Verwaltungsgericht München Urteil, 04. Aug. 2016 - M 10 K 15.5928

published on 04/08/2016 00:00
Verwaltungsgericht München Urteil, 04. Aug. 2016 - M 10 K 15.5928
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Gericht

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Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet.

Der Kläger ist italienischer Staatsangehöriger und am ... November 1979 in ... geboren. Er wuchs zusammen mit seinem Bruder zunächst bei den Eltern auf. Nach der Scheidung der Eltern lebte er zunächst weiterhin bei der Mutter. Die Schule verließ er nach der 9. Klasse mit einfachem Hauptschulabschluss. Die Ausbildungen zum Gerüstbauer und zum Einzelhandelskaufmann brach er jeweils nach nur 3 Monaten ab. Danach arbeitete er zunächst einige Monate als Koch, anschließend war er einige Zeit arbeitslos, dann war er in einer Bar am Flughafen ... tätig, danach als Verkäufer in zwei verschiedenen Fotoläden und schließlich arbeitete er ca. ab dem Jahr 2006 bis Ende 2013 in Nachtschicht bei einer Tankstelle als Kassierer. Seitdem er seine letzte Arbeitsstelle verloren hat, ist der Kläger arbeitslos.

Der Kläger war zunächst bis zum 16. Lebensjahr von der Erfordernis einer Aufenthaltserlaubnis befreit und erhielt am 15. Dezember 1995 eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis/EG. Seit dem 1. Januar 2005 genießt der Kläger die Freizügigkeit nach dem FreizügG/EU.

Der Kläger begann bereits mit ca. 15 Jahren Drogen zu konsumieren. Der Cannabis-Konsum verstärkte sich ab dem Jahr 1998 deutlich. Daher befand sich der Kläger in der Bezirksklinik ... in der Zeit vom 1. Juli 2003 bis zum 2. März 2004 in einer ambulanten Therapie und lebte dann bis Mitte/Ende des Jahres 2013 völlig drogenfrei. Dann begann der Kläger wieder vereinzelt mit dem Cannabis-Konsum. Zuletzt rauchte er täglich ca. 2 bis 3 Gramm Marihuana. Gleichzeitig begann er Ende des Jahres 2013 mit dem Konsum von Kokain. 2 bis 3 Monate vor der Festnahme hat der Kläger den Konsum je nach Verfügbarkeit auf 1 bis 3 Gramm Kokain gesteigert. Bei dem Kläger liegt eine Polytoxikomanie vor.

Der Kläger ist Vater von zwei Kindern aus einer Verbindung mit einer deutschen Staatsangehörigen. Der Sohn „...“ kam am ... März 2005 zur Welt und ist 11 Jahre alt; die Tochter „...“ wurde am ... Februar 2007 geboren und ist 9 Jahre alt. Beide Kinder besitzen die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Mutter der beiden Kinder hat das alleinige Sorgerecht für die Kinder. Seit dem Jahr 2010 hat der Kläger keinen Kontakt mehr zu seinen Kinder, es besteht ihnen gegenüber ein unbefristetes Kontaktverbot, das mit Beschluss des Amtsgerichts München - Abteilung für Familiensachen vom 23. August 2010 ausgesprochen wurde. Die Unterhaltszahlungen für die Kinder hat der Kläger im Laufe des Jahres 2012 eingestellt.

Nach gerichtlichen Angaben des Amtsgerichts München vom 15. Mai 2014 bestanden zum damaligen Zeitpunkt Schulden in Höhe von etwa 10.000,- EUR sowie Unterhaltsrückstände in Höhe von 9.000,- EUR. Die Unterhaltsrückstände belaufen sich zwischenzeitlich auf 16.000,- EUR. Aus Mietschulden resultiert ein Betrag von ca. 2.000,- EUR. Bei der AOK hat der Kläger Schulden in Höhe von 1.800,- EUR.

Der Kläger trat wie folgt strafrechtlich in Erscheinung:

1. Wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit Diebstahl wurde der Kläger in der mündlichen Verhandlung beim Amtsgericht München-Jugendgericht vom 16. Februar 1998 zu einem Freizeitarrest verurteilt. Daneben erhielt er für die Dauer 1 Jahres einen Betreuer.

2. Die Staatsanwaltschaft München I sah in einem Verfahren wegen Erschleichens von Leistungen nach § 154 Abs. 1 StPO mit Verfügung vom 20. Mai 1998 von der Verfolgung ab.

3. Am 21. März 2000 verurteilte das Jugendgericht beim Amtsgericht München den Kläger wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Ableistung eines sozialen Trainingskurses bei der Katholischen Jugendfürsorge.

4. Durch das Jugendgericht beim Amtsgericht München erging wegen zwei tatmehrheitlicher Beleidigungen in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung am 25. Juli 2000 unter Einbeziehung des Urteils des Jugendgerichts beim Amtsgericht München vom 21. März 2000 die Auflage, an die Katholische Jugendfürsorge einen Betrag von 3.000,- DM zu bezahlen.

5. Wegen Diebstahls verurteilte das Landgericht München II den Kläger am 12. April 2001 zu einer Jugendstrafe von 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

6. Das Amtsgericht München verurteilte den Kläger am 8. Oktober 2003 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei sachlich zusammentreffenden Fällen in einem Fall in Tatmehrheit mit 10 sachlich zusammentreffenden Fällen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

7. Das Amtsgericht München verurteilte den Kläger durch Strafbefehl vom 22. September 2008 wegen zwei tatmehrheitlicher Fälle der Bedrohung in Tatmehrheit mit Beleidung zur Zahlung einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30,- EUR.

8. Am 15. Mai 2014 verurteilte das Amtsgericht München den Kläger wegen Verletzung der Unterhaltspflicht zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.

9. Die 8. Große Strafkammer des Landgerichts München verurteilte den Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 27. April 2015 wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln sowie des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren. Das Gericht stimmte einer Zurückstellung gemäß § 35 BtMG zu.

Der letzten Verurteilung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt ca. 1 Woche vor dem 14. Juli 2014 verkaufte und übergab der Kläger an einen weiteren Angeklagten 24,5 Gramm Marihuana zum Preis von 150,- EUR. Der Kläger beabsichtigte, sich durch die wiederholte Tatbegehung eine fortlaufende Einnahmequelle von einiger Dauer und einigem Umfang zu verschaffen. Das Marihuana hatte einen Wirkstoffgehalt von 9,8%. Am 14. Juli 2014 gegen 15.00 Uhr kaufte und übernahm der Kläger von einer nicht näher feststellbaren Person in der Wohnung seines Bruders in der ... Str. 6 in ... jedenfalls 2.600 Gramm Marihuana zum Preis von 2.500,- EUR pro kg auf Kommission. Etwa 800 bis 1.000 Gramm hiervon waren für den Eigenkonsum des Klägers bestimmt. Die restlichen ca. 1.600 bis 1.800 Gramm Marihuana wollte der Kläger gewinnbringend an seine Abnehmer im Stadtgebiet ... verkaufen. Aus dieser gekauften und übernommenen Menge verkaufte und übergab der Kläger in der Wohnung seines Bruders das Marihuana an zwei weitere Angeklagte zu einem Preis von ca. 450,- EUR bis 490,- EUR und zu einem Preis von ca. 100,- EUR. Am Abend desselben Tages nahm sich ein anderweitig Verfolgter im Einverständnis mit dem Kläger weitere 7,27 Gramm Marihuana aus der oben genannten Menge. Bei der Durchsuchung der Wohnung am 14. Juli 2014 wurden noch 2.413,36 Gramm Marihuana und 5,53 Gramm Haschisch sichergestellt. Der Wirkstoffgehalt des Marihuanas lag zwischen 10% und 11%.

Der Kläger wurde am 14. Juli 2014 festgenommen und befand sich zunächst in der Justizvollzugsanstalt ... in Untersuchungshaft. Am 5. Mai 2015 trat er die Strafhaft in der JVA ... an. Das Haftende ist für den 12. März 2017 vorgesehen; 2/3 der Strafe wird der Kläger am 20. Dezember 2016 verbüßt haben.

Mit Bescheid vom 9. November 2015 stellte die Beklagte fest, dass der Kläger sein Recht auf Einreise und Aufenthalt verloren hat (Ziff. 1 des Bescheides). Nach Ziff. 2 des Bescheides untersagte die Beklagte die Einreise und den Aufenthalt des Klägers für 5 Jahre. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Gemäß Ziff. 3 des Bescheides hat der Kläger das Bundesgebiet innerhalb 1 Monats nach Bestandskraft des Bescheides zu verlassen. Sollte er nicht fristgerecht ausreisen oder aufgrund seiner Inhaftierung nicht ausreisen können, wird der Kläger nach Bestandskraft des Bescheides nach Italien abgeschoben.

Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass der Zeitraum der Inhaftierung des Klägers grundsätzlich dazu geeignet sei, die Kontinuität des 10-jährigen Aufenthalts des Klägers, der gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zu einem erhöhten Schutzstatus führe, zu unterbrechen. Da der Kläger sich bereits seit dem 14. Juli 2014 in Haft befinde, sei die Kontinuität seines Aufenthalts seit nunmehr über einem Jahr unterbrochen. Diese Diskontinuität bedinge im Fall des Klägers tatsächlich auch den Wegfall des in § 6 Abs. 5 FreizügG/EU verstärkten Schutzes, da seine Integrationsverbindungen mit der Bundesrepublik Deutschland gänzlich abgerissen seien. Denn eine Integration beruhe nicht nur auf zeitlichen und territorialen, sondern auch auf qualitativen Faktoren. Bei dem Kläger habe weder eine schulische noch eine berufliche Integration stattgefunden. Bereits während der Schulzeit habe er mit dem Konsum von Cannabis begonnen. Dieser sei deutlich ab dem Jahr 1998 angestiegen. Zwar habe der Kläger nach einer abgeschlossenen Gruppentherapie bis in das Jahr 2013 drogenfrei gelebt; bedingt durch den Verlust der Arbeitsstelle im Jahr 2013 habe er sich aber wieder in Drogenkreisen aufgehalten und ab Mitte des Jahres 2013 zunächst Cannabis und dann auch Kokain konsumiert. Zusätzlich habe der Kläger seinen Alkoholkonsum auf täglich 1 Flasche Wodka gesteigert. Eine Untersuchung der Haarprobe habe ergeben, dass daneben auch der häufige, aber nicht tägliche Konsum von Amphetaminen vorgelegen habe. Der Kläger habe aufgrund seiner Betäubungsmittelabhängigkeit Straftaten in erheblichem Umfang begangen, aber bereits vor seiner Inhaftierung wiederum die Möglichkeit gehabt, sich um eine geeignete Therapiemaßnahme zu bemühen; diese habe er jedoch nicht erneut wahrgenommen. Stattdessen habe der Kläger einen erneuten Therapiewunsch erst während der Untersuchungshaft geäußert. Die Ausländerbehörde sehe im jetzigen Therapiebestreben des Klägers keine ungewöhnlich große, von der Menge gleichgelagerter Fälle sich deutlich abhebende Bereitschaft, sich von der Drogenabhängigkeit zu lösen. Selbst wenn der Kläger nun tatsächlich abermals therapiewillig sei, bestünde die konkrete Gefahr, dass er erneut Drogen konsumieren und strafrechtlich in Erscheinung treten werde. Bekanntermaßen sei die Rückfallquote auch bei erfolgreich abgeschlossener stationärer Drogentherapie hoch. Daher sei davon auszugehen, dass der Kläger in absehbarer Zeit wieder in entsprechender Weise strafrechtlich in Erscheinung treten werde. Dies umso mehr, als der Kläger hoch verschuldet sei. Der Kläger habe noch Schulden von insgesamt ca. 20.000,- EUR zu begleichen, wobei die Unterhaltsrückstände in Zukunft noch weiter anwachsen würden. Der Kläger würde demnach nach Haftentlassung und als vorbestrafter Ausländer, der zudem keine abgeschlossene Ausbildung nachweisen könne, auf dem deutschen Arbeitsmarkt schlechte Chancen für eine Anstellung vorfinden. Um seinen Lebensunterhalt zu finanzieren, wäre der Kläger zumindest ergänzend auf den Bezug von Sozialhilfe angewiesen. Wie er seine Schulden begleichen würde, sei derzeit offen. Dieser sich in konkreten Umrissen abzeichnende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sei daher nicht nur mit den Mitteln des Strafrechts, sondern auch mit allen rechtlich zulässigen Mitteln des Ausländerrechts zu begegnen. Die Ausländerbehörde sehe eine konkrete Gefahr weiterer Straftaten durch den Kläger nach seiner Haftentlassung insbesondere im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität. Die Sozialschädlichkeit des Rauschgifthandels stehe außer Zweifel. Zu berücksichtigen seien ferner auch die für die öffentliche Hand entstehenden Kosten der Versorgungs-, Betreuungs- und Rehabilitationsmaßnahmen bei Drogenabhängigen, deren Zahl sich durch das Handeln des Klägers vergrößert habe, sowie die Bedenkenlosigkeit, mit der der Kläger den Handel mit Rauschgift betrieben und dadurch andere Menschen dem sozialen Abstieg sowie dem körperlichen und geistigen Verfall preisgegeben habe.

Angesichts der offensichtlich massiven kriminellen Energie des Klägers könne nicht davon ausgegangen werden, dass den Kläger die jetzige Erfahrung mit dem Strafvollzug künftig abschrecke. Er sei bereits mehrfach zu Freiheitsstrafen verurteilt worden und habe sich auch bis zur Urteilsverkündung in Untersuchungshaft befunden. Gerade auch die Verantwortung, die er als Vater gegenüber seinen zwei minderjährigen Kindern hätte, habe den Kläger nicht von weiteren Straftaten abhalten können. Der Kläger habe gegenüber seinen Kindern verantwortungslos gehandelt. Mehrfache Versuche, den Kontakt mit den Kindern wieder aufzubauen, seien letztendlich am aggressiven Verhalten des Klägers gescheitert. Man müsse sehen, dass die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern auf die Zahlungen angewiesen gewesen sei, um den Lebensunterhalt zu sichern. Insgesamt lasse sich damit feststellen, dass die beruflichen Integrationsverbindungen des Klägers derzeit vollständig abgerissen seien und der Kläger seit mehreren Jahren auch keinerlei Kontakte mehr zu seinen Kindern habe. Somit sei infolge der Verfügung der Freiheitsstrafe von 3 Jahren die Kontinuität des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet seit dem 14. Juli 2014 unterbrochen und auch der vorgesehene verstärkte Schutz des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheides auf den Kläger nicht mehr anwendbar.

Nachdem der Kläger aber ein Daueraufenthaltsrecht erworben habe, dürfe die Feststellung des Verlustes des Freizügigkeitsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden. Insbesondere das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln stelle einen Anlass für die Aufenthaltsbeendigung von besonderem Gewicht dar. Das strafrechtlich geahndete, persönliche Verhalten des Klägers begründe eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für die Grundinteressen der Gesellschaft. Der Europäische Gerichtshof sehe in der Rauschgiftsucht ein großes Übel für den Einzelnen und eine soziale und wirtschaftliche Gefahr für die Menschheit. Angesichts der offensichtlich kriminellen Energie des Klägers, seiner schlechten Einkommenssituation und der untherapierten Betäubungsmittelabhängigkeit könne nicht davon ausgegangen werden, dass die jetzige Erfahrung des Strafvollzugs den Kläger künftig von weiteren Straftaten abschrecken werde. Aus der Eigenart der Straftaten, die allein dazu dienten, den Drogenkonsum des Klägers zu finanzieren, ergebe sich eine konkrete Wiederholungsgefahr. Die Ausländerbehörde habe nach pflichtgemäßem Ermessen und unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit sowie des Vertrauensschutzes die Feststellung des Freizügigkeitsrechtes geprüft. Dem Kläger werde der Status des „faktischen Inländers“ zuerkannt, da er im Bundesgebiet geboren worden sei und sich seitdem hier aufhalte. In der Verhandlung vom 27. April 2015 vor dem Landgericht München I habe der Kläger angegeben, dass er zweisprachig aufgewachsen sei. In seiner Familie sei neben der deutschen Sprache auch die Muttersprache gesprochen worden. Aufgrund der drohenden Wiederholungsgefahr müssten jedoch die privaten Belange des Klägers zurückstehen.

Bezüglich des Wiedereinreiseverbots erachte die Behörde wegen des Gewichts der gefährdeten Rechtsgüter sowie der festgestellten hohen Wiederholungsgefahr und auch im Hinblick auf die familiären und persönlichen Bindungen des Klägers im Bundesgebiet einen Zeitraum von 5 Jahren für erforderlich, um dem hohen Gefahrenpotential Rechnung tragen zu können.

Mit Schreiben vom 8. Dezember 2015, eingegangen bei Gericht am 17. Dezember 2015, hat der Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhoben und beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 9. November 2015 aufzuheben.

Zur Begründung führt er aus, dass er in ... geboren und aufgewachsen sei, seine Eltern und sein Bruder sowie seine zwei Kinder lebten in ... und hätten alle die deutsche Staatsbürgerschaft. Er habe keinerlei Familie in Italien und keine Möglichkeit, in Italien zu wohnen. Die italienische Sprache würde er nur dürftig sprechen. Seine Mutter leide an Demenz und stehe unter Betreuung und hätte daher keinerlei Möglichkeit, ihn zu besuchen (Anmerkung des Gerichts: Nach Aussage des Klägers in der mündlichen Verhandlung ist die Mutter des Klägers im Februar 2016 verstorben). Er sei das erste Mal in Haft und wolle da auch nie wieder hin.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird ausgeführt, dass ausweislich des Empfangsbekenntnisses der streitgegenständliche Bescheid am 16. November 2015 dem Betroffenen ausgehändigt worden sei. Damit sei die Klageschrift verfristet beim Verwaltungsgericht eingegangen. Der Bescheid sei mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung versehen gewesen. Im Übrigen sei die Klage unbegründet. Der Betroffene sei schwerwiegend strafrechtlich in Erscheinung getreten. Der Kläger sei insgesamt zu Jugend- und Freiheitsstrafen in Höhe von über 6 Jahren verurteilt worden. Alle Verurteilungen seien nach wie vor verwertbar.

Mit Schreiben vom 19. Januar 2016 forderte das Gericht den Kläger auf, zur Zulässigkeit der Klage Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 31. Januar 2016 führte der Kläger aus, dass er sich nicht erklären könne, warum die Klage erst am 17. Dezember 2015 eingegangen sei. Er habe den Brief pünktlich eingeworfen.

Der Briefumschlag, mit dem der Kläger die Klage bei Gericht eingereicht hat, trägt den Poststempel mit Datum und Uhrzeit „15. Dezember 2015, 15:20 Uhr“.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- bzw. die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Klage ist zulässig.

Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 4. August 2016 in der mündlichen Verhandlung von Amts wegen Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist gemäß § 60 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 4 VwGO gewährt, da er unverschuldet die Einhaltung der Klagefrist (§ 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO) um einen Tag versäumt hat.

2. Die danach zulässige Klage hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

a. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU kann der Verlust des Rechts eines Unionsbürgers auf Einreise und Aufenthalt (§ 2 Abs. 1 FreizügG/EU) u. a. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit festgestellt werden. Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen berücksichtigt werden, und diese nur insoweit, als die ihnen zugrunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, § 6 Abs. 2 FreizügG/EU. Auch sind bei der Entscheidung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen, § 6 Abs. 3 FreizügG/EU. Bei Unionsbürgern, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, darf eine Feststellung nach § 6 Abs. 1 FreizügG/EU nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden, § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe vom mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherheitsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht, § 6 Abs. 5 Satz 2 FreizügG/EU. Der Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU, der der Umsetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, dient, setzt nicht nur das Vorliegen einer Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit voraus, sondern darüber hinaus, dass die Beeinträchtigung einen besonders hohen Schweregrad aufweist. Eine Ausweisungsmaßnahme ist hier auf außergewöhnliche Umstände begrenzt (vgl. EuGH, U. v. 23.11.2010 - C-145/09 Rn. 40,41 - juris). Sie muss auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalls gestützt werden und kann nur dann mit zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit gerechtfertigt werden, wenn sie angesichts der außergewöhnlichen Schwere der Bedrohung für den Schutz der Interessen, die mit ihr gewahrt werden sollen, erforderlich ist; Voraussetzung ist weiter, dass dieses Ziel unter Berücksichtigung der Aufenthaltsdauer im Aufnahmemitgliedstaat des Unionsbürgers und insbesondere der schweren negativen Folgen, die eine solche Maßnahme für Unionsbürger haben kann, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, nicht durch weniger strikte Maßnahmen erreicht werden kann. Dabei ist insbesondere der außergewöhnliche Charakter der Bedrohung der öffentlichen Sicherheit aufgrund des persönlichen Verhaltens der betroffenen Person, die zu der Zeit, zu der die Ausweisungsverfügung ergeht, zu beurteilen ist, nach Maßgabe der verwirkten und verhängten Strafen, des Grades der Beteiligung an der kriminellen Aktivität, des Umfangs des Schadens und gegebenenfalls der Rückfallneigung, gegen die Gefahr abzuwägen, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Aufnahmemitgliedsstaat, in den er vollständig integriert ist, zu gefährden (EuGH, U. v.23.11.2010 - C-145/09 Rn. 49,50 - juris). Im Falle einer Verurteilung wegen Straftaten ist § 6 Abs. 5 Satz 1 FreizügG/EU im Übrigen dahin auszulegen, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, mit denen eine Ausweisungsverfügung gerechtfertigt werden kann, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist. Zudem setzt eine Verlustfeststellung voraus, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt, wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten (vgl. EUGH, U. v. 22.5.2012 - C-348/09 - juris Rn. 33 f; zum Ganzen: BayVGH, B. v. 10.12.2014 - 19 ZB 13.2013 - juris Rn. 7).

Nach dem gestuften System des § 6 FreizügG/EU ist danach zu unterscheiden, ob der Kläger ein Daueraufenthaltsrecht nach § 4 a FreizügG/EU erworben hat (fünf Jahre rechtmäßiger Aufenthalt) oder sich schon seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufhält (§ 6 Abs. 5 FreizügG/EU). Hierbei hat die Beklagte die neuere Rechtsprechung des EuGH (U. v.16.1.2014 - C-400/12 - juris) zu § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zugrunde gelegt. Diese Vorschrift dient der Umsetzung von Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG. Diese Vorschrift ist nach dem oben zitierten Urteil des EuGH dahin auszulegen, dass der Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren im Sinne dieser Bestimmung grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein muss und vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung des Betroffenen an zurückzurechnen ist (1. Orientierungssatz). Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38/EG ist weiterhin dahin auszulegen, dass ein Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen grundsätzlich geeignet ist, die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne dieser Bestimmung zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich diese Person vor dem Freiheitsentzug zehn Jahre lang im Aufnahmemitgliedsstaat aufgehalten hat. Gleichwohl kann dieser Umstand bei der umfassenden Beurteilung berücksichtigt werden, die für die Feststellung, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind, vorzunehmen ist (2. Orientierungssatz).

aa. Im vorliegenden Fall kann dahinstehen, ob mit der Beklagten davon auszugehen ist, dass der Kläger nur den Schutz des § 6 Abs. 4 FreizügG/EU in Anspruch nehmen kann (Feststellung des Verlusts nur aus schwerwiegenden Gründen), da die Kontinuität des Aufenthalts des Klägers zum Bundesgebiet mit Antritt der Haftstrafe unterbrochen ist. Hierfür würde sprechen, dass der Kläger im vorliegenden Fall im Bundesgebiet vor allem beruflich integriert war und diese Integration durch Antritt der Freiheitsstrafe nunmehr einschneidend unterbrochen wurde, da der Kläger während der Verbüßung seiner Haftstrafe nicht die Möglichkeit hat, eine neue Arbeitsstelle anzutreten.

Dies kann hier jedoch deshalb dahinstehen, da der streitgegenständliche Bescheid vom 9. November 2015 auch unter Zugrundelegung eines zehnjährigen ununterbrochenen Aufenthalts des Klägers und der Voraussetzung des Vorliegens von zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit nach § 6 Abs. 5 Satz 1 und 3 FreizügG/EU rechtmäßig ist.

Der Kläger wurde bereits mit Urteil des Amtsgerichts München vom 8. Oktober 2003 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei sachlich zusammentreffenden Fällen in einem Fall in Tatmehrheit mit zehn sachlich zusammentreffenden Fällen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Diese Verurteilung kann zur Begründung der Verlustfeststellung auch noch herangezogen werden. Ein Verwertungsverbot nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 FreizügG/EU hinsichtlich derjenigen Straftaten, die im Bundeszentralregister bereits getilgt sind, gilt für diese Straftat noch nicht (vgl. Kurzidem in: Kluth/Heusch, Beck'scher Online-Kommentar, Ausländerrecht, Stand: 1.2.2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 6). Nach § 47 Abs. 1 Nr. 4 des Gesetzes über das Zentralregister und das Erziehungsregister (BZRG) beträgt die Tilgungsfrist bei der vorliegenden Verurteilung fünfzehn Jahre und hat mit dem Tag des ersten Urteils, also am 8. Oktober 2003 begonnen, § 36 Abs. 1 Satz 1 BZRG.

Weiter wurde der Kläger mit Urteil des Landgerichts München I vom 27. April 2015 wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln sowie des vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittels in nicht geringer Menge in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.

Eine Ausweisung nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU kommt daher in Betracht. Der Kläger wurde bei Zugrundelegung nur der beiden einschlägigen Betäubungsmitteldelikte bereits zu insgesamt fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Zu berücksichtigen ist mindestens auch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten wegen Unterhaltspflichtverletzung, deren Aussetzung zur Bewährung zwischenzeitlich widerrufen wurde.

Das den Verurteilungen vom 8. Oktober 2003 und vom 27. April 2015 zugrunde liegende Verhalten des Klägers erfüllt auch die Voraussetzungen des § 6 Abs. 4 und Abs. 5 FreizügG/EU. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit liegen bei schweren Rauschgiftdelikten vor, die regelmäßig mit einer hohen kriminellen Energie verbunden sind und das Leben und die Gesundheit anderer Menschen in schwerwiegender Weise gefährden. Gefahren, die vom illegalen Handel mit Betäubungsmitteln ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter des Lebens und der Gesundheit nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein (vgl. EuGH, U. v. 23.11.2010 - C-145/9 - juris Rn. 45 ff.; BayVGH, B. v. 6.5.2015 -10 ZB 15.231 - juris Rn. 4). Der Schutz der Bevölkerung vor Betäubungsmitteln stellt ein Grundinteresse der Gesellschaft dar, da der Handel mit Drogen eine Abhängigkeit von Drogenkonsumenten hervorruft oder aufrechterhält. Gegenstand der Taten waren hier nicht nur weiche Drogen, wie Haschisch, sondern bei den Taten im Jahr 2001 unter anderem auch eine besonders harte und gefährliche Droge, nämlich Kokain in einer erheblichen Menge von insgesamt 50 Gramm. Dabei erwarb der Kläger die Betäubungsmittel teils zum Eigenverbrauch, aber zum größeren Teil, um diese gewinnbringend weiter zu veräußern. Im Jahr 2014 erwarb der Kläger unter anderem 2,6 kg Marihuana „auf Kommission“, um mit dieser erheblichen Menge Gewinn zu erzielen. Die Betäubungsmittel verkaufte der Kläger größtenteils aus der Wohnung seines Bruders heraus weiter und gefährdete dadurch die Gesundheit und das Leben anderer Menschen. Hierbei kann den Kläger auch nicht entlasten, dass er - wie er in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat - das Marihuana „nur“ an zwei verschiedene Kunden und einen Freund abgegeben und nicht auf der Straße „gedealt“ hat. Die Weitergabe der Drogen an diese drei Personen hat gerade deren Gesundheit, die es als sehr hohe Güter der Wertordnung zu schützen gilt, in schwerwiegender Weise gefährdet und stellt eine schwere Straftat dar.

Illegaler Drogenhandel gehört auch zu den in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten Straftaten im Bereich der schweren Kriminalität.

bb. Das Gericht teilt ferner die Prognoseentscheidung der Beklagten, dass vom Kläger auch in Zukunft die Gefahr weiterer schwerwiegender Straftaten ausgeht. Bei einer Ausweisung zu spezialpräventiven Zwecken müssen Anhaltspunkte dafür bestehen, dass in Zukunft eine schwere Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch neue Straftaten des Ausländers ernsthaft droht und damit eine von ihm bedeutsame Gefahr für ein wichtiges Schutzgut ausgeht (ständige Rspr., etwa BVerwG, U. v. 26.2.2002 - 1 C 21/00 - juris Rn. 22). Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U. v. 10.7.2012 - 1 C 19/11 - juris Rn. 16) der Wahrscheinlichkeitsmaßstab bezüglich der Wiederholungsgefahr vom Rang des gefährdeten Rechtsguts abhängig; bei bedrohten Rechtsgütern mit einer hervorgehobenen Bedeutung gelten daher für die im Rahmen tatrichterlicher Prognose festzustellende Wiederholungsgefahr eher geringere Anforderungen. Damit sind die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringer, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist. Das bedeutet andererseits nicht, dass bei hochrangigen Rechtsgütern bereits jede auch nur entfernte Möglichkeit genügt, um eine Wiederholungsgefahr annehmen zu können.

Der Kläger hat vorliegend Straftaten begangen, die bereits dem Bereich der Schwerkriminalität zuzuordnen sind. Dem unerlaubten Erwerb und dem Handel mit Betäubungsmitteln lag nicht nur eine eigene Drogenabhängigkeit zugrunde. Vielmehr handelte der Kläger dabei auch aus Gewinnstreben ohne Rücksicht auf die Folgen für Drogenkonsumenten und Sozialversicherungssysteme.

Es besteht auch weiterhin die Gefahr, dass der Kläger sein strafbares Verhalten wiederholen wird. Angesichts der bereits zum zweiten Mal aufgetretenen Drogensucht des Klägers ist zunächst der erfolgreiche Abschluss einer Drogentherapie von zentraler Bedeutung für die Prognose, ob der Kläger künftig weiterhin erhebliche Straftaten begehen wird. Liegt, wie beim Kläger, die Ursache der begangenen Straftaten (auch) in der Suchtmittelabhängigkeit, so ist nach ständiger Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie zwingende Voraussetzung für ein denkbares Entfallen der Wiederholungsgefahr (vgl. BayVGH, B. v. 10.10.2012 - 10 ZB 11.2454 - juris Rn. 9; B. v. 6.5.2015 - 10 ZB 15.231 - juris Rn. 7). Auch wenn der Kläger bereits an Therapiesitzungen teilnimmt, derzeit abstinent in beschützender Umgebung lebt und darüber hinaus noch beständig und fleißig in einem anstaltsinternen Unternehmensbetrieb in der JVA arbeitet, besteht die Wiederholungsgefahr nach wie vor fort. Sogar, wenn eine suchttherapeutische Behandlung erfolgreich abgeschlossen wird, ist die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Rückfalls und eine Rückkehr zu delinquenten Verhaltensweisen als hoch anzusehen. Dies ergibt sich daraus, dass der Kläger bereits im Jahr 2004 eine Suchttherapie erfolgreich abgeschlossen hat und danach auch mehrere Jahre drogenfrei gelebt hat. Doch hat er zu keiner Zeit ein straffreies Leben geführt und ist letztendlich wieder in alte Verhaltensweisen und die Drogensucht zurückgefallen. Auch hat er selbst angegeben, dass er spielsüchtig sei und dies als Ursache für seine erneute Drogensüchtigkeit ansehe. Er hat es weiterhin nicht geschafft, ein schuldenfreies Leben zu führen.

Eine erhebliche Wiederholungsgefahr kann der Kläger damit nicht ernsthaft in Zweifel ziehen; die Erwartung künftig straffreien Verhaltens auch nach Straf- bzw. Therapieende hat er nicht glaubhaft machen können.

Vorgaben für den Zeitpunkt, zu dem die Behörde die Verlustfeststellung ausspricht, ergeben sich weder aus dem nationalen Recht noch aus Unionsrecht. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen „jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt“ (vgl. U. v. 16.1.2014 - C-400/12 - juris Rn. 35; U. v. 23.11.2010 - C-145/09 - juris Rn. 32). Einer positiven Entwicklung des Unionsbürgers nach Erlass der Verlustfeststellung - etwa wie im vorliegenden Fall durch eine erfolgreiche Therapie während der Strafhaft oder zu einem späteren Zeitpunkt - kann durch eine nachträgliche Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 7 Abs. 2 FreizügG/EU Rechnung getragen werden (vgl. BVerwG, B. v. 11.9.2015 - 1 B 39/15 - juris Rn. 21).

cc. Die Ausweisung erweist sich auch unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen des Klägers als ermessensfehlerfrei und angemessen. Auch der Eingriff in das Privat- und Familienleben des Klägers erweist sich unter Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 8 Abs. 2 EMRK als verhältnismäßig.

Ob die Ausweisung des Klägers - und damit der Eingriff in das Familien- und/oder Privatleben im Sinne des Art. 8 EMRK - im konkreten Einzelfall im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK in einer demokratischen Gesellschaft notwendig, insbesondere verhältnismäßig ist, bestimmt sich anhand einer Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Ausweisung eines straffällig gewordenen Ausländers mit seinem Interesse an der Aufrechterhaltung seiner faktisch gewachsenen und von Art. 8 Abs. 1 EMRK geschützten privaten und familiären Bindungen im Bundesgebiet. Die durch höherrangiges Recht und Vorschriften der EMRK geschützten Belange des Klägers gebieten daher eine Einzelfallwürdigung unter Berücksichtigung der Gesamtumstände des Falles (vgl. BVerwG, U. v. 23.10.2007 - 1 C 10/07 - juris Rn. 25).

Die Beklagte hat die persönlichen Umstände des Klägers und sein Privatinteresse an einem weiteren Aufenthalt und Verbleib im Bundesgebiet angemessen gewürdigt und nach Abwägung aller Umstände gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalt als nachrangig eingestuft.

Die Beklagte hat dabei ausreichend berücksichtigt, dass der Kläger sogenannter „faktischer Inländer“ ist, da er seit seiner Geburt in ... lebt, dort zur Schule gegangen ist und gearbeitet hat. Allerdings hat der Kläger es nicht geschafft, ein straffreies Leben zu führen, sondern hat kontinuierlich durch verschiedene Straftaten, unter anderem auch Körperverletzungs- und Eigentumsdelikte, die Rechtsordnung missachtet.

Auf die familiären Bindungen des Klägers zu seinem Vater und seinem Bruder kommt es aufgrund des Alters des Klägers nicht entscheidungserheblich an. Der Kläger kann telefonisch oder im Rahmen von Betretenserlaubnissen zu diesen Kontakt halten. Weiter kann sich der Kläger nicht auf eine familiäre Beziehung mit seinen beiden Kindern, die dem Schutzbereich des Art. 6 GG unterfällt, berufen. Der Kläger hat schon seit ca. sechs Jahren keinerlei Kontakt mehr zu seinen Kindern; es besteht sogar ein unbefristetes Kontaktverbot zu diesen. Eine tatsächliche persönliche Verbundenheit, auf deren Aufrechterhaltung die Kinder zu ihrem Wohl angewiesen sind (vgl. BVerfG, B. v. 23.1.2006 - 2 BvR 1935/05 - juris Rn. 18), besteht offensichtlich nicht.

Eine für den Kläger günstigere Entscheidung ergibt sich auch dann nicht, wenn man den Einwand des Klägers zugrunde legt, dass er keine familiäre Kontakte in Italien hat und die italienische Sprache nicht spricht. Es ist dem Kläger zuzumuten, sich entweder im deutschsprachigen Raum Italiens aufzuhalten und/oder die italienische Sprache zu erlernen. Durch Urlaubsreisen an den Gardasee und nach Salerno (vgl. Schreiben des Klägers vom 7. September 2015, Bl. 278 der Behördenakte) ist ihm sein Herkunftsland auch nicht gänzlich unbekannt.

dd. Die Ausweisung ist daher unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalles aufgrund der besonderen Schwere des Ausweisungsanlasses, der vom Kläger ausgehenden Gefahr sowie der Zumutbarkeit der Verweisung auf ein Leben in Italien verhältnismäßig. Die Beklagte hat die familiäre und persönliche Situation des Klägers im Rahmen einer Einzelfallbeurteilung ausreichend gewürdigt (vgl. § 114 VwGO).

b. Vor diesem Hintergrund sind die verfügte Ausreisefrist und die Abschiebungsandrohung auch aus der Haft heraus (Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids) rechtlich nicht zu beanstanden. Sie finden ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 1 FreizügG/EU.

c. Die in Ziffer 2 des angegriffenen Bescheides verfügte Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots auf fünf Jahre begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Sie findet ihre Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 2 FreizügG/EU. Die festgesetzte Frist von fünf Jahren erscheint jedenfalls angemessen, um dem beim Kläger bestehenden hohen Gefahrenpotential Rechnung zu tragen und ihm insbesondere die Möglichkeit zu geben, sich auf Dauer von schädlichen Einflüssen aus seinem Umfeld in Deutschland zu distanzieren.

Zudem hat die Beklagte in dem streitgegenständlichen Bescheid darauf hingewiesen, dass Härtefälle ggf. durch kurzfristige Betretenserlaubnisse nach § 11 Abs. 8 Satz 1 AufenthG aufgefangen werden können.

3. Nach alledem war die Klage insgesamt mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.

4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 5.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 2 Gerichtskostengesetz -GKG-).

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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Lastenausgleichsgesetz - LAG

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Lastenausgleichsgesetz - LAG

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur
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published on 10/12/2014 00:00

Tenor I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt. II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsantragsverfahrens. III. Der Streitwert für das Zulassungsantragsverfahren wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
published on 11/09/2015 00:00

Gründe 1 Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Soweit sie den Darlegungsanforderungen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) ge
published on 10/07/2012 00:00

Tatbestand 1 Der im Jahr 1964 geborene Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger, wendet sich gegen seine unbefristete Ausweisung.
{{Doctitle}} zitiert {{count_recursive}} Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Annotations

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(1) Die Anfechtungsklage muß innerhalb eines Monats nach Zustellung des Widerspruchsbescheids erhoben werden. Ist nach § 68 ein Widerspruchsbescheid nicht erforderlich, so muß die Klage innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts erhoben werden.

(2) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Für die Feststellung und Berechnung der Frist gelten die §§ 35, 36 entsprechend.

(2) Die Tilgungsfrist läuft nicht ab, solange sich aus dem Register ergibt, daß die Vollstreckung einer Strafe oder eine der in § 61 des Strafgesetzbuchs aufgeführten Maßregeln der Besserung und Sicherung noch nicht erledigt oder die Strafe noch nicht erlassen ist. § 37 Abs. 1 gilt entsprechend.

(3) Sind im Register mehrere Verurteilungen eingetragen, so ist die Tilgung einer Eintragung erst zulässig, wenn für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen. Die Eintragung einer Verurteilung, durch die eine Sperre für die Erteilung der Fahrerlaubnis für immer angeordnet worden ist, hindert die Tilgung anderer Verurteilungen nur, wenn zugleich auf eine Strafe erkannt worden ist, für die allein die Tilgungsfrist nach § 46 noch nicht abgelaufen wäre.

Die Frist beginnt mit dem Tag des ersten Urteils (§ 5 Abs. 1 Nr. 4). Dieser Tag bleibt auch maßgebend, wenn

1.
eine Gesamtstrafe oder eine einheitliche Jugendstrafe gebildet,
2.
nach § 30 Abs. 1 des Jugendgerichtsgesetzes auf Jugendstrafe erkannt wird oder
3.
eine Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren ergeht, die eine registerpflichtige Verurteilung enthält.

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Die Beteiligten können vor dem Verwaltungsgericht den Rechtsstreit selbst führen.

(2) Die Beteiligten können sich durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, als Bevollmächtigten vertreten lassen. Darüber hinaus sind als Bevollmächtigte vor dem Verwaltungsgericht vertretungsbefugt nur

1.
Beschäftigte des Beteiligten oder eines mit ihm verbundenen Unternehmens (§ 15 des Aktiengesetzes); Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen,
2.
volljährige Familienangehörige (§ 15 der Abgabenordnung, § 11 des Lebenspartnerschaftsgesetzes), Personen mit Befähigung zum Richteramt und Streitgenossen, wenn die Vertretung nicht im Zusammenhang mit einer entgeltlichen Tätigkeit steht,
3.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Abgabenangelegenheiten,
3a.
Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Personen und Vereinigungen im Sinne der §§ 3a und 3c des Steuerberatungsgesetzes im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 3a des Steuerberatungsgesetzes, zu beschränkter geschäftsmäßiger Hilfeleistung in Steuersachen nach den §§ 3d und 3e des Steuerberatungsgesetzes berechtigte Personen im Rahmen dieser Befugnisse sowie Gesellschaften im Sinne des § 3 Satz 1 Nummer 2 und 3 des Steuerberatungsgesetzes, die durch Personen im Sinne des § 3 Satz 2 des Steuerberatungsgesetzes handeln, in Angelegenheiten finanzieller Hilfeleistungen im Rahmen staatlicher Hilfsprogramme zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie, wenn und soweit diese Hilfsprogramme eine Einbeziehung der Genannten als prüfende Dritte vorsehen,
4.
berufsständische Vereinigungen der Landwirtschaft für ihre Mitglieder,
5.
Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,
6.
Vereinigungen, deren satzungsgemäße Aufgaben die gemeinschaftliche Interessenvertretung, die Beratung und Vertretung der Leistungsempfänger nach dem sozialen Entschädigungsrecht oder der behinderten Menschen wesentlich umfassen und die unter Berücksichtigung von Art und Umfang ihrer Tätigkeit sowie ihres Mitgliederkreises die Gewähr für eine sachkundige Prozessvertretung bieten, für ihre Mitglieder in Angelegenheiten der Kriegsopferfürsorge und des Schwerbehindertenrechts sowie der damit im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten,
7.
juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in den Nummern 5 und 6 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt, und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.
Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, handeln durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter.

(3) Das Gericht weist Bevollmächtigte, die nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 vertretungsbefugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann den in Absatz 2 Satz 2 Nr. 1 und 2 bezeichneten Bevollmächtigten durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.

(4) Vor dem Bundesverwaltungsgericht und dem Oberverwaltungsgericht müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht oder einem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird. Als Bevollmächtigte sind nur die in Absatz 2 Satz 1 bezeichneten Personen zugelassen. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Vor dem Bundesverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 5 bezeichneten Organisationen einschließlich der von ihnen gebildeten juristischen Personen gemäß Absatz 2 Satz 2 Nr. 7 als Bevollmächtigte zugelassen, jedoch nur in Angelegenheiten, die Rechtsverhältnisse im Sinne des § 52 Nr. 4 betreffen, in Personalvertretungsangelegenheiten und in Angelegenheiten, die in einem Zusammenhang mit einem gegenwärtigen oder früheren Arbeitsverhältnis von Arbeitnehmern im Sinne des § 5 des Arbeitsgerichtsgesetzes stehen, einschließlich Prüfungsangelegenheiten. Die in Satz 5 genannten Bevollmächtigten müssen durch Personen mit der Befähigung zum Richteramt handeln. Vor dem Oberverwaltungsgericht sind auch die in Absatz 2 Satz 2 Nr. 3 bis 7 bezeichneten Personen und Organisationen als Bevollmächtigte zugelassen. Ein Beteiligter, der nach Maßgabe der Sätze 3, 5 und 7 zur Vertretung berechtigt ist, kann sich selbst vertreten.

(5) Richter dürfen nicht als Bevollmächtigte vor dem Gericht auftreten, dem sie angehören. Ehrenamtliche Richter dürfen, außer in den Fällen des Absatzes 2 Satz 2 Nr. 1, nicht vor einem Spruchkörper auftreten, dem sie angehören. Absatz 3 Satz 1 und 2 gilt entsprechend.

(6) Die Vollmacht ist schriftlich zu den Gerichtsakten einzureichen. Sie kann nachgereicht werden; hierfür kann das Gericht eine Frist bestimmen. Der Mangel der Vollmacht kann in jeder Lage des Verfahrens geltend gemacht werden. Das Gericht hat den Mangel der Vollmacht von Amts wegen zu berücksichtigen, wenn nicht als Bevollmächtigter ein Rechtsanwalt auftritt. Ist ein Bevollmächtigter bestellt, sind die Zustellungen oder Mitteilungen des Gerichts an ihn zu richten.

(7) In der Verhandlung können die Beteiligten mit Beiständen erscheinen. Beistand kann sein, wer in Verfahren, in denen die Beteiligten den Rechtsstreit selbst führen können, als Bevollmächtigter zur Vertretung in der Verhandlung befugt ist. Das Gericht kann andere Personen als Beistand zulassen, wenn dies sachdienlich ist und hierfür nach den Umständen des Einzelfalls ein Bedürfnis besteht. Absatz 3 Satz 1 und 3 und Absatz 5 gelten entsprechend. Das von dem Beistand Vorgetragene gilt als von dem Beteiligten vorgebracht, soweit es nicht von diesem sofort widerrufen oder berichtigt wird.

(1) Kammerrechtsbeistände stehen in den nachfolgenden Vorschriften einem Rechtsanwalt gleich:

1.
§ 79 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 Satz 1, § 88 Absatz 2, § 121 Absatz 2 bis 4, § 122 Absatz 1, den §§ 126, 130d und 133 Absatz 2, den §§ 135, 157 und 169 Absatz 2, den §§ 174, 195 und 317 Absatz 5 Satz 2, § 348 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 Buchstabe d, § 397 Absatz 2 und § 702 Absatz 2 Satz 2 der Zivilprozessordnung,
2.
§ 10 Absatz 2 Satz 1, § 11 Satz 4, § 13 Absatz 4, den §§ 14b und 78 Absatz 2 bis 4 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit,
3.
§ 11 Absatz 2 Satz 1 und § 46g des Arbeitsgerichtsgesetzes,
4.
den §§ 65d und 73 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 5 des Sozialgerichtsgesetzes, wenn nicht die Erlaubnis das Sozial- und Sozialversicherungsrecht ausschließt,
5.
den §§ 55d und 67 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung,
6.
den §§ 52d und 62 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 6 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung, wenn die Erlaubnis die geschäftsmäßige Hilfeleistung in Steuersachen umfasst.

(2) Registrierte Erlaubnisinhaber stehen im Sinn von § 79 Abs. 2 Satz 1 der Zivilprozessordnung, § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, § 11 Abs. 2 Satz 1 des Arbeitsgerichtsgesetzes, § 73 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes, § 67 Abs. 2 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung und § 62 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung einem Rechtsanwalt gleich, soweit ihnen die gerichtliche Vertretung oder das Auftreten in der Verhandlung

1.
nach dem Umfang ihrer bisherigen Erlaubnis,
2.
als Prozessagent durch Anordnung der Justizverwaltung nach § 157 Abs. 3 der Zivilprozessordnung in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung,
3.
durch eine für die Erteilung der Erlaubnis zum mündlichen Verhandeln vor den Sozialgerichten zuständige Stelle,
4.
nach § 67 der Verwaltungsgerichtsordnung in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung oder
5.
nach § 13 des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit in der bis zum 30. Juni 2008 geltenden Fassung
gestattet war. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 bis 3 ist der Umfang der Befugnis zu registrieren und im Rechtsdienstleistungsregister bekanntzumachen.

(3) Das Gericht weist registrierte Erlaubnisinhaber, soweit sie nicht nach Maßgabe des Absatzes 2 zur gerichtlichen Vertretung oder zum Auftreten in der Verhandlung befugt sind, durch unanfechtbaren Beschluss zurück. Prozesshandlungen eines nicht vertretungsbefugten Bevollmächtigten und Zustellungen oder Mitteilungen an diesen Bevollmächtigten sind bis zu seiner Zurückweisung wirksam. Das Gericht kann registrierten Erlaubnisinhabern durch unanfechtbaren Beschluss die weitere Vertretung oder das weitere Auftreten in der Verhandlung untersagen, wenn sie nicht in der Lage sind, das Sach- und Streitverhältnis sachgerecht darzustellen.§ 335 Abs. 1 Nr. 5 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.