Mit seiner Klage begehrt der Kläger die positive Beantwortung einer abstandsflächenrechtlichen Fragestellung bezüglich eines Neubauvorhabens auf dem streitgegenständlichen Baugrundstück, bestehend aus den Grundstücken …straße 88, Fl.Nr. …, …straße 92, Fl.Nr. … sowie der Fl.Nr. …, jeweils Gemarkung … … (* …*), im Rahmen eines Vorbescheidsverfahren, welche die Beklagte mit Bescheid vom 15. November 2016 abgelehnt hat.
Das Grundstück …straße 88, Fl.Nr. …, ist derzeit straßenseitig mit einem sechsgeschossigen Wohngebäude in geschlossener Bauweise mit Satteldach und einer Firsthöhe von +22,81 m (vermasst) bebaut. Im rückwärtigen Grundstücksbereichs befindet sich unter anderem ein fünfgeschossiges Gebäudes mit sehr flach gestelltem Pultdach in Grenzbebauung zur östlichen Grundstücksgrenze und ein dreigeschossiges Gebäude mit flach gestelltem Pultdach in Grenzbebauung zur westlichen Grundstücksgrenze.
Auf dem westlich benachbarten Grundstück …-Weg 24-30, Fl.Nr. …, befindet sich ein fünf- bis sechsgeschossiger Wohnkomplex in L-Form mit Flachdach und einer Wandhöhe von +18,48 m (fünftes Geschoss) bzw. +20,36 m (sechstes Geschoss) (jeweils vermasst). Der fünfgeschossige Gebäudeteil der Schmalseite ist im Osten mindestens 5,26 m von der östlichen Grundstücksgrenze entfernt.
Lageplan (nach Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
Die Bebauung westlich des streitgegenständlichen Grundstücks liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans mit Grünordnung Nr. … der Beklagten – …-, …-, …- und …straße – vom 29. September 2004 (im Folgenden: Bebauungsplan). In dessen Begründung heißt es auf Seite 49:
„Die Bauräume werden so angelegt, dass einerseits die städtebaulichen Rahmenbedingungen festgesetzt sind, andererseits aber, soweit im Rahmen der städtebaulichen Struktur und deren Abhängigkeiten möglich, auch ein Realisierungsspielraum für die Gestaltung und Organisation der einzelnen Bebauungen verbleibt.“
Auf Seite 57 heißt es:
„Durch die Festsetzungen ergeben sich bei vollständiger Ausnutzung der Bauräume und der zulässigen Höhenentwicklung Gebäudeabstände, die die gemäß Art. 6 Bayerische Bauordnung (BayBO) vorgeschriebenen Abstandsflächen nicht einhalten.“
Beispielhaft wird u.a. auf die Abstände der Nord- und Südfassaden der Gebäude östlich des …-Weges sowie die Abstände zwischen den westlichen Außenwänden der Gebäude östlich des …-Weges und der östlichen Außenwände der Gebäude westlich des …-Weges hingewiesen (S. 58).
Auf Seite 59 findet sich sodann die Erklärung:
„Die Abstandsflächen werden auf das sich aus dem Plan ergebende Maß verkürzt.“
Am 1. August 2016 (Eingangsdatum) beantragte der Kläger einen Vorbescheid für den Abbruch und Neubau eines Wohnhauses mit zweigeschossiger Tiefgarage auf dem streitgegenständlichen Baugrundstück.
Geplant ist die Errichtung eines vier bis sechsgeschossigen Wohnkomplexes mit Flachdach und einer maximalen Wandhöhe von +18,71 m (sechstes Geschoss). An der Westseite des Komplexes befindet sich auf einer Breite von 16 m ein fünfgeschossiger Gebäudeteil mit einer Wandhöhe von +14,98 m im Abstand von 5,3 m (abgegriffen) zur westlichen Grundstücksgrenze. Weitere fünfgeschossige Gebäudeteile befinden sich an der Süd- und Ostseite, viergeschossige Gebäudeteile an der Ost- und Nordseite des Gebäudes.
Lageplan mit Vorhaben (nach Einscannen möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
Den Vorbescheidsfragen wurde vorweg gestellt, dass die Grundstücke Fl.Nr. …, … und … als „Baugrundstück“ bezeichnet werden.
Frage 5 lit. e des Fragenkatalogs (in Gestalt der geänderten Version mit Schreiben der Bevollmächtigten des Klägers vom 27. September 2016), welche sich auf die westliche Gebäudeseite bezieht, lautete wie folgt:
„Vorsorglich für den Fall, dass [die Auffassung der Klagepartei, Anm. d. Verf.] eine[r] Abstandsflächenverkürzung gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO nicht zutreffend sein sollte, wird die Frage gestellt, ob wegen der sich dann ergebenden Abstandsflächenerstreckung auf Fl.Nr. … und … und der sich dann ebenfalls ergebenden Abstandsflächenüberdeckung eine Abweichung nach Art. 63 BayBO in Aussicht gestellt wird.“
Der Kläger begründete diese Frage wie folgt:
Das westlich angrenzende Nachbargrundstück Fl.Nr. … liege im Geltungsbereich des Bebauungsplans. Die Abstandsfläche des auf Fl.Nr. … befindlichen Gebäudes gegenüber Fl.Nr. … sei durch Festsetzungen des Bebauungsplans so verkürzt (Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO), dass sie auf eigenem Grundstück eingehalten werde. Im Ergebnis bedeute dies eine Abstandsflächenverkürzung auf 0,284 H. In der Bebauungsplanbegründung fänden sich zu dieser Abstandsflächenverkürzung keine Ausführungen. Die Verfasser des Bebauungsplans seien offenbar der Meinung gewesen, dass diese Abstandsflächenverkürzung wegen der auf Fl.Nr. … entlang der Grundstücksgrenze vorhandenen Bebauung mit einem dreigeschossigen Lagerhaus keiner näheren Begründung bedürfe. Nach der Vorbescheidsplanung solle die Grenzbebauung auf Fl.Nr. … abgebrochen werden. Der geplante neue Baukörper halte nach Westen auf eigenem Grundstück eine Abstandsfläche von 0,3 H ein, also etwas mehr als die Abstandsfläche, die das westliche Nachbargebäude …-Weg 24-30 auf Fl.Nr. … einhalte. Für dieses Gebäude führe die Neubebauung zu einer Verbesserung der Belichtungssituation gegenüber dem derzeitigen Zustand. Ein 45°-Lichteinfallswinkel sei gewährleistet.“
Mit Bescheid vom 15. November 2016 (Az.: …), dem Kläger laut Zustellungsurkunde am 18. November 2016 zugestellt, erteilte die Beklagte dem Kläger einen Vorbescheid.
Der Beantwortung der einzelnen Fragen stellte sie voraus, dass das Vorhaben im Geltungsbereich eines einfachen Bebauungsplans liege; im rückwärtigen Grundstücksbereich gebe es keine Bauraumfestsetzungen. Unmittelbar südlich an das streitgegenständliche Grundstück schließe sich der rechtsgültige Bebauungsplan an; dieser sei Teil der prägenden näheren Umgebung. Diese bestimme sich durch die Bebauung im rückwärtigen Bereich des Gevierts …straße, …straße, …-Weg und …straße.
Frage 5 lit. e beantwortete die Beklagte wie folgt:
„Nach Ansicht der Beklagten lägen für das streitgegenständliche Grundstück im Zusammenhang mit den östlich anschließenden Grundstücken keine einheitlich abweichenden Abstandsflächentiefen vor. Die östlich des Bebauungsplans anschließenden Grundstücke seien geprägt von einer straßenbegleitenden Bebauung an der …straße und …straße und einer überwiegend grenzständigen Bebauung in den rückwärtigen Grundstücksbereich. Insofern ändere sich mit dem Geltungsbereich die städtebauliche Struktur der vorhandenen Bebauung, sodass von einer einheitlichen Struktur und Bauweise – und damit auch von einheitlichen Abstandsflächen – nicht ausgegangen werden könne.“
Eine Abweichung könne nicht in Aussicht gestellt werden, da keine atypische Grundstückssituation vorliege und eine wechselseitige Belastung des Baugrundstücks und der westlichen Nachbargrundstücke nicht gegeben sei.
Mit Schriftsatz vom 15. Dezember 2016, beim Verwaltungsgericht München am selben Tage eingegangen, ließ der Kläger durch seine Bevollmächtigten Klage erheben.
Zur Begründung der Klage wiederholten die Bevollmächtigten des Klägers im Wesentlichen die Begründung der Frage 5 lit. e und führten aus, dass die Abstandsfläche des auf Fl.Nr. … befindlichen Gebäudes gegenüber dem streitgegenständlichen Gebäude durch die Festsetzungen des Bebauungsplans so verkürzt worden sei (Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO), dass sie auf dem eigenen Grundstück eingehalten würden. Im Ergebnis bedeute dies eine Abstandsflächenverkürzung auf 0,284 H.
Es lägen gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO einheitlich abweichende Abstandsflächentiefen in der Umgebungsbebauung vor (Gebäude …-Weg 32 im Süden, 24-30 im Norden, Osten und Süden, 16-22 im Norden, Osten Süden, 10-14 im Norden Osten und Süden); die westliche Abstandsfläche sei daher verkürzt. Dass die Gebäude im westlich an das Baugrundstück angrenzenden Bereich im Umgriff des Bebauungsplans lägen, ändere hieran nichts.
Jedenfalls sei die Erteilung einer Abweichung geboten. Eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots liege offensichtlich nicht vor, weil der Kläger für das streitgegenständliche Grundstück nichts anderes beanspruche als das, was auch den westlichen Nachbarn zugestanden worden sei und sich die Situation für den westlichen Nachbarn verbessern würde.
Die Bevollmächtigten der Klagepartei legten insbesondere die Begründung des Bebauungsplans vor (Anlage K2).
Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2018 beantragte die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass eine Abweichung rechtswidrig wäre, da keine Atypik vorliege. Zudem sei das streitgegenständliche Grundstück groß genug, um unter Ausnutzung des vorhandenen Baurechts eine nachbarlich verträgliche Bebauung zu planen und dabei die Abstandsflächen einzuhalten.
Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO sei nicht anwendbar, da keine einheitlichen Abstandsflächenverkürzungen im maßgeblichen Umgebungsumgriff vorlägen. Der Kläger könne sich nicht auf Festsetzungen des Bebauungsplans berufen, da es zum einen nicht genüge in der näheren Umgebung vorgefundene, unterschiedliche Abstandsflächentiefen aufzuzeigen und zum anderen der Bebauungsplan freistehende Gebäude festsetze, welche nur an den Schmalseiten verringerte Abstandsflächen aufweisen, und somit ein völlig anderes städtebauliches Konzept mit einer anderen Struktur darstelle.
Am 25. Januar 2018 (Eingangsdatum) stellte der Kläger einen weiteren Vorbescheidsantrag. Das dortige Vorhaben unterscheidet sich insofern von dem streitgegenständlichen, als dass zu den Nachbargrundstücken Fl.Nr. … und … die gesetzliche Abstandsfläche von 1 H nach Ansicht des Klägers eingehalten werde. Das Vorhaben ist dazu an der Westseite weiter abterrassiert (III, IV und V statt vormals V). Mit Vorbescheid vom 26. März 2018 beantwortete die Beklagte das Vorhaben überwiegend positiv und stellte insbesondere zahlreiche Abweichungen von den Abstandsflächen in Aussicht.
Mit Schriftsatz vom 12. März 2018 führte der Bevollmächtigte des Klägers ergänzend aus, dass der Kläger nach wie vor Interesse an dem streitgegenständlichen Vorbescheid habe. Das Privileg des Art. 6 Abs. 6 BayBO könne nach Süden beansprucht werden, da mittlerweile der südliche Grundstücksnachbar (Fl.Nr. …*) eine Erklärung nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO abgegeben habe.
Mit Schriftsatz vom 18. Mai 2018 vertiefte die Beklagte ihre Ausführungen im Hinblick auf den neuen Sachvortrag des Klägers. Aufgrund des am 26. März 2018 erteilten Vorbescheids könne erst recht nicht von einer atypischen Situation ausgegangen werden, da eine sinnvolle Ausnutzung des Baugrundstücks beantragt und genehmigt worden sei. Der streitgegenständlichen Abweichungen bedürfe der Kläger daher offensichtlich nicht.
Mit Schriftsatz vom 4. Juni 2018 führte der Bevollmächtigte des Klägers aus, dass eine Abweichung nicht erforderlich sei, da die verkürzten Abstandsflächen eingehalten würden.
In der mündlichen Verhandlung vom 18. Juni 2018 beantragte die Klagepartei zuletzt,
die Beklagte zu verpflichten, für die Nichteinhaltung der Abstandsfläche auf der Westseite des Vorhabens eine Abweichung in Aussicht zu stellen,
hilfsweise über die Inaussichtstellung einer solchen Abweichung nach der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragte,
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird im Übrigen auf die vorgelegten Behördenakten sowie die Gerichtsakte Bezug genommen.
Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, da sie unbegründet ist.
Die Ablehnung der Erteilung des Vorbescheids bezüglich der allein streitgegenständlichen Frage 5 lit. e ist rechtmäßig und verletzt den Kläger daher nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf positive Beantwortung dieser Frage noch auf Neuverbescheidung gemäß Art. 71 Satz 1, Satz 4, 68 Abs. 1 Satz 1, 59 Satz 1 Nr. 2 Bayerische Bauordnung (BayBO) i.V.m. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO zu.
1. Die Frage nach der Inaussichtstellung der Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO ist nach Auslegung der Fragestellung im vorliegenden Vorbescheidsverfahren zulässig.
1.1 Nach Art. 71 Satz 1 BayBO kann vor Einreichung eines Bauantrags auf schriftlichen Antrag des Bauherrn zu einzelnen in der Baugenehmigung zu entscheidenden Fragen vorweg ein schriftlicher Bescheid (Vorbescheid) erlassen werden. Als feststellender Verwaltungsakt stellt der Vorbescheid im Rahmen der vom Bauherren gestellten Fragen die Vereinbarkeit des Vorhabens mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften, die Gegenstand der Prüfung sind, fest und entfaltet während seiner regelmäßigen Geltungsdauer von 3 Jahren (Art. 71 Satz 2 BayBO) Bindungswirkung für ein nachfolgendes Baugenehmigungsverfahren.
Gemäß Art. 71 Satz 4, 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO ist ein positiver Vorbescheid im Sinne der positiven Beantwortung der gestellten Vorbescheidsfragen zu erteilen, wenn dem Bauvorhaben hinsichtlich der gestellten Frage keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind.
1.2 Vorliegend ist die Frage nach der Inaussichtstellung der Erteilung einer Abweichung gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO von Art. 6 BayBO zulässig, da zwar der Prüfumfang des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO zu beachten ist (vgl. Art. 71 Satz 4 BayBO) – ein Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 BayBO liegt nicht vor –, beantragte Abweichungen wie die hier streitgegenständliche aber zu diesem gehören. Die Frage, ob Abweichungen von Abstandsflächenvorschriften in einem späteren Baugenehmigungsverfahren erteilt werden können, kann – im Gegensatz zur Frage, ob die Abstandsflächen eingehalten sind (vgl. Decker, in: Simon/Busse, BayBO, 129. EL März 2018, Art. 71 Rn. 68) – Gegenstand eines Vorbescheids im Rahmen des Art. 59 BayBO sein.
1.3 Dies ist auch nach Auslegung der Fragestellung unter Berücksichtigung der Begründung der Frage sowie der Vortrags der Klagepartei (§§ 133, 157 Bürgerliches Gesetzbuch – BGB) Gegenstand der Frage 5 lit. e. Der Kläger möchte wissen, ob für den Fall der Verneinung der Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO von den Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO und Art. 6 Abs. 3 Halbs. 1 BayBO abgewichen werden darf. Eine derart verstandene Frage ist angesichts Art. 59 Satz 1 Nr. 2 BayBO zulässig.
2. Die Beklagte hat die Erteilung einer solchen Abweichung zu Recht nicht in Aussicht gestellt, da die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO nicht vorliegen.
Nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen der BayBO und auf Grund der BayBO erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des Art. 3 Abs. 1 BayBO vereinbar sind; Art. 3 Abs. 2 Satz 3 BayBO bleibt unberührt.
2.1 Entgegen der Ansicht der Klagepartei werden die Abstandsflächen des fünfgeschossigen Gebäudeteils an der Westseite des Bauvorhabens nach Westen hin, nicht eingehalten, sodass grundsätzlich ein Verstoß gegen die Anforderungen der BayBO gegeben ist und eine Abweichung erforderlich ist.
2.1.1 Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind von der westlichen Außenwand dieses fünfgeschossigen Gebäudeteils Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden einzuhalten. Die Tiefe der Abstandsfläche wird als H bezeichnet (Art. 6 Abs. 4 Satz 6 BayBO) und bemisst sich nach der Wandhöhe, also dem Maß von der Geländeoberfläche bis – bei Flachdächern wie hier – zum oberen Abschluss der Wand, Art. 6 Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 BayBO. Hier beträgt die Wandhöhe 14,98 m (vermasst). Als Abstandfläche einzuhalten ist gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO daher grundsätzlich 1 H, vorliegend also 14,98 m.
Bei einem Grenzabstand der Außenwand von der Grundstücksgrenze von 5,3 m liegt entgegen Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO die Abstandsfläche nicht ausschließlich auf dem eigenen Grundstück, sondern auch auf dem westlich benachbarten Nachbargrundstück. Zudem würde es zu einer Überdeckung dieser Abstandsfläche mit der östlichen Abstandsfläche des Gebäudes …-Weg 24-30 kommen, was gegen Art. 6 Abs. 3 Halbs. 1 BayBO verstößt. Ein Verstoß gegen Art. 6 BayBO ist daher gegeben.
2.1.2 Eine Verkürzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO scheidet aus, da die nähere Umgebung nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten und auch nach Überzeugung des Gerichts weder ein Kern-, Gewerbe- noch Industriegebiet darstellt. Hierfür spricht insbesondere der hohe Wohnanteil in dem als Mischgebiet festgesetzten Bebauungsplangebiet, welches sich im Westen an das Baugrundstück anschließt.
Eine Verkürzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO kommt ebenfalls nicht in Betracht.
Zwar setzt der Bebauungsplan geringere als die gesetzlich erforderlichen Abstandsflächen fest (S. 57 ff. der Begründung). Das streitgegenständliche Baugrundstück ist jedoch nicht vom Umgriff des westlichen Bebauungsplangebietes erfasst, sodass sich der Kläger nicht auf Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO berufen kann.
2.1.3 Auch eine Verkürzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO scheidet vorliegend aus.
Nach der Norm gilt Art. 6 Abs. 5 Satz 3 BayBO entsprechend, d.h. Art. 6 Abs. 5 Satz 1 und Satz 2 BayBO finden keine Anwendung, wenn sich einheitlich abweichende Abstandsflächentiefen aus der umgebenden Bebauung im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ergeben.
Nach Ansicht des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs reicht grundsätzlich aus, dass in der umgebenden Bebauung im Sinn des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB einheitliche Gebäude- bzw. Grenzabstände vorzufinden sind. Hierfür genügt einerseits eine diffuse Bebauung nicht, andererseits ist aber auch nicht eine zentimetergenaue Übereinstimmung der Gebäude- bzw. Grenzabstände zu fordern. Bei markanten Unterschieden in der Bauweise, der Lage der Baukörper oder der Gebäudehöhen in der maßgeblichen Umgebung wird man jedoch nicht mehr von einheitlich abweichenden Abstandsflächentiefen im Sinn des Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO sprechen können. Nur einzelne Ausreißer, die das Gesamtbild des vorhandenen Abstandsflächensystems nicht erschüttern, können dabei jedoch unberücksichtigt bleiben (vgl. BayVGH, U.v. 7.3.2013 – 2 BV 11.882 – juris Rn. 28 m.w.N.).
Derartige einheitlich abweichende Abstandsflächentiefen liegen hier aber nicht vor.
Die maßgebliche Umgebung ist anhand des Lageplans jedenfalls durch die 25 m breite …straße im Norden, die 20 m breite …straße im Süden und die 26 m breite …traße im Osten begrenzt. Dahinstehen kann, ob die … Straße im Westen den Abschluss des Gevierts bildet oder bereits der …-weg bzw. die Grünanlage …park, da selbst im größten Umgriff keine einheitlich abweichenden Abstandsflächentiefen ersichtlich sind.
Gegen die Annahme von einheitlich abweichenden Abstandsflächentiefen sprechen bereits die markanten Unterschiede in der Bauweise und der Lage der Baukörper. Während straßenseitig entlang der …straße (Hausnummern 88-96) geschlossene Bauweise vorherrscht, findet sich im nordöstlich des Baugrundstücks gelegenen Bereich eine diffuse, kleinteilige hinterliegende Bebauung, die sich meist zumindest an einer Grundstücksgrenze errichtet wurde. Dies entspricht auch dem Bestand auf den Baugrundstücken. Westlich des Baugrundstücks schließen sich Gebäude in offener Bauweise an, die entweder L-förmig oder rechteckig sind. Westlich der Grünanlage …park gelegen findet sich überwiegend eine Blockrandbebauung. Entlang der …traße findet sich ebenfalls die geschlossene Bauweise. Eine Einheitlichkeit der Bebauung ist wegen dieser vielen verschiedenen Gebäudeanordnungen und – kubaturen nicht erkennbar.
Auch die Gebäudehöhen sind im Geviert keinesfalls einheitlich. Während die soeben bezeichneten l-förmigen und rechteckigen Gebäude im Bebauungsplangebiet sowie die Gebäude entlang der …traße nach den dem Gericht vorliegenden Luftbildern eine vergleichbare Höhenentwicklung aufzeigen, ist die Bebauung auf dem Baugrundstück und den nordöstlich gelegenen Grundstücken deutlich unterschiedlich. So finden sich hier zwei-, drei-, vier-, fünf- und sechsgeschossige Gebäude, die sich außerdem in ihrer absoluten Höhenentwicklung – selbst bei gleicher Geschossigkeit – deutlich unterscheiden (wie z.B. die viergeschossigen Gebäude …straße 90 und …straße 88 – Vordergebäude).
Im Übrigen sind die Gebäude- und Grenzabstände völlig diffus.
Bei der straßenseitigen Bebauung unmittelbar an der …straße (Hausnummern 88-96) handelt es sich um geschlossene Bauweise; seitliche Abstandsflächen entfallen daher von vornherein (vgl. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO). Auch entlang der …straße (Hausnummern 81-87) findet sich diese geschlossene Bauweise. Auf den hinterliegenden Grundstücken bzw. rückwärtigen Grundstücken nordöstlich des Baugrundstücks findet sich ebenfalls überwiegend eine Bebauung an den seitlichen Grundstücksgrenzen.
Aus der Bebauung am …-Weg ergeben sich ebenfalls keine einheitlichen Abstände:
Das Gebäude …-Weg 32/ …straße 86 ist teilweise in Grenzbebauung errichtet bzw. – im Bereich des Versprungs an der nordöstlichen Grundstücksgrenze 4,20 m – 4,50 m von der Grundstücksgrenze des Baugrundstücks entfernt; der sich nach Süden ausdehnende Gebäudeteil ist 24 m – 24,80 m von dieser Grundstücksgrenze entfernt.
Das Gebäude …-Weg 24-30 ist 5,20 m – 8,80 m (Schmalseite) bzw. 33,80 m – 38,30 m (nach Süden ausdehnender Gebäudeteil) von der Grundstücksgrenze des Baugrundstücks entfernt.
Auch zwischen den Gebäuden …-Weg 32/ …straße 86 und …-Weg 24-30 findet sich kein einheitlicher Grenzabstand. Das Gebäude …-Weg 32/ …straße 86 ist 2 m von der südlichen Grundstücksgrenze, Das Gebäude …-Weg 24-30 ist 4 m von der nördlichen Grundstücksgrenze entfernt. Die beiden Gebäude selbst sind 6 m voneinander entfernt, was sich im Hinblick auf die Gebäudeabstände der übrigen Bebauung östlich des …-Wegs aber nicht wiederfindet.
Auch im Übrigen Geviert finden sich keine durchgängig einheitlichen Grenz – und Gebäudeabstände, auf die sich der Kläger berufen könnte.
Inwieweit aus den dargestellten unterschiedlichen Gebäude- und Grenzabständen eine Einheitlichkeit der Abstandsflächentiefen erkennbar sein soll, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Dies gilt umso mehr, als die Grundstücksgrenzen der Grundstücke östlich des …-Wegs schräg verlaufen und die Gebäude auch – dem angepasst – schräg angeordnet sind, was einer Einheitlichkeit bereits entgegensteht. Zudem wurden im Bebauungsplangebiet nicht einheitliche Abstandsflächentiefen festgesetzt, sondern grundsätzlich erforderliche Abstandsflächentiefen auf das sich aus dem Plan ergebende Maß reduziert (S. 59 der Begründung).
2.1.4 Schließlich kommt eine Verkürzung auf Grund der Anwendung des sog. 16-m-Privilegs nach Art. 6 Abs. 6 BayBO bereits deshalb nicht in Betracht, da jedenfalls auch bei einer Halbierung der o.g. Abstandsflächentiefe (H/2) auf 7,49 m der grenzabstand von 5,3 m nicht ausreichend, um den Anforderungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO gerecht zu werden.
2.2 Die Voraussetzungen für die Erteilung einer nach dem Vorstehenden erforderlichen Abweichung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor. Zwar ist das Vorhaben planungsrechtlich zulässig; insbesondere fügt sich das geplante Gebäude nach dem Maß der baulichen Nutzung gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die nähere Umgebung ein. Es fehlt jedoch an einer atypischen Grundstückssituation.
Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, dass die Zulassung einer Abweichung Gründe erfordert, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die etwa bewirkte Einbußen an geschützten Nachbarrechtspositionen vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 23.1. 2018 – 2 ZB 16.2066 – juris Rn. 4 m.w.N.). Da bei den Abstandsflächenvorschriften des Art. 6 BayBO dem Schutzzweck der Norm nicht auf andere Weise entsprochen werden kann, müssen rechtlich erhebliche Umstände vorliegen, die das Vorhaben als einen atypischen Fall erscheinen lassen und die dadurch eine Abweichung rechtfertigen können (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2016 – 9 CS 16.2278 – juris Rn. 14; B.v. 26.9.2016 – 15 CS 16.1348 – juris Rn. 33; B.v. 9.8.2016 – 9 ZB 14.2684 – juris Rn. 7; B.v. 15.9.2015 – 2 CS 15.1792 – juris Rn. 5 f.; U.v. 3.12.2014 – 1 B 14.819 – juris Rn. 15). Die Atypik kann durch den besonderen Zuschnitt des Grundstücks, durch die aus dem Rahmen fallende Bebauung auf dem Bau- oder Nachbargrundstück, aber auch aus Belangen des Denkmalschutzes oder aus städteplanerischen Erwägungen, wie der Sicherung eines gewachsenen Stadtbildes, begründet sein (vgl. Dhom in Simon/Busse, BayBO, Stand August 2016, Art. 63 Rn. 46 m.w.N.). Auch die Lage eines Baugrundstücks in einem eng bebauten historischen Ortskern kann eine atypische Grundstückssituation begründen, bei der eine Verkürzung der Abstandsflächen in Betracht kommt (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2016 – 9 CS 16.2278 – juris Rn. 14; B.v. 16.7.2007 – 1 CS 07.1340 – juris Rn. 16, 18 m.w.N.).
Keine dieser von der Rechtsprechung geprägten Fallgestaltungen ist hier einschlägig.
Der Zuschnitt des Baugrundstücks ist an seiner Westseite nicht ungewöhnlich, da er in Nord-Süd-Richtung verläuft und gerade ist. Im Bereich der nordöstlich benachbarten Grundstücke im Straßengeviert sind zwar zahlreiche Abstandsflächenverstöße anhand des Lageplans und der dem Gericht vorliegenden Luftbilder erkennbar. Jedoch sind diese durch die schrägen Grundstücksgrenzverläufe bzw. Grundstückszuschnitte bedingt. Daran fehlt es jedoch an der Westseite des Baugrundstücks.
Eine aus dem Rahmen fallende Bebauung auf den westlichen Nachbargrundstücken ist ebenso wenig gegeben. Vielmehr ist diese auf Grund des Bebauungsplans gerade geordnet.
Ein dicht bebauter historisch gewachsener Ortskern, ggf. mit denkmalschutzrechtlicher Bedeutung ist schließlich weder ersichtlich noch vorgetragen. Insbesondere die westlich des Baugrundstücks gelegene Bebauung, auf die sich die Klagepartei vorrangig hinsichtlich der Abstandsflächen beruft, wurde erst im Anschluss an das Inkrafttreten des Bebauungsplans errichtet. Zudem sind dem Lageplan keine in der Nähe befindlichen Denkmäler zu entnehmen.
Auch im Übrigen ist keine atypische Grundstückssituation ersichtlich. Denn wie sich anhand des von der Beklagten positiv beurteilten, an der Westseite verkleinerten Vorhabens (Vorbescheidsantrag 25.1.2018) zeigt, kann das Grundstück in erheblichem Umfang und sinnvoll bebaut werden. Ein Anspruch auf maximale Grundstücksausnutzung folgt weder aus Art. 14 Grundgesetz (GG) noch aus dem einfachen Recht. Allein der Wunsch eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen als dies ohnehin schon zulässig wäre, begründet keine Atypik (vgl. BayVGH, U.v. 19.3.2013 – 2 B 13.99 – juris Rn. 36).
Dass der Kläger mit seinem Vorhaben im Vergleich zum Bestand von der westlichen Grundstücksgrenze abrückt und dabei – seiner Ansicht nach – die nachbarlichen Belange besonders berücksichtigt, führt nicht zu einer atypischen Fallgestaltung. Der Kläger dürfte grundsätzlich aufgrund der Vorbildwirkung seines Bestandes an der westlichen Grundstücksgrenze ein Bauvorhaben im Hinblick auf die Bauweise in zulässiger Weise realisieren und damit Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO in Anspruch; dies gilt vorbehaltlich der planungsrechtlichen Zulässigkeit im Übrigen, insbesondere unter Berücksichtigung des Rücksichtnahmegebots. Rückt er dagegen mit seinem Vorhaben von der Grundstücksgrenze ab, hat er insbesondere Art. 6 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 BayBO zu beachten. Eine vom Regelfall abweichende Situation ist damit aber nicht verbunden, sondern entspricht exakt dem gesetzlichen Regelungskonzept.
2.3 Jedenfalls ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung nach Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO im Ermessen der Beklagten steht. Für eine Ermessensreduzierung auf Null hat die Klagepartei nichts Substantiiertes vorgetragen. Angesichts der geschilderten möglichen großzügigen Ausnutzung des Baugrundstücks ist auch nicht ersichtlich, warum nur die Inaussichtstellung der Erteilung der Abweichung im vorliegenden Vorbescheidsverfahren ermessensgerecht wäre.
Die von der Beklagten angeführten Gründe für die Ablehnung der positiven Beantwortung der Frage 5 lit. e sind darüber hinaus vom Gericht im Rahmen seiner eingeschränkten Prüfkompetenz nach § 114 Satz 1 VwGO nicht zu beanstanden. Es ist zutreffend, dass es aufgrund der Abstandsflächenverkürzung durch Bebauungsplan zu keiner Abstandsflächenverletzung durch die benachbarten Grundstücke gegenüber dem Baugrundstück kommt, was in Verbindung mit dem Vorstehenden für die Beklagte die Annahme einer atypischen Situation verhindert.
3. Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).