den tatsächlichen Verhältnissen des Herkunftslandes zu treffende Feststellung voraus, dass sie hinreichende Sicherheit vor (erneuter) politischer Verfolgung gewährleistet. Dieser Schutz vor Verfolgung muss am Maßstab der QRL gemessen werden, d. h. am Ort des internen Schutzes darf keine begründete Furcht vor Verfolgung bestehen. Dabei ist von einer Regelvermutung der landesweiten Verfolgung durch staatliche Akteure auszugehen; auch die nationale Rechtsprechung geht davon aus, dass der interne Schutzeinwand regelmäßig nur bei Verfolgung durch nichtstaatliche Akteure Anwendung finde (Marx, aaO, § 14 Rn. 20 unter Hinweis auf BVerfGE 81, 58). Nur ausnahmsweise sei es gerechtfertigt, bei Verfolgungen durch staatliche Behörden das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative zu prüfen („mehrgesichtiger“ Staat, BVerwG, InfAuslR 1994, 375).
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Neben der Verfolgungssicherheit kann vom Antragsteller vernünftigerweise nur dann erwartet werden, dass er den verfügbaren internen Schutzort aufsucht, wenn unter Berücksichtigung seiner persönlichen Lebensumstände dieser für ihn zumutbar ist. Insbesondere für die Beurteilung der konkreten Lebensverhältnisse legt Art. 8 Abs. 2 QRL den Mitgliedsstaaten eine konkrete, die persönlichen Umstände im Entscheidungszeitpunkt umfassende Bewertung auf. Die generalisierende Betrachtungsweise der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist nach Ansicht des Gerichts insoweit mit der Richtlinie unvereinbar und damit überholt (Marx, aaO, Rdnr. 41).
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Gemäß Erwägungsgrund Nr. 3 der QRL stellen die Genfer Konvention und das Protokoll einen wesentlichen Bestandteil des internationalen Rechtsrahmens für den Schutz von Flüchtlingen dar. Die von Marx mit „Zumutbarkeitsbegriff“ umschriebenen Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 1 QRL müssen sich an dem sich aus Art. 1 A Nr. 2 GFK entnehmbaren menschenrechtlichem Schutzbedürfnis messen lassen.
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„Die Elemente des Flüchtlingsbegriffs ( der GK ) reflektieren ein menschenrechtliches Schutzbedürfnis. Sie verkörpern ein konkretes menschenrechtliches Schutzinstrument für bestimmte Menschenrechtsverletzungen. Der Flüchtlingsbegriff gewährt Personen, welche die Kriterien der Flüchtlingsdefinition erfüllen, mehr Freiheiten, als ihnen in ihrem Herkunftsland eingeräumt wurden. Daraus folgt, dass die Feststellungsbehörde den Zumutbarkeitsbegriff als Schutzstandard verstehen muss, den die Konvention vorsieht und nicht als ein vages dem Belieben anheim gestelltes Konzept“ (Marx, aaO, Rdnr. 46). Hieraus folgt nach dieser zitierten Ansicht, dass dem Flüchtlingsantragsteller ein Mindestmaß an wirtschaftlicher Unterstützung am Ort des internen Schutzes zuteil werden muss, der gebotene interne Schutz ist deshalb nicht gewährleistet, wenn der Antragsteller unter Berücksichtigung seiner persönlichen Lebensverhältnisse keine reale Möglichkeit zum wirtschaftlichen Überleben hat. Dieser aus dem dargelegten Verständnis von Art. 8 Abs. 1 QRL gewonnene Standard ist offener und oberhalb des Maßstabes bisheriger nationaler Rechsprechung anzusehen, welche insoweit bei der Prüfung der inländischen Fluchtalternative lediglich berücksichtigt, ob der Antragsteller dort nichts anderes zu erwarten hat, als ein „dahinvegetieren am Rande des Existenzminimums“ (BVerwG, NVwZ-RR 1991, 442).
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Berücksichtigt man, dass der so beschriebene menschenrechtliche Schutzstandard nach den individuellen Verhältnissen des Antragstellers real verfügbar sein muss und als individuelle Faktoren Sprache, Bildung, persönliche Fähigkeiten, vorangegangener Aufenthalt, örtliche und familiäre Bindungen, Geschlecht, Alter, ziviler Status, Lebenserfahrung, soziale Einrichtungen, gesundheitliche Versorgung und verfügbares Vermögen (Marx, aaO, Rdnr. 58) sowie die kumulative Wirkung sämtlicher Besonderheiten von Bedeutung sind, lässt sich eine generalisierende, abstrakte Beurteilung eines Landesteils als zumutbare interne Schutzalternative nicht vornehmen.
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Zu diesen individuellen Verhältnissen im Hinblick auf den Zumutbarkeitsbegriff können auch Erkenntnisse über das individuelle Vorverfolgungsschicksal mit einfließen, die es im Einzelfall ausnahmsweise trotz vorhandener Verfolgungssicherheit und Sicherung eines wirtschaftlichen Überlebensstandards einem Flüchtling unzumutbar machen könnten, den Schutz dieses Landes in Anspruch zu nehmen. Hierfür spricht, dass die Genfer Konvention wesentlicher Bestandteil des der Richtlinie zugrundeliegenden internationalen Schutzes und des Flüchtlingsbegriffes ist. Nach Art. 1 C Nr. 5 und 6 GK („Wegfall der Umstände“- Klausel) fällt eine Person nicht mehr unter die Bestimmungen der GK, wenn sie es nach Wegfall der Umstände, aufgrund derer sie als Flüchtling anerkannt worden ist, nicht mehr ablehnen kann, den Schutz des Landes in Anspruch zu nehmen, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt. Hierbei wird jedoch unterstellt, dass die Bestimmungen dieser Ziffer auf keinen Flüchtling Anwendung findet, der sich auf zwingende, auf früheren Verfolgungen beruhende Gründe berufen kann, um die Inanspruchnahme des Schutzes seines Heimatlandes abzulehnen. Diese Bestimmung ist inhaltlich umgesetzt worden in § 73 AsylVfG. Zwingende, auf früherer Verfolgung beruhende Gründe liegen vor, wenn Flüchtlinge oder ihre Familienangehörigen einer außergewöhnlichen menschenverachtenden Verfolgung ausgesetzt waren und deshalb von ihnen eine Rückkehr in ihr Heimatland nicht erwartet werden kann. Nach den UNHCR-Richtlinien zum internationalen Schutz fallen hierunter insbesondere Personen, die Opfer von Gewalt waren oder Gewaltanwendungen gegen Familienmitglieder ansehen mussten. Solche Gründe sind weiter anzunehmen, wenn schwere physische und psychische Schäden vorliegen, die infolge der bereits erlittenen politischen Verfolgung entstanden sind und sich bei einer Rückkehr in die Heimat verschlechtern würden (GK-AsylVfG, Stand Juni 2006 § 73 Rdnr. 62 unter Hinweis auf Hess. VGH, Beschluss vom 28.05.2003 - 12 ZU 2805/02.A).
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Die nachfolgend dargestellten tatsächlichen Verhältnisse in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens für ethnische geflohene Tschetschenen lassen daher an dem oben dargelegten Verständnis von Art. 8 QRL gemessen lediglich die Bewertung zu, ob grundsätzlich innerhalb der Russischen Föderation Landesteile vorhanden sind, die geeignet sind, einen solchen Schutzstandard zu vermitteln. Gleichwohl bedarf es in jedem Einzelfall einer konkreten Subsumtion unter Berücksichtigung individueller Verhältnisse.
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Die heutige Lage ethnischer Tschetschenen, insbesondere der aus Tschetschenien geflohenen Binnenflüchtlinge und Rückkehrer, lässt sich wie folgt skizzieren:
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Nach wie vor sind ethnische Tschetschenen Ziel benachteiligender Praktiken der Behörden. Menschenrechtsorganisationen berichten glaubwürdig über verstärkte Personenkontrollen und Wohnungsdurchsuchungen, zum Teil ohne rechtliche Begründung, Festnahmen, Strafverfahren aufgrund fingierter Beweise und Kündigungsdruck auf Arbeitgeber und Vermieter. Offensichtliche Diskriminierungen wie das Fälschen von Beweismitteln oder die Verfolgung durch die Miliz sind im Vergleich zum ersten Tschetschenienkrieg seltener geworden. Subtile Formen der Diskriminierung bestehen fort. Tschetschenen haben zum Beispiel weiterhin Schwierigkeiten, eine Wohnortregistrierung auf legalem Wege zu erlangen (AA, Lagebericht Russische Föderation (einschließlich Tschetschenien), Stand Juli 2006, vom 18.08.2006). In der Russischen Föderation leben außerhalb Tschetscheniens nach UN-Angaben im April 2006 noch 24.162 tschetschenische Binnenvertriebene in Inguschetien (8.828 in Übergangslagern und 15.334 in Privatunterkünften). Weitere Binnenvertriebene halten sich in den nordkaukasischen Nachbarrepubliken auf: Ca. 10.000 in Dagestan, 4.000 in Nordossetien, 10.000 in Kabardino-Balkarien und 23.000 in Karatschajewo-Tscherkessien. Darüber hinaus gibt es praktisch in allen russischen Großstädten eine große tschetschenische Diaspora: Nach Angaben der tschetschenischen Vertretung in Moskau halten sich dort ca. 200.000 Tschetschenen auf, davon die Mehrzahl illegal. Laut Volkszählung von 2002 gibt es in Moskau lediglich 14.465 offiziell registrierte Tschetschenen. 70.000 Menschen leben im Gebiet Rostov, 40.000 in der Region Stavropol und 30.000 in der Wolgaregion (Angaben des tschetschenischen Parlamentspräsidenten im Juni 2006). Die Gesamtzahl der tschetschenischen Binnenflüchtlinge wird mit ca. 500.000 angegeben. Die Lebensbedingungen für die Mehrheit der tschetschenischen Bevölkerung haben sich nach Angaben von internationalen Hilfsorganisationen in Tschetschenien selbst in letzter Zeit etwas verbessert, in den Nachbarrepubliken Dagestan, Inguschetien und Kabardino-Balkarien hingegen eher verschlechtert. Die Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan sind durch den Tschetschenienkonflikt am meisten betroffen, in diesen beiden Teilrepubliken wird die Sicherheitslage inzwischen von internationalen Organisationen (u. a. UN) schlechter als in Tschetschenien eingeschätzt. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen kommt es in Inguschetien zu schweren Menschenrechtsverletzungen einschließlich extralegaler Tötung und dem „Verschwinden“ von Zivilisten, verübt durch russische wie einheimische Sicherheitskräfte (und tschetschenische Rebellen, denen sich immer mehr Inguschen anschließen). Nach der Geiselnahme von Beslan 2004 und den Kämpfen in Naltschik im Herbst 2005 sind auch die vormalig ruhigen Republiken wie Kabardino-Balkarien und Nordossetien zunehmend in die Gewaltspirale einbezogen worden. Föderale und republikanische Sicherheitskräfte haben nach den Kämpfen in Naltschik mit Säuberungsoperationen reagiert; willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen, Folter und Mord an „Terrorverdächtigen“ sind nach übereinstimmenden Angaben aller Beobachter im ganzen Nordkaukasus an der Tagesordnung.
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Tschetschenen steht wie allen russischen Staatsbürgern formal zwar das Recht der freien Wahl des Wohnsitzes und des Aufenthalts in der Russischen Föderation zu, dieses Recht wird in der Praxis an vielen Orten (insbesondere in großen Städten wie z. B. Moskau und St. Petersburg) durch die Verwaltungsvorschriften stark erschwert. Die dort in den großen Städten bestehenden Zuzugsbeschränkungen gelten zwar unabhängig von der Volkszugehörigkeit, wirken sich jedoch im Zusammenhang mit anti-kaukasischer Stimmung stark auf die Möglichkeit rückgeführter Tschetschenen aus, sich legal dort niederzulassen. Nach Moskau zurückgeführte Tschetschenen haben deshalb in der Regel nur deshalb eine Chance, in der Stadt Aufnahme zu finden, wenn sie genügend Geld haben oder auf ein Netzwerk von Bekannten oder Verwandten zurückgreifen können. Die das ursprüngliche Propiska-System ersetzende Registrierung (gegenwärtiger Aufenthaltsort = vorübergehende Registrierung, Wohnsitz = dauerhafte Registrierung) legalisiert den Aufenthalt und ermöglicht den Zugang zu Sozialhilfe, staatlich geförderten Wohnungen und zum kostenlosen Gesundheitssystem sowie zum Bezug von Rentenleistungen. Voraussetzung für eine dauerhafte Registrierung ist der Nachweis des Vorhandenseins von Wohnraum. In den Regionen Krasnodar und Stavropol in Südrussland als neben Inguschetien und Moskau größte tschetschenische Diaspora innerhalb der Russischen Föderation ist eine Registrierung grundsätzlich leichter möglich als in Moskau, u. a. deshalb, weil Wohnraum dort erheblich billiger ist als in Moskau. Eine Registrierung ist in vielen Landesteilen gleichwohl erst oft nach Intervention von NROs, Dumaabgeordneten oder anderen einflussreichen Persönlichkeiten oder durch Bestechung möglich. Weitere Voraussetzung für eine Registrierung ist der ab 2004 geltende neue russische Inlandspass. Für diejenigen, die seit dem 01.07.2004 kein gültiges Personaldokument vorweisen können, gelten die üblichen Vorschriften: Sie müssen eine Geldstrafe zahlen, erhalten ein vorläufiges Personaldokument und müssen bei dem für sie zuständigen Meldeamt (d. h. am letzten Wohnsitz) die Ausstellung eines neuen Inlandspasses beantragen. Der Umtausch erfolgt ohne Sonderbedingungen, d. h. die Beantragung am Ort der befristeten Registrierung ist nicht mehr möglich. Es ist zwar grundsätzlich möglich, von und nach Tschetschenien ein- und auszureisen, an den Grenzen zu den russischen Nachbarrepubliken befinden sich jedoch nach wie vor Kontrollposten der Föderalen Truppen oder der sogenannten „Kadyrowzy“ (Truppen des tschetschenischen Vizepremier und Befehlshaber des Sicherheitsdienstes, Ramsan Kadyrow, Sohn des ermordeten ehemaligen Präsidenten Ahmed Kadyrow), die gewöhnlich eine Ein- bzw. Ausreisegebühr erheben.
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Nicht registrierte Tschetschenen können innerhalb Russlands allenfalls in der tschetschenischen Diaspora untertauchen und dort überleben. Wie ihre Lebensverhältnisse sind, hängt insbesondere davon ab, ob sie über Geld, Familienanschluss, Ausbildung und russische Sprachkenntnisse verfügen. Menschenrechtler beklagen eine Zunahme von Festnahmen wegen fehlender Registrierungen oder aufgrund manipulierter Ermittlungsverfahren (vgl. insgesamt zum Vorstehenden: AA, Lagebericht 18.08.2006).
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Die Schweizerische Flüchtlingshilfe berichtet in ihrem Tschetschenien-Update von November 2005 (Klaus Ammann, Schweizerische Flüchtlingshilfe, Tschetschenien, 07.11.2005) davon, dass der Druck auf tschetschenische intern Vertriebene (tschetschenische Binnenflüchtlinge in der Russischen Föderation außerhalb Tschetscheniens) zu einer Rückkehr nach Tschetschenien zugenommen hat. Mit Entschädigungsversprechungen und physischer Gewalt wurden und werden sie zur Rückkehr nach Tschetschenien gedrängt. Die letzten drei Zeltlager in Inguschetien seien in der ersten Hälfte des Jahres 2004 offiziell geschlossen worden. Nach Angaben des UNHCR sei im Juni 2004 mit einer Zahl von ca. 48.000 tschetschenischen Internvertriebenen in der Russischen Föderation auszugehen gewesen. Die Lage der Tschetschenen in der übrigen RF habe sich nicht verbessert. Es werde ihnen systematisch der von der Föderationsregierung verwandte Status der „Zwangsmigranten“ verweigert, nur Zwangsmigranten könnten jedoch legal arbeiten oder Grundstücke erwerben. Nach wie vor herrsche in der RF eine stark antitschetschenische Stimmung, Diskriminierungen und Misshandlungen sowohl durch Privatpersonen als auch durch Beamte in Uniform seien weit verbreitet. Tschetschenen müssten willkürliche Verhaftungen, konstruierte Anklagen, illegale Identitätskontrollen, aber auch Angriffe durch Gruppen von Privatpersonen über sich ergehen lassen. Laut russischem Innenministerium seien in der ersten Hälfte des Jahres 2004 1.058 Gesetzeshüter vor Gericht gezogen worden wegen Misshandlungen, die Zahl solcher Fälle sei somit um 30 % gestiegen im Vergleich zur Vorjahresperiode. Trotzdem herrsche nach wie vor ein Klima der Straflosigkeit, oftmals schauten die Justizbehörden weg. Der Konflikt in Tschetschenien trage dabei direkt zur Brutalisierung der Gesetzeshüter bei, da Polizisten aus ganz Russland gemäß einem Rotationssystem für sechs Monate nach Tschetschenien geschickt würden. Dort „lernten“ sie willkürliche und gewalttätige Methoden, die sie anschließend in ihren Heimatstädten zur Anwendung brächten. Insbesondere in der Folge von Terroranschlägen habe die Polizei jeweils „Revancheaktionen“ durchgeführt gegen ethnische Tschetschenen und andere Menschen kaukasischer Herkunft. Vertriebenen aus Tschetschenien werde der Zugang zu Identitätspapieren noch erschwert. Sie könnten ihren Inlandspass nur in Tschetschenien ausstellen oder erneuern lassen, die Reise dorthin sei jedoch mit hohen Kosten für Bestechungsgelder und vielerlei Gefahren verbunden. Für einen Inlandspass müsse man 50 bis 100 Euro an Bestechungsgeldern zahlen. Laut „Memorial“ stimme die Auffassung nicht, an kleineren Orten ließe sich ohne Registrierung leben oder es sei dort einfacher, eine solche zu erhalten. Auf ihren Inlandspass müssten Tschetschenen in der Regel viel länger warten als andere Bürger des Landes, zum Teil Monate oder gar Jahre. Keinen Pass zu haben könne gefährlich sei - verschiedentlich seien Menschen aufgrund fehlender Dokumente von den Sicherheitskräften festgehalten und teils misshandelt worden. Zur Situation in den Nachbarrepubliken Inguschetien und Dagestan führt die Schweizerische Flüchtlingshilfe aus, dass sich die Situation der Sicherheitslage stark verschlechtert habe.
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Die Menschenrechtsorganisation Memorial führt in ihrem Bericht „Menschen aus Tschetschenien in der Russischen Föderation, Juli 2005 bis Juli 2006 zur Situation der innerhalb der RF vertriebenen Tschetschenen aus, dass es keine Strukturen gebe, die Binnenvertriebenen Wohnraum, Arbeit oder materielle Unterstützung gewährleisten würden. Nach dem zweiten Tschetschenienkrieg habe sich die Zahl derjenigen Menschen aus Tschetschenien, die den Status eine „unfreiwilligen Umsiedlers“ erhalten hätten, auf 12.000 reduziert, hierbei handele es sich indes nicht um ethnische Tschetschenen, sondern um Angehörige anderer Ethnien. Die Registrierung von Tschetschenen außerhalb Tschetscheniens sei ein großes Problem, meistens seien Vermieter nicht bereit, Tschetschenen eine Registrierung zu unterschreiben, um keine Schwierigkeiten mit der Miliz zu bekommen. Es bedürfe manchmal jahrelanger Anstrengungen, um eine Registrierung mit Hilfe anderer durchzusetzen. Umsiedler aus Tschetschenien ohne gültige Registrierung hätten mit vielen Problemen zu kämpfen, sie erhielten keine kostenlose medizinische Hilfe, obwohl sie diese aufgrund ihrer Vertriebenensituation dringend benötigten. Wer nicht registriert sei, könne nur eine Arbeit ohne Arbeitsvertrag annehmen. Mit Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 122 sei der Empfang von staatlichen Unterstützungsgeldern und Renten bei fehlender Registrierung nicht möglich. Die Verfolgung der Tschetschenen habe sehr unterschiedliche Formen: Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung würden sie gesetzeswidrig verhaftet und beschuldigt. Memorial berichtet sodann von mehreren Einzelfällen unrechtmäßiger Strafverfolgung gegenüber Tschetschenen und stellt sodann fest, dass sich Dutzende von Tschetschenen nach wie vor aufgrund falscher Anklagen in Haft in der RF befänden.
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Aus dieser Auskunftslage schließt das Gericht zunächst einmal, dass innerhalb der Russischen Föderation außerhalb der Nordkaukasusgebiete für ethnische Tschetschenen, die aus Tschetschenien geflüchtet sind oder aus dem Ausland in die Russische Föderation zurück kehren, grundsätzlich Regionen vorhanden sind, in denen hinreichende Sicherheit vor Verfolgung besteht. Dies gilt jedenfalls für solche Personen, bei denen ein landesweites Verfolgungsinteresse russischer Behörden wegen einer hervorgehobenen Bedeutung im tschetschenischen Widerstand nicht anzunehmen ist.
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Angesichts der Zahl der innerhalb der Russischen Föderation außerhalb des Nordkaukasus lebenden tschetschenischen Binnenflüchtlinge (angesichts der o. g. Zahlen dürfte es sich hierbei nach ungefährer Schätzung um ca. 300.000 bis ca. 350.000 handeln) kann auch angesichts der nicht zu verkennenden schwierigen Lage der Tschetschenen innerhalb der Russischen Föderation indes nicht davon ausgegangen werden, dass in der gesamten Russischen Föderation die Gefahr ethnisch oder politisch motivierter Übergriffe mit der erforderlichen asylrelevanten Eingriffsintensität von staatlicher oder sonstiger dritter Seite als reale, d. h. mehr als nur entfernt liegende Möglichkeit besteht. Zwar scheiden nach den obigen Darlegungen Regionen wie Inguschetien, Dagestan, Karbadino-Balkarien und möglicherweise auch die südrussischen Regionen Stawropol und Krasnodar als solche orte mit hinreichender Verfolgungssicherheit aus. Indes ist davon auszugehen, dass eine große Anzahl der aus Tschetschenien geflohenen ethnischen Tschetschenen in den übrigen Gebieten der Russischen Föderation, insbesondere auch in der Wolgaregion, nicht der Gefahr erneuter Verfolgungshandlungen im Sinne des Art. 9 QRL ausgesetzt sind.
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Diese Einschätzung entspricht soweit ersichtlich der mehrheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung (VGH München, Urteil vom 31.01.2005, 11 B 02.31597 - zitiert nach Juris -; OVG Lüneburg, Beschluss vom 16.01.2007, 13 LA 67/06 - zitiert nach Juris -, OVG Schleswig, Urteil vom 03.11.2005, 1 LB 259/01 - zitiert nach Juris -; VGH Baden Württemberg, Urteil vom 25.10.2006, A 3 S 46/06 - zitiert nach Juris -; auch die im Ergebnis die Zumutbarkeit einer internen Schutzalternative verneinenden Entscheidungen des OVG Magdeburg vom 31.03.2006 und des Hess. VGH vom 02.02.2006 - 1 E 519/02. A (3) - gehen insoweit vom Vorhandensein verfolgungsfreier Regionen innerhalb der russischen Föderation aus).
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Ob ein solcher verfolgungsfreier Ort den Anforderungen an die Zumutbarkeit eines dortigen Aufenthaltes gerecht wird, ist - wie oben ausgeführt - anhand eines gemischt objektiv-individuellen Maßstabes zu beurteilen. Grundsätzlich geht die Kammer indes davon aus, dass die Erlangung einer den Mindestanforderungen an ein gesellschaftlich und wirtschaftlich menschenwürdiges Dasein entsprechenden Existenzmöglichkeit auch für tschetschenische Binnenvertriebene und Rückkehrer möglich ist.
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Zunächst einmal ist festzustellen, dass nach der oben zitierten Auskunftslage auch für tschetschenische Volkszugehörige der Erhalt einer dauerhaften Registrierung jedenfalls außerhalb der Großstädte wie Moskau und St. Petersburg grundsätzlich möglich ist, wenngleich diese dauerhafte Registrierung auf bürokratische Hemmnisse und Widerstände treffen kann und oftmals erst mit der - allerdings auch zumutbaren - Inanspruchnahme von gerichtlicher Hilfe oder durch Unterstützung Dritter wie Menschenrechtsorganisationen möglich ist.
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Sollte im Einzelfall der für eine jedenfalls dauerhafte Registrierung erforderlich Inlandspass nicht vorhanden sein, ist im Hinblick auf die Frage der Zumutbarkeit der innerstaatlichen Schutzalternative danach zu differenzieren, ob ein solcher Inlandspass für tschetschenische Volkszugehörige mit zumutbarem Aufwand erlangbar ist.
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Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass nach Angaben des Leiters der Pass- und Visaabteilung im tschetschenischen Innenministerium vom 23.09.2004 alle 770.000 Bewohner Tschetscheniens, die noch die alten sowjetischen Inlandspässe hatten, neue russische Pässe erhalten haben (Auswärtiges Amt, Lagebericht Russische Föderation (einschließlich Tschetschenien) vom 17. März 2007). Sollten die zum Zeitpunkt des Ablaufes der Umtauschfrist nicht in Tschetschenien wohnhaften und registrierten tschetschenischen Bürger nicht über einen Inlandspass verfügen, so kann dieser grundsätzlich am Ort der Registrierung, mithin in Tschetschenien beantragt werden. Der Erlass Nr. 828 sieht eine maximale Bearbeitungsdauer von zehn Tagen für die Ausstellung eines Inlandspasses vor. Auskünften Moskauer Pass-Stellen und der Pass- und Visaverwaltung der tschetschenischen Republik in Grosny zufolge wird diese Frist sowohl in Moskau als auch in Tschetschenien in der Regel eingehalten. Nach Angaben der Pass- und Visaverwaltung in Tschetschenien kann die Ausstellung bei noch notwendigen Rückfragen bis zu einem Monat dauern. In diesen Fällen kann jedoch ein vorübergehender Ausweis ausgestellt werden, so dass die betreffende Personen Tschetschenien nach der Antragsangabe in Richtung des derzeitigen (vorläufigen) Wohnortes verlassen und zur Passausgabe wieder einreisen kann (Auswärtiges Amt an VGH München, Auskunft vom 03.03.2006).
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Angesichts dieser Auskunftslage ist im Einzelfall zu prüfen, ob unter diesen Bedingungen einem Tschetschenen zugemutet werden kann, zwecks Erlangung eines (neuen) Inlandspasses zur Erlangung der Registrierung außerhalb Tschetscheniens kurzzeitig zur Passbeantragung nach Grosny zurückzukehren. Dies wird nach Ansicht der Kammer grundsätzlich dann der Fall sein, wenn nicht zu erwarten steht, dass selbst bei einem kurzfristigen Aufenthalt in Tschetschenien und Vorsprache bei der Pass- und Visaabteilung in Grosny unmittelbar und unverzüglich Verfolgungsmaßnahmen gegenüber der betreffenden Person ergriffen werden. Liegt mithin kein glaubhaft vorgetragenes, individuelles, zielgerichtetes Verfolgungsinteresse vor, kann eine kurzzeitige Rückkehr zwecks Passbeantragung als zumutbar angesehen werden. An einem solchen individuellen, zielgerichteten Vorgehen gegenüber einzelnen Personen des tschetschenischen Widerstandes kann es möglicherweise etwa in den Fällen fehlen, in denen gegenüber der tschetschenischen Zivilbevölkerung allgemein, z. B. im Rahmen sogenannter „Säuberungsaktionen“ vorgegangen worden ist.
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Ist somit grundsätzlich von der Möglichkeit einer dauerhaften Wohnsitzregistrierung innerhalb der russischen Föderation auch für ethnische Tschetschenen auszugehen, kann auch die Möglichkeit einer dauerhaften wirtschaftlichen Existenzsicherung angenommen werden. Auch unter Berücksichtigung der Vorgaben der Qualifikationsrichtlinie bietet ein verfolgungssicherer Ort erwerbsfähigen Personen das wirtschaftliche Existenzminimum in aller Regel dann, wenn sie am Ort der internen Schutzalternative, sei es durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können (BVerwG, Urteil vom 01.02.2007 - 1 C 24.06 -, zitiert nach Juris). Von dem grundsätzlichen Vorhandensein solcher Erwerbsmöglichkeiten ist in der Russischen Föderation auszugehen. Zu berücksichtigen ist dabei, dass der Anteil der sogenannten „Schattenwirtschaft“ am Bruttoinlandsprodukt bis zu 40 % beträgt und somit einen erheblichen Faktor erwerbswirtschaftlicher Einkommenserzielung darstellt. Zwar ist in ländlich strukturschwachen Gebieten - anders als in größeren Städten und Ballungszentren wie Moskau und St. Petersburg - die in der Russischen Föderation bei 7,2 % liegende durchschnittliche Arbeitslosenquote erheblich höher, indes ist hier allerdings auch der nicht unerhebliche Anteil des informellen Sektors und der Subsistenzwirtschaft auf dem Lande zu berücksichtigen.
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Liegen mithin keine Anhaltspunkte im Einzelfall dafür vor, dass durch etwa erhebliche Einschränkungen in der Erwerbsmöglichkeit oder anderer sonstiger individueller Umstände ein dauerhaftes Leben außerhalb der Illegalität mit der Möglichkeit der Sicherung wirtschaftlicher und sozialer Mindestanforderungen an ein menschenwürdiges Überleben nicht möglich ist, ist somit grundsätzlich für tschetschenische Volkszugehörige von dem Vorhandensein einer internen Schutzalternative innerhalb der Russischen Föderation auszugehen.
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Bezogen auf den Kläger folgt hieraus, dass ihm zugemutet werden kann, innerhalb der Russischen Föderation außerhalb der Gebiete des Nordkaukasus bei einer heutigen Rückkehr in die Russische Föderation die Möglichkeit eines internen anderweitigen Schutzes vor Verfolgung in Anspruch zu nehmen. Das vom Kläger geschilderte Verfolgungsgeschehen lässt im Sinne der obigen Darlegungen erkennen, dass jedenfalls ein kurzfristiger Aufenthalt in Grosny zum Zwecke der Passbeantragung - sollte der Kläger wie von ihm behauptet tatsächlich nicht über einen Inlandspass verfügen - zumutbar ist. Wie sich aus dem Vorbringen des Klägers zur Überzeugung des Gerichtes ergeben hat, ist er Opfer einer sogenannten Säuberungsaktion russischer Soldaten geworden, ein hervorgehobenes, nach wie vor bestehendes Verfolgungsinteresse an der Person des Klägers etwa wegen einer herausgehobenen Bedeutung und Bekanntsein im tschetschenischen Widerstand, welches einen sofortigen Zugriff auf den Kläger erwarten ließe, ist danach nicht anzunehmen.
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Auch die Entscheidung der Beklagten zu Ziffer 3 des angefochtenen Bescheides ist nicht zu beanstanden. Anhaltspunkte dafür, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 2- 7 AufenthG vorliegen könnten, sind vom Kläger weder vorgetragen noch in sonstiger Weise ersichtlich.
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Die Klage ist mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
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Die Gerichtskostenfreiheit beruht auf § 83 b AsylVfG.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO iVm § 167 VwGO.
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(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
(1) Die Aufenthaltserlaubnis ist ein befristeter Aufenthaltstitel. Sie wird zu den in den nachfolgenden Abschnitten genannten Aufenthaltszwecken erteilt. In begründeten Fällen kann eine Aufenthaltserlaubnis auch für einen von diesem Gesetz nicht vorgesehenen Aufenthaltszweck erteilt werden. Die Aufenthaltserlaubnis nach Satz 3 berechtigt nicht zur Erwerbstätigkeit; sie kann nach § 4a Absatz 1 erlaubt werden.
(2) Die Aufenthaltserlaubnis ist unter Berücksichtigung des beabsichtigten Aufenthaltszwecks zu befristen. Ist eine für die Erteilung, die Verlängerung oder die Bestimmung der Geltungsdauer wesentliche Voraussetzung entfallen, so kann die Frist auch nachträglich verkürzt werden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.