Verwaltungsgericht München Urteil, 15. Dez. 2014 - M 8 K 13.3202

published on 15/12/2014 00:00
Verwaltungsgericht München Urteil, 15. Dez. 2014 - M 8 K 13.3202
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Gericht

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Tenor

I.

Die Zustimmung des Beklagten vom ... Juli 2013, Az. ... wird aufgehoben.

II.

Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 110% des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin ist Eigentümerin des Hinterliegergrundstücks ...straße 3, Fl.Nr. ... Sie wendet sich mit ihrer Klage gegen den Zustimmungsbescheid des Beklagten vom ... Juli 2013, Az. ..., mit dem die Zustimmung für die Aufstockung eines Verwaltungsgebäudes der ... ... auf dem östlichen Nachbargrundstück, ...straße 3, Fl.Nr. ..., erteilt wurde.

Das Grundstück der Klägerin ist mit einem dreigeschossigen Gebäude unmittelbar auf der Grundstücksgrenze zum Vorhabengrundstück mit einer Tiefe von ca. 14 m bebaut. Bei dem klägerischen Grundstück handelt es sich um ein sog. „Hammergrundstück“, zu dem ein Zugangsweg zwischen Vorderliegergrundstück und dem Vorhabengrundstück führt.

Zur baulichen Situation auf den Grundstücken sowie zur Umgebungsbebauung siehe folgenden Lageplan 1:1.000. Der Plan ist aufgrund des Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu.

Bild

Mit Bescheid vom ... Juli 2013 erteilte der Beklagte in Ziffer 1 des Bescheids die Zustimmung gem. Art. 73 Abs. 1 BayBO für das oben bezeichnete Bauvorhaben. Zugleich wurden in Ziffer 2 die erforderlichen Abweichungen wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen zu den westlich gelegenen Grundstücken ...straße 3, Fl.Nr. ... und ... (richtig: ... und ...) sowie zum Grundstück ...straße Fl.Nr. ... erteilt. Die Zustimmung wurde in Ziffer 3 mit Nebenbestimmungen zum Nachweis der erforderlichen Stellplätze (Ziffer 3.1) und zur Begrünung der in den Planunterlagen entsprechend dargestellten Dachflächen (Ziffer 3.2) verbunden. In der Begründung wird ausgeführt, dass das staatliche Bauamt mit Schreiben vom 13. Dezember 2012 die bauaufsichtliche Zustimmung zur Aufstockung eines Verwaltungsgebäudes der ... ... in der ...straße 3, ... ... beantragt habe. Die ... ... habe mit Schreiben vom 22. April 2013 das gemeindliche Einvernehmen erteilt. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richte sich vorliegend hinsichtlich des nach § 173 BBauGB übergeleiteten Baulinienplans nach § 30 Abs. 3 BauGB, der an der...traße und ...straße eine Baulinie festsetze, und im Übrigen nach § 34 Abs. 1 BauGB. Die maßgebliche nähere Umgebung bilde die straßenbegleitende Bebauung der ...straße, eine offene Bebauung mit einer vier- bis sechsgeschossigen Höhenentwicklung, die neben der ... überwiegend von Büros und Verwaltung genutzt würde. Einzubeziehen seien die Anwesen in der ...straße mit überwiegender Wohnnutzung. Das Gebiet entspräche keinem der Gebiete der BauNVO. Innerhalb des sich aus der Umgebung ergebenden Maßes der baulichen Nutzung sei das Vorhaben grundsätzlich zulässig. Die Maßstäblichkeit der Aufstockung sei entgegen dem Vorbringen der Nachbarn nicht im Verhältnis zur rückwärtigen Bebauung der ...straße, sondern zur Bebauung der ...straße zu bewerten. Diese Einschätzung werde auch durch die auf den Baugrundstücken vorausgegangenen Baumaßnahmen belegt. Mit Baugenehmigung vom ... Juni 1953 sei die auf dem Grundstück befindliche Privatklinik über die ganze Breite erweitert worden. Das Rückgebäude sei auf Grundlage der Baugenehmigungen vom ... Juli 1955 und ... August 1955 grenzständig über die gesamte Grundstücksbreite ausgebaut worden. Die grenzständige Bebauung hätte den Anbau des Rückgebäudes ...straße 3 und die bessere bauliche Nutzung des Grundstücks ermöglicht. Die städtebauliche Intention der durchgehenden Bebauung von der östlichen Baulinie bis zur westlichen Grundstücksgrenze habe ihre Fortsetzung gefunden, als nach Abbruch der ehemaligen Klinikgebäude die Flurstücke Nr. ... (...straße 3) und Nr. ... (...straße 5) zusammengefasst und darauf der Neubau eines Verwaltungsgebäudes der ... bis unmittelbar an die Grenze geplant worden sei. Aufgrund dieser Baugeschichte ließen sich keine Anhaltspunkte erkennen, wonach die beabsichtigte Aufstockung den Rahmen des zulässigen Maßes der baulichen Nutzung sprenge und sich nicht mehr im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB einfüge. Im vorliegenden Fall sei angesichts des gegenseitigen Interessengeflechtes und der besonderen städtebaulichen Situation keine Verletzung des nachbarlichen Rücksichtnahmegebots zu erkennen, wonach die Baumaßnahmen zu unverhältnismäßigen, die Schwelle des Zumutbaren überschreitenden Beeinträchtigungen führten. Die Grenzbebauung auf dem Grundstück ...straße 3 lasse keine nachteiligen Auswirkungen auf die Anwesen an der ...straße erkennen und ermögliche für das Anwesen ...straße 3 Rückgebäude eine das Maß der baulichen Nutzung begünstigende Bebauung. Auf den Anwesen an der ...straße sei generell ein hohes Maß baulicher Nutzung verwirklicht. Die zurückgesetzte Aufstockung übe keine erdrückende Wirkung aus. Auch die Einwendungen hinsichtlich der Verschattung führten zu keinem anderen Ergebnis. Weitere bauplanungsrechtliche Belange lägen nicht vor. Die Baumaßnahme führe zwar zu einer Intensivierung der bisherigen Büronutzung und werde näher an die nachbarlichen Grundstücke herangeführt, dies verletze aber keine geschützten Nachbarbelange.

Belange des Bauordnungsrechts seien nur von Belang, soweit das Vorhaben Abweichungen von nachbarschützenden bauordnungsrechtlichen Vorschriften erfordere, insbesondere bei Abweichungen von Abstandsflächen. Fraglich sei zunächst, ob das Vorhaben generell Abstandsflächen auslöse und ob die beabsichtigte Aufstockung in voller Höhe grenzständig errichtet werden könne. Werde dies verneint, so sei jedenfalls ein westlicher Grenzanbau in dem durch das bestehende Verwaltungsgebäude begründetem Umfang zulässig. Dieser Auffassung folgend wären für nicht an die Grundstücksgrenze angebaute Gebäudeteile grundsätzlich Abstandsflächen einzuhalten, deren Tiefe jedoch nicht nach der Gesamthöhe des zurückgesetzten Wandteiles, sondern nach der Höhe des freistehenden Wandteils zu bestimmen sei (VG München U.v. 02.05.2011 - M 8 K 10.1026; BayVGH B. v. 26.01.2000 - 26 CS 99.2723). Der untere Bezugspunkt für die Berechnung der Abstandsflächen sei daher nicht die Geländeoberfläche, sondern die Höhe der zulässigen Grenzbebauung von 7,66 m. Die beabsichtigte Aufstockung weise in der maßgeblichen Südwestecke eine Höhe von 14,05 m auf, so dass sich eine Abstandsflächentiefe von 6,39 m ergäbe. Der Gebäudeteil sei von der westlichen Grundstücksgrenze 3,20 m entfernt und würde somit ½ H einhalten. Eine aus der umgebenden Bebauung ergebende einheitliche Abstandsflächentiefe von ½ H lasse sich nicht ausmachen, so dass eine Verkürzung nach Art. 6 Abs. 5 Satz 4 BayBO nicht möglich sei. Auch können das sog. 16 m Privileg des Art. 6 Abs. 6 Satz 1 BayBO und der Art. 6 Abs. 5 Satz 2 BayBO nicht in Anspruch genommen werden. Das Vorhaben bedürfe daher der Erteilung von Abweichungen, weil es die erforderlichen Abstandsflächen zu den Nachbargrundstücken ...straße 3, Fl. Nr. ... und ... nicht einhalte. Die Zulassung einer Abweichung setze grundsätzlich voraus, dass eine atypische Fallgestaltung vorliege (BayVGH v. 16.07.2007, BauR 2007, 858). Die geforderte Atypik läge hier vor, und zwar aufgrund der genannten städtebaulichen Situation mit dem Maß der baulichen Nutzung auf dem Baugrundstück, das nicht in direkten Vergleich gesetzt werden könne zur rückwärtigen Bebauung der Grundstücke der ...straße. Dies habe zur Folge, dass im Prinzip jede bauliche Veränderung oder Erweiterung auf dem Baugrundstück zu einem Verstoß gegen abstandsflächenrechtliche Belange führe. In einer solchen Situation dichter innerstädtischer Bebauung seien für den Fall einer notwendigen baulichen Anpassung Abweichungen zuzulassen. Ein nachvollziehbares und gewichtiges Interesse des Bauherrn wie der Öffentlichkeit sei anzuerkennen, die Aufstockung diene einem zeitgemäßen Verwaltungsbetrieb. Die beantragten Abweichungen seien daher auch unter Berücksichtigung des Zwecks der Anforderung und unter Würdigung der geschützten nachbarrechtlichen Belange mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Durch das Vorhaben werde die Situation in dieser Hinsicht nicht relevant verändert. Zwar käme es zu einer teilweisen Verschattung. Nach der Verschattungsstudie werde das Vordergebäude ...straße 3 von Mitte September bis Anfang April ost- und südseitig zwischen 9 und 12 Uhr verschattet, das grenzständige Rückgebäude in den Sommermonaten im Bereich der Nordfassade von 6 bis 8 Uhr. Dies führe aber nicht zu einer unvertretbaren Einbuße. Die baulichen Maßnahmen hätten keine Auswirkungen auf den Lichteinfallswinkel, der von der Rechtsprechung geforderte Winkel von 45° sei gewahrt. Es sei auch zu berücksichtigen, dass die Errichtung bzw. der Wiederaufbau der Anwesen in der ...straße überwiegend auf der Grundlage der Münchner Bauordnung vom 29. Juli 1895 sowie der Münchner Staffelbauordnung vom 17. April 1904 genehmigt worden seien. Danach seien zwischen den Gebäuden Pavillonabstände von mindestens 7 m einzuhalten gewesen, die Abstandsflächen hätten dabei in der Regel weniger als ½ H betragen. Beim Vordergebäude ...straße 3 betrage bei einer Wandhöhe von 10 m der Abstand zum Baugrundstück ca. 3,80 m. Der Grundstückseigentümer könne nicht ohne weiteres für ein nachbarliches Bauvorhaben die vollständige Einhaltung des nunmehr geltenden Abstandsflächenrechts verlangen. Weiter sei das Grundstück ...straße 3 in ein Vordergrundstück mit der unveränderten Fl. Nr. ... und ein Hintergrundstück mit der Fl.Nr. ... geteilt worden. Als Folge stünde das Vordergebäude mit der östlichen Gebäudewand auf der Grundstücksgrenze und halte damit zu Fl.Nr. ... keinen seitlichen Abstand ein. Die Teilung finde sich erstmals auf einem Lageplan vom 25. März 1965. Das Vordergebäude verstoße damit gegen Bauordnungsrecht. Für das Vorhaben sprächen gewichtige öffentliche Belange. Die ... ... habe derzeit etwa 49.000 Studierende, für den damit verbundenen Verwaltungsaufwand benötige sie eine entsprechende räumliche Ausstattung. Die Baumaßnahme sei im Wesentlichen mit der Exzellenzinitiative, der Verwaltung der Studienbeiträge und der Ausbauplanung begründet. Für diese neuen Aufgaben bedürfe man zusätzliche Personalstellen und Büroräume, derzeit fehlten 18 Verwaltungsräume. Durch die Baumaßnahme könnten dringend benötigte Flächen an zentraler Stelle gewonnen werden. Daher sei die Abweichung wegen Nichteinhaltens der Abstandsflächen gegenüber dem Grundstück ...straße 3 zulässig.

Die Zustimmung wurde der Klägerin und ihrem Bevollmächtigten jeweils mit Postzustellungsurkunde am 12. Juli 2013 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 23. Juli 2013, beim Verwaltungsgericht am gleichen Tag eingegangen, erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Klage gegen den Bescheid vom ...07.2013 und beantragte mit Schriftsatz vom 31. März 2014,

die Zustimmung des Beklagten vom ...07.2013, Az.: ..., aufzuheben.

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Zustimmung sei rechtswidrig, weil die zugelassene Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften rechtswidrig sei. Sie verstoße auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Aus der Begründung des Bescheids des Beklagten ergebe sich, dass dieser bei der Erteilung der Abweichungen wegen Nichteinhaltung von Abstandsflächen davon ausgegangen sei, dass sich die Tiefe der Abstandsfläche hier nicht gem. Art. 6 Abs. 4 S. 2 BayBO von der Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut bemesse, sondern lediglich nach der Höhe des freistehenden Wandteils. Der untere Bezugspunkt sei damit die Höhe des Daches des bestehenden Rückgebäudes ...straße 3. Das streitgegenständliche Vorhaben füge sich entgegen der Ansicht des Beklagten nicht gem. § 34 Abs. 1 BauGB nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Der Klägerin sei bekannt, dass dieses Kriterium als solches nicht nachbarschützend sei, dennoch spiele es hier eine entscheidungserhebliche Rolle. Die Eigenart der näheren Umgebung werde vor allem durch die dort vorhandene Bebauung geprägt, bereits beseitigte Bebauung sei daher nicht mehr prägend (VGH München, B.v. 27.11.2008 - 1 ZB 06.594 - juris Rn. 15, Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB Kommentar 12. Aufl. 2014, § 34 Rn. 23 m.w.N). Das maßgebliche Geviert sei dadurch gekennzeichnet, dass sich die Bebauung im rückwärtigen Bereich von der straßenseitigen Vorderbebauung unterscheide, weil sie deutlich niedriger sei. Nach der zitierten Rechtsprechung bilde eine straßenbegleitende Vorderbebauung nicht den maßgeblichen Rahmen für die Zulässigkeit einer rückwärtigen Bebauung, wenn diese in der gesamten näheren Umgebung, also dem maßgeblichen Straßengeviert deutlich niedriger sei als die straßenseitige Bebauung. Dies sei vorliegend der Fall, denn bei dem Baugrundstück handele es sich unbestreitbar um einen rückwärtigen Bereich, und zwar sowohl von der ...straße wie auch von der ...straße aus gesehen. Das rückwärtige Bestandsgebäude ...straße 3 sei um drei Geschosse und mehr als 10 m niedriger als das Vordergebäude und gegenüber diesem um 5 bis 7 m versetzt. Zwischen beiden Gebäuden bestünde also eine deutlich wahrnehmbare Zäsur. Außerdem habe das Rückgebäude einen separaten Eingang. Auch von der ...straße aus betrachtet stelle es sich eindeutig als Rückgebäude dar. Unter beiden Gesichtspunkten unterscheide sich das streitgegenständliche Gebäude erheblich von der Vorderbebauung entlang der ...- und der ...straße. In der maßgeblichen näheren Umgebung fände sich kein Vorbild für ein Rückgebäude von 14,65 m Höhe (VGH München U.v. 30.07.2012 1 B 12.906 - juris Rn. 20). Eine vor 47 Jahren bereits beseitigte Bebauung sei entgegen der Ansicht des Beklagten nicht mehr von Bedeutung.

Die von dem Beklagten zugelassene Abweichung von Abstandsflächen sei rechtswidrig. Zunächst seien die Flurstücke falsch bezeichnet, die Fl.Nrn. der ...straße 3 seien nicht ... und ..., sondern ... und ... Zugleich seien die Abweichungen auch nicht bestimmt genug. Es würden „die erforderlichen Abweichungen“ zugelassen, es bleibe aber offen, inwieweit eine Abweichung von welchen Abstandsflächen zugelassen werden sollte. Dies sei weder mit Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG noch mit den rechtsstaatlichen Bestimmtheitsanforderungen vereinbar. Nach dem Bescheid des Beklagten sei eine Abweichung von 6,39 m auf 3,20 m Abstandsflächentiefe zugelassen worden. Dies entspräche nicht den Anforderungen des Art. 6 BayBO. Das richtige Maß für die gesetzliche Abstandsflächentiefe sei 14,05 m, da das Vorhaben die Tiefe von 1 H einhalten müsse. Nach Art. 6 Abs. 4 S. 2 BayBO sei maßgeblich die Wandhöhe von der Geländeoberfläche bis zum oberen Abschluss der Wand. Im vorliegenden Fall seien dies nach den Bauvorlagen 14,05 m. Davon fielen 3,20 m auf das Baugrundstück, 10,85 m jedoch auf das Hinterliegergrundstück ...straße 3 und im Bereich der Zufahrt mit einer Tiefe von ca. 3 bis 4 m auf das Hinterlieger- und mit 6,85 bis 7,85 m auf das Vorderliegergrundstück ...straße 3. Entgegen des eindeutigen Wortlauts des Gesetzes habe der Beklagte die Abstandsfläche aber nur „nach der Höhe des freistehenden Wandteils“ bemessen und als unteren Bezugspunkt das Dach des bestehenden Rückgebäudes angenommen. Die von ihm angeführten Entscheidungen des VGH München vom 26.01.2000 (26 CS 99.2723 - juris LS 1, 2, Rn. 17) und des VG München vom 02.05.2011 (M 8 K 10.1026) seien vorliegend nicht anwendbar. In diesen Fällen sei das jeweilige Vorhaben nach dem Maß der baulichen Nutzung und der Gebäudehöhe zulässig gewesen. Grundvoraussetzung für eine Verkürzung der gesetzlichen Abstandsflächen sei es danach, dass das Vorhaben gerade auch nach seiner Höhe bauplanungsrechtlich zulässig sei. Es sei auch ausdrücklich anerkannt, dass Art. 6 Abs. 1 S. 3 BayBO keine Anwendung finde, wenn ein Vorhaben im abstandsflächenrelevanten Bereich nicht unter allen planungsrechtlich bedeutsamen Gesichtspunkten zulässig sei (VGH München U.v. 15.04.1992 - 14 B 90.856 - juris Rn. 17 zur Vorgängerregelung Art. 6 Abs. 1 S. 2 BayBO 1982). Das streitgegenständliche Vorhaben sei aber nach dem Maß der baulichen Nutzung (Gebäudehöhe) nicht zulässig. Schon deshalb scheide eine Verkürzung der Abstandsflächen und deren Berechnung nur nach Maßgabe des freistehenden Wandteils aus „Billigkeitsgründen“ aus. Im vorliegenden Fall reiche die Reduzierung der Abstandsflächen aus Billigkeitsgründen aber nicht einmal aus, um zur Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens zu kommen. Die in einem ersten Schritt vorgenommene erhebliche Verkürzung der Abstandsflächentiefe müsse um eine weitere Abweichung ergänzt werden. Im Ergebnis führe dies dazu, dass die gem. Art. 6 Abs. 4 S. 1 BayBO ermittelte Abstandsflächentiefe von 14,05 m auf 3,20 m reduziert werde. Exakt würden so 0,228 H eingehalten. Dies widerspreche ersichtlich dem Schutzzweck des Abstandsflächenrechts und sei offensichtlich rechtswidrig. Literatur und Rechtsprechung stünden zurecht auf dem Standpunkt, dass in Gebieten, in denen eine Abstandsflächentiefe von 1 H gelte, bereits eine Reduzierung auf unter 0,5 H nur unter ganz besonderen Umständen zu rechtfertigen sei und eine solche auf unter 0,25 H nur in extremen Ausnahmefällen in Betracht komme (Dhom in Simon/Busse, BayBO, Kommentar Stand 12.2013, Art. 63 Rn. 45 m. w. N.). Hier lägen weder ganz besondere Umstände noch ein extremer Ausnahmefall vor, vielmehr ergäbe sich die Reduzierung der Abstandsflächen aus dem Wunsch des Beklagten nach einer völlig übermäßigen Nutzung seines Grundstücks unter völliger Missachtung der berechtigten Interessen seiner Nachbarn. Der VGH München habe entschieden, dass der Bauherr bei einer neuen Genehmigung das geltende Recht einzuhalten habe, das sei kein anormaler Ausnahmefall, sondern im Gesetz selbst angelegt (VGH München B.v. 23.05.2005 - 25 ZB 03.881 - juris Rn. 8). Auch der vorliegende Fall sei daher typisch und nicht atypisch. Dass eine Erhöhung des Bestandsrückgebäudes ...straße 3 unzulässig sei, sei die vom Gesetz gewollte typische Rechtsfolge. Es bestünde im vorliegenden Fall auch keine aus dem vorhandenen Bestand entstehende Zwangslage. Der bloße Wunsch des Bauherrn, sein Grundstück stärker auszunutzen, könne nach der Rechtsprechung eine Atypik ebenfalls nicht begründen (VGH München U.v. 15.12.2008 - 22 B 07.143 - juris Rn. 39). Der Beklagte begründe vorliegend sein Vorhaben aber allein mit einem solchen Wunsch, wenn er ausführe, er benötige weitere Büroflächen. Der bloße Wunsch des Bauherrn nach zusätzlichen Flächen mache eine Situation aber noch nicht atypisch. Die von der Rechtsprechung des VGH München und VG München zur Atypik im „dicht bebautem innerstädtischen Bereich“ entschiedenen Fälle seien sämtlich mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar.

Die Zustimmung sei auch deshalb rechtswidrig, weil die erteilten Abweichungen ermessensfehlerhaft seien. Die Behörde müsse nach der Rechtsprechung alle maßgeblichen Umstände zutreffend erkennen und berücksichtigen. Eine Ermessensentscheidung setzte immer voraus, dass die zu würdigenden Belange fehlerfrei ermittelt und gewichtet würden. Dagegen habe der Beklagte verstoßen, indem er von falschen gesetzlichen Abstandsflächen ausgegangen sei. Deshalb sei er sich nicht im Klaren gewesen, in welchem Umfang die Abstandsflächen verkürzt seien bzw. hätten verkürzt werden müssen. Eine Abweichung sei ermessensfehlerhaft, wenn ihr Umfang nicht bestimmt genug erkannt oder fehlerhaft beurteilt worden sei (Jäde in Jäde/Dirnberger/Bauer/Weiß, BayBO Kommentar Art 63 Rn. 22). Nach der Entscheidung des VGH München vom 10. Januar 1997, habe der Irrtum über die Länge der Überschreitung der Abstandsfläche (angenommene 8,49 m statt 24,49 m) zur Feststellung eines Ermessensfehlers geführt (VGH München B.v. 10.01.1997 - 2 CS 96.3344 S. 4). Weiter habe der Beklagte verkannt, dass eine Reduzierung der Abstandsflächen unter 0,5 H und erst recht unter 0,25 H nur unter engen Voraussetzungen bzw. in extremen Ausnahmefällen in Betracht komme (Dhom in Simon/Busse, BayBO, Kommentar Art. 63 Rn. 47). Überdies habe der Beklagte außer Betracht gelassen, dass die Gründe für eine Abweichung umso bedeutsamer sein müssten, je weiter diese gehe (VGH München U.v.15.12.2008 - 22 B 07.143 - juris Rn. 37). Da der Beklagte von unzutreffenden Abstandsflächen ausgegangen sei, fehle es an einer zutreffenden Gewichtung der Interessen der Betroffen. Soweit der Beklagte ausführe, es sprächen gewichtige öffentliche Belange für das Vorhaben, weil man die Räume für zusätzliche Aufgaben benötige, so seien diese Ermessenserwägungen fehlerhaft, weil die Erhebung von Studiengebühren mit Wirkung zum 1. Oktober 2013 abgeschafft worden sei und also dafür keine Verwaltung mehr erforderlich sei. Auch bei der Ausbauplanung der Hochschule handele es sich nicht um eine neue Aufgabe. Weiter sei die Annahme des Beklagten unzutreffend, der Eigentümer des Hinterliegergrundstücks ...straße 3 sei mit dem streitgegenständlichen Vorhaben einverstanden, weil er dem zweigeschossigen Bestandsgebäude zugestimmt habe. Es fehle jede Begründung für die Wertung des Beklagten, die Beeinträchtigungen seien vertretbar. Allein die Einhaltung des Lichteinfallswinkels von 45° genüge nicht. Wenn wie vorliegend ein Vorhaben südöstlich eines Bestandsgebäudes stehe, dann könne nach physikalischer Gesetzmäßigkeit der Lichteinfallswinkel von 45° gar nicht unterschritten werden. Die maßgeblichen Vorschriften stellten auf Abstände und nicht auf Lichteinfallswinkel ab. Ermessensfehlerhaft sei auch, dass der Beklagte seine Zustimmung mehrfach und entscheidend auf eine Bebauung gestützt habe, die seit 47 Jahren beseitigt sei.

Das streitgegenständliche Vorhaben verstoße auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Es überschreite in seiner vollen Höhe das zulässige Maß der baulichen Nutzung und führe für die Klägerin zu einer erheblichen zusätzlichen Verschattung. Bestätigt würde diese Auffassung durch den Umstand, dass das Vorhaben nicht einmal eine Abstandsfläche von 0,25 H einhalte. Das landesrechtliche Abstandsflächenrecht stelle insoweit eine Konkretisierung des Gebots der nachbarlichen Rücksichtnahme dar (BVerwG B.v. 06.12.1996 - 4 B 215/96 - juris Rn. 9 m. w. N.).

Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2013 beantragte der Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 24. November 2014 wurde ausgeführt, dass im Zustimmungsbescheid bei der Bezeichnung der Flurstücke tatsächlich ein sog. Zahlendreher enthalten sei. Zur Frage des Einfügens im Sinn von § 34 BauGB wurde auf den Zustimmungsbescheid verwiesen. Die Klagebegründung enthalte insoweit keine neuen Gesichtspunkte. Das gelte auch für die Frage der Abstandsflächen. Es treffe zwar zu, dass die Studienbeiträge abgeschafft seien, allerdings habe die Staatsregierung zugesagt, die weggefallenen Fremdmittel in vollem Umfang durch staatliche Mittel zu ersetzen. Daher seien die zusätzlichen Gelder in jedem Fall zu verwalten, so dass diese Aufwandssteigerung durchaus in die Ermessensausübung habe einfließen dürfen.

Über die baulichen und örtlichen Verhältnisse auf dem streitgegenständlichen Grundstück sowie in dessen Umgebung hat das Gericht am 15. Dezember 2014 Beweis durch Einnahme eines Augenscheins erhoben. Hinsichtlich der Feststellungen dieses Augenscheins sowie der anschließenden mündlichen Verhandlung, in der die Beteiligten ihre schriftsätzlich angekündigten Anträge stellten, wird auf das Protokoll verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg, da die angefochtene Zustimmung vom ... Juni 2013 nachbarschützende Vorschriften des Bauordnungsrechts verletzt, die im Genehmigungsverfahren zu prüfen waren, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

1. Dritte können sich gegen eine Baugenehmigung - und entsprechend gegen einen Zustimmungsbescheid - nur dann mit Aussicht auf Erfolg zur Wehr setzen, wenn die angefochtene Baugenehmigung rechtswidrig ist und diese Rechtswidrigkeit zumindest auch auf der Verletzung von Normen beruht, die gerade auch dem Schutz des betreffenden Nachbarn zu dienen bestimmt sind (BayVGH, B.v. 24.3.2009 - 14 CS 08.3017 - juris Rn. 20). Es genügt daher nicht, wenn die Baugenehmigung bzw. der angefochtene Zustimmungsbescheid gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht - auch nicht teilweise - dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dabei ist zu beachten, dass ein Nachbar eine Baugenehmigung und einen Zustimmungsbescheid zudem nur dann mit Erfolg anfechten kann, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Rechtswidrigkeit sich aus einer Verletzung von Vorschriften ergibt, die im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren (BayVGH, B.v. 24.3.2009, a. a. O.). Verstößt ein Vorhaben gegen eine drittschützende Vorschrift, die im Baugenehmigungsverfahren aber nicht zu prüfen war, trifft die Baugenehmigung insoweit keine Regelung und ist der Nachbar darauf zu verweisen, Rechtsschutz gegen das Vorhaben über einen Antrag auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Ausführung des Vorhabens zu suchen (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.1997 - 4 B 244/96, NVwZ 1998, 58 - juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 14.10.2008 - 2 CS 08/2132 - juris Rn. 3).

Für die hier streitgegenständliche bauaufsichtliche Zustimmung nach Art. 73 BayBO gilt entsprechendes. Die beabsichtigte Aufstockung des Universitätsgebäudes bedarf im Hinblick auf Art. 73 Abs. 1 Satz 4 BayBO einer bauaufsichtlichen Zustimmung, da sie zur Erweiterung des Bauvolumens führt, so dass dieses nicht verfahrensfreie Bauvorhaben gemäß Art. 73 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BayBO einer Zustimmung der Regierung... ... bedarf. Gemäß Art. 73 Abs. 2 Satz 3 BayBO entscheidet die Regierung... ... über Abweichungen von sonstigen Vorschriften, soweit sie drittschützend sind. Vorliegend wurden Abweichungen gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO von der Einhaltung der Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6 Abs. 1 BayBO im streitgegenständlichen Zustimmungsbescheid erteilt, so dass die Abstandsflächenvorschriften vom Prüfungsumfang im bauaufsichtlichen Zustimmungsverfahren erfasst sind.

2. In bauordnungsrechtlicher Hinsicht stellt sich die streitgegenständliche Zustimmung vom ... Juni 2013 als rechtswidrig dar und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

2.1. Grundsätzlich bemisst sich die die Tiefe der Abstandsfläche gem. Art. 6 Abs. 4 S. 1 BayBO nach der Wandhöhe, die senkrecht zur Wand gemessen wird. Die Wandhöhe ist nach Art. 6 Abs. 4 Satz 2 BayBO das Maß von der Geländeoberkante bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut oder bis zum oberen Abschluss der Wand. Eine Ausnahme zu Art. 6 Abs. 4 BayBO hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung vom 26. Januar 2000 (vgl. BayVGH 26. Senat B.v. 26.01.2000 - 26 CS 99.2723 - juris Rn. 18, 19) entwickelt. Danach kann für die Bestimmung der Tiefe der Abstandsfläche auf die Höhe der Außenwand des versetzten Wandteils abgestellt werden, wenn - trotz an sich aus planungsrechtlichen Gründen zulässigen Grenzanbaus - ein Wandteil von der gemeinsamen Grenze abrückt. Ausgehend davon, dass an sich an die Grenze gebaut werden darf, ginge es nach der oben genannten Rechtsprechung zu weit, wenn man als unteren Bezugspunkt für die Berechnung nicht die Oberkante des an der Grenze stehenden Wandteils, sondern die natürliche oder festgesetzte Geländeoberfläche wähle.

Voraussetzung für die Anwendung der Rechtsprechung des 26. Senats (B.v. 26.01.2000 - 26 CS 99.2723 - juris Rn. 18, 19) ist zunächst, dass sich das geplante Vorhaben bauplanungsrechtlich einfügt. Im vorliegenden Fall kann die Frage, ob die Rechtsprechung des 26. Senats zum Tragen kommt und ob sich die geplante Gebäudeaufstockung - auch unter Berücksichtigung des Rücksichtnahmegebots - einfügt jedoch dahinstehen, da die Abstandsflächen weder bei Berechnung der Wandhöhe vom fiktiven Fußpunkt des Dachaustritts noch bei Berechnung von der natürlichen Geländeoberkante eingehalten sind. Die durch die geplante Gebäudeaufstockung ausgelösten Abstandsflächen werden auf dem eigenen Vorhabengrundstück auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des 26. Senats zum klägerischen Grundstück nicht eingehalten. Die zurückgesetzte Außenwand der Gebäudeaufstockung hat nach den vorgelegten Plänen ab Dachaustritt eine Höhe von 7,22 m. Berücksichtigt man die vorgelagerten Wartungsbalkone als nicht untergeordneten Vorbauten i. S.v. Art. 6 Abs. 8 Nr. 2 BayBO, so hat diese Außenwand eine Höhe von 6,62 m.

An der Nordwestecke beträgt der Abstand der Außenwand der geplanten Gebäudeaufstockung bis zur Grundstücksgrenze rund 6,02 m (abgegriffen aus dem Lageplan) bzw. bei Berücksichtigung der Wartungsbalkone ca. 5,30 m (abgegriffen), damit fallen an der Nordwestecke 1,19 m (bzw. bei Berücksichtigung der Wartungsbalkone 1,32 m) auf das klägerische Hinterliegergrundstück und den Zugangsweg.

Nach Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO dürfen sich Abstandsflächen im Sinn von Satz 1 ganz oder teilweise auf andere Grundstücke erstrecken, wenn rechtlich oder tatsächlich gesichert ist, dass sie nicht überbaut werden. Hinsichtlich des Zugangswegs zum klägerischen Hinterliegergrundstück (sog. Hammergrundstück) sind diese Voraussetzungen zumindest bis zu dessen Mitte erfüllt, Art. 6 Abs. 2 Satz 2 HS 2 BayBO. Aber soweit die Abstandsflächen an der Südwestecke in das klägerische Gebäude fallen, greift Art. 6 Abs. 2 Satz 3 BayBO nicht.

An der Südwestecke beträgt der Abstand der Außenwand der geplanten Gebäudeaufstockung bis zur Grundstücksgrenze ca. 4,00 m (abgegriffen aus dem Lageplan) bzw. bei Berücksichtigung des Wartungsbalkone etwa 3,20 m (abgegriffen aus dem Lageplan), so dass bei einer Wandhöhe ab Dachaustritt von 7,21 m (bzw. bei Berücksichtigung der Wartungsbalkone von 6,62 m) etwa 3,21 m (bzw. bei Berücksichtigung der Wartungsbalkone 3,42 m) auf das klägerische Hinterliegergebäude fallen.

Damit fallen auch unter Anwendung der Rechtsprechung des 26. Senats (U.v. 26.01.2000 - 26 CS 99.2723 - juris Rn. 18, 19) in jedem Fall durch die geplante Gebäudeaufstockung Abstandsflächen auf das klägerische Grundstück und das Hinterliegergebäude. Folglich wären auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des 26. Senats die gesetzlichen Abstandsflächen nicht eingehalten und damit die Erteilung einer rechtmäßigen Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO i. V. m. Art. 6 Abs. 1 BayBO erforderlich.

2.2 Es ist bereits strittig, ob neben der Anwendung der privilegierenden Rechtsprechung des 26. Senats (U.v. 26.01.2000 - 26 CS 99.2723 - juris Rn. 18, 19) zusätzlich eine Abweichung gem. Art. 63 BayBO erteilt werden kann und damit eine Kombination von Privilegierungen zugunsten des Beklagten möglich ist (verneinend VG München, U.v. 02.05.2011 - M 8 K 10.1026 - juris Rn. 89). Im vorliegenden Fall kann auch die Beantwortung dieser Frage dahinstehen, da zumindest die Voraussetzungen für die Erteilung einer rechtmäßigen Abweichung gem. Art. 63 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Art. 6 Abs. 1 BayBO nicht erfüllt sind.

2.3 Gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von bauaufsichtlichen Anforderungen zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sind. Während bei bautechnischen Anforderungen der Zweck der Vorschriften vielfach auch durch eine andere als die gesetzlich vorgesehene Bauausführung gewahrt werden kann (die dann im Wege der Abweichung zuzulassen ist), wird der Zweck des Abstandsflächenrechts, der vor allem darin besteht, eine ausreichende Belichtung und Belüftung der Gebäude zu gewährleisten und die für Nebenanlagen erforderlichen Freiflächen zu sichern, regelmäßig nur dann erreicht, wenn die Abstandsflächen in dem gesetzlich festgelegten Umfang eingehalten werden. Da somit jede Abweichung von den Anforderungen des Art. 6 BayBO zur Folge hat, dass die Ziele des Abstandsflächenrechts nur unvollkommen verwirklicht werden, setzt die Zulassung einer Abweichung Gründe von ausreichendem Gewicht voraus, durch die sich das Vorhaben vom Regelfall unterscheidet und die die Einbuße an Belichtung und Belüftung im konkreten Fall als vertretbar erscheinen lassen (vgl. BayVGH B.v. 09.02.2015 - 15 ZB 12.1152 - juris Rn. 16). Es muss sich um eine atypische, von der gesetzlichen Regel nicht zureichend erfasste oder bedachte Fallgestaltung handeln (vgl. BayVGH, B.v. 13.2.2002 - 2 CS 01.1506 - juris Rn. 16; B.v. 23.5.2005 - 25 ZB 03.881 - juris Rn. 8; B.v. 15.11.2005 - 2 CS 05.2817 - juris Rn. 2; B. v. 29.11.2006 - 1 CS 06.2717 - juris Rn. 24; B.v. 11.1.2007 - 14 B 03.572 - juris Rn. 22; B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 16; B. v. 4.8.2011 - 2 CS 11.997 - juris Rn. 23; B.v. 5.12.2011 - 2 CS 11.1902 - juris Rn. 3; U. v. 22.12.2011 - 2 B 11.2231, BayVBl. 2012, 535 - juris Rn. 16; B.v. 20.11.2014 - 2 CS 14.2199 - juris Rn. 4; B.v. 15.10.2014 - 2 ZB 13.530 - juris Rn. 3; B.v. 9.2.2015 - 15 ZB 12.1152 - juris Rn. 16). Es müssen rechtlich erhebliche Unterschiede vorliegen, die das Vorhaben als einen sich von der Regel unterscheidenden atypischen Fall erscheinen lassen und dadurch eine Abweichung rechtfertigen können (vgl. BayVGH, B.v. 3.12.2014 - 1 B 14.819 - juris Rn. 15; B.v. 11.12.2014 - 15 CS 14.1710 - juris Rn. 19). Diese können sich etwa aus einem besonderen Grundstückszuschnitt, einer aus dem Rahmen fallenden Bebauung auf dem Bau- oder dem Nachbargrundstück oder einer besonderen städtebaulichen Situation, wie der Lage des Baugrundstücks in einem historischen Ortskern, ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 16; B.v. 22.9.2006 - 25 ZB 01.1004 - juris Rn. 4; B.v. 20.11.2014 - 2 CS 14.2199 - juris Rn. 4; B.v. 9.2.2015 - 15 ZB 12.1152 - juris Rn. 16). In solchen Lagen kann auch das Interesse des Grundstückseigentümers, vorhandene Bausubstanz zu erhalten und sinnvoll zu nutzen oder bestehenden Wohnraum zu modernisieren, eine Verkürzung der Abstandsflächen durch Zulassung einer Abweichung rechtfertigen. Hingegen begründen allein Wünsche eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen als dies ohnehin schon zulässig wäre, noch keine Atypik, da Modernisierungsmaßnahmen, die nur der Gewinnmaximierung dienen sollen, auch in Ballungsräumen nicht besonders schützenswert sind (vgl. BayVGH, B.v. 20.11.2014 - 2 CS 14.2199 - juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 - 2 ZB 14.2077 - juris Rn. 3). Das Vorhandensein eines Altbestandes stellt lediglich eine objektive Gegebenheit dar, die bei Hinzutreten weiterer objektiver Umstände - z. B. Anforderungen der Stadtgestaltung - im Einzelfall eine atypische Sondersituation begründen kann (vgl. BayVGH, B. v. 23.5.2005 - 25 ZB 03.881 - juris Rn. 8).

Liegt die erforderliche Atypik vor, ist weitere Voraussetzung die Vereinbarkeit der Abweichung mit den öffentlichen Belangen unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Interessen. Mit der Verpflichtung zur Würdigung nachbarlicher Interessen verlangt das Gesetz - wie bei dem bauplanungsrechtlichen Gebot der Rücksichtnahme - eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben sprechenden Gründen und den Belangen des Nachbarn (BayVGH, B. v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 17). Ob eine Abweichung von den Abstandsflächenvorschriften zugelassen werden kann, beurteilt sich dabei nicht allein danach, wie stark die Interessen des betroffenen Nachbarn beeinträchtigt werden. Es ist stets auch zu prüfen, ob die Schmälerung der nachbarlichen Interessen durch überwiegende Interessen des Bauherrn oder überwiegende öffentliche Belange gerechtfertigt ist (BayVGH, B. v. 16.7.2007 - 1 CS 07.1340 - juris Rn. 20).

Liegt die erforderliche Atypik nicht vor, erweist sich eine trotzdem erteilte Abweichung von der Einhaltung der gesetzlich vorgeschrieben Abstandsflächen von vornherein als rechtswidrig; die Baugenehmigung ist auf eine Nachbarklage hin aufzuheben (vgl. BayVGH, B.v. 9.2.2015 - 15 ZB 12.1152 - juris Rn. 16).

2.4 Eine atypische Sondersituation ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der streitgegenständliche Zustimmungsbescheid führt hierzu aus, dass die von der Rechtsprechung geforderte Atypik durch die städtebauliche Situation mit dem entsprechenden Maß der baulichen Nutzung auf dem Baugrundstück, das nicht in direkten Vergleich gesetzt werden könne zur rückwärtigen Bebauung der Grundstücke der ...straße, begründet sei. Dies habe zur Folge, dass auf dem Baugrundstück im Prinzip jede bauliche Veränderung oder Erweiterung zu einem Verstoß gegen abstandsflächenrechtliche Belange führe. In einer solchen Situation innerstädtischer dichter Bebauung sei es erforderlich, dass für den Fall einer notwendigen baulichen Anpassung an geänderte Nutzungsanforderungen gegebenenfalls Abweichungen von den generalisierenden Regelungen des Abstandsflächenrechts zuzulassen seien.

Das neue Bauvorhaben mit der vorgesehenen Aufstockung ist aber nicht etwa die Folge einer durch den Altbestand vorgegebenen Zwangslage, sondern dient der weiteren Optimierung der wirtschaftlichen Verwertungsmöglichkeiten des Vorhabengrundstücks. Aus den Behördenakten ergibt sich, dass auch maßvollere Aufstockungsvarianten mit der Klägerin besprochen wurde. Das staatlichen Bauamt hat jedoch mit Schreiben vom 12. April 2013 mitgeteilt, dass dem Vorschlag auf Reduzierung des Maßes der baulichen Nutzung nicht beigetreten werden könne, da dadurch der dringende Bedarf an Bürofläche nicht ausgeglichen werden könne. Es mag aus wirtschaftlichen Gründen nachvollziehbar sein, dass die Aufstockung des zweigeschossigen Verwaltungsgebäudes um zwei weitere zurückgesetzte Geschosse gegenüber dem alten rückwärtigen Verwaltungsgebäude einen dringend benötigten Platzbedarf zu decken vermag und der gewählte Standort an der ...straße in absoluter Nähe zum Hauptgebäude der ... sich in besonderen Maß anbietet und sinnvoll ist. Es dürfte sich hierbei um den - unter Berücksichtigung von Praktikabilitätserwägungen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten - optimalen Standort handeln, da einerseits die vorhandene Infrastruktur ohne großen Umbauaufwand in die Gebäudeaufstockung integriert werden kann und andererseits durch die räumliche Nähe zum Hauptgebäude der ... die Gebäudeaufstockung in dieser zentralen Lage besonders geeignet ist. Diese Gründe vermögen gleichwohl keine Atypik zu begründen. Allein der Wunsch eines Eigentümers, sein Grundstück stärker auszunutzen als dies ohnehin schon zulässig wäre, kann noch keine Atypik begründen (vgl. BayVGH B.v. 20.11.2014 - 2 CS 14.2199 - juris Rn. 4). Modernisierungsmaßnahmen, die nur der Gewinnmaximierung dienen sollen, sind auch in Ballungsräumen nicht besonders schützenswert (vgl. BayVGH, B.v. 13.10.2014 - 2 ZB 13.1627 n.V.; BayVGH, B.v. 20.11.2014 - 2 CS 14.2199 - juris Rn. 4; B.v. 2.12.2014 - 2 ZB 14.2077 - juris Rn. 3). Der Beklagte argumentiert im Wesentlichen mit Gesichtspunkten, die keinen Bezug zu einer besonderen Gebäude- oder Grundstückssituation haben und keine Atypik begründen, so dass sie in der abstandsflächenrechtlichen Bewertung keine Rolle spielen. Soweit sich der Beklagte auf die Lage im dicht bebauten innerstädtischen Bereich beruft, ist darauf hinzuweisen, dass sich das Vorhabengrundstück gerade nicht im historischen Ortskern der Altstadt befindet und angesichts der bestehenden Ausnutzung des Vorhabengrundstücks schon fraglich ist, ob damit eine Situation gegeben ist, wie sie den Fällen zugrunde lag, die zur Bejahung einer Atypik durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs führten. Die Kammer vermag angesichts der Größe des Vorhabengrundstücks keine besondere städtebauliche Grundstückssituation zu erkennen. Die Gebäudeaufstockung ist für die Klägerin als Grundstücksnachbarin auch nicht völlig irrelevant. Durch die vorgesehene Aufstockung des vorhandenen zweigeschossigen Rückgebäudes mit einer Firsthöhe von lediglich 7,44 m um zwei weitere Geschosse mit einer Höhe von 7,22 m verdoppelt sich die Gebäudehöhe auf insgesamt 14,66 m, wodurch eine Verschlechterung der (Belichtungs-)Verhältnisse auf den westlich angrenzenden Nachbargrundstück, das lediglich mit einem Gebäude mit einer Firsthöhe von 9,60 m bebaut ist, bewirkt wird.

Da es sich bei den bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenvorschriften um Inhalts- und Schrankenbestimmungen des Eigentums i. S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 GG handelt, ist das Vorliegen einer Atypik im Sinne einer von der gesetzlichen Regel des Art. 6 BayBO nicht zureichend erfassten oder bedachten Fallgestaltung auch verfassungsrechtlich geboten. Inhalt und Schranken und damit die Sozialbindung des Eigentums bestimmt allein der Gesetzgeber (vgl. Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Stand 71. Ergänzungslieferung 2014, Art. 14 Rn. 306). Eine Geltung der Abstandsflächen allein nach Ermessen der Bauaufsichtsbehörden wäre mit diesem spezifischen Gesetzesvorbehalt bei Inhalts- und Schrankenbestimmungen nicht vereinbar. Ohne Vorliegen einer Atypik kann daher weder allein ein besonderes Interesse des Bauherrn an einer möglichst wirtschaftlichen Ausnutzung der Bebauung seines Grundstücks noch ein besonderes öffentliches Interesse eine Abweichung von den Abstandsflächen rechtfertigen. Diese Belange können erst dann zur Geltung kommen, wenn die atypische Grundstückssituation vorliegt und damit der Weg zu einer umfassenden Abwägung der privaten und öffentlichen Interessen im Rahmen der Abweichungsentscheidung auf der Grundlage des Art. 63 Abs. 1 Satz 1 BayBO eröffnet ist.

3. Im vorliegenden Fall kann sich die Klägerin auch mit Erfolg darauf berufen, dass sie durch die erteilte Abweichung von den nach Art. 6 BayBO erforderlichen Abstandsflächen in eigenen Rechten verletzt wird. Eine solche Rüge ist ihr nicht aufgrund des auch im öffentlichen Recht anwendbaren Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt. Die Klägerin wirft selbst keine Abstandsflächen auf das streitgegenständliche Vorhabengrundstück. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Da das Gebäude der Klägerin in zulässiger Weise auf der zwischen dem klägerischen Hinterliegergrundstück und dem Vorhabengrundstück liegenden Grundstücksgrenze errichtet ist, ist eine Abstandsfläche gem. Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO nicht erforderlich.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG i. V. m. Ziffern 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Lastenausgleichsgesetz - LAG

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au
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published on 11/12/2014 00:00

Tenor I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen. II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst. III. Der Streitwert für das Beschwerde
published on 02/12/2014 00:00

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst. III. Der Streitwert wird auf 7.
published on 20/11/2014 00:00

Tenor I. Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts München vom 15. September 2014 wird die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Baugenehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 26. Feb
published on 15/10/2014 00:00

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. III. Der Streitwert wird auf 7.500 Euro festgesetzt. Gründe Der Antrag
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Annotations

(1) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der allein oder gemeinsam mit sonstigen baurechtlichen Vorschriften mindestens Festsetzungen über die Art und das Maß der baulichen Nutzung, die überbaubaren Grundstücksflächen und die örtlichen Verkehrsflächen enthält, ist ein Vorhaben zulässig, wenn es diesen Festsetzungen nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(2) Im Geltungsbereich eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans nach § 12 ist ein Vorhaben zulässig, wenn es dem Bebauungsplan nicht widerspricht und die Erschließung gesichert ist.

(3) Im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der die Voraussetzungen des Absatzes 1 nicht erfüllt (einfacher Bebauungsplan), richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben im Übrigen nach § 34 oder § 35.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.