Verwaltungsgericht München Urteil, 06. Apr. 2016 - M 15 K 16.30407
Gericht
Tenor
I.
Die Beklagte wird verpflichtet, das Asylverfahren des Klägers fortzusetzen und über den Asylantrag des Klägers vom
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der am ... geborene Kläger ist eigenen Angaben zufolge afghanischer Staatsangehöriger. Er hat am
Mit Schreiben vom ... April 2015 bestellten sich die Bevollmächtigten des Klägers und baten um Akteneinsicht. Am
Vorgelegt wurde ein Arztbrief von Dr. ..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie,
Mit Schreiben vom ... September 2015 baten die Bevollmächtigten des Klägers um Anberaumung eines Termins zur Anhörung des Klägers.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge teilte den Bevollmächtigten des Klägers durch Schreiben vom ... Oktober 2015 mit, derzeit könne noch kein Anhörungstermin genannt werden. Durch die Priorisierungen bei der Antragsbearbeitung sei eine längere Verfahrensdauer für Antragsteller aus anderen Herkunftsländern bedauerlicherweise oftmals unvermeidlich.
Mit Schreiben vom ... Januar 2016 baten die Bevollmächtigten des Klägers erneut um Ladung des Klägers zur Anhörung.
Am ... März 2016 haben die Bevollmächtigten des Klägers Klage erhoben mit dem
Antrag,
die Beklagte zu verpflichten, das Asylverfahren fortzusetzen
und über die Anträge des Klägers zu entscheiden.
Zur Begründung der Klage wurde ausgeführt, dem Kläger sei ein weiteres Zuwarten nicht zuzumuten. Es liege kein zureichender Grund vor, der die Verzögerung rechtfertige. Die steigenden Flüchtlingszahlen seien bekannt, doch seien auch andere Fälle bekannt, die wesentlich schneller behandelt würden.
In der Klageschrift haben die Bevollmächtigten des Klägers auf mündliche Verhandlung verzichtet.
Mit Schreiben des Gerichts vom
Die Beklagte hat die Akten vorgelegt, aber keinen Antrag gestellt.
Mit Beschluss vom 4. April 2016
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der von der Beklagten vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
Gründe
Über die Verwaltungsstreitsache kann ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Bevollmächtigten des Klägers in der Klageschrift auf mündliche Verhandlung verzichtet haben. Die Beklagte hat allgemein mit Schreiben an die Präsidentin des Verwaltungsgerichts München
Soweit der Vizepräsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge mit Schreiben an die Präsidentinnen und Präsidenten der Verwaltungsgerichte, Oberverwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshöfe vom 25. Februar 2016 für alle Untätigkeitsklagen gemäß § 75 VwGO die Aussetzung des Verfahrens beantragt hat, kann dem nicht entsprochen werden, weil die Voraussetzungen für eine Aussetzung des Verfahrens nicht vorliegen. Eine Aussetzung kommt gemäß § 94 VwGO nur in Betracht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist. Hier fehlt es an der Vorgreiflichkeit eines anderen (d. h. nicht des hier streitgegenständlichen) Verfahrens. Es kann offen bleiben, ob der Antrag auf Aussetzung des Verfahrens als Antrag auf Ruhen des Verfahrens auszulegen ist, denn ein Ruhen des Verfahrens (§ 173 VwGO i. V. m. § 251 ZPO) kommt hier ebenfalls nicht in Betracht. Dieses würde nämlich voraussetzen, dass beide Parteien das Ruhen des Verfahrens beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist (§ 251 ZPO). Hier fehlt es schon daran, dass beide Parteien dies beantragen, denn die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Erhebung der Untätigkeitsklage deutlich gemacht, dass sie mit einem Ruhen des Verfahrens nicht einverstanden sind.
Die Klage ist als Untätigkeitsklage gem. § 75 VwGO zulässig. Der Kläger hat am 26. Januar 2015, mithin vor über 14 Monaten, einen Asylantrag gestellt, über den bis heute nicht entschieden ist. Die Sperrfrist des § 75 Satz 2 VwGO von 3 Monaten ist daher längst abgelaufen. Auch wurde über den Antrag ohne zureichenden Grund nicht innerhalb angemessener Frist entschieden (§ 75 Satz 1 VwGO).
Auch wenn gerichtsbekannt ist, dass das Bundesamt derzeit durch die stark erhöhten Asylbewerberzahlen überlastet ist, reicht dies - entgegen der im bereits erwähnten Schreiben des Vizepräsidenten des Bundesamts vom 25. Februar 2016 vertretenen Rechtsauffassung - nicht aus, um hier dauerhaft einen zureichenden Grund für die Nichtverbescheidung anzunehmen. Es handelt sich nicht um eine kurzfristig erhöhte Geschäftsbelastung, sondern um eine seit langer Zeit bestehende permanente Überlastung der Behörde, deren Ende auch nicht absehbar ist. In einem solchen Fall ist es Aufgabe des zuständigen Bundesministeriums bzw. der Behördenleitung, in absehbarer Zeit für hinreichenden Ersatz zu sorgen und entsprechende organisatorische Maßnahmen zu treffen (vgl. VG Dresden, U. v. 13.2.2015 - A 2 K 3657/14 - juris; VG Düsseldorf, U. v. 30.10.2014 - 24 K 992/14.A - juris; VG Braunschweig, U. v. 8.9.2014 - 8 A 618/13 - juris). Auch die von der Beklagten getroffenen Priorisierungsentscheidungen stellen keinen zureichenden Grund im Sinne von § 75 Satz 1 VwGO dar. Obwohl solche Priorisierungsentscheidungen rechtlich zulässig sind (vgl. VG Osnabrück, U. v. 14.10.2015 - 5 A 390/15 - juris), so kann eine Verfahrensdauer von über 13 Monaten nicht mehr durch eine Priorisierungsentscheidung gerechtfertigt werden. Dies gilt insbesondere, wenn - wie hier - die Behörde trotz einer Anfrage des Gerichts keine Perspektive für eine Entscheidung aufzeigt, so dass auf zunächst unbestimmte Zeit offenbleibt, wann überhaupt über den Antrag entscheiden wird. Dazu kommt, dass in vielen anderen Fällen seit Monaten Anfragen des Gerichts nach dem voraussichtlichen Zeitpunkt einer Entscheidung genauso unbeantwortet bleiben wie Bitten um Entscheidung.
Nach alledem ist die Klage als Untätigkeitsklage (§ 75 VwGO) zulässig.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger hat Anspruch auf Fortsetzung des Asylverfahrens und Verbescheidung des gestellten Antrags (§ 113 Abs. 5 Satz 2 i. V. m. Satz 1 VwGO). Dass über seinen Asylantrag nicht entschieden wird, verletzt ihn in seinem subjektiven Recht auf eine rasche Entscheidung über seinen Asylantrag. Nach Art. 31 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes haben die Mitgliedstaaten die Pflicht, die Anträge möglichst rasch, normalerweise innerhalb von 6 Monaten zum Abschluss zu bringen. Auch wenn sich diese Pflicht nur an die Mitgliedstaaten richtet, hat der einzelne Asylbewerber ein subjektives Recht auf eine baldige Entscheidung über seinen Asylantrag, weil diese Bestimmungen auch dem Grundrechtsschutz (Art 1 und 16a GG) dienen und nur so ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden kann.
Auf die Problematik des „Durchentscheidens“ kommt es hier nicht an, weil die Bevollmächtigten des Klägers keinen Antrag auf Zuerkennung materieller Rechtspositionen gestellt haben.
Der Klage ist daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
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Annotations
Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.
Das Gericht kann, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet oder von einer Verwaltungsbehörde festzustellen ist, anordnen, daß die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits oder bis zur Entscheidung der Verwaltungsbehörde auszusetzen sei.
Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Oberverwaltungsgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundesverwaltungsgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung die Verwaltungsgerichtsordnung tritt. Gericht im Sinne des § 1062 der Zivilprozeßordnung ist das zuständige Verwaltungsgericht, Gericht im Sinne des § 1065 der Zivilprozeßordnung das zuständige Oberverwaltungsgericht.
Das Gericht hat das Ruhen des Verfahrens anzuordnen, wenn beide Parteien dies beantragen und anzunehmen ist, dass wegen Schwebens von Vergleichsverhandlungen oder aus sonstigen wichtigen Gründen diese Anordnung zweckmäßig ist. Die Anordnung hat auf den Lauf der im § 233 bezeichneten Fristen keinen Einfluss.
Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.