Verwaltungsgericht München Urteil, 04. Aug. 2016 - M 11 K 16.30984
Gericht
Tenor
I.
Der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger ist ein nach seinen Angaben am ... Juni 1997 geborener somalischer Staatsangehöriger mit der Clanzugehörigkeit der Shansi (Unterclan Bandhabow) aus ...
Er stellte am
Mit Bescheid vom
Der Bescheid wurde am
Am
den Bescheid in Ziffern 1 bis 3 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Kläger als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise ihm die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise subsidiären Schutz zuzuerkennen.
Mit Schreiben seines Bevollmächtigten vom
Mit Beschluss vom 9. Juni 2016
Am
Der Bevollmächtigte des Klägers stellte den Antrag aus der Klageschrift vom
dass beantragt wird, den Bescheid vom
Das Bundesamt hat keinen Antrag gestellt und sich im Verfahren auch nicht sachlich geäußert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Gründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen; der angefochtene Bescheid ist in den Nummern 1 und 3, welche dieser Verpflichtung entgegen stehen, aufzuheben (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).
Der Kläger hat Anspruch auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, weil ihm in Somalia seitens nichtstaatlicher Akteure im Sinne des § 3 c Nr. 3 AsylG eine politische und religiöse Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 i. V. § 3 a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 3 b AsylG droht und die in § 3 c Nummern 1 und 2 AsylG genannten Akteure erwiesenermaßen nicht in der Lage sind, ihm im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor dieser Verfolgung zu bieten.
Der Kläger ist seiner glaubhaften Darstellung in der mündlichen Verhandlung vom
Er war einer Verfolgung nach §§ 3 Absatz 1, 3 a Absatz 1, Absatz 2 Nr. 1 AsylG ausgesetzt und ist davon weiter bedroht.
Der Kläger hat glaubhaft und detailreich geschildert, dass er von den UN-Truppen aus Äthiopien in ein Lager, dem Fußballstadion von Mogadischu, gebracht worden wurde, um ihn zu rekrutieren.
Es ist auch glaubhaft und nachvollziehbar, dass Nachbarn, die al Shabaab-Anhänger sind, al Shabaab mitgeteilt haben, dass er in dem Lager gewesen ist und dass al Shabaab ihn daraufhin mitgenommen hat, da sie ihn verdächtigten, dass er mit den UN-Truppen zusammenarbeitet.
Da al Shabaab auch mehrfach in den Lebensmittelladen seiner Mutter kam, um ich zu suchen, wusste al Shabaab seine Adresse und seinen Namen. Demnach sollte er nicht wahllos zwangsrekrutiert werden, indem er z. B. in einer Gruppe junger Männer von der Straße festgenommen wurde, vielmehr kam al Shabaab gezielt in sein Haus.
Eine Rückkehr kommt für den Kläger allenfalls nach Mogadischu zu seiner Familie in Betracht, da bei den Verhältnissen in Somalia es unabdingbar ist, sich unter den Schutz der (Clan)Familie zu begeben. Dies gilt für den Kläger noch viel mehr, da er einem Minderheitenclan angehört.
Auch wenn al Shabaab nicht mehr die Vorherrschaft in Mogadischu hat, so gab und gibt es dort noch Anhänger.
Es ist daher nachvollziehbar, dass er die Rache von al Shabaab immer noch fürchten muss, weil er damit rechnen muss, von Spionen in der Nachbarschaft an al Shabaab gemeldet und von al Shabaab bestraft zu werden, da er sich ihnen nicht angeschlossen hat und geflohen ist.
Die Schilderung deckt sich mit den Erkenntnissen des Gerichts über das Verhalten von al Shabaab.
Die Schilderung des Klägers entspricht auch dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes v.
Das Gericht geht davon aus, dass Süd- und Zentralsomalia zwar überwiegend unter der Kontrolle der Regierung steht, was jedoch nicht bedeutet, dass es dort zu keiner die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehenden willkürlichen Gewalt mehr kommt. Dafür, dass die al Shabaab-Miliz dort nach wie vor in hohem Maße präsent ist, spricht, dass nach den Angaben des Auswärtigen Amtes auch Teile dieses Gebiets, in dem sich immerhin die Hauptstadt befindet, immer noch unter der Kontrolle dieser Organisation stehen (Lagebericht, S. 5).
Der frühere Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom
Im Jahr 2013 war gegenüber dem Jahr 2012 in Mogadischu wieder eine Verschlechterung der Sicherheitslage festzustellen. Im April 2013 kamen bei einem Angriff auf ein Gerichtsgebäude und einer kurz danach gezündeten Autobombe 34 Zivilisten ums Leben; weitere 58 Menschen wurden bei dreistündigen Kämpfen im Gericht verletzt (vgl. Zeit Online vom 14.04.2013 - „Tote durch Anschläge in Mogadischu“). Es handelte sich um den Vorfall mit den meisten Todesopfern in Mogadischu im Jahr 2013 und den schwersten Terroranschlag seit Vertreibung der al Shabaab-Miliz aus Mogadischu. Bei einem Selbstmordanschlag am 5. Mai 2013 wurden über 10 Personen getötet (vgl. Bericht des Generalsekretärs der VN an den Sicherheitsrat vom 31.05.2013, Nr. 11). Bei einem weiteren schweren Selbstmordattentat der al Shabaab-Miliz am 19. Juni 2013 auf ein Gebäude des VN-Entwicklungsprogramms in Mogadischu wurden mindestens 18 Menschen getötet (Meldung der Deutschen Welle vom 19.06.2013 - „Keine Stabilität für Somalia“). Am 27. Juli 2013 kamen bei einem Selbstmordanschlag auf ein Wohngebäude der türkischen Botschaft in Mogadischu nach Polizeiangaben zwei Personen und der Attentäter ums Leben, weitere Personen wurden verletzt (Süddeutsche.de vom 28. Juli 2013 „Shabaab-Miliz verübt Anschlag auf türkische Botschaft“). Insgesamt hat die Zahl der Bombenanschläge im Jahr 2013 gegenüber dem Jahr 2012 zugenommen (vgl. Bericht des Generalsekretärs der VN an den Sicherheitsrat vom 31.05.2013). Dass die al Shabaab-Miliz relativ leicht prominente und theoretisch gut bewachte Ziele in der Hauptstadt angreifen kann, stellt nach Einschätzung von Beobachtern eine schwerwiegende Besorgnis für die Regierung dar und schwächt ihre Hoffnungen auf eine schnelle Rückkehr zu „Normalität“ in Somalia (vgl. Länderbericht der UK Border Agency zu Somalia vom 05.08.2013, dort Ziffer 1.28, S. 23). Das Auswärtige Amt wies auf seiner Internetseite in der dort eingestellten Reisewarnung vom 24. September 2013 ausdrücklich darauf hin, dass die Zahl der Selbstmordattentate in den letzten Jahren zugenommen habe, wovon vor allem auch der Großraum Mogadischu betroffen sei.
Für den Zeitraum von 2014 bis heute lässt sich noch keine grundlegende Veränderung der Sicherheitslage feststellen. Die vom Auswärtigen Amt herausgegebene Reisewarnung vom
Angesichts des Umstands, dass die vorhandenen staatlichen Strukturen nach wie vor sehr schwach sind und wesentliche Staatsfunktionen von ihnen nicht ausgeübt werden können (aktueller Lagebericht, S. 5), muss die erforderliche wertende Betrachtung aber hier in Betracht ziehen, dass eine erneute Verschlechterung der Lage nach aktuellem Stand nicht weniger wahrscheinlich ist als eine weitere Stabilisierung. Eine grundlegende Verbesserung der Sicherheitslage kann daher zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht festgestellt werden.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass gerade das Umfeld der Hauptstadt Mogadischu, in dem sich Hunderttausende von Binnenvertriebenen befinden, ein Brennpunkt der insgesamt angespannten Lage ist (Lagebericht, S. 14).
Ausgehend von der zugunsten des Klägers als Vorverfolgten eingreifenden Beweiserleichterung nach Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass er im Falle einer Rückkehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit weiterhin von der oben dargestellten Verfolgung bedroht ist.
Eine inländische Fluchtalternative für den aus ... stammenden Kläger besteht nicht. Er hat nur noch Kontakt zu seiner dort lebenden Familie. Es ist bereits davon auszugehen, dass es für ihn schwierig oder gar unmöglich sein würde, relativ sichere Zufluchtsgebiete z. B. in nördlichen Landesteilen zu erreichen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes, dort Ziff. II.3.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.
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Annotations
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.